Adorno entstammt wie viele andere Angehörige des Frankfurter „Instituts für Sozialforschung“ dem Großbürgertum. Sein Vater war ein vermögender Weingroßhändler, seine Mutter eine gefeierte Kammersängerin. Adorno selbst war jedoch bis weit über die Lebensmitte hinaus zu einer sozial marginalisierten Position verurteilt. So mußte er, obwohl er bereits an der Frankfurter Universität Vorlesungen gehalten hatte, in der Emigration mit der Position eines postgraduate student am Merton College in Oxford vorlieb nehmen. Auch in seiner Funktion als Mitarbeiter am Frankfurter Institut und an diversen Forschungsprojekten in Amerika konnte er sich nur am Rande des akademischen Betriebs betätigen. Eine solche intellektuelle Randlage bringt naturgemäß eine kritische Sicht auf die Gesellschaft, der man als Außenseiter nicht wirklich angehört, und eine Affinität zu radikalen Theorien mit sich, da man nicht durch die Abweichungen glättende und disziplinierende Wirkung der akademischen Routine an der Entfaltung unorthodoxer Gedankengänge gehindert wird.
Diese formale, soziostrukturelle Disposition wird inhaltlich aufgefüllt und produktiv gemacht durch Adornos intellektuelle Prägung. Diese bestand zum einen in der intensiven Begegnung mit der bürgerlichen Hochkultur im Elternhaus und der ebenso intensiven Beschäftigung mit der musikalischen Avantgarde des Schönbergkreises, zum anderen in der Rezeption des Marxismus, wobei vor allem Marxens Frühschriften und einige Kapitel des Kapitals, namentlich Themen wie Ideologiekritik, Warencharakter, Tauschform und stark philosophisch orientierte, den subjektiven Faktor betonende Autoren wie Bloch und Lukács entscheidend waren.
In der ideell-geistigen Sphäre verhalten sich hochkulturelle Prägung einerseits und marxistische Orientierung andererseits zueinander wie der Gegensatz von großbürgerlicher Herkunft und akademischer Außenseiterposition in der materiell-sozialen Sphäre. Marxistische Theorie und soziale Marginalisierung führen zu einer die bestehende Gesellschaft radikal kritisierenden Weltsicht. Eine totale Radikalisierung in Richtung einer engagierten, kommunistischen Parteiorthodoxie, ein Weg, den beispielsweise Adornos früher Mentor Lukács einschlug, wird aber durch den von Herkunft und ästhetischem Geschmack geformten elitären Habitus konterkariert. Der Haß gegen die bestehende Gesellschaft, die sich gegen sein Ideal eines wahrhaft menschlichen Daseins sperrt und ihm die angestrebte Anerkennung als geistiger Führer verweigert, treibt Adorno nach links, die Angst vor einer banausischen, unmusischen, durchproletarisierten und vermassten Lebenswelt treibt ihn wieder nach rechts. Der Zusammenhang von Biographie und Philosophie Adornos läßt sich in dem einen Satz zusammenfassen: Er kann der Welt nicht verzeihen, daß es in ihr nicht so zugeht wie in Mutters Salon.
Adorno wird hin- und hergerissen zwischen einer beispiellos radikalen Kritik an der Gesellschaft, die er in toto verwirft, und dem Festhalten am Bildungsideal eben dieser Gesellschaft, aus dem er seine Identität zieht und dem er seine soziale Stellung verdankt. Aus diesem Zwiespalt gibt es keinen Ausweg, da keine Möglichkeit besteht, sich stringent für eine der beiden Seiten zu entscheiden. Adornos Schwierigkeiten, diesem Dilemma zu entrinnen können anhand einer Interpretation seiner „Theorie der Halbbildung“ aufgezeigt werden.
Wie schon der Begriff „Halbbildung“ besagt, ist sie eine gescheiterte, auf halbem Wege stehengebliebene Art von Bildung. Um ihr Wesen zu verstehen, muß also zunächst das Ideal, das sie vergeblich zu erreichen sucht, echte Bildung nämlich, betrachtet werden. „Bildung ist nichts anderes als Kultur nach der Seite ihrer subjektiven Zueignung.“ „Kultur selbst hat Doppelcharakter: als Geisteskultur auf der einen Seite, als sich anpassende Naturbeherrschung auf der anderen.“ Die für die traditionelle deutsche Ideologie zentrale Unterscheidung von Kultur (sich am Paradigma der Künste orientierend, sich nach innen wendend, geistig) und Zivilisation (technisch, praktisch, nach außen gerichtet) ist Adorno durchaus bewußt, da er betont, daß „nach deutschem Sprachgebrauch“ Kultur stets mit „Geisteskultur“ gleichgesetzt wurde. Diese Unterscheidung hat für Adorno aber keine wesentliche Bedeutung, da für ihn der Unterschied zwischen Kultur und Natur wichtiger ist, weshalb auch der Gegensatz von Zivilisation und Kultur als Doppelcharakter von Kultur in den Kulturbegriff hineingenommen wird. Dieser traditionelle Gegensatz wird von Adorno freilich noch verschärft, weil die Zivilisation nicht mehr nur etwas Sekundäres und Äußerliches ist, das erst dadurch zu etwas Schädlichem wird, weil es der Feind (Frankreich, die Aristokratie) zu etwas Primärem macht, sondern weil die Naturbeherrschung, wie man aus der Dialektik der Aufklärung weiß, per se etwas Böses ist. Naturbeherrschung setzt ein zum Herrschen befähigtes Subjekt voraus. Um für Naturbeherrschung gerüstet zu sein, muß der Mensch sein inneres Wesen diesem Zweck durch Triebunterdrückung, Zurückdrängung der Phantasie zugunsten des Realitätsprinzips und ähnlichem unterwerfen. Ebenso muß sich die Gesellschaft als herrschaftsförmige organisieren, da ja effektive Naturbeherrschung nur als Gemeinschaftsprojekt möglich ist. Man denke hier etwa an die Entwicklung von Bewässerungstechniken, die eine zentral geleitete, straffe gesellschaftliche Organisation voraussetzt.
