Edgar Julius Jung

von Karlheinz Weißmann

pdf der Druckfassung aus Sezession 6 / Juli 2004

Im Som­mer 1934 schrieb der Dich­ter Rudolf Bor­chardt aus dem ita­lie­ni­schen Exil: »Deut­scher sein wird nach dem Schre­cken­sen­de eine graue und gräss­li­che Sache wer­den …«. Das war pro­phe­tisch gespro­chen, auch wenn nicht alle fins­te­ren Erwar­tun­gen Bor­chardts sofort in Erfül­lung gingen.

Das »Schre­cken­sen­de« hielt Bor­chardt für unver­meid­lich nach den Ereig­nis­sen vom 30. Juni jenes Jah­res, als man fünf sei­ner Freun­de ermor­det hat­te, »dar­un­ter mei­nen armen lie­ben Edgar Jung«. Die Ver­bin­dung zwi­schen bei­den datier­te vom Janu­ar 1930, nach­dem Jung an Bor­chardt die zwei­te Fas­sung sei­nes Buches Die Herr­schaft der Min­der­wer­ti­gen geschickt hat­te, wor­auf Bor­chardt wohl­wol­lend, wenn auch nicht unkri­tisch reagierte.

Bei­de zähl­ten zu der­sel­ben Denk­fa­mi­lie der rech­ten Intel­li­genz – den Jung­kon­ser­va­ti­ven –, aber es gab durch­aus Dif­fe­ren­zen. Dazu gehör­te Bor­chardts Treue zum Haus Hohen­zol­lern und zur pro­tes­tan­ti­schen Über­lie­fe­rung gegen Jungs Begeis­te­rung für die Reichs­idee und eine Erneue­rung der una sanc­ta, außer­dem ging es um die Ein­schät­zung der Per­son Ste­fan Geor­ges, den Jung eben­so ver­ehr­te, wie ihn Bor­chardt haß­te, und sicher spiel­te eine Rol­le, daß Bor­chardt durch sei­ne Her­kunft aus dem deutsch-jüdi­schen Groß­bür­ger­tum zur alten Eli­te gehör­te und sei­nen Kon­ser­va­tis­mus mit einer gewis­sen Läs­sig­keit ver­trat, wäh­rend Jung aus dem Volk kam und zu einer Gene­ra­ti­on zähl­te, deren Kon­ser­va­tis­mus wil­lent­lich ange­eig­net war und des­halb ein neu­es dyna­mi­sches Moment enthielt.

Edgar Juli­us Jung wur­de am 6. März 1894 in Lud­wigs­ha­fen gebo­ren. Sei­ne Vor­fah­ren ent­stamm­ten dem evan­ge­li­schen Bau­ern­tum der Pfalz, der Vater hat­te als Gym­na­si­al­pro­fes­sor einen gewis­sen sozia­len Auf­stieg erreicht. Jeden­falls konn­te Jung nach dem Abitur 1912 ein Jura-Stu­di­um in Lau­sanne auf­neh­men, kehr­te aber bei Kriegs­be­ginn nach Deutsch­land zurück.

Er mel­de­te sich frei­wil­lig, kam an der West­front zum Ein­satz, zuletzt in der Luft­waf­fe, und wur­de nach dem Zusam­men­bruch als Leut­nant ent­las­sen. Er schloß bis 1922 sein Stu­di­um an den Uni­ver­si­tä­ten Würz­burg und Hei­del­berg mit der Pro­mo­ti­on ab, betei­lig­te sich aber gleich­zei­tig aktiv an den Kämp­fen des Nachkriegs.

Er trat dem Frei­korps Epp bei, das mit­half, die Mün­che­ner Räte­herr­schaft nie­der­zu­wer­fen, und nach der Beset­zung der hei­mat­li­chen Pfalz durch fran­zö­si­sche Trup­pen bil­de­te er eine Geheim­or­ga­ni­sa­ti­on, den »Rhei­nisch-Pfäl­zi­schen Kampf­bund«, der im Janu­ar 1924 das Atten­tat auf den Prä­si­den­ten der sepa­ra­tis­ti­schen »Pfäl­zi­schen Repu­blik«, Heinz Orbis, ausführte.

