Löw hatte in seinem „Deutsche Identität in Verfassung und Geschichte“ betitelten Aufsatz zunächst Betrachtungen über verschiedene historische Einflüsse auf das Grundgesetz angestellt und den „rechtsphilosophischen Mentalitätswandel“ beschrieben, dem die Verfassung ausgesetzt ist. Daran anschließend widmet er sich der öffentlichen Wahrnehmung der nationalsozialistischen Vergangenheit, insbesondere der Judenverfolgung, und kam zu dem Ergebnis, daß dabei immer noch Versatzstücke eines Kollektivschuldvorwurfs wirksam seien. Durch Zitate, insbesondere aus jüdischen Erlebnisberichten, führt er Gegenargumente an und kam zu der Folgerung: „Wir dürfen nicht zögern, die Verbrechen des NS-Regimes als wichtigen Teil der deutschen Geschichte, der deutschen Identität zu bekennen. Aber wir sollten jenen entgegentreten, die allgemein von deutscher Schuld sprechen, wenn damit gemeint ist, daß die große Mehrheit der damals lebenden Deutschen mitschuldig gewesen sei an einem der größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte. Ein solcher Vorwurf ist ungeheuerlich, wenn er nicht bewiesen wird.“
Obwohl nicht in Erfahrung zu bringen war, ob sich tatsächlich Leser des Artikels „verunglimpft“ fühlten, wie es im Schreiben der Bundeszentrale heißt, baten Faulenbach und Eigemeier als Mitglieder des Redaktionsbeirates, der „von der geplanten Veröffentlichung“ keine Kenntnis hatte, um Entschuldigung. Auch der verantwortliche Redakteur Marc-Dietrich Ohse wandte sich anschließend in einem gesonderten Schreiben exkulpierend an „alle Betroffenen“. Unter welchem Druck er dabei gestanden haben muß, wird aus seiner geradezu ins Bizarre gesteigerten Formulierung deutlich, wenn er „alle Opfer der nationalsozialistischen Diktatur um Entschuldigung“ bittet.
Nach Informationen der Frankfurter Rundschau brachten Mitarbeiter der Bundeszentrale für politische Bildung den Stein ins Rollen, die nach Erscheinen des Heftes ihren im Urlaub weilenden Präsidenten Thomas Krüger (SPD) mit den vermeintlich skandalösen Formulierungen Löws konfrontierten. Der entschied daraufhin, die „Sache offensiv anzugehen“ und veranlaßte die weiteren Schritte.
Hieß es im Schreiben der Bundeszentrale für politische Bildung noch, Löw vertrete „Ansichten zum Antisemitismus im 20. Jahrhundert in Deutschland“, die unvertretbar seien, machten kurze Zeit später einige Zeitungsmeldungen daraus schon einen „judenfeindlichen Aufsatz“ (Frankfurter Rundschau), „unverholene(n) Antisemitismus“ (Süddeutsche Zeitung) oder eine „Ansammlung antijüdischer Klischees“ (Die Welt). Mittels aus dem Zusammenhang gerissener Zitate sollen dann die in den reißerischen Überschriften enthaltenen Vorwürfe belegt werden. Sven Felix Kellerhoff behauptete in der Welt, Löw präsentiere „die beliebten Klischees“ über Juden in der Weimarer Republik. Vom „jüdischen Einfluß“ schreibt Löw allerdings nur als Zitat und im übrigen mit positiver Konnotation. Ebenso infam ist Kellerhoffs Unterstellung, Löw wärme die These von der „jüdischen Kriegserklärung 1933“ wieder auf. Denn wörtlich heißt die inkriminierte Stelle: „Der Boykott jüdischer Einrichtungen am 1. April 1933 wurde als Gegenboykott deklariert und gerechtfertigt“; von den Nationalsozialisten nämlich, ging diese „Rechtfertigung“ aus und Löw beschreibt dies, ohne das Vorgehen seinerseits etwa zu rechtfertigen.
Auch die Löw von Frank Ebbinghaus in der Süddeutschen Zeitung unterstellte Behauptung, er halte die Deutschen für „von Natur aus besser“ als sie die Historiker machten, er erkläre die Deutschen für „kollektiv unschuldig“, entbehrt jeder Grundlage im Text des Aufsatzes. Denn darin betont Löw ja gerade, er beabsichtige mit seinen Ausführungen keine „Rettung der deutschen Ehre um jeden Preis“. Einer verdrehten Wiedergabe bedient sich auch Karl-Heinz Baum in der Frankfurter Rundschau. Nicht Konrad Löw hält die Deutschen etwa für „weit mehr Opfer als Täter“, sondern er zitiert diese Feststellung als eine damals verbreitete Gefühlslage der Deutschen unmittelbar nach Kriegsende.
Konrad Löw trafen die Aufregung von Bundeszentrale und Bertelsmann-Verlags und deren mediales Nachspiel ohne Vorwarnung. Sich mit ihm in Verbindung zu setzen, hielt man seitens der Verantwortlichen beim Deutschland Archiv offensichtlich nicht für notwendig. Die Vehemenz ihrer Reaktion mußte ihm um so unverständlicher erscheinen, als er seinen Text noch am 5. März 2003 auf der Jahresversammlung der Gesellschaft für Deutschlandforschung in Berlin referiert und dafür von den Zuhörern Beifall erhalten hatte.
