Eine Reihe von Kritikern meinte, hier ein neues linkes Kultbuch, eine Art Kommunistisches Manifest unserer Zeit ausmachen zu können. Die Vielzahl der Seminare, Workshops und Diskussionen zu Empire, wie sie beispielsweise auf den Internetseiten der PDS-nahen „Rosa-Luxemburg-Stiftung“ aufgelistet ist, scheint das zu bestätigen: Selten wurde einem Buch über die Globalisierung derartig viel Aufmerksamkeit zuteil. Seitens orthodoxer Marxisten gab es allerdings eine Reihe von kritischen Einlassungen. David Mayer, Redakteur des marxistischen österreichischen Theorieorgans Der Funke, wollte in einer Besprechung nicht mehr als einen „Zirkusreigen postmoderner Plattheiten“ erkennen. Und Deutschlands bekanntester Krisentheoretiker, der Nürnberger Marxist Robert Kurz, 1999 mit dem voluminösen Schwarzbuch Kapitalismus hervorgetreten (siehe in diesem Heft S. 56 – 57), nannte Empire kurz und knapp ein „miserables Buch“. Solche Stimmen blieben allerdings – nicht nur in Deutschland – die Ausnahme.
Dieser Befund führt zu der Frage, welche Erkenntnisse gerade das Buch von Hardt und Negri aus der inzwischen langen Reihe neomarxistisch inspirierter Globalisierungskritik herausheben? Was genau macht dieses Buch zu einem „kommunistischen Buch“, wie es Hardt ausdrückte? Und: Sind die Thesen von Hardt und Negri überhaupt plausibel?
Der Begriff „Empire“ löst Assoziationen mit dem Römischen Reich oder dem britischen Empire aus. Diese Assoziationen gehen allerdings an denjenigen Phänomenen, die Negri und Hardt mit dem Begriff Empire kennzeichnen, vorbei. Sie wollen eine neue Form von „Souveränität“ beschreiben, die nach ihrer Auffassung durch „eine einzige Herrschaftslogik“ gekennzeichnet ist. Die hieraus entstandene Herrschaftsinstanz, das Empire, kann als eine Art gigantisches Netzwerk verstanden werden, das alle ökonomischen und politischen Organisationen auf dieser Erde erfaßt. Der Begriff Netzwerk impliziert, daß es kein Zentrum mehr gibt. Und da dieses Netzwerk globale Ausmaße hat, gibt es auch kein Außen mehr. Hier liegt eine Antwort auf die eingangs gestellte Frage, worin der Unterschied von Empire im Vergleich zu marxistischen Kapitalismuskritiken liegt, die in der Regel zwischen Zentrum und Peripherie unterscheiden. In dem Netzwerk, das Hardt und Negri als Empire vorstellen, gibt es nur noch „Knoten“ der Machtkonzentration. Ein Beispiel hierfür seien die USA. Diese hätten „eine privilegierte Rolle“, stellte Michael Hardt in einem Interview mit der Jungen Freiheit fest und präzisierte seine Feststellung dahingehend, daß diese als „Monarch in einer Adelsrepublik“ bezeichnet werden könnten – „die Adligen, das wären die europäischen und die kapitalistischen asiatischen Staaten“.
Die politischen Akteure handeln nicht mehr frei, sondern werden von den global vernetzten Mechanismen determiniert. Das Empire lenke aber nicht nur den politisch Handelnden, sondern jedes Individuum. Diese neuartige Struktur der Herrschaft, die als „Netzwerk von Netzwerken“ bezeichnet werden kann, gehe mit der „Verwirklichung des Weltmarktes und der globalen reellen Subsumtion der Gesellschaft unter das Kapital Hand in Hand“. Im Gegensatz dazu sei die Welt der Nationalstaaten und der miteinander konkurrierenden Imperialismen darauf ausgerichtet gewesen, „dem Kapital in seiner Phase globaler Eroberung zu Diensten zu sein und seine Interessen zu vertreten“. Diese Welt war allerdings durch klare Grenzziehungen definiert, die den freien Fluß des Kapitals, der Arbeitskraft wie der Waren und damit die volle Entfaltung des Weltmarkes blockierten. Heute, in Zeiten des „Empires“, habe das Kapital einen „glatten Raum“ geschaffen. Mit dem Begriff „glatter Raum“ ist weniger das Zurücktreten der Bedeutung der Nationalstaaten und ihrer Einflußzonen gemeint, als vielmehr das allmähliche Verschwinden der Einteilung in Erste, Zweite und Dritte Welt oder: in Zentrum und Peripherie. Die Zweite Welt sei verschwunden, so dekretieren Hardt und Negri. Wir beobachteten heute, wie die Dritte die Erste Welt infiltriere. Die Erste schiebe sich im Gegenzug mittels Aktienkursen, multinationaler Konzerne oder Banken in die Dritte Welt. Das alte Muster von Zentrum und Peripherie sei deshalb hinfällig, meinen Negri und Hardt, weil sie sich einander angenähert hätten.
