Hohmanns Demontage – Eine Medienanalyse

pdf der Druckfassung aus Sezession 4 / Januar 2004

von Arne Hoffmann

Im Sommer 2001 wurde erstmals Herlinde Koelbls Dokumentarfilm Die Meute – Macht und Ohnmacht der Medien ausgestrahlt. Wie keine andere Sendung zeigte sie das „Herdenproblem“ (so Hartmann von der Tann, ARD) des Massenjournalismus auf. Jemand besetzt ein bestimmtes Thema, gibt die Stoßrichtung vor, und etliche andere Journalisten überbieten sich in ihrem Eifer, daraus noch schneller den noch größeren Skandal, die noch größere Story zu machen. In diesem Wettbewerb gehen die Maßstäbe gelegentlich verloren. „Schreibe so, daß du dem, über den du schreibst, in die Augen schauen kannst“ formulierte FAZ-Korrespondent Karl Feldmeyer seine Maxime. In der Berichterstattung über Hohmann ist dieses Gebot schwer verletzt worden.

Wenn jemand in kur­zer Zeit das Wesent­li­che über Mar­tin Hoh­mann und sei­ne umstrit­te­ne Rede vom Tag der Deut­schen Ein­heit 2003 recher­chie­ren möch­te, etwa per Inter­net, dann läuft er durch­aus Gefahr, Infor­ma­tio­nen zu erhal­ten, die ihn zunächst ein­mal gründ­lich in die Irre füh­ren. In einer chro­no­lo­gi­schen Auf­lis­tung aller Ereig­nis­se in die­ser Affä­re eröff­net bei­spiels­wei­se der Spie­gel mit fol­gen­dem Gescheh­nis als Stein des Ansto­ßes: „3. Okto­ber 2003: Hoh­mann bezeich­net in Neu­hof bei Ful­da die Juden als ‘Täter­volk´. Er sagt im Zusam­men­hang mit Ver­bre­chen wäh­rend der kom­mu­nis­ti­schen Revo­lu­ti­on in Ruß­land: „Juden waren in gro­ßer Anzahl sowohl in der Füh­rungs­ebe­ne als auch bei den Tsche­ka-Erschie­ßungs­kom­man­dos aktiv. Daher könn­te man Juden mit eini­ger Berech­ti­gung als ‘Täter­volk´ bezeichnen.“
An die­ser Stel­le reißt der zitier­te Aus­zug aus der Rede ab. Der Leser erhält somit den Ein­druck, daß die Sät­ze dem Tenor der Rede ent­spre­chen oder zumin­dest eine sei­ner Stüt­zen dar­stel­len. In die­sem Licht ste­hen fort­an sämt­li­che fol­gen­den Ereig­nis­se der Spie­gel-Chro­nik, bei­spiels­wei­se die Abkan­ze­lung der Rede durch Ange­la Mer­kel als völ­lig inak­zep­ta­bel und uner­träg­lich, die Rück­tritts­for­de­rung von Jür­gen Rütt­gers, die Rüge durch Prä­si­di­um und Vor­stand der Uni­on, die Ent­las­sung des Bun­des­wehr­ge­nerals Gün­zel, nach­dem die­ser Hoh­manns Rede in einem Brief an ihn gelobt hat­te, Paul Spie­gels Erklä­rung, Hoh­mann habe sich mit sei­nen Wor­ten in eine Rei­he mit „rechts­extre­men, anti­se­mi­ti­schen Brand­stif­tern“ gestellt, und schließ­lich der Antrag, Hoh­mann aus der CDU-Bun­des­tags­frak­ti­on aus­zu­schlie­ßen. Ein ledig­lich über die­se Chro­nik infor­mier­ter Leser muß zu dem Ein­druck kom­men, daß all die­se Reak­tio­nen daher rühr­ten, daß Hoh­mann eine in Deutsch­land leben­de Min­der­heit, Über­le­ben­de eines Völ­ker­mor­des, als „Täter­volk“ dif­fa­mier­te. Wahr­schein­lich wird er die erfolg­ten Reak­tio­nen dem­nach als ver­ständ­lich, wenn nicht als zwin­gend ein­schät­zen. Vie­le wei­te­re Arti­kel wei­sen in eine ähn­li­che Richtung.