Naturbeherrschung führt also zu einem, letztlich sich gegen das Subjekt richtenden, generellen Herrschaftszusammenhang. Es ist nun aber nicht so, daß die an sich „gute“ Geisteskultur ihr Gutsein durch die Trennung von der „bösen“ instrumentellen Kultur rein bewahren könnte. Beide sind ja Teile eines Ganzen. Die Gesamtkultur kann nur die gute Seite der Geisteskultur herausdifferenzieren, weil deren bösen Anteile gewissermaßen an die dunkle Seite der Kultur delegiert werden. „Keine Kultur ohne Dienstboten“, wie Treitschke einmal in zynischer Offenheit ausplauderte. Marxistisch formuliert: Nur die Akkumulation von Reichtum durch die Ausbeutung der Massen schafft den Mehrwert, der die künstlerische Muße für Wenige ermöglicht. Zudem hat die Geisteskultur ihr Versprechen einer Humanisierung des Menschen nicht einlösen können.
Die Unzulänglichkeiten der Geisteskultur verbieten es, diese naiv als unhinterfragbares Vorbild zu setzen. In ihrer sozialen Funktion ist sie unrettbar in den gesellschaftlichen Schuldzusammenhang verstrickt, aber in ihrer Funktion als regulative Idee für den Einzelnen, der ihrer immanenten Problematik stets eingedenk bleibt, kann an ihr festgehalten werden. Freiheit, Autonomie, Versöhnung von naturhafter Sinnlichkeit und geistiger Durchformung sind die Attribute, die die Geisteskultur für Adorno doch zu etwas Positivem machen. Was dagegen ist nun Halbbildung in seiner Sicht? Dies wird anhand folgender Zitate deutlich: „Halbbildung ist die Verwandlung aller geistigen Gehalte in Konsumgüter. Weder sind diese mehr verbindlich, noch auch nur eigentlich verstanden. Stattdessen informiert man sich über sie, um an der Kultur teilzuhaben.“ „Halbbildung ist die Verbreitung von Geistigem ohne lebendige Beziehung zu lebendigen Subjekten, nivelliert auf Anschauungen, die herrschenden Interessen sich anpassen.“ „Im Klima der Halbbildung überdauern die warenhaft verdinglichten Sachgehalte von Bildung auf Kosten ihres Wahrheitsgehaltes und ihrer lebendigen Beziehung zu lebendigen Subjekten.“
Halbbildung ist, kurz gesagt, die Reader’s‑Digest-Ausgabe echter Bildung, eine für kommerzielle Zwecke und für die massenhafte Verbreitung zurechtgemachte Schwundform von Bildung. Halbbildung unterscheidet sich aber nicht nur von echter Bildung, sondern auch von echter Unbildung und „eigentlicher“ Kulturindustrie. Echter Unbildung, „als bloßer Naivität, bloßem Nichtwissen“, billigt Adorno sogar ein gewisses kritisches Potential zu, da sie sich in ihrem trotzigen Beharren auf der eigenen Subjektivität der Durchdringung der Lebenswelt unbürgerlicher Klassen (Arbeiter und Bauern) durch die herrschenden Normen verweigert. Diese für Adorno ungewöhnliche Konzilianz ist freilich einer Strategie der Herablassung zuzurechnen. Die eigentlichen Unterschichten sind so weit von dem Kampfplatz, den Adorno sorgenvoll beobachtet, entfernt, daß sie nicht gefährlich zu werden vermögen, weshalb man ihnen auch in Form positiv bewerteter theoretischer Kategorien einen jovialen Gruß zukommen lassen kann.