Die Theorie, die Hardt und Negri entfalten, macht eine Reihe von Anleihen bei dem sogenannten „Operaismus“, der in den sechziger und siebziger Jahren bei der italienischen Linken Konjunktur hatte. Antonio Negri war einer der intellektuellen Exponenten des Operaismus, dessen Faden er nun weiterspinnt. Der Operaismus baut auf der Grundthese auf, daß die Kämpfe der Arbeiterklasse als Motor der kapitalistischen Entwicklung zu interpretieren seien. Die daraus resultierenden Veränderungen des Kapitalismus versucht der Operaismus theoretisch einzuholen. Leitend ist bei diesem Versuch der Gedanke, daß sich „die Fabrik“ in die Gesellschaft ausdehne, umgekehrt aber auch die Gesellschaft in „die Fabrik“ eindringe. Ein heuristisches Analysekriterium, mit dem diese Entwicklung erfaßt wird, ist die sogenannte „reale Subsumtion“, die im Gegensatz zur „formalen Subsumtion“ steht. Wie oben bereits erwähnt, etabliert das Empire im Gegensatz zum Imperialismus kein territorial fixierbares Machtzentrum und fixe Grenzen. Es ist dezentriert und deterritorialisiert. Die grenzenlose Herrschaft des Empire bestimmt die neue Struktur des globalen Raumes. Dieser universalen Ausdehnung im Raum liegt der – bereits von Karl Marx beschriebene – Übergang von der formellen zur realen Subsumtion der Gesellschaft unter das Kapital zugrunde. War die formelle Subsumtion noch dadurch bestimmt, daß das Kapital Hegemonie gegenüber der gesellschaftlichen Produktion ausübte, trotzdem aber zahlreiche Produktionsprozesse ihren Ausgangspunkt außerhalb des Kapitals hatten, so gibt es in der Phase der realen Subsumtion ein Außen gegenüber dem Kapital nicht mehr. Jeglicher Produktionsprozeß entspringt demnach dem Kapital selbst; die Produktion und Reproduktion des Sozialen findet ergo innerhalb des Kapitals statt.
Die „immaterielle Arbeit“ ist die materielle Basis der „Multitude“ in der Wirtschaft. Der Begriff „Multitude“ kann als „große Zahl“, „Vielheit“ oder schlicht als „die Menge“ übersetzt werden und geht auf den jüdischen Philosophen Baruch de Spinoza zurück. Diese basisdemokratische Bewegung der „Multitude“ stehe, so Negri und Hardt, in ständigem Dialog und in ständiger Kooperation miteinander. Der postmoderne Kapitalismus sei durch „immaterielle Arbeit“ gekennzeichnet, die durch Parameter wie Wissen, Kommunikation, kooperatives Arbeiten und Affekte bestimmt ist.
Es gibt drei Typen immaterieller Arbeit, die den Dienstleistungssektor an die Spitze der informationellen Ökonomie beförderten: Der erste Aspekt betrifft den Informationsfluß zwischen der Fabrik und dem Markt. Im fordistischen Modell gibt es eine „stille“ Kommunikation mit dem Markt. Es wird eine große Anzahl gleicher Produkte produziert, die dann auf dem Markt abgesetzt werden müssen. Demgegenüber baut das Produktionssystem von Toyota auf der Informatisierung der Fabrik auf. Der Kunde wird bei einem derartigen System nicht auf die Wahl zwischen verschiedenfarbigen Endprodukten beschränkt, sondern kann einen Toyota in den verschiedensten Formen, Farben und Ausstattungen kaufen. Entsprechend wird das Produkt erst dann produziert, wenn es der Kunde gekauft hat. Idealerweise geschieht dies auch noch ohne nennenswerte Lagerbestände. Entscheidend ist die schnelle Kommunikation zwischen Produktion und Konsumption.