Zu einem gänz­lich ande­ren Ein­druck gelangt man, wenn man die in den Medi­en zitier­te Pas­sa­ge im Ori­gi­nal betrach­tet: „Juden waren in gro­ßer Anzahl sowohl in der Füh­rungs­ebe­ne als auch bei den Tsche­ka-Erschie­ßungs­kom­man­dos aktiv. Daher könn­te man Juden mit eini­ger Berech­ti­gung als ‘Täter­volk´ bezeich­nen.“ So weit reich­te auch das Zitat in der Spie­gel-Chro­nik. Hoh­mann spricht aller­dings wei­ter: „Das mag erschre­ckend klin­gen. Es wür­de aber der glei­chen Logik fol­gen, mit der man Deut­sche als Täter­volk bezeich­net.“ Wohl­ge­merkt: Er spricht bei sei­ner The­se von Juden als Täter­volk zum einen im Kon­junk­tiv. Vor allem aber erklärt er auch, daß die­se The­se der­sel­ben Logik fol­ge, mit der man die Deut­schen als Täter­volk bezeich­net – was Hoh­mann offen­sicht­lich zutiefst ablehnt. Anlaß sei­ner Rede war es also, bestehen­de Kol­lek­tiv­schuld­zu­schrei­bun­gen dadurch aus­zu­he­beln, daß er das Unstatt­haf­te der Ver­all­ge­mei­ne­rung mög­lichst krass veranschaulichte.

Aus die­sem Grund fährt er fort: „Mei­ne Damen und Her­ren, wir müs­sen genau­er hin­schau­en.“ Die Juden, die Täter gewor­den sei­en, hät­ten zuvor ihre reli­giö­sen Bin­dun­gen gekappt, ähn­lich wie die Natio­nal­so­zia­lis­ten. Und er kommt zu dem zen­tra­len Schluß: „Daher sind weder ‘die Deut­schen´, noch ‘die Juden´ ein Täter­volk. Mit vol­lem Recht aber kann man sagen: Die Gott­lo­sen mit ihren gott­lo­sen Ideo­lo­gien, sie waren das Täter­volk des letz­ten, blu­ti­gen Jahr­hun­derts. Die­se gott­lo­sen Ideo­lo­gien gaben den ‘Voll­stre­ckern des Bösen´ die Recht­fer­ti­gung, ja das gute Gewis­sen bei ihren Ver­bre­chen. So konn­ten sie sich sou­ve­rän über das gött­li­che Gebot ‘Du sollst nicht mor­den´ hin­weg­set­zen.“ Wes­halb er für eine Rück­be­sin­nung auf reli­giö­se Wur­zeln und Bin­dun­gen plä­diert und für eine Auf­nah­me des Got­tes­be­zu­ges in die euro­päi­sche Verfassung.
Das abge­ris­se­ne Zitat und das Unter­schla­gen von Hoh­manns Schluß­fol­ge­rung füh­ren zu dem Ein­druck, daß der Tenor sei­ner Rede in die exakt ent­ge­gen­ge­setz­te Rich­tung geht, als es tat­säch­lich der Fall ist. Selbst die hoch­an­ge­se­he­ne Tages­schau arbei­tet hier fahr­läs­sig, wenn sie etwa for­mu­liert: „Der CDU-Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­te Mar­tin Hoh­mann hat in einer Rede zum Tag der deut­schen Ein­heit Ver­bre­chen wäh­rend der rus­si­schen Revo­lu­ti­on mit dem Holo­caust ver­gli­chen. Im Zuge des­sen nann­te er die Juden ein ‘Täter­volk´.“
Spä­ter for­mu­liert der Spie­gel zurück­hal­ten­der, beför­dert jedoch auf seman­ti­scher Ebe­ne die­sel­ben Asso­zia­tio­nen. So heißt es in einem Fol­ge­ar­ti­kel: „Hoh­mann hat­te in einer Rede zum Jah­res­tag der deut­schen Ein­heit Juden in Zusam­men­hang mit dem Begriff ‘Täter­volk´ gebracht.“ Das ist sicher­lich rich­tig. Hoh­mann hat­te aus­ge­führt, die Juden sei­en kein Täter­volk. Damit schuf er, wie vom Spie­gel behaup­tet, einen deut­li­chen Zusam­men­hang: eine Nega­ti­on. Wenn Bun­des­kanz­ler Schrö­der aller­dings über Roland Koch sagen wür­de, die­ser sei wahr­lich kein Genie, wür­de der Spie­gel dann for­mu­lie­ren, Schrö­der habe Koch in den Zusam­men­hang mit Genia­li­tät gebracht? Gera­de im Bereich poli­ti­scher Exis­tenz gibt es kei­nen schwe­re­ren Vor­wurf als den, Anti­se­mit zu sein. Die Nega­ti­on eines Zusam­men­hangs zu unter­schla­gen, kommt des­halb einem Ruf­mord gleich.