Auch die von vornherein als bloße Waren produzierten Werke der Kulturindustrie wie Schlager und Unterhaltungsromane sind nicht Repräsentanten von Halbbildung, weil sie nicht mit dem Anspruch, Kunst zu sein, auftreten. Typische Beispiele von Halbbildung wären zum Beispiel Schallplatten mit den „Schönsten Arien Mozarts“, Sonntagsreden, in denen zur Bekräftigung der Meinung des Vortragenden die zu Sentenzen abgezogenen Gedankengänge der „Klassiker“ höchst unpassend hineingepresst werden, und Leute, die zwar eine Unmenge von Buchtiteln kennen, die Bücher selbst aber nie gelesen haben. Halbbildung ist nicht eine Ansammlung falscher Gegenstände (falsches Wissen wie in der Unbildung oder falscher Werke wie in der Kulturindustrie), sondern ein falscher Bezug auf die richtigen Gegenstände. Wesentlich für die Halbbildung ist die Herausreißung von Kunstwerken aus ihrem gattungsgeschichtlichen Kontext und ihre Fragmentierung zu „schönen Stellen“ und Informationsbrocken. Selten hat der in marxistischen Diskursen häufig anzutreffende Begriff des Fetischcharakters größere Berechtigung. So wie der Fetischist lustvoll auf das Partialobjekt des Stöckelschuhs starrt und darob seine Trägerin übersieht, so begeistert sich der Halbgebildete am Fragment des Ta-Ta-Ta-Taaa Beethovens, ohne den Rest der Symphonie zu kennen. Die Beziehung zu den fragmentierten Kunstwerken bleibt diesen äußerlich, da sie sich nicht auf den Nachvollzug der Entfaltung des künstlerischen Konstruktionsprinzips einläßt. Dadurch wird der Kunstcharakter von Kunst verfehlt. An die Stelle einer kunstadäquaten Rezeptionsweise tritt eine vulgär-sinnliche, die sich am Wohlklang, an sportlicher Virtuosität oder Farbenpracht berauscht, und eine der sozialen Hörigkeit, da von einem erwartet wird, daß „man“ auch über Kunst Bescheid weiß und „man“ sich daher entsprechend informieren muß. Die Parallele zu Heideggers Analyse des „Man“ ist evident. „Wir genießen und vergnügen uns, wie man genießt; wir lesen, sehen und urteilen über Literatur und Kunst, wie man sieht und urteilt.“
Mit dem Stoßseufzer: „Halbbildung – so etwas gibt es halt leider“ könnte es sein Bewenden haben. In die bis dahin den Gepflogenheiten Kritischer Theorie folgende, relativ sachliche Interpretation des fait social Halbbildung schleicht sich aber ein allmählich immer stärker werdender gereizter und aggressiver Tonfall ein. Während krasse Unbildung und „eigentliche“ Kulturindustrie die Sphäre echter Bildung unberührt lassen, enthält die Ausdehnung der Halbbildung das Eindringen eines fremden und feindlichen Prinzips in den hortus conclusus der Geisteskultur. Indem sie, im Gegensatz zu den beiden anderen Feldern kultureller Praxis, mit dem Anspruch auftritt, Bildung zu sein, verändert sie das Gesamtsystem der Bildung. Durch ihre schiere Quantität bestreitet sie die bislang unangefochtene Führungsposition traditioneller bürgerlicher Bildung, die von sich stets behauptete, Inbegriff wahrer Bildung zu sein. Es sei das durch eine Reihe von Zitaten belegen:
„Sie umklammert … den Geist … und stutzt ihn nach ihren Bedürfnissen zurecht. Dadurch hat sie nicht nur parasitär an seinem zunächst ungeminderten Prestige teil, sondern beraubt ihn der Distanz und des kritischen Potentials, schließlich selbst des Prestiges.“
„Das Bewußtsein oben und unten gleicht sich an. Subjektiv werden die sozialen Unterschiede immer mehr verflüssigt. Die Massen werden durch ungezählte Kanäle mit Bildungsgütern beliefert, die früher der Oberschicht reserviert waren. Die Voraussetzung zur Bildung selbst, zur lebendigen Erfahrung des unterdessen zum Bildungsgut Geronnenen jedoch bleibt fragwürdig.“
„Geist an sich kann von all dem nicht sich rein erhalten. Es berührt ihn in seiner innersten Zusammensetzung, daß Bildung nicht mehr im Ernst erwartet, nicht mehr gesellschaftlich honoriert wird. Gesellschaftlich nützlicher, verwertbarer ist die Halbbildung, der vom Fetischcharakter der Ware ergriffene Geist. Er hat auch, was einmal oben war, in sich hineingerissen. Nichts ist zu gut und zu teuer, aber nichts bleibt unverschandelt.“
Hohe Kultur und Massenkultur, respektive Bildung und Halbbildung verhalten sich zueinander wie gehobenes Bildungsbürgertum und Masse. Der vorgeblich rein soziologische Diskurs über die Bildungsproblematik steht stellvertretend für die den Autor bedrängende soziale Problematik. Wegen des direkten, persönlichen Betroffenseins, die die Sublimierung in die indirekte Rede des Philosophischen unmöglich macht, sprechen sich seine Ängste überdeutlich aus. Er scheut sich nicht einmal die sonst strikt tabuisierte materielle Komponente des Philosophendaseins zu thematisieren: Prestige und gesellschaftliche Nützlichkeit von Bildung. Letzter Punkt ist umso bemerkenswerter, als Adorno in jeder anderen Hinsicht das kritische Potential von Kunst (Kunst ist ja Hauptbestandteil von Bildung) gerade an ihrer Verweigerung gegenüber gesellschaftlichen Zweck- und Nutzenerwägungen festmacht.