Jung muß­te wegen sei­ner Betei­li­gung an dem Anschlag nach Bay­ern flie­hen, wo aller­dings kei­ne Straf­ver­fol­gung ein­ge­lei­tet wur­de, da die Behör­den Heinz Orbis des Hoch­ver­ra­tes ange­klagt hat­ten und sei­ne Erschie­ßung als »Akt der Staats­not­wehr« betrachteten.

Jung ließ sich in Mün­chen nie­der, übte den Beruf als Rechts­an­walt aber nur zum Zweck des Brot­er­werbs aus. Eine par­tei­po­li­ti­sche Hei­mat hat­te er in der DVP gefun­den, deren pfäl­zi­scher Lan­des­ver­band zu den Trä­gern des Wider­stands gegen die fran­zö­si­sche Okku­pa­ti­on gehörte.

Nach dem Abschluß des Ver­trags von Locar­no wuchs Jungs Distanz zu den Natio­nal­li­be­ra­len, und all­mäh­lich ver­lor er völ­lig das Inter­es­se an der Par­tei­ar­beit. Er sah sei­nen eige­nen Platz dort, wo man »die geis­ti­gen Vor­be­din­gun­gen einer deut­schen Wie­der­ge­burt zu schaf­fen« begann und ging auf die Sei­te der Jungkonservativen.

Nach dem Tod Moel­ler van den Brucks, 1925 wur­de er zum wich­tigs­ten Pro­gram­ma­ti­ker die­ser Ten­denz, die kon­ser­va­ti­ve Posi­ti­on aus der Defen­si­ve gegen­über dem Libe­ra­lis­mus eben­so befrei­en woll­te wie aus den Bin­dun­gen, die sie im 19. Jahr­hun­dert not­ge­drun­gen ein­ge­gan­gen war.

Die Jung-Kon­ser­va­ti­ven bil­de­ten die wich­tigs­te Strö­mung inner­halb der Kon­ser­va­ti­ven Revo­lu­ti­on, lehn­ten die Fixie­rung auf den Ras­se­ge­dan­ken der Völ­ki­schen eben­so ab wie den Akti­vis­mus der Natio­nal­re­vo­lu­tio­nä­re. Für sie war »Kon­ser­va­tis­mus« weder Kaschie­rung von Klas­sen­in­ter­es­sen noch geis­ti­ge Träg­heit, son­dern ein Ver­such, ange­mes­se­ner Wirklichkeitsauffassung.

Das hieß aber auch, daß das »Bewah­ren« nicht abso­lut gesetzt wur­de. In deut­li­cher Anleh­nung an Moel­ler for­mu­lier­te Jung als »kon­ser­va­tiv-revo­lu­tio­nä­res Prin­zip«, die meta­phy­sisch begrün­de­ten, über­in­di­vi­du­el­len »Wer­te« bil­de­ten die Grund­la­ge aller Gemeinschaft:

Der Trieb, die­se um jeden Preis zu erhal­ten, kann kon­ser­va­tiv genannt wer­den. … Soweit bis­he­ri­ge, all­ge­mein­gül­ti­ge Wert­ur­tei­le geeig­net sind, eine fal­sche Ein­stel­lung zu jenen höchs­ten Wer­ten zu erzeu­gen, soweit sind wir für die ‘Umwer­tung aller Wer­te´. Ist die­se Umwer­tung gleich­be­deu­tend mit einer Umwäl­zung der Din­ge, dann mag man uns revo­lu­tio­när nen­nen. Unse­re Recht­fer­ti­gung ist: daß man aus tiefs­tem Wil­len zur Erhal­tung – zer­stö­ren muß.