Die immer wie­der als ent­schei­dend betrach­te­te Fra­ge ist die, ob Hoh­manns Rede anti­se­mi­ti­schen Cha­rak­ter hat­te. Hier schei­nen die Mei­nun­gen weit aus­ein­an­der zu gehen. So betrach­te­te der Anti­se­mi­tis­mus­for­scher Wolf­gang Benz die Anspra­che als „Lupen­rei­nes Exem­pel“ (Süd­deut­sche Zei­tung vom 11. Novem­ber 2003) für einen anti­se­mi­ti­schen Text. Aber Benz Inter­pre­ta­ti­on wird nicht von jedem geteilt, der sich mit der Rede gründ­lich auseinandersetzte.
Der ame­ri­ka­ni­sche Poli­tik­wis­sen­schaft­ler jüdi­scher Her­kunft Nor­man Fin­kel­stein äußer­te sich am 9. Novem­ber 2003 bei Sabi­ne Chris­ti­an­sen: „Die­se gan­ze Debat­te ist für mich ein bil­li­ges Stre­ben nach Sen­sa­ti­on, orches­trier­te Hys­te­rie. Ich sehe nicht den gerings­ten Zusam­men­hang zwi­schen dem, was in Aus­schwitz pas­siert ist, und der Rede von Herrn Hoh­mann. In sei­ner Rede sagt er an kei­ner Stel­le, die Juden sei­en eine Täter­ras­se oder ein Täter­volk. Er sagt, die Athe­is­ten, die Gott­lo­sen sei­en das. Ich weiß nicht, ob die Deut­schen die Rede wirk­lich gele­sen haben. Ich habe eine Über­set­zung bekom­men und habe sie sorg­fäl­tig stu­diert.“ Ande­re Per­so­nen, die sich an die­ser Debat­te betei­ligt haben, gelan­gen zu der­sel­ben Auf­fas­sung – so etwa die mehr als 1600 zum Teil pro­mi­nen­ten Unter­zeich­ner der Initia­ti­ve „Kri­ti­sche Soli­da­ri­tät mit Mar­tin Hohmann“.

Hoh­manns Rede ent­hält nichts, was gewöhn­lich als Merk­mal des Anti­se­mi­tis­mus betrach­tet wird: „die Juden“ als min­der­wer­ti­ge Grup­pe zu zeich­nen oder zu Sank­tio­nen gegen sie auf­zu­ru­fen. Es bleibt mit­hin offen, ob der behaup­te­te Anti­se­mi­tis­mus aus der Rede her­aus- oder nicht viel­mehr in sie hin­ein­ge­le­sen wird. Selbst­ver­ständ­lich hat jeder Jour­na­list das Recht, die Rede als „pro­ble­ma­tisch“ oder „umstrit­ten“ zu bezeich­nen. Auch ist Ver­fas­sern von Kom­men­ta­ren oder ande­ren Tex­ten, wel­che erkenn­bar die Mei­nung ihres Ver­fas­sers wie­der­ge­ben, zuzu­ge­ste­hen, daß sie in ihrer Ein­schät­zung scharf wer­den dür­fen, aber Nach­rich­ten­re­dak­teu­re sind zur Unvor­ein­ge­nom­men­heit und Unpar­tei­lich­keit ver­pflich­tet. Wür­den sie die­se Zurück­hal­tung auf­ge­ben, dann wäre die Gren­ze von der Ver­mitt­lung von Infor­ma­tio­nen über­schrit­ten, hin zur poli­ti­schen Indok­tri­nie­rung der Leser. Inso­fern ist bemer­kens­wert, wie die füh­ren­den poli­ti­schen Medi­en unse­res Lan­des auf die Hoh­mann-Rede Bezug nahmen.