Mit der These, daß der in Form einer kultursoziologischen Abhandlung beschriebene Gegensatz von Bildung und Halbbildung den sozialen Antagonismus von gebildetem Großbürgertum und aufsteigendem Kleinbürgertum in verschlüsselter und verleugneter Form wiedergibt, wird Adornos Diskurs als ideologischer bestimmt. Damit wird aber nicht behauptet, daß der Gegensatz von Bildung und Halbbildung nur ein fingierter sei und es so etwas wie Halbbildung nicht gebe. Ideologie als falsches Bewußtsein beinhaltet keine falsche Erkenntnis eines Gegenstandes, sondern ein Verkennen des subjektiven Interesses im Erkenntnisvorgang. Niemand wird abstreiten, daß die Rezeptionsweise des Kenners auf einem tieferen, besseren, adäquateren Kunstverständnis beruht als die des Halbgebildeten. Aber die überschießende Heftigkeit des Affekts, der Gestus des Abscheus, mit dem die Halbbildung geradezu verteufelt wird, verrät, daß es hier um mehr und anderes geht als um die wissenschaftliche Beschreibung von Bildungsniveaus und klassenspezifischen Formen der Kunstrezeption. Das Ideologische an einem Diskurs besteht darin, seine politische Stoßrichtung im Verborgenen zu halten. Die Abqualifizierung der Halbbildung verfolgt das Ziel, die auf der Monopolisierung des kulturellen Kapitals gründende Machtstellung des intellektuellen Bildungsbürgertums zu verteidigen, indem konkurrierende Aneignungsweisen des kulturellen Kapitals durch im Aufstieg begriffene soziale Schichten delegitimiert werden. Das Ideologische am Halbbildungsdiskurs findet sich nicht im Sprechen über die Halbbildung, sondern im Verschweigen dieser politischen Zielsetzung.
„Umklammern“, „zurechtstutzen“, „parasitär“, „rein erhalten“, das „Oben“ Befindliche „hineinreißen“, „unverschandelt“, all diese Vokabeln lassen den Ekel vor dem Herandrängen der Massen geradezu physisch greifbar werden. Unwillkürlich steigt vor dem geistigen Auge des Lesers ein Bild auf, wie eine Horde wildgewordener Kleinbürger, Hausmeister und Fischweiber, pedantische Schalterbeamte mit Ärmelschonern, Vorgartenbesitzer, die „Launische Forelle“ trällernde, lockenbewickelte Hausfrauen den Tempel der Kunst stürmen, um dem Hohepriester die Tafeln der Schönheit aus der Hand zu schlagen. „Die Wahlverwandtschaft von Halbbildung und Kleinbürgertum liegt auf der Hand; mit der Sozialisierung der Halbbildung aber beginnen auch ihre pathischen Züge die ganze Gesellschaft anzustecken …“. Zu ergänzen wäre hier nur, daß damit auch die Wahlverwandtschaft zwischen Bildung und Großbürgertum auf der Hand liegt. Dies alles ist nicht etwa nur eine verdrängte Reminiszenz an den rechtsbürgerlichen Massendiskurs der vergangenen Jahrhundertwende, sondern dies ist der Massendiskurs selbst.
Plastisch schildert das Andrängen der unteren Schichten folgender Passus: „Zugleich aber wächst mit dem Lebensstandard der Bildungsanspruch als Wunsch, zu einer Oberschicht gerechnet zu werden, von der man ohnehin subjektiv weniger stets sich unterscheidet. Als Antwort darauf werden immense Schichten ermuntert, Bildung zu prätendieren, die sie nicht haben.“ Für die bildungsbürgerliche Elite ist nicht so sehr die Nivellierung ökonomischer Unterschiede das Problem als vielmehr der drohende Verlust ihres Bildungsprivilegs. Sie zieht ihr Selbstbewußtsein aus dem Besitz kulturellen Kapitals und dies heißt vor allem die Verfügung über die legitimen Aneignungsweisen legitimer Kultur.