Der zweite Aspekt beschreibt die Art und Weise der elektronischen Kommunikation. Von den heutigen Arbeitskräften wird verlangt, daß sie mit den neuen Informationstechnologien umgehen können. Das betrifft nicht nur Berufe, die direkt mit Rechnern zu tun haben, sondern im Prinzip alle möglichen Arbeitsplätze. Der Prozeß der Informationsverarbeitung schafft einerseits neue kreative Arbeitsplätze (Programmierer, Webdesigner und andere). Auf der anderen Seite gibt es das Heer der „Datenpfleger“, die vor allem mit einfacher Dateneingabe beschäftigt sind. Beiden Gruppen ist gemeinsam, daß ihre Produkte Information und Symboleingabe sind.
Der dritte Aspekt ist die affektive Arbeit. Affektive Arbeit sei heute nicht nur direkt produktiv für das Kapital, sondern bilde „die Spitze in der Hierarchie der Arbeitsformen“, behauptete Michael Hardt in einem Beitrag für die Zeitung Jungle World. Affektive Arbeit, also menschliche Interaktion und Kommunikation spielt heute in verschiedenen Bereichen eine große Rolle, vom fast-food-Betrieb bis zu den Finanzdienstleistern. Selbst bei eher nachrangigen Arbeitsplätzen wird immer größerer Wert auf die sozialen und kommunikativen Fähigkeiten gelegt. Diese affektive Arbeit habe es immer gegeben, aber außerhalb des Ausbeutungsverhältnisses durch das Kapital und daher „wertlos“. Die Produktion von Affekten wird direkt zum Produkt, zur Ware.
Die immaterielle Arbeit bewirkt, daß das Ganze der gesellschaftlichen Verhältnisse produktiv wird. Das wirft für die kapitalistische Aneignung Legitimationsprobleme auf, sie ist abhängig von der Kommunikation, der Kreativität, den sozialen und menschlichen Beziehungen der lebendigen Arbeit. Die Arbeitenden brauchen das Kapital eigentlich nicht mehr: „Gehirne und Körper brauchen andere, um Wert zu produzieren, aber diese anderen werden nicht notwendigerweise vom Kapital und seinen Fähigkeiten, die Produktion zu orchestrieren, zur Verfügung gestellt. Heute nimmt Produktivität, Reichtum und die Schaffung sozialen Mehrwertes Form an durch die kooperative Interaktivität mit Hilfe sprachlicher, kommunikativer und affektiver Netzwerke. Im Ausdruck der eigenen kreativen Energien scheint uns die immaterielle Arbeit das Potential für eine Art spontanen und elementaren Kommunismus zur Verfügung zu stellen“. Stand im Zentrum des Fordismus das Fließband, ist es im Informationszeitalter das Netzwerk. Die Produktion ist weniger an Orte gebunden und tendiert dazu, sich über die ganze Welt zu verteilen. Da viele Produkte immateriell sind, relativiert sich auch das Problem des Transports. Information, um ein Beispiel zu nennen, läßt sich innerhalb von Sekunden von der einen Seite des Erdballs auf die andere verschieben.
Negri und Hardt behaupten, daß das Empire die Subjekte, die es für die Erzeugung seiner Wertschöpfungen und für die Erhaltung der Macht brauche, erzeuge und formiere. Das Empire ist also nicht nur eine Herrschafts- und Wirtschaftsform, sondern ein umfassender Weltentwurf. Die Autoren sprechen in Anknüpfung an den französischen Philosophen Michel Foucault von einem „biopolitischen Charakter des neuen Machtparadigmas“. Dessen Herrschaftsausübung wird als „Biomacht“ bezeichnet. Herrschaft könne dann am effektivsten ausgeübt werden, wenn alle Parameter, die für das Leben konstitutiv seien, beeinflußt werden können. „Die perfekte Form der Herrschaft“ besteht nach Hardt darin, „Gesellschaft zu generieren, oder, wie das US-Militär es ausdrückt, eine full-spectrum-dominance zu erreichen“. Für diese perfekte Form der Herrschaft stehe das Empire, dessen Wertvorstellungen, Vorgaben und Machtstrukturen alle Menschen verinnerlicht haben sollen.