(1) Der Spie­gel spricht mehr­fach von den „anti­se­mi­ti­schen Äuße­run­gen des Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ten Mar­tin Hoh­mann“ oder dem „wegen anti­se­mi­ti­scher Äuße­run­gen in die Kri­tik gera­te­ne CDU-Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­te Mar­tin Hohmann“.
(2) Der Bericht aus Ber­lin ver­mel­det, die Uni­on habe „zum ers­ten Mal in ihrer Geschich­te einen Abge­ord­ne­ten, näm­lich den Abge­ord­ne­ten Mar­tin Hoh­mann, wegen sei­ner anti­se­mi­ti­schen Rede und sei­ner Unfä­hig­keit, das Pro­blem ein­zu­se­hen, von der Bun­des­tags­frak­ti­on der CDU/CSU ausgeschlossen“.
(3) Die Welt ver­mel­det am 6. Novem­ber 2003, daß die Evan­ge­li­sche Kir­che „wegen der anti­se­mi­ti­schen Rede“ einen Frak­ti­ons­aus­schluß Hoh­manns for­de­re, und im fol­gen­den Satz, daß auch Bun­des­kanz­ler Schrö­der Hoh­manns „anti­se­mi­ti­sche Äuße­run­gen“ gerügt habe.
(4) Die Süd­deut­sche Zei­tung spricht von einem „wegen sei­ner anti­se­mi­ti­schen Rede umstrit­te­nen Parlamentarier“.

Die­se Bei­spie­le sind mehr oder weni­ger zufäl­lig her­aus­ge­grif­fen; sie las­sen sich noch durch zahl­rei­che wei­te­re Tex­te die­ser Art erwei­tern: taz oder der Hes­si­sche Rund­funk, die Stutt­gar­ter Zei­tung oder die News der Yahoo-Web­site: In bei­na­he allen Medi­en sind die­sel­ben Begriffs­ver­knüp­fun­gen oder Sinn­ver­kür­zun­gen zu finden.
Im Lau­fe der Bericht­erstat­tung wird so eine eige­ne Wirk­lich­keit erzeugt, ganz so, als ob der eine der bei­den Inter­pra­ti­ons­strän­ge zur Hoh­mann-Rede zwin­gend wäre. Sug­ge­riert wird, daß es sich um ein erwie­se­nes, wenn nicht gar offen­sicht­li­ches und nicht mehr dis­kus­si­ons­wür­di­ges Fak­tum hand­le: Die „anti­se­mi­ti­sche Rede Mar­tin Hoh­manns“ steht so auf einer Stu­fe mit einer Wen­dung wie etwa „die grü­ne Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­te Clau­dia Roth“ oder „der hes­si­sche Minis­ter­prä­si­dent Roland Koch“.