In der Tat gibt es einen fundamentalen Unterschied zwischen Bildung und Halbbildung. Bildung ist Internalisierung von kulturellem Wissen und dessen Umformung zu einem Habitus, der es erlaubt, zwanglos und automatisch auf die angebotenen Reize zu reagieren. Bildung entspricht auf dem Gebiet der Kultur den guten Manieren im Bereich des Verhaltens. Wer darüber verfügt, weiß, wie und worüber es sich schickt, zu reden. Halbbildung dagegen kann den Eindruck des äußerlich bleibenden, angelernten Mechanismus nicht abstreifen. Aber Bildung ist keine natürliche Gabe wie etwa Musikalität, sondern selbst etwas Erlerntes. Der Lernprozeß setzt nur früher – im Elternhaus – ein und verläuft intensiver als bei denen, die erst später und auf rein schulische Weise sich mit Kulturellem befassen. Das heißt aber, daß sich auch das zunächst äußerlich Angelernte auf die Dauer in Inwendiges umwandeln kann. Adorno hypostasiert und ontologisiert nun diesen relativen Unterschied auf der Zeitachse des Lernprozesses zu einem absoluten Unterschied, um den Übergang von einem Zustand relativer Bildung zu dem einer vollgültigen Bildung als denkunmöglich zu tabuisieren. Indem nun andere Schichten mit der Prätention auftreten, auch Bildung zu haben, und ihre Aneignungsweise von Kultur als Standard zu setzen versuchen, wird die Legitimität der bisherigen Aneignungsweise bestritten. Zudem wird durch die Inflation von Bildung diese generell entwertet. Wenn viele mehr oder weniger gebildet sind, reicht der Abstand, der diesen Bildungsgrad vom Bildungsniveau der highbrows trennt, nicht mehr aus, um den gehobenen Sozialstatus der Bildungselite zu rechtfertigen. Deshalb muß sich Adorno darum bemühen, Distanz wiederherzustellen, indem er Halbbildung und Bildung strikt trennt. „Das Halbverstandene und Halberfahrene ist nicht die Vorstufe der Bildung sondern ihr Todfeind.“
All die diskriminierenden Unterscheidungen zwischen Taschenbuch und Gesamtausgabe, zwischen Radiohören und Konzertbesuch, zwischen Schallplatte und Selbstmusizieren, zwischen populärwissenschaftlicher Einführung und der Versenkung ins Originalwerk dienen dazu, das Monopol über die legitime Aneignungsweise von Kunst zu sichern. Durch die Verurteilung aller materiell wie ideell „billig“ zu habenden Aneignungsweisen soll der Zustrom der kleinbürgerlichen Emporkömmlinge in der Elite der Gebildeten verhindert und der soziale Wert von Bildung erhalten bleiben.
Adornos Kritizismus ist als progressive Gesellschaftskritik verkleidete reaktionäre Kulturkritik. Im Gegensatz zu selbstbewußten Elitären alten Schlages wie Nietzsche und George, die in einer Gesellschaft lebten, in der die Aristokratie noch etwas galt, kann in einer Demokratie Elitismus nur überdauern, wenn er von sich behauptet, kein Elitismus zu sein. Adornos Lob der guten Manieren, die ins Verhalten eine der Kunst vergleichbare Schönheit und Zweckfreiheit einführen, wird damit gerechtfertigt, daß sie, „als Erbteil alter Privilegien“ den „privilegienlosen Stand“ versprechen.
Er rät zu „Mißtrauen … gegenüber allem Unbefangenen, Legeren, gegenüber allem sich Gehenlassen,“ da dies „Nachgiebigkeit gegen die Übermacht des Existierenden einschließt“. Elitäre Umgangsformen werden dadurch „gerettet“, daß sie zu einem revolutionären Akt des Widerstandes umgedeutet werden. Die progressive Terminologie (privilegienlos, Übermacht) zerstreut den Verdacht auf reaktionäre Gesinnung. Marxistische Terminologie (Verdinglichung, Warencharakter, Tauschprinzip, gesellschaftliche Bedingtheit, Produktivkräfte) hat aber nicht nur die defensive Funktion, die eigene elitäre Position in ihrem Abwehrkampf gegen die andrängenden unteren Schichten durch Verleugnung und Rationalisierung unkenntlich zu machen. Man kann sich ihrer nicht bedienen, ohne zumindest die Erinnerung an ihre ursprünglich revolutionär-klassenkämpferische Stoßrichtung mitzutransportieren. Freilich wird man in Adornos Schriften vergeblich nach „Großkapital“ und „Bourgeoisie“ fahnden. So wenig es bei ihm noch ein revolutionäres Subjekt gibt, so wenig auch einen klassenmäßig identifizierbaren Antagonisten. Der alte Klassenfeind ist zu abstrakten Allgemeinbegriffen wie Herrschaft, Marktmechanismen, Gesellschaft verblaßt. Die doppelte Frontstellung gegen die Vulgarisierung von unten und die Dominanz durch die Besitzer ökonomischen Kapitals von oben zieht sich zusammen in einem Rundumschlag gegen die Gesellschaft, einem Begriff, der Herrschende und Beherrschte in eins zusammenfaßt.