DA-Redakteur Ohse betonte gegenüber der Süddeutschen Zeitung, Löws Aufsatz sei nicht bestellt worden und hätte nicht abgedruckt werden dürfen. Er selbst habe das „falsch eingeschätzt“. Dabei verschwieg er, daß er selbst den Artikel für das DA redigiert und Änderungen im Manuskript des Vortrags in Absprache mit Löw vorgenommen hatte. An der jetzt von ihm öffentlich monierten „relativierende(n) Geschichtsbetrachtung“ Löws scheint Ohse also zunächst keinen Anstoß genommen zu haben. In seinem Schreiben an die Abonnenten betrachtete Ohse nun die „unkommentierte Veröffentlichung“ als dem Grundsatz der Redaktion zuwiderlaufend, da dadurch das Bemühen um historischpolitische „Aufklärung“ konterkariert werde. Warum ihm als promovierten Historiker dieser angebliche Widerspruch zu den „Intentionen der Redaktion“ erst nach Erscheinen des Heftes auffiel, verrät Ohses Schreiben nicht. Offensichtlich war seine Distanzierung samt Verleugnung der eigenen redigierenden Tätigkeit an Löws Beitrag der einzige Weg, seine Entlassung abzuwenden, die nach Presseinformationen seitens der Bundeszentrale bereits erwogen worden war. Daß er in seinem Schreiben noch erwähnt, das Deutschland Archiv habe im Verlauf der sogenannten „Hohmann-Affäre“ deutlich gegen jeden „Versuch der Geschichtsklitterung“ Stellung bezogen, deutet darauf hin, welches Menetekel an der Wand stand. Wer in den Ruch gerät, einem irgendwie gearteten „Revisionismus“ das Wort zu reden, dessen wissenschaftliche Karriere ist beendet.
Offenkundig ist, daß Herausgeber und Redaktion nach der Vernichtung der Restauflage von Ausgabe 2 / 04 eine weitere öffentliche Auseinandersetzung mit ihrer einmaligen Vorgehensweise unterbinden wollen. Dem brüskierten Professor Löw wurde mitgeteilt, daß er künftig nie wieder im DA veröffentlichen dürfe, und damit scheint in den Augen der Verantwortlichen der Fall erledigt zu sein. Die Internetseite des Deutschland Archiv listet zwar noch das Inhaltsverzeichnis der makulierten Ausgabe auf, allerdings versehen mit der spärlichen „Anmerkung des Verlags“, das Heft 2 / 04 sei „nicht mehr lieferbar“. Ein Hinweis auf den Grund fehlt.
In der inzwischen erschienenen neuen Ausgabe des Deutschland Archiv (3 / 04) ist der gesamte Vorgang weder im Editorial des Redakteurs erwähnt, noch findet sich darin eine erneute Stellungnahme des Redaktionsbeirates oder der Herausgeber. Enthalten ist jedoch der bereits im Distanzierungsschreiben der Bundeszentrale angekündigte Beitrag des Leiters des Zentrums für Antisemitismusforschung der TU Berlin, Wolfgang Benz, der sozusagen das nötige Antiserum liefern soll. Benz erwähnt in seinem Beitrag über „Die Juden und die nationale Identität“ den Aufsatz Konrad Löws lediglich in einer Fußnote als „jüngste(s) Exempel eines mißglückten patriotischen Projekts“, das den Anlaß für seine eigenen – korrigierenden – Ausführungen bot. Daß Benz in seiner Darstellung den Antisemitismus als gesellschaftliches Kontinuum betont und die These einer deutsch-jüdischen Symbiose in der Weimarer Republik verwirft, ist im Rahmen einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung vollkommen legitim. Jedoch unterstellt er bei Löw „zweifelhafte Absichten“, und dies ist vor allem deshalb unanständig, weil Benz am Ende seiner Ausführungen aktuelle „antisemitische Stereotype“ anführt, etwa die von der jüdischen Verantwortung für Antisemitismus, oder die Forderung nach einem Ende der „Erinnerung des nationalsozialistischen Völkermords“. Nach Löws eigenen Worten bildet der Nationalsozialismus ein „wesentliches Element deutscher Identität“, und die Forderung nach mehr nationalem Stolz begründet er eben gerade nicht mit dem Verdrängen dieses Elements. Vielmehr sollte, so Löw, das „offene, nachdrückliche Bekenntnis zu den dunkelsten Seiten der deutschen Geschichte“ als Teil einer „positiven deutschen Identität“ verstanden werden.
Der eigentliche Skandal liegt ohnehin nicht etwa in einer kritischen Entgegnung auf den Beitrag über die „Deutsche Identität in Verfassung und Geschichte“, sondern in der Vernichtung der Ausgabe des Deutschland Archiv auf Geheiß einer staatlichen – dem Bundesinnenministerium unterstellten – Institution und im schäbigen Umgang mit einem renommierten Wissenschaftler, der über Jahre hinweg immer wieder im DA publiziert hatte. Daß Löw sich bei diesem Vorgehen an Zensurmaßnahmen und Büchervernichtungen diktatorischer Regime erinnert fühlt, ist nur zu verständlich.
