Ziemlich heißt: Es gibt Konservative, die jede ernste Musik von 12-Ton bis jünger nicht mehr für Musik halten. Ich gehöre nicht dazu und habe gestern Karlheinz Stockhausens Helikopter-Quartett aufgelegt.
Das ist futuristische Musik! Vier Instrumentalisten eines klassischen Quartetts steigen in je einen Hubschrauber und spielen parallel aufsteigend ihr Tremolo, das heißt: ihre Töne in einem rasend schnellen Bogentanz über die Saiten. Auf dem Höhepunkt dieser Dynamik rufen die Musiker von 1 aufsteigende Zahlenfolgen, herausfordernd, fast überschnappend. Gegen Ende beruhigt sich das Quartett, die Helikopter landen, die Turbinen, die den Rhythmus vorgaben, drehen aus: Man steht in der “Stille nach dem Schuß”.
Schlagend ist die Irritation. Sie ruft Abwehrreaktionen (bei Verteidigern des Hergebrachten), blöde Begeisterung (bei “Hauptsache Modern”-Typen), Unverständnis (bei den Selbstsicheren) – oder eben Temperaturerhöhung hervor. Die Irritation ist ein Riß in der stabilen (inneren) Ordnung. Wer irritieren will, muß sich klar darüber werden, was eigentlich von ihm erwartet wird – und dann etwas tun, das diese Erwartungshaltung fruchtbar enttäuscht.
Fruchtbar muß der Regelverstoß sein, nicht bloß so beliebig aus Langeweile ausgeführt: gezielt, in einem gewissen Sinne pädagogisch, aufstörend, einfach so, daß es mit der Ruhe des Intellekts für eine kleine oder größere Spanne vorbei ist. Der Regelverstoß gehört zum Baukasten einer Wiederverzauberung der Welt, er kann ins Groteske, ins Überspitzte, ins Ironische gehen.
Ich halte beispielsweise die Wortschöpfung “Konservative Revolution” bereits für eine Irritation ersten Ranges: Beides zusammenzudenken – das Bewahrenswerte und den Vorstoß – ist der Kern, um den wir (wir?) kreisen: Nie bloß Bewahren oder Revoltieren – immer beides.
Zuletzt: Irritationen müssen ohne große Erklärungen auskommen. Und das ist das Einzige, was ich an der Stockhausen-CD einfach nicht begreifen kann: Warum hier die Inszenierung der Aufführung des Helikopter-Quartetts damit endet, daß der Moderator “Spieler und Piloten nach ihren Erfahrungen befragt und schließlich das Publikum in dieses Gespräch einbezieht”.
Nein: keine Erklärungen. “Laßt die Moleküle rasen,/ was sie auch zusammenstoben!/ Laßt sie türmen, laßt sie toben!/ Heilig haltet die Ekstasen!// (aus dem Kopf, Rilke, glaube ich).
benjamin jahn zschocke
das ließt sich gut. doch macht es, rein in bezug auf die kunst, wieder deutlich: es ist scheinbar alles gesagt. wer gehört werden will, kann nur noch exzessiv, laut und eben verstörend sein. doch damit wird die kunst zu einem extrem elitären tunnel, der nach hinten hin immer enger wird und den, wenn leute wie jonathan meese, rebecca horn oder erwin wurm am ruder bleiben, bald keiner mehr nachvollziehen kann und will. das ist irgendwie schade, denn kunst beziehungsweise kunstgenuß könnte doch auch ein rückzugsort vom verstörenden sein, was ja nicht gleich "idylle" oder "romantik" bedeuten muß.