Diese überraschende Synthese erscheint weniger erstaunlich, wenn man die ästhetische Einstellung, also das Zentralgebiet, wo Adornos Innerstes berührt wird, berücksichtigt. Besitzbürgertum und breite Masse hängen nämlich gemeinsam einem Sinnengeschmack an, der in Opposition zur „reinen“ Ästhetik, dem „Reflexionsgeschmack“ der Intellektuellen steht. Die in Adornos ästhetischer Theorie anzutreffenden Unterscheidungen von Genuß und nachvollziehender Versenkung, von realistischer Abbildung und Entfaltung des autonomen Konstruktionsprinzips, von Affirmation und Verweigerung, von happy end und Leiden, Verstummen, Scheitern, von unmittelbarer Verständlichkeit und Hermetismus lassen sich alle auf den Unterschied von sinnlichem Inhalt und geistiger Form zurückführen.
Der Intellektuelle ist der Meister der symbolischen Formen. Indem er jeden zu untersuchenden Sachverhalt in der Reinheit seiner Formalität aufzeigt, beweist er seine Meisterschaft und seine Überlegenheit gegenüber dem sinnlichen, vulgären, materiellen, ungeistigen Weltbezug der Nicht-Intellektuellen. Irving Wohlfarth hat Adornos „gesamte Ästhetik“ als apologia pro vita sua bezeichnet, Rüdiger Bubner spricht von einem „inneren Zwang zur Selbstbestätigung“, Alphons Silbermann von der „Esoterik seines eigenen Ichs“ und Olaf Hansen von einem „inneren Monolog“.
Diese Janusköpfigkeit seiner eigenen Position kehrt wieder in der Bestimmung des Kunstwerks als „autonom“ und als fait social. In diesem Doppelcharakter spiegelt sich sein eigenes Wesen. Die Identifikation mit dem authentischen Kunstwerk erlaubt es ihm, seine eigene gesellschaftliche Stellung zu denken. Damit aber ist die prekäre Situation nur benannt, noch nicht jedoch gelöst. Adornos Bewältigungsstrategie besteht in einer radikalen Intellektualisierung. Durch die Hochschätzung der dunkelsten, schwierigsten, durchkonstruiertesten Kunstwerke, durch das Beharren auf einer genußfeindlichen, rein formalen Rezeptionsweise und einer sich verschiedener Techniken bedienenden Reflexion wird ein rein geistiger Weltbezug gestiftet, der die Welt ihrer materiellen Substantialität und Konkretheit entkleidet und sie zu etwas Nichtigem verflüchtigt. Die Haltung schwankt zwischen totaler Weltverneinung und ihrer Zurechtmachung zu einem interpretativ beliebig manipulierbaren Gegenstand; wesentlich jedenfalls ist, daß sie so über das Ich keine Gewalt mehr hat. Im Prozeß des Negierens freilich bleibt die Position des Negators unberührt, der in der Entfaltung seiner destruierenden Logik die Macht seines Geistes genießt, der die Welt in sich auflöst und in Schattengebilde verwandelt. Die Widersprüche, die Adornos Position als Intellektueller ausmachen, können nicht gelöst werden, da die Wahl der einen Seite das Opfer der anderen bedeuten würde. Es bleibt nur übrig, die Widersprüche stehenzulassen und sie im Nebel einer allgemeinen Negativität zum Verschwinden zu bringen. Die entsubstantialisierte Welt verwandelt sich in einen Spiegel, der den Blick des Standhaltens, in der unverletzliche Souveränität des eigenen Geistes triumphiert, zurückwirft. Etwas anderes als sich selbst sieht dieser Geist aber nicht.
Freilich geht Adornos Philosophie nicht gänzlich in der Konzeption einer radikalen Weltverneinung auf. In seinem Spätwerk billigt er der Kunst zu, Instanz einer möglichen Rettung zu sein. In transzendentaler Hinsicht verwirklicht die Kunst durch ihren sinnlich-symbolischen Charakter einen begriffslosen Weltbezug, der sich vom alltäglichen fundamental unterscheidet. Dieser nämlich eignet sich die Welt durch begriffliche Subsumtion an und unterstellt sie damit der Herrschaftsgewalt des Subjekts. Indem philosophisches Denken das begriffslose Erkennen der Kunst reflexiv nachvollzieht und einholt, läßt sich das Ideal einer herrschaftsfreien Vernunftpraxis einlösen. Da große Kunst nicht durchgängig vom warenförmigen Verwertungszusammenhang bestimmt wird, sondern in der Entfaltung ihres immanenten Gestaltungsprinzips zu einem in sich stimmigen Ganzen sich selbst das Gesetz gibt, verwirklicht sie in struktureller Hinsicht das Ideal von Autonomie. Die Crux dieser Konstruktion besteht darin, zu erkennen, welche Werke dem hohen, quasireligiösen, auf Erlösung abzielenden Anspruch großer Kunst genügen können. Der Kanon adornokompatibler Werke ist dementsprechend schmal; vieles gemeinhin als große Kunst Anerkanntes verfällt dem Verdikt. Adornos ästhetisches Werturteil, das von sich selbst behauptet, durch den Nachvollzug der immanenten Gesetzmäßigkeit objektiv zu sein, ist in Wirklichkeit äußerst subjektiv, da es ein bereits vor der Interpretation feststehendes Gefallen oder Mißfallen durch die Sprache der Theorie nur legitimiert.