Es gibt in der Bericht­erstat­tung der Medi­en aller­dings noch ande­re dis­kur­si­ve Stra­te­gien, um eine sehr ähn­li­che Wir­kung zu erzeu­gen. Man­chen Jour­na­lis­ten erscheint es offen­bar doch zu gewagt, ihre eige­ne Mei­nung so sehr in eine angeb­li­che Sach­in­for­ma­ti­on ein­flie­ßen zu las­sen, wie das vie­le ihrer Kol­le­gen tun. Sie wäh­len daher For­mu­lie­run­gen wie „in sei­ner als anti­se­mi­tisch kri­ti­sier­ten Rede“ (FAZ) bezie­hungs­wei­se „in den als anti­se­mi­tisch ver­stan­de­nen Äuße­run­gen“ (Phoe­nix, heu­te, Spie­gel, ntv und vie­le ande­re). Wenn man die Bericht­erstat­tung über Möl­le­manns Äuße­run­gen mit der über Hoh­manns Äuße­run­gen ver­gleicht, fällt einem auf, daß Abmil­de­run­gen wie die­se nun wesent­lich häu­fi­ger vor­kom­men. Das Pro­blem bei die­sen Abmil­de­run­gen bleibt indes, daß sie nur Tün­che sind. Auf­fäl­li­ger­wei­se fehlt bei den frag­li­chen Wen­dun­gen regel­mä­ßig das seman­ti­sche Sub­jekt: Es ist eben nicht von „den von Paul Spie­gel als anti­se­mi­tisch ver­stan­de­nen Äuße­run­gen“ oder den „von Wolf­gang Benz als anti­se­mi­tisch kri­ti­sier­ten Äuße­run­gen“ die Rede. Statt­des­sen wird beim Rezi­pi­en­ten der Ein­druck erweckt, daß alle oder zumin­dest der weit über­wie­gen­de Teil der Zuhörer/Leser Hoh­manns Äuße­run­gen als anti­se­mi­tisch ver­stan­den habe. Daß man nach der­sel­ben seman­ti­schen Logik von „den nicht als anti­se­mi­tisch ver­stan­de­nen Äuße­run­gen“ hät­te spre­chen kön­nen, indem man hier eben auch das seman­ti­sche Sub­jekt (bei­spiels­wei­se Nor­man Fin­kel­stein) weg­läßt, wird bei der flüch­ti­gen, nai­ven Auf­nah­me von Sät­zen wie die­sen gar nicht klar.

Vie­le Autoren sug­ge­rie­ren eine (Volks-)Gemeinschaft, wo über­haupt kei­ne besteht. So behaup­tet etwa Axel Vorn­bäu­men in der Frank­fur­ter Rund­schau: „Die ers­te Empö­rungs­wel­le rollt über das Land. Alle fin­den es uner­träg­lich.“ Wer „alle“ ist, wird nicht ent­rät­selt. Alle, mit denen Vorn­bäu­men in der Redak­ti­on über das The­ma gespro­chen hat? Ähn­lich wie bei Möl­le­mann bele­gen Mei­nungs­um­fra­gen trotz des hier skiz­zier­ten Sperr­feu­ers der Medi­en ein weit dif­fe­ren­zier­te­res Bild im Hin­blick auf die Auf­fas­sun­gen der Bevöl­ke­rung. Man kann sogar von einem „dop­pel­ten Mei­nungs­kli­ma“ (Eli­sa­beth Noel­le-Neu­mann) spre­chen, wenn man die mas­si­ven Angrif­fe aus den Spit­zen von Poli­tik und Gesell­schaft ver­gleicht mit der Zustim­mung, die Hoh­mann an der Basis wider­fährt. Laut einer For­sa-Umfra­ge etwa teilt sich die Zahl der Befrag­ten ziem­lich exakt bei der Fra­ge, ob Hoh­mann nach sei­nen Äuße­run­gen noch in der Par­tei blei­ben dür­fe. Die Süd­deut­sche Zei­tung ver­mel­det gar unter Bezug auf eine Umfra­ge des Mei­nungs­for­schungs­in­sti­tuts infra­test-dimap: „Auf die Fra­ge, ob Aus­sa­gen wie in der Hoh­mann-Rede ‘in Deutsch­land heu­te mög­lich sein müß­ten, ohne daß man gleich als Anti­se­mit ver­ur­teilt wird´, ant­wor­te­te jeder zwei­te CDU-Anhän­ger (49 Pro­zent) mit Ja; 44 Pro­zent teil­ten die­sen Stand­punkt nicht. Unter der Gesamt­be­völ­ke­rung spra­chen sich 42 Pro­zent der Befrag­ten für die Hoh­mann-Äuße­run­gen aus.“