Die Sät­ze stam­men aus einem Buch, das Jung mit einem Schlag bekannt mach­te. Es erschien 1927 unter dem Titel Die Herr­schaft der Min­der­wer­ti­gen. Die deut­lich auf Nietz­sche bezo­ge­ne For­mu­lie­rung signa­li­sier­te schon, daß es sich im Kern um eine Par­la­men­ta­ris­mus- und Demo­kra­tie­kri­tik handelte.

Wäh­rend sei­nes Stu­di­en­jahrs in Lau­sanne hat­te Jung auch bei Vil­fre­do Pare­to gehört, des­sen Vor­stel­lung von der »Zir­ku­la­ti­on« der Eli­ten ihn stark beein­fluß­te, spä­ter beschäf­tig­te er sich ein­ge­hend mit Robert Michels und Alexis de Tocqueville.

Durch die Ent­wick­lung der Wei­ma­rer Repu­blik sah Jung die Annah­me bestä­tigt, daß der »Libe­ra­lis­mus« außer­stan­de sei, die Aus­wahl von Füh­rungs­schich­ten zu bewerk­stel­li­gen. Die durch die »Ideen von 1789« wie durch die objek­ti­ven Ten­den­zen der Mas­sen­ge­sell­schaft bewirk­te Ega­li­sie­rung führ­te nach sei­ner Mei­nung dazu, daß die Unfä­hi­gen – die »Min­der­wer­ti­gen« – an die Spit­ze tra­ten und jede gro­ße Ord­nung zerstörten.

Die Herr­schaft der Min­der­wer­ti­gen war nicht nur Kul­tur­kri­tik etwa in Fort­set­zung Speng­lers, Jung ver­stand sie auch als Enzy­klo­pä­die einer Gegen-Auf­klä­rung, als Grund­la­ge für „eine neue kon­ser­va­ti­ve Ideo­lo­gie“. Er ver­such­te auf drei­hun­dert Sei­ten eine mög­lichst umfas­sen­de Ana­ly­se der Teil­be­rei­che des gesell­schaft­li­chen Lebens zu geben und die not­wen­di­gen Ver­än­de­run­gen zu skizzieren.

Aller­dings emp­fand er rasch Unge­nü­gen an sei­ner Dar­stel­lung. Des­halb arbei­te­te er die ers­te Fas­sung der Herr­schaft in den fol­gen­den bei­den Jah­ren um und ver­öf­fent­lich­te 1930 eine zwei­te Ver­si­on, die fast auf den dop­pel­ten Umfang anwuchs. Bemer­kens­wer­ter als die­se Äußer­lich­keit waren die inhalt­li­chen Ände­run­gen, die Jung vornahm.

Sprach er 1927 noch von der Not­wen­dig­keit eines »neu­en Natio­na­lis­mus«, der sehr weit­ge­hend dem ent­sprach, was die klei­nen natio­nal­re­vo­lu­tio­nä­ren Grup­pen pro­pa­gier­ten, so stand jetzt die „Reichs­idee“ im Zentrum:

Neu­ord­nung, begin­nend mit dem mitt­le­ren, nah­öst­li­chen und nah­süd­öst­li­chen Raum und von dort zu den Rän­dern fort­schrei­tend, in der Form eines euro­päi­schen Staatenbundes.

Frank­reich, das Jung ehe­dem als Erz­feind gegol­ten hat­te, der in einem neu­en Waf­fen­gang nie­der­zu­wer­fen war, wur­de hier schon als mög­li­cher Part­ner beim Auf­bau der abend­län­di­schen Ein­heit betrachtet.

Jung war zu der Auf­fas­sung gelangt, daß man nicht Deutsch­land allein im Blick haben dür­fe und daß nicht die jako­bi­ni­sche »Nati­on«, son­dern das »Volk« die Grund­la­ge neu­er poli­ti­scher Bil­dun­gen auf dem Kon­ti­nent sein müs­se. Er äußer­te sich skep­tisch gegen­über der Idee einer »orga­ni­schen Demo­kra­tie« wie sie die Jung­kon­ser­va­ti­ven ursprüng­lich favo­ri­siert hat­ten und wand­te sich statt­des­sen der Idee eines »auto­ri­tä­ren Staa­tes« zu.