Foucault kennzeichnete mit Biomacht den Übergang von der Disziplinar- zur Kontrollgesellschaft. War die Disziplinargesellschaft durch die Etablierung disziplinärer Vernunft in Form von Institutionen wie dem Gefängnis, der Fabrik, dem Heim, der Schule gekennzeichnet, ist die Kontrollgesellschaft durch demokratisierte und internalisierte Herrschaftsmechanismen gekennzeichnet. Zugespitzt könnte man sagen, daß dieser Gesellschaftstyp durch Kontrolle der Köpfe und Organisation der Körper funktioniert. Hardt und Negri sprechen – in direkter Anknüpfung an Foucault – davon, daß „Biomacht“ das „soziale Leben“ von innen heraus Regeln unterwerfe, es interpretiere, absorbiere und schließlich neu artikuliere.
Die Effektivität und damit die Macht der Herrschaftsstrukturen des Empire beruhen auf dem sich gegenseitig verstärkenden Zusammenspiel von imperialer Politik und imperialer Wirtschaft. Dabei lassen sich drei Ebenen unterscheiden. Die Spitze dieser Ordnung bilden die USA, die letzte verbliebene Supermacht. Auf einer zweiten Ebene dieser obersten Stufe folgen diejenigen Nationalstaaten, die die supranationalen Organisationen mitkontrollieren. Auf der zweiten Stufe stehen die von transnationalen Konzernen geknüpften Netzwerke der globalen Kapitalverwertung. Zumeist auf einer darunter angesiedelten Ebene befinden sich die Nationalstaaten, die zu Filtern im Fluß der globalen Zirkulation und zu Reglern an den Verbindungsstellen des globalen Kommandos geworden sind. Die dritte Stufe der Pyramide besteht aus Organisationen, die populäre Interessen repräsentieren. Nationalstaaten spielen hier bei der Konstruktion und Repräsentation der Multitude als „Volk“, das wiederum durch den Nationalstaat repräsentiert wird, eine entscheidende Rolle, aber auch die Nichtregierungsorganisationen („NGO’s“), die Wünsche und Bedürfnisse der Multitude artikulieren.
Die dreigeteilte Pyramidenstruktur korrespondiert mit den – im Empire vereinten – Formen der Macht: Monarchie, Aristokratie und Demokratie. Diese ist indes nicht als festgefügte Hierarchie, sondern vielmehr als gemischte (hybride) Konstitution zu denken, als Netzwerk, in dem Machtverhältnisse sich verschieben oder neu entstehen. Weil sich das Empire, wie oben beschrieben, in jedem Individuum manifestiert, produziert auch jeder einzelne das Empire mit. Das führt zu der alten Leninschen Frage: Was tun? Gibt es ein Entkommen aus dem Empire?
Ja, es gibt ein Entkommen aus dieser Totalität. Garant dafür ist die Multitude, das neue revolutionäre Subjekt, das Negri und Hardt wie ein Kaninchen aus dem Hut zaubern. Die vom Empire herbeigeführte Deterritorialisierung früherer nationaler Herrschaftsstrukturen eröffnet aus der Sicht der Autoren neue Befreiungsoptionen. Dies deshalb, weil durch den vom Empire geschaffenen „glatten Raum“ jeder lokale Widerstand sofort eine direkte Herausforderung für das Empire bedeutet. Hier spielt die „Multitude“ eine treibende Rolle.
Sie ist es, die den Kapitalismus in Richtung Empire und schließlich darüber hinaustreibt. Wie grenzen Hardt und Negri den Begriff „Multitude“ gegen „Volk“ und „Arbeiterklasse“ ab? Das „Volk“ sei ein Produkt des modernen Nationalstaates. Das Volk tendiere dazu, homogen und selbstidentisch zu sein, es ist notwendig zur Konstitution der Souveränität des Nationalstaates. Völker definieren sich immer in Abgrenzung zu einem Anderen. Insofern sind sie auch implizit „rassistisch“: es gibt immer eine Tendenz zur Vereinheitlichung (entweder durch Assimilation oder durch Ausgrenzung) und zur rassischen oder kulturellen Minderbewertung der anderen. Die Multitude ist im Gegensatz dazu eine Vielzahl von Singularitäten, eine Menge von Individualitäten, eben nicht homogen und darum auch nicht zur Abgrenzung zu Anderen gezwungen.