So stilisiert er in Rede über Lyrik und Gesellschaft ein absolut zweitrangiges Mörikegedicht zum Meisterwerk empor. Das unüberhörbare Holpern des Versrhythmus wird als ferne Erinnerung an „griechische reimlose Strophen“ gerettet. Adornos Theorie des absoluten Determinismus durchs Soziale schlägt somit in reinen Dezisionismus um, da die Theorie den Interpreten in den Stand versetzt, den Vorschein des Rettenden und das Dunkel des Unheils genau dort zu erblicken, wo es ihm beliebt.
An dieser Stelle wird auch allmählich die Faszination verständlich, die Adorno auf die Studentenbewegung ausübte. Es ist nun freilich keineswegs so, wie es sich allzu naive Kritiker der Kritischen Theorie vorstellen, daß hier einige Frankfurter Professoren vom Katheder herab die Studenten aufhetzten und sie mit geistiger Munition für die Agitation versorgten. Allein schon ein flüchtiger Blick in Adornos Texte läßt die Illusion zergehen, daß aus diesem ebenso komplizierten wie hemmungslos pessimistischen Diskurs eine Anleitung zum Straßenkampf entnommen werden könnte. Vielmehr wirkte Adornos Theorie auf die studentische Jugend wie eine Droge oder eine Zauberformel, die den Zusammenhang der Welt wie in einem Erleuchtungserlebnis aufschloß. Das durch die Adornolektüre bewirkte Lebensgefühl schildert prägnant der Rückblick von Stephan Wackwitz, Redakteur der tageszeitung: „Es war ein ganz neues Machtgefühl. Es mochte auf den ersten Blick scheinen, daß da ein zu dünner, tolpatschiger, pickliger und bebrillter Erstsemesterstudent durch [Münchens Straßen] ging. In Wirklichkeit handelte es sich um Supermann, der jetzt gleich den Adorno-Zaubermantel überwerfen und sich in die Lüfte erheben würde, ein Schrecken der scheinbar vollends aufgeklärten, in Wahrheit aber im Zeichen triumphalen Unheils strahlenden Erdlinge. Ich wußte jetzt etwas, nachdem ich es bisher immer nur geahnt hatte.“
Wer erst einmal die Hürde der schwierigen Argumentationsstruktur passiert und gelernt hatte, wesentliche Kategorien von Adornos Diskurs wie Verdinglichung, Mimesis, Affirmation, Dialektik von Mythos und Aufklärung, Warencharakter, Kulturindustrie und andere mit einer gewissen Kunstfertigkeit zu beherrschen, verfügte über ein Instrument, das nicht nur versprach, die Geheimnisse der modernen Welt zu erklären, sondern auch einen beträchtlichen Distinktionsgewinn bereithielt. Gegenüber dem damaligen naiv-biedermeierlichen Diskurs der Geisteswissenschaft, der sich, wenn er in seinen Sonntagsstaat gehüllt auftrat, zu einem verquasten Heideggerianismus emporstilisierte, verlieh der Gebrauch des Jargons der Negativität dem Adornoadepten eine Aura brillanter Intellektualität und radikaler Modernität.
Jargon muß ein intellektuelles Verfahren genannt werden, das Erkenntnis zugunsten des Automatismus eines diskursiven Konstruktionsprinzips suspendiert. Ausgehend von der Annahme, daß auch im kleinsten Detail die Signatur des Zeitalters sichtbar wird, weil das gesellschaftliche Ganze jeden einzelnen sozialen Tatbestand determiniert, ergibt sich ein leicht zu handhabendes Interpretationsverfahren, das jedes Detail mit dem Ganzen kurzschließt. Da aber das Ganze a priori als das Unheil bestimmt ist, läuft jede Interpretation darauf hinaus, das zu Interpretierende als Zeichen und spezifischen Ausdruck des Unheils zu deuten. Das phänomenale So-Sein des zu Interpretierenden wird ignoriert, es wird auf den Status eines illustrierenden Indizes für den zu beweisenden gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang reduziert. Da die Welt sich durch die simple Technik des Analogieschlusses bruchlos in das Deutungsschema einfügt und man durch den Gebrauch des philosophisch hochgezüchteten Vokabulars des Jargons seine intellektuelle Dignität demonstrieren kann, wächst dem adornesken Interpreten ein Macht- und Überlegenheitsgefühl zu, was sicherlich einen wesentlichen Grund für die Faszination darstellt, die die Frankfurter Schule auf das intellektuelle Milieu der sechziger und siebziger Jahre ausübte.