Ganz deut­lich stan­den sei­ne Ideen unter dem Ein­fluß des »Uni­ver­sa­lis­mus«, den der öster­rei­chi­sche Phi­lo­soph und Natio­nal­öko­nom Oth­mar Spann ver­trat. Von Spann über­nahm Jung auch die Vor­stel­lung von „Stand“ und „Genos­sen­schaft“ sowie die Kon­zep­ti­on eines gestuf­ten Wahlrechts.

Den Kor­po­ra­ti­vis­mus ver­band er mit der von Leo­pold Zieg­ler und Niko­laj Berdja­jew inspi­rier­ten Über­zeu­gung, daß ein »neu­es Mit­tel­al­ter« die auf­klä­re­ri­sche Moder­ne ablö­se, vor­be­rei­tet von jener Kon­ser­va­ti­ven Revo­lu­ti­on, die nicht nur poli­ti­sche Zie­le errei­chen, son­dern auch »Gott einen neu­en Altar errich­ten werde«.

Zieg­ler stand Jung per­sön­lich nahe, bei­de ver­faß­ten zusam­men das Buch Fünf­und­zwan­zig Sät­ze vom deut­schen Staat (1931), das aller­dings nur unter dem Namen Zieg­lers erschien.  Die­ser Phi­lo­soph gehör­te zu einer Grup­pe euro­päi­scher Intel­lek­tu­el­ler, die sich beson­ders für die reli­giö­se Über­lie­fe­rung unter Ein­schluß eso­te­ri­scher Leh­ren inter­es­sier­te und die man als »Tra­di­tio­na­lis­ten« bezeich­net hat.

Der wich­tigs­te ihrer Köp­fe in Ita­li­en war ohne Zwei­fel Juli­us Evo­la, der auch in Kon­takt zu Jung trat, und des­sen Haupt­werk Revol­te gegen die moder­ne Welt (1934) nicht zufäl­lig gewis­se Über­ein­stim­mun­gen mit der Herr­schaft der Min­der­wer­ti­gen aufweist.

Als die zwei­te Auf­la­ge der Herr­schaft erschien, lag die Wei­ma­rer Repu­blik bereits in Ago­nie. Zu früh nach Jungs Auf­fas­sung, der sah, wie sich die Ereig­nis­se über­stürz­ten und auf einen Punkt hin­dräng­ten, der mit den Vor­stel­lun­gen des revo­lu­tio­nä­ren Kon­ser­va­tis­mus nichts zu tun hatte.

Die Erwar­tung, daß Brü­ning die Kata­stro­phe immer­hin solan­ge auf­hal­ten wür­de, bis die eige­nen Kräf­te for­miert waren, zer­schlug sich eben­so rasch wie der anfäng­li­che Opti­mis­mus, den Jung im Blick auf eine neue Par­tei heg­te. Die „Volks­kon­ser­va­ti­ve Par­tei“ ent­stand aus einer Grup­pe von Par­la­men­ta­ri­ern der DNVP, die aus ganz unter­schied­li­chen Moti­ven gegen die Füh­rung Hugen­bergs rebel­liert hatten.

Jung, der bei der Grün­dung, vor allem aber bei der For­mu­lie­rung des Pro­gramms der Par­tei, eine maß­geb­li­che Rol­le spiel­te, muß­te rasch erken­nen, daß sich aus die­sem Kern nie­mals jene »kon­ser­va­tiv-revo­lu­tio­nä­re Bewe­gung« ent­wi­ckeln wür­de, wie sie ihm eigent­lich vor­schweb­te, um die »Lücke« zwi­schen der Eli­te und den Mas­sen zu schließen.