Die Profilierung der Multitude durch Hardt und Negri ist sowohl durch das Konzept des „organlosen Körpers“ der beiden französischen Philosophen Deleuze und Guattari als auch durch Donna Haraways sogenannte Cyborg-Theorie inspiriert. Cyborgs (KYBernetischer ORGanismus) sind als solche (organische Roboter, Humanmaschinen) noch nicht existent und stehen in der Praxis für selbstkonstruierte Menschen, die nahe daran sind, mit ihren technischen Erweiterungen zu verschmelzen. Cyborgs können als Chiffre für die Technologisierung der Menschen und die Vermenschlichung von Maschinen interpretiert werden. Der Cyborg verweist auf die Fragilität und Künstlichkeit des Körpers und seiner Materialität. Als Paradigma für den Körper des Begehrens rezipierten Deleuze und Guattari einen Begriff des Schauspielers, Theatermachers und Schriftstellers Antonin Artaud: „organloser Körper“. Dieser ist für sie gekennzeichnet durch die Abwesenheit von Signifikanz beziehungsweise Eigenschaften der Repräsentation.
Im Empire haben die Institutionen der Arbeiterbewegung ihre Bedeutung verloren, weil die Hegemonie auf die immaterielle Arbeit übergegangen ist. So wie das Empire sich erst in einer Phase der Konstitution befindet, so befinden sich auch die Institutionen zur Integration der Multitude erst in den Anfangsstadien. Die Multitude findet immer wieder neue Wege, ihre Wünsche im und gegen das System auszudrücken. Sie sind die Gegenmacht, die das Empire über sich heraustreiben soll. Mit der realen Subsumtion von Arbeit und Gesellschaft unter das Kapital sei auch der Wunsch einer emanzipatorischen Utopie außerhalb des Kapitals verschwunden. Da die Ausbeutung und Machtausübung innerhalb des Empire organisiert wird, gibt es keine Möglichkeit der Befreiung mehr. Zugleich hat sich durch die Verschiebung der Hegemonie hin zu immaterieller Arbeit die Abhängigkeit des Empire von der Lebendigkeit und Kreativität der Multitude verstärkt.
„Das Verhältnis von Empire und Multitude ist antagonistisch“, schreibt beispielsweise Martin Saar, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Philosophischen Institut in Frankfurt am Main, in einer Rezension, „es ist aber auch eines der fundamentalen Abhängigkeit; und diese Abhängigkeit kann zumindest potentiell jederzeit umschlagen in den Willen, sich der Herrschaft des Empire zu entziehen“. Nach Ansicht der Autoren kann dies heute nicht mehr im nationalen Rahmen geschehen. Dieser nationale Rahmen sei eine Beschränkung gewesen, der die Aufstände in der Vergangenheit scheitern ließ. In der Diskussion um Revolten gegen das Empire beziehen sich Hardt und Negri konkret auf die Ereignisse am Tiananmen-Platz 1989, auf die erste Intifada als Aufstand gegen den israelischen Staat, den Ghettoaufstand in Los Angeles 1992, den bewaffneten Aufstand der Zapatisten in Chiapas 1994 oder die Streiks, die 1995 ganz Frankreich lähmten. „Keines dieser Ereignisse“, so schreiben Negri und Hardt, „löste einen Kampfzyklus aus, weil die darin zum Ausdruck kommenden Wünsche und Bedürfnisse sich nicht in unterschiedliche Kontexte übersetzen ließen. Mit anderen Worten: Die (potentiellen) Revolutionäre in anderen Teilen der Welt hörten die Ereignisse in Peking, Nablus … nicht, konnten sie nicht als ihre eigenen Kämpfe erkennen“.
Hardt und Negri liefern abschließend Hinweise darauf, welche Forderungen gestellt werden müßten, die geeignet seien, das Empire zu überwinden. Ausgehend von der Selbstorganisation von Zuwanderern wird als erstes die Forderung nach einer Weltbürgerschaft erhoben. Die zweite Forderung ist der Kampf um ein soziales Einkommen mit oder ohne Arbeit, die dritte die Wiederaneignung des Wissens und der Sprache, der Produktion und Reproduktion, der Körperlichkeit, des ganzen Lebens. Das dritte Element ist das Moment der konstituierenden Macht. Empire ist konstituierte Macht, aber abhängig von der Multitude. Wie kann es nun zur Lösung aus dem Ausbeutungsverhältnis kommen? Das kann nur in einer Phase von Auseinandersetzungen passieren. In dieser Situation muß die Multitude ihre Kooperation und Kreativität in der Organisation des Widerstands einsetzen. So entstehen Potentiale konstituierender Macht, die nach Beendigung der Kämpfe freilich immer wieder zerfallen. Hierin liege aber der Keim der Überwindung: Gerade weil sie sich nicht in konstituierte Macht umwandeln ließen, enthielten sie die Potentialität einer zukünftigen Gesellschaft. Pointiert könnte diese Auskunft wie folgt zugespitzt werden: das Empire rutscht über die Multitude gleichsam von selbst in den Kommunismus.