Auch wenn Adorno selbst von einer politischen Stoßrichtung seiner Lehre Abstand genommen hatte und ihr allenfalls zubilligte, wenigen Einzelnen die Ausbildung einer Haltung des Widerstehens zu ermöglichen, so kann auch dieser abgrundtiefe Pessimismus eine politische Funktion erlangen, wenn er von einer andersgearteten Mentalität aufgegriffen wird. In der Studentenbewegung vollzog die Adornosche Weltverneinung eine Wendung ins Praktische. Wenn die Welt, wie Adorno gezeigt hat, ein Abgrund der Negativität ist, so muß die Welt als Ganze negiert werden. Wie der Adornoschüler Michael Rutschky schrieb, bestand der Effekt der Adornorezeption darin, zu lernen, „Nein zu sagen“, „Negation als zentralen Mechanismus … der Sozialisation in der Bundesrepublik zu etablieren.“ Die Adornolektüre erzeugt eine Gesinnung der totalen Ablehnung des Bestehenden. Da das Bestehende das absolut Böse ist, muß, wenn man diese Erkenntnis praktisch wendet, der dagegen gerichtete totale Kampf als zwingende moralische Pflicht erscheinen.
In politischer Hinsicht hat Adornos Lehre aufgrund ihres radikalen Negativismus, wenn auch zum Teil gegen seine eigenen Intentionen, beträchtlich zur Fundamentalisierung der Studentenbewegung beigetragen, die die Gesellschaft der BRD in eine andere verwandelte. Vielleicht noch gravierender ist die durch die Frankfurter Schule bewirkte Verwilderung und Primitivisierung des wissenschaftlich-gebildeten Diskurses. So sind beispielsweise in den siebziger Jahren massenweise von Adorno inspirierte Fernsehtheorien erschienen, die nicht einen einzigen Hinweis auf empirische Studien zum konkreten Fernsehkonsum enthielten, da man vermeinte, alles zu diesem Thema Wissenswerte ließe sich allein aus dem kulturindustriellen Warencharakter ableiten. Besonders verheerend wirkte sich Adornos Technik des Analogieschlusses aus, durch den ein zu interpretierendes Detail als Ausdruck des denkbar Schrecklichsten („Auschwitz“ als Chiffre) gedeutet wurde. Die gesamte Lebenswelt wird unter permanenten Verdacht gestellt: Da jedes Detail vom bösen Ganzen determiniert ist, reproduziert man dieses und macht sich dadurch schuldig, wenn man auch am harmlosesten Vergnügen teilnimmt. In wissenschaftlicher Hinsicht werden durch den Kurzschluß zwischen Detail und gesellschaftlichem Gesamtsystem die das Detail strukturierenden Wirkungen der Subsysteme (künstlerische Gattungen und Stilrichtungen, Medienorganisation, soziale Klassen und Rollen, politische und gesellschaftliche Institutionen) ausgeblendet, also all das, wofür sich Soziologie herkömmlicherweise interessiert. In praktischer Hinsicht geht jeder Sinn für Größenordnungen verloren, man kann nicht mehr zwischen Belanglosem und wirklich Bedeutsamen, zwischen einem schlechten Gesetz und einer echten Diktatur unterscheiden. Der für die geistige Lage der BRD kennzeichnende Hang zu Alarmismus und Katastrophendenken, der im übrigen bestens mit einer merkwürdigen Blindheit gegenüber Anzeichen des Verfalls einhergeht, hat hier eine seiner Ursachen. Eine wirklich kritische Theorie müßte ihre Kritikfähigkeit zuallererst in der Bereitschaft zur Selbstkritik bewähren, also auf die eigenen Denkvoraussetzungen permanent reflektieren. Eine solche Fähigkeit zur Selbstkritik und wissenschaftlichen Bescheidenheit ist gerade bei Adorno am allerwenigsten zu beobachten. Er ließ nie einen Zweifel aufkommen, im Besitz der einen und objektiven Wahrheit zu sein, wodurch alle anderen Interpretationen dem Verdikt der Unwahrheit verfielen.
Unterhalb der sprachlich schwierigen und wissenschaftlichen Tiefsinn suggerierenden Oberfläche des negativistischen Jargons wird eine „kategoriale Armut“ (Lorenz Jäger) offenbar, die es nicht erlaubt, die Komplexität moderner Gesellschaften auf den Begriff zu bringen. Durch methodische Simplifizierung und messianisch-moralistische Überdehnung hat die Frankfurter Schule die Soziologie als Wissenschaft nachhaltig geschädigt. Sie ist dadurch weit hinter den zu Beginn des 20. Jahrhunderts erreichten Stand (Weber, Simmel, Mannheim, Freyer) zurückgefallen. Mehr als die Erkenntnis, daß es so etwas wie Gesellschaft überhaupt gibt, ist ihr nicht zu entnehmen. Eine Beschäftigung mit Adornos Theorie darf diese nicht in ihrem Nominalwert nehmen, als wissenschaftlich ernstzunehmende Theorie über Gesellschaft, sondern sie selbst ist soziologisch zu analysieren, als Exempel einer wissenschaftlichen Pathologie.