Jungs aus­ge­präg­ter Vor­be­halt gegen Par­tei­en war nur zeit­wei­se zurück­ge­tre­ten hin­ter dem Wunsch, Macht zu gewin­nen. Die Bereit­schaft zu dem Expe­ri­ment mit den Volks­kon­ser­va­ti­ven erklärt sich aber wahr­schein­lich auch aus einem Unver­mö­gen auf ande­re Art zu einer poli­ti­schen Basis zu kommen.

Jung wirk­te nicht wie Moel­ler kreis­bil­dend und hielt immer eine gewis­se Distanz zu den jung­kon­ser­va­ti­ven Ver­ei­ni­gun­gen, auch zum ein­fluß­rei­chen Her­ren­klub Hein­richs von Glei­chen. Das hing mit per­sön­li­chen Dif­fe­ren­zen zusam­men, aber auch mit Jungs Vor­be­halt gegen­über der »Club- und Salon­po­li­tik« einer­seits, der Skep­sis von Glei­chens gegen­über dem Plan einer »Neu­en Front« andererseits.

Jungs Auf­sät­ze erschie­nen des­halb nicht im Zen­tral­or­gan der Jung­kon­ser­va­ti­ven, dem von Glei­chen her­aus­ge­ge­ben Ring, son­dern in den Süd­deut­schen Monats­he­fen, in der Deut­schen Rund­schau und in den Mün­che­ner Neu­es­ten Nach­rich­ten. Sie fan­den seit dem Ende der zwan­zi­ger Jah­re brei­te­re Reso­nanz, auch sei­ne Vor­trä­ge gal­ten als brillant.

Aber Jung fühl­te sich zu ande­rem als Publi­zis­tik und Pro­pa­gan­da beru­fen, vie­le Zeit­ge­nos­sen bemerk­ten sei­nen »bren­nen­den Ehr­geiz« (Rüdi­ger Robert Beer), und einer sei­ner engs­ten Freun­de, ent­deck­te sogar »dämo­ni­sche« Züge (Rudolf Pechel).

Nach dem Schei­tern der Volks­kon­ser­va­ti­ven und des letz­ten Kabi­netts Brü­ning glaub­te Jung, in letz­ter Stun­de selbst Zugang zum Zen­trum der Ent­schei­dun­gen fin­den zu kön­nen. Er stell­te sich dem neu­en Reichs­kanz­ler Franz von Papen als Bera­ter und Reden­schrei­ber zur Verfügung.

Des­sen Pro­gramm über­nahm die Paro­le der Jung­kon­ser­va­ti­ven vom »Neu­en Staat«, konn­te ihr aber kei­ne Sub­stanz ver­lei­hen. Nach einem hal­ben Jahr war auch die­ser Ver­such geschei­tert. Im Janu­ar 1933 kam Jung zu der Fest­stel­lung, es gebe »kei­ne regie­rungs­fä­hi­ge deut­sche Rechte«.

Die NSDAP gehör­te für Jung nur bedingt zur »Rech­ten«. Er pfleg­te seit der Mün­che­ner Zeit eine aus­ge­präg­te Aver­si­on gegen Hit­ler, dem er nicht ver­zieh, daß er 1923 sei­nen Leu­ten die Betei­li­gung am Ruhr­kampf ver­bo­ten hat­te, um den »Marsch auf Ber­lin« vorzubereiten.

Umge­kehrt wur­de Jung von Natio­nal­so­zia­lis­ten als »Jude« beschimpft oder als Hand­lan­ger des poli­ti­schen Katho­li­zis­mus. Er hat­te sich eben­so gegen die außen­po­li­ti­schen Plä­ne Hit­lers gewandt, denen er sein eige­nes Pro­gramm einer mit­tel­eu­ro­päi­schen, dann gesamt­eu­ro­päi­schen Eini­gung ent­ge­gen­stell­te, wie gegen den bio­lo­gi­schen Mate­ria­lis­mus, der sei­nem christ­lich gepräg­ten Men­schen­bild widersprach.