Die von Negri und Hardt behauptete Abdankung des postfordistischen Subjektes, dem der „immaterielle“ oder „affektive Arbeiter“ folgen soll, ist ein Reflex auf die in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre behauptete Heraufkunft der „Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft“. In dieser Zeit ging die Globalisierungsdiskussion davon aus, daß die Fabrikarbeit für die Zukunft des Kapitalismus nicht mehr die dominierende Rolle spielen werde. In diese Zeit fiel auch der kurze Siegeszug der new economy, die von vielen marxistischen – und „bürgerlichen“ Theoretikern – zu einer neuen Stufe des Kapitalismus verklärt wurde. In dieser Zeit schrieben die beiden Autoren auch ihr Buch. Heute ist die new economy Geschichte. Die Propheten des virtuellen Kapitalismus sind auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Die neue Stufe des Kapitalismus, von der Negri und Hardt räsonieren, sie hat ihre Zukunft bereits weitgehend hinter sich.
Viel schwerer wiegt freilich die Behauptung, daß sich inmitten der globalen Netzwerk-Machtstruktur eine „neue Form der Souveränität“ etabliert habe, die den alten Nationalstaaten genauso den Garaus mache wie dem Imperialismus. Kein Staat, oder besser: kein „Machtknotenpunkt“, so die These von Negri und Hardt, könnte heute die alleinige Kontrolle über die aktuelle globale Ordnung ausüben. Das globale System der Netzwerke, dieser „U‑topos“, also Nicht-Ort, bestimme nicht nur die menschlichen Interaktionen. Diesem System sei auch inhärent, sich die „menschliche Natur“ zu unterwerfen. An die Stelle der Nationalstaaten, die im entgrenzten Empire nur nachrangige Bedeutung hätten, träten supranationale Organisation wie die WTO, der IWF, die G‑8-Runde oder ähnliches, die mehr und mehr an Bedeutung gewännen. Spätestens hier gerät das auf jegliche Empirie verzichtende Opus von Negri und Hardt an seine Grenzen. Daß alle diese supranationalen Organisationen mehr oder weniger offenkundig unter Kontrolle der USA stehen, findet in ihrer Theorie keinen Niederschlag. Tagtäglich wird ihre Behauptung, die Vereinigten Staaten seien nur primus inter pares, es gebe keine wirklich dominierende Größe im globalen Netzwerk, von der Wirklichkeit widerlegt. Realität ist eine ständig größer werdende Asymmetrie der Macht zwischen der alten und der neuen Welt. All das läßt sich auch in harte Empirie fassen, die Negri und Hardt – wie eine Reihe anderer postmoderner und neomarxistischer Theoretiker, die Machtfragen gerne sozialwissenschaftlich verdampfen – außer acht lassen. Diese Abgleichung an der Wirklichkeit liefern beispielsweise die beiden US-Politologen Stephen G. Brooks und William C. Wohlforth, die am Dartmouth College in Hanover (New Hampshire) lehren. Beide Wissenschaftler, die dem „rechten Flügel“ der Republikaner zugerechnet werden, präsentieren einen Strom von Daten und Fakten, der vor allem eines belegt: die unangefochtene Machtstellung der USA in der Welt. Diese Überlegenheit ist nicht nur militärischer, sondern auch ökonomischer Natur. Brooks und Wohlforth machen klar, daß die zentrale Behauptung von Negri und Hardt, nach der wir es mit einem „Römischen Reich ohne Rom“ zu tun hätten, den Fakten nicht standhält. Weil die diskursiven Rahmenbedingungen unzureichend reflektiert sind, sind auch alle Thesen, die Negri und Hardt im Hinblick auf das Empire, diesem „Netzwerk von Netzwerken“ entfalten, fragwürdig. Nicht mehr als reines Wunschdenken bleibt deshalb auch ihre Prognose, daß der globale Kapitalismus durch das neue Proletariat der Multitude seinen Untergang quasi selbst hervorbringe.