Unterdessen begründen die Herausgeber des DA die Makulierung der Auflage damit, daß man angesichts ihrer Distanzierung von diesem Beitrag eine Möglichkeit der Nachbestellung des Heftes nicht weiter offen halten könne; man sei zudem durch eine „Nachbestellungsflut aus bestimmten Ecken“ in dieser Haltung bestätigt worden, ließen sie die Neue Zürcher Zeitung wissen.
Konrad Löw blieb nur die Möglichkeit, sich mit Richtigstellungen an die entsprechenden Zeitungen zu wenden, die zuvor verzerrende Darstellungen geliefert hatten; außer von Seiten der Chefredaktion der Welt blieben positive Reaktionen auf sein Ansinnen aus. Gegen die Bundeszentrale für politische Bildung beantragte Löw Dienstaufsichtsbeschwerde beim Bundesinnenminister. Das Vorgehen der Behörde, „verletzt meine Rechte aus Art. 5 Grundgesetz und dem Ehrenschutz des Zivilrechts. Es ist geeignet, meine Reputation als Wissenschaftler zu zerstören. Mein Aufsatz / Vortrag enthält keine Aussage, die auch nur im entferntesten als verfassungsfeindlich oder strafrechtlich relevant angesehen werden könnte. Die Ausarbeitung wurde zudem vor Veröffentlichung vom zuständigen Redakteur sehr sorgfältig gelesen, was anhand der Korrekturfahnen nachgewiesen werden kann.“, so Löw in seinem Schreiben an Otto Schily.
Das Deutschland Archiv – Ende der sechziger Jahre aus dem „SBZ-Archiv“ als publizistisches Forum für DDR- und Deutschlandforschung hervorgegangen – war bis Dezember 2002 von einer in Köln ansässigen Redaktion betreut worden, bevor mit dem Verlag auch die Redaktionsbesetzung wechselte. Seitdem wird das DA vom Bertelsmann-Verlag „im Auftrag der Bundeszentrale für politische Bildung“ herausgegeben, allein verantwortlicher Redakteur ist Ohse, dem jedoch ein Beirat zur Seite gestellt wurde. Ihm gehören neben den bereits erwähnten Vertretern der Bundeszentrale und des Verlags noch ehemalige Redakteure und langjährige Mitarbeiter des DA an. Nach dem „Fall Löw“ soll dieses Gremium jetzt vor dem Druck einer neuen Ausgabe zusammentreten, um künftige „Distanzierungen“ zu vermeiden.
Der seit 2002 amtierende BpB-Präsident Thomas Krüger, der zuvor für die SPD als Jugendsenator von Berlin fungierte und dann im Bundestag saß, wollte mit seinem rigiden Vorgehen offensichtlich seine Bemühungen untermauern, den unter Linken verdächtigen Stallgeruch seiner Behörde loszuwerden. Denn die 1952 gegründete Bundeszentrale für Heimatdienst (wie sie vor ihrer Umbenennung hieß) galt in „progressiven“ Kreisen lange als Hort revanchistischer Antikommunisten, die mittels dieser Institution die Re-education der Alliierten hintertreiben wollten. Das alte Mißtrauen gegen die BpB flammte unter Krügers Vorgänger Günter Reichert noch einmal auf, den man als von Helmut Kohl protegierten „erzkonservativen CDUMann“ identifizierte, und der „neurechten Denkern“ ein Publikationsforum geboten habe, so die Kölner Politologin Gudrun Hentges.
Die Schwerpunktsetzung seines Nachfolgers Krüger verdeutlichen dagegen eigens eingerichtete Projektgruppen zu den Themen „Rechtsextremismus“ und „Migration“.
Der „Fall Löw“ veranschaulicht auf drastische Weise, wie stark immer noch von offizieller Seite das Bedürfnis nach kanonisierter Geschichtsschreibung vorherrscht, die sich „in den Dienst einer Selbstdiskriminierung“ (Hellmut Diwald) der Deutschen zu stellen hat. Anstatt kontroverse Meinungen zu Wort kommen zu lassen, wird unterbunden, was man für mißliebig erachtet. Und das von einer Institution wie der BpB, deren gesetzliche Aufgabenstellung darin besteht, „Verständnis für politische Sachverhalte zu fördern“. Während des Historikerstreits von 1986 charakterisierte Klaus Hildebrand solche Vorgehensweise als die Behauptung einer „intellektuellen Vormachtstellung, die auf Differenzierungen keinen Wert legt, sondern grob an einem Geschichtsbild festhält , das den langen Schatten des Dritten Reiches als uniforme Folie für die Handhabung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft benutzt“. Vorstehendes Zitat wurde der Welt, entnommen, die wie der große Rest der bürgerlichen Medien den einstmals beklagten Paradigmenwechsel längst nachvollzogen hat. Das beweist auch die Berichterstattung zum „Fall Löw“.