Aller­dings hielt Jung die NSDAP trotz sei­ner Reser­ve auch für eine »Wider­stands­be­we­gung« gegen Ver­sailles und die Deka­denz des par­la­men­ta­ri­schen »Sys­tems«. Nur fol­ge sie dem faschis­ti­schen Mus­ter und blei­be des­halb der abster­ben­den Epo­che des Libe­ra­lis­mus verhaftet.

Die Opfer­be­reit­schaft ihrer Anhän­ger wer­de durch einen »Volks­kond­ot­tie­re« wie Hit­ler miß­braucht und in die Irre geführt. Im Novem­ber 1932 schrieb er:

Hit­ler ver­dankt sei­nen Erfolg sei­ner ideo­lo­gi­schen und sozi­al-ethi­schen Ver­an­la­gung. Er reprä­sen­tiert des­halb das Gesetz der Ent­wick­lung, unter dem unse­re Zeit steht. Er reprä­sen­tiert es schlecht.

Jung glaub­te sich Hit­ler in ana­ly­ti­scher wie stra­te­gi­scher Hin­sicht über­le­gen. Des­halb emp­fand er die Macht­über­tra­gung am 30. Janu­ar als per­sön­li­chen Schlag. Für eini­ge Zeit ver­fiel er Depres­sio­nen. Zieg­ler berich­te­te, er habe im Som­mer 1933 sogar mit dem Gedan­ken an Selbst­mord gespielt.

Ende des Jah­res hat­te sich Jung aber wie­der gefan­gen. In einem klei­nen Band, der unter dem Titel Sinn­deu­tung der deut­schen Revo­lu­ti­on erschien, leg­te er etwas wie eine Bilanz der Gesamt­ent­wick­lung seit dem Kriegs­en­de vor. Es blieb bei der Ver­wer­fung von Repu­blik und libe­ra­ler Demo­kra­tie, aber kaum ver­hoh­len wur­de Hit­ler als »Kind der Mas­se«, die NSDAP als »Par­tei der Ent­erb­ten … des bür­ger­li­chen Zusam­men­bruchs« apo­stro­phiert, unfä­hig jene Wen­de her­bei­zu­füh­ren, die eigent­lich not­wen­dig sei.

Neben Fried­rich Sieburgs Es wer­de Deutsch­land, Richard Benz’ Geist und Reich sowie Oswald Speng­lers Jah­re der Ent­schei­dung war die Sinn­deu­tung die schärfs­te Absa­ge an das neue Regime durch einen Autor der Kon­ser­va­ti­ven Revolution.

Nach­dem Jung den län­ger erwo­ge­nen Plan, selbst ein Atten­tat auf Hit­ler durch­zu­füh­ren, auf­ge­ge­ben hat­te, begann er mit sei­nem Freund Her­bert von Bose im Büro Papens – aber ohne das Wis­sen des Vize­kanz­lers – ein kon­spi­ra­ti­ves Zen­trum aufzubauen.

Die Grup­pe um Bose und Jung deck­te Opfer des neu­en Regimes und ver­half Deut­schen jüdi­scher Her­kunft, die beson­ders gefähr­det waren, zur Aus­rei­se. Die Plä­ne bei­der gin­gen aber wei­ter. Sie ziel­ten auf einen Staats­streich unter Nut­zung des Kon­flikts zwi­schen dem Obers­ten SA-Füh­rer Röhm und der Reichs­wehr­füh­rung, um mit Rücken­de­ckung Hin­den­burgs ein Mili­tär­re­gime zu errich­ten, das den Auf­bau des »orga­ni­schen Staa­tes« vor­be­rei­ten sollte.

Im Novem­ber 1933 arbei­te­te Jung einen Ver­fas­sungs­plan aus, der von drei Prin­zi­pi­en getra­gen war: »völ­li­ge Ent­mas­sung des Vol­kes« durch Kom­bi­na­ti­on direkt­de­mo­kra­ti­scher Ele­men­te mit kor­po­ra­ti­ver Orga­ni­sa­ti­on, »ver­hält­nis­mä­ßi­ge Eman­zi­pa­ti­on des völ­ki­schen Lebens von dem der Staa­ten« und Schaf­fung eines föde­ra­tiv geglie­der­ten, wirt­schaft­li­chen »Groß­raums« Europa.