Bei ihren eige­nen Umfra­gen indes greift die Süd­deut­sche Zei­tung zu Wahl­ver­fah­ren, wie wir sie eher von den Block­par­tei­en sozia­lis­ti­scher Staa­ten ken­nen. So dür­fen sich die Besu­cher ihrer Web­site bei der Fra­ge „Soll die Uni­on Hoh­mann raus­wer­fen?“ ent­schei­den zwi­schen „Nein, die Rüge reicht“ (wur­de am meis­ten gewählt), „Ja, und zwar aus Par­tei und Frak­ti­on“, „Nur aus der Bun­des­tags­frak­ti­on“, „Nur aus der CDU“ sowie „Ist mir egal“. Bezeich­nen­der­wei­se gab es kei­ne Mög­lich­keit, mit der man durch sei­ne Ant­wort signa­li­sie­ren konn­te, ent­we­der mit Hoh­mann einer Ansicht oder aber ande­rer Ansicht zu sein, sei­ne Äuße­run­gen aber als Teil der Mei­nungs­frei­heit über­haupt nicht, also nicht ein­mal mit einer Rüge, sank­tio­niert sehen zu wol­len. Aus­ge­rech­net die Vor­täu­schung einer offe­nen Mei­nungs­um­fra­ge wur­de hier ver­wen­det, um es als gege­ben dar­zu­stel­len, daß die Vor­wür­fe gegen Hoh­mann schon ihre Berech­ti­gung hat­ten – 42 Pro­zent der Bevöl­ke­rung, die das anders sahen, zum Trotz.
Ähn­lich wie beim Fall Jür­gen Möl­le­manns nutz­ten die Medi­en­ma­cher noch ein wei­te­res Mit­tel, das eigent­lich für kon­tro­ver­sen Mei­nungs­aus­tausch steht, um einen in Wahr­heit nicht vor­han­de­nen Grund­kon­sens zu sug­ge­rie­ren: die poli­ti­sche Talk­show. Nor­ma­ler­wei­se ist die­ses For­mat dazu gedacht, daß unter­schied­li­che Stand­punk­te auf­ein­an­der­pral­len und in der Dis­kus­si­on mit­ein­an­der ent­we­der ver­sucht wird, gemein­sam einer Wahr­heit näher­zu­kom­men oder zumin­dest den Zuschau­er über die ver­schie­de­nen Per­spek­ti­ven zu infor­mie­ren, in denen man ein Pro­blem sehen kann, um ihn durch die vor­ge­tra­ge­nen Argu­men­te zu ermun­tern, sich einer die­ser Per­spek­ti­ven anzu­schlie­ßen. Daß in Talk­shows tat­säch­lich häu­fig nur rhe­to­ri­sche Sprech­bla­sen aus­ge­tauscht wer­den, ist bekannt und bedarf hier kei­ner nähe­ren Erörterung.

Das war aber auch im Zusam­men­hang mit der Hoh­mann-Affä­re der Fall. Im ARD-Pres­se­club vom 9. Novem­ber 2003 ver­ur­teil­ten unter der Mode­ra­ti­on von WDR-Inten­dant Fritz Pleit­gen sämt­li­che ein­ge­la­de­nen Jour­na­lis­ten Hoh­manns Äuße­run­gen ein­hel­lig als „anti­se­mi­tisch“. Abweich­ler von die­ser Mei­nung hat­ten offen­bar kei­ne Gele­gen­heit erhal­ten, sich zu äußern. Auf ähn­li­che Wei­se such­te weni­ge Tage spä­ter, am 13. Novem­ber, May­brit Ill­ners Ber­lin Mit­te einer Kon­tro­ver­se zu ent­ge­hen. Jür­gen Rütt­gers befand dort, Hoh­mann habe der Uni­on „unsäg­lich“ gescha­det, Hei­ner Geiß­ler bekun­de­te Zustim­mung zu Hoh­manns Raus­wurf aus der Bun­des­tags­frak­ti­on der Uni­on, Peter Struck recht­fer­tig­te die Ent­las­sung Gün­zels, der Hoh­mann zuge­stimmt hat­te, und der Schrift­stel­ler Rafa­el Selig­mann atta­ckier­te Hoh­mann unwi­der­spro­chen auf per­sön­li­cher Ebe­ne: „Im End­ef­fekt ist die­ser Mann inhu­man. Er ist ein Het­zer und des­halb hat er in kei­ner demo­kra­ti­schen Par­tei etwas zu suchen.“ Der Ver­fas­ser fühl­te sich bei die­sen und ähn­li­chen Sen­dun­gen wie bei einem jener Schau­pro­zes­se, die in tota­li­tä­ren Staa­ten üblich sind: Sämt­li­che Teil­neh­mer ver­tre­ten die Ankla­ge, nie­mand die Ver­tei­di­gung, und zum Abschluß folgt – wenig über­ra­schend – der Schuldspruch.