In schar­fem Gegen­satz zu sei­nen eige­nen frü­he­ren Auf­fas­sun­gen sprach er jetzt davon, daß »völ­lig natio­na­li­sier­te Völ­ker« wie sie vom Faschis­mus ange­strebt wür­den ihre Dyna­mik zwangs­wei­se gegen­ein­an­der rich­ten müß­ten, jeden­falls kein Fun­da­ment einer dau­er­haf­ten Ord­nung des poli­ti­schen Lebens sein könnten.

Im Früh­jahr 1934 deu­te­te vie­les auf eine kri­sen­haf­te Zuspit­zung der Lage hin. Die Zahl der Arbeits­lo­sen sta­gnier­te, die wirt­schaft­li­che Ent­wick­lung ent­sprach nicht den Erwar­tun­gen, Röhms For­de­rung nach einer »zwei­ten«, nicht nur »natio­na­len«, son­dern »natio­nalsozia­lis­ti­schen Revo­lu­ti­on« stand im Raum, die Reichs­wehr fühl­te sich durch das dra­ma­ti­sche Anwach­sen der SA-Ver­bän­de in ihrer Stel­lung als ein­zi­ger »Waf­fen­trä­ger« des Rei­ches bedroht.

Das schien den Ver­schwö­rern um Jung und Bose die Mög­lich­keit zum Umsturz zu eröff­nen. Mit­te Juni 1934 lief die Akti­on an. In einer Rede vor dem Mar­bur­ger Uni­ver­si­täts­bund am 17. des Monats soll­te Papen ohne es zu ahnen das Signal zum Los­schla­gen geben. Den Text hat­te Jung geschrie­ben, und Hit­ler war außer sich über die­se Anspra­che, in der vor der »Gefahr des Byzan­ti­nis­mus«, der Unter­drü­ckung von Mei­nun­gen und Glau­bens­über­zeu­gun­gen gewarnt und deut­li­che Kri­tik am »Tota­li­täts­an­spruch« der Par­tei geäu­ßert wur­de, der Geist­feind­lich­keit und ein »halb­re­li­giö­ser Mate­ria­lis­mus« zugrun­de liege:

»Die Vor­herr­schaft einer ein­zi­gen Par­tei an Stel­le des mit Recht ver­schwun­de­nen Mehr-Par­tei­en­sys­tems« hat­te Jung Papen sagen las­sen, »erscheint … geschicht­lich als ein Über­gangs­zu­stand, der nur so lan­ge Berech­ti­gung hat, als es die Siche­rung des Umbruchs ver­langt und bis die neue per­so­nel­le Aus­le­se in Funk­ti­on tritt«.

Für Hit­ler war die Behaup­tung, daß der Natio­nal­so­zia­lis­mus und die in der Nach­kriegs­zeit ent­stan­de­ne »Art von kon­ser­va­tiv-revo­lu­tio­nä­rer Bewe­gung« gleich­ran­gi­ge Ver­bün­de­te sei­en, eben­so durch­sich­tig wie der Ver­such Jungs, die »natio­na­le« in eine »kon­ser­va­ti­ve Revo­lu­ti­on« umzu­deu­ten und den Natio­nal­so­zia­lis­mus auf das Pro­gramm einer neu­en »Ghi­bel­li­nen-Par­tei in Euro­pa« zu ver­pflich­ten, die dem Bund der abend­län­di­schen Völ­ker vor­ar­bei­ten sollte.

Die vor allem bür­ger­li­che Zuhö­rer­schaft reagier­te auf die »Mar­bur­ger Rede« mit anhal­ten­dem Bei­fall, wäh­rend Par­tei­funk­tio­nä­re unter Pro­test den Saal ver­lie­ßen. Der bereits gedruck­te Text wur­de sofort nach Bekannt­wer­den beschlag­nahmt, eine Über­tra­gung im Rund­funk verboten.

Zwar stell­te die Gesta­po fest, daß hand­schrift­li­che Kopien umlie­fen und im – for­mell gleich­ge­schal­te­ten – »Stahl­helm« Ver­su­che gemacht wur­den, den Inhalt wei­ter zu ver­brei­ten, aber die Kennt­nis blieb trotz­dem auf klei­ne Krei­se beschränkt. Rasch drang nach außen, daß Jung das Manu­skript ver­faßt hat­te, wor­auf­hin Hit­ler am 25. Juni sei­ne Ver­haf­tung befahl.

Papens halb­her­zi­ger Inter­ven­ti­ons­ver­such wur­de von Hit­ler unter faden­schei­ni­gem Vor­wand abge­wie­sen. Nach einer Tage­buch­no­tiz Rosen­bergs soll er höh­nisch auf Papen gewie­sen haben, mit der Bemer­kung »Der kommt wegen sei­nes Dr. Jung!«

Kurz nach­dem man Bose im Rah­men der Akti­on vom 30. Juni ermor­det hat­te, erschos­sen SS-Wachen Jung am 1. Juli in einem Wäld­chen bei Ora­ni­en­burg. Die angeb­li­che Nie­der­wer­fung des Röhm­put­sches war auch sonst mit einem ers­ten ver­nich­ten­den Schlag der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Füh­rung gegen die kon­ser­va­ti­ve Oppo­si­ti­on ver­bun­den, dem neben Jung und Bose auch Kurt von Schlei­cher und Gus­tav von Kahr zum Opfer fie­len, wäh­rend sich ande­re, wie Brü­ning oder Gott­fried Tre­vi­ra­nus, nur durch die Flucht ins Aus­land ret­ten konnten.

Die Ereig­nis­se selbst stan­den im Zusam­men­hang mit dem, was nach dem Tod Hin­den­burgs am 2. August folg­te: durch die Selbst­er­nen­nung Hit­lers zum »Füh­rer und Reichs­kanz­ler« und die Ver­ei­di­gung der Reichs­wehr auf sei­ne Per­son war der Pro­zeß der Macht­über­nah­me abgeschlossen.

Hit­ler hat­te sei­ne Geg­ner inner­halb und außer­halb der Par­tei geschla­gen und konn­te sei­ne Posi­ti­on für die nächs­ten Jah­re als unan­ge­foch­ten betrach­ten. Es ist nicht so, als ob zwi­schen der Oppo­si­ti­on von 1934 und der von 1944 kein Zusam­men­hang bestand, aber die Hand­lungs­mög­lich­kei­ten, die sich in der Zwi­schen­zeit eröff­ne­ten, boten nie­mals die­sel­ben Per­spek­ti­ven wie zu Beginn und in der Ago­nie des »Drit­ten Reiches«.

Es gehört heu­te zu den schlech­ten Gewohn­hei­ten, den kon­ser­va­ti­ven Wider­stand gegen die NS-Herr­schaft zu denun­zie­ren. Dabei spielt die Behaup­tung eine wich­ti­ge Rol­le, die Kon­ser­va­ti­ven hät­ten sich ursprüng­lich Hit­lers bedient und erst als die­ser schei­ter­te, ver­sucht, ihre Antei­le aus dem Kon­kurs­un­ter­neh­men zu retten.

Dem ist ent­ge­gen­zu­hal­ten, daß mit Män­nern wie Edgar Juli­us Jung die Kon­ser­va­ti­ven zur Oppo­si­ti­on der ers­ten Stun­de gehör­ten. Und es wäre hin­zu­zu­fü­gen, daß die­se Auf­leh­nung den reins­ten Moti­ven folg­te, – um noch ein­mal Jungs Freund Bor­chardt zu zitieren:

Nichts ist mög­lich ohne die Ehre, nichts wünsch­bar ohne die Ehre, nichts von Wert ohne die Ehre.


 

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