In einer Gesell­schaft, die sich so viel auf Kom­mu­ni­ka­ti­on und Empa­thie zugu­te hält, war das Ver­hal­ten gegen­über Mar­tin Hoh­mann nie­mals von Gesprächs- oder Ver­stän­di­gungs­be­reit­schaft bestimmt. Statt­des­sen kam es zu einer Eska­la­ti­on der Dar­stel­lung des in Fra­ge ste­hen­den Sach­ver­halts, die von der inhalt­li­chen Kri­tik sehr schnell zu einer Hetz­jagd gegen den Men­schen Hoh­mann wur­de. Man kann die Schrit­te, die dazu not­wen­dig waren, fol­gen­der­ma­ßen charakterisieren:

(1) Am Anfang steht das, was ich im bis­her Gesag­ten dar­ge­legt habe: Die Inter­pre­ta­ti­on der Rede als „anti­se­mi­tisch” wird durch die vor­ge­stell­ten Tech­ni­ken als all­ge­mein­gül­tig eta­bliert. Eng damit ver­bun­den ist die Behaup­tung, die Rede sei als anti­se­mi­ti­sche Rede ange­legt und geplant gewe­sen. Wer so kri­ti­siert, argu­men­tiert mit der Behaup­tung, Hoh­mann habe sich zwar ver­bal von der unter­stell­ten Aus­sa­ge (Juden sei­en ein Täter­volk) distan­ziert, er habe die­se Distan­zie­rung jedoch nur vor­ge­täuscht, damit man ihm nichts Ent­spre­chen­des anhän­gen kön­ne. Die­se Annah­me ist letzt­lich weder zu bewei­sen noch zu wider­le­gen und bie­tet ein gutes Bei­spiel für die „Herr­schaft des Ver­dachts“ (Hegel), bei der die Rich­ter hin­ter den Aus­sa­gen das Ange­klag­ten des­sen eigent­li­ches Mei­nen selbst bestim­men. Ver­tei­di­gung ist dadurch unmög­lich gewor­den. Dem­entspre­chend wur­de die Behaup­tung, Hoh­mann habe sich nur vor­der­grün­dig ent­schul­digt, durch den Hin­weis unter­füt­tert, daß die­ses bean­stan­de­te Ver­hal­ten für die Neue Rech­te typisch sei. In einem zwei­ten Schritt voll­zieht sich eine Ver­ein­fa­chung und Emo­tio­na­li­sie­rung. So heißt es etwa im Spie­gel: „Als Mar­tin Hoh­mann in Neu­hof gegen ‘die Juden´ hetz­te, klatsch­ten 160 Men­schen.“ Der Ein­druck, der beim Leser die­ses Sat­zes sug­ge­riert wird, ist der eines pole­mi­schen, viel­leicht bier­se­li­gen Agi­ta­tors, der sein Publi­kum zu Haß gegen Juden auf­sta­chelt und von die­sem dafür zustim­men­den Bei­fall erhält. Wie­der erschei­nen „die Juden“ in Gän­se­füß­chen, als sei die­se Kol­lek­tiv­bil­dung ein durch­gän­gi­ges Zitat in der Hoh­mann-Rede. Zugleich wer­den die Men­schen, die Hoh­mann applau­dier­ten, eben weil sie in sei­nen Äuße­run­gen nichts Anti­se­mi­ti­sches erkann­ten, in den Skan­dal ein­ge­mein­det: Wer Hoh­mann applau­dier­te, ist ent­we­der selbst ein Juden­has­ser oder schlicht zu dumm, um die Het­ze zu durchschauen.

(2) Als nächs­tes wird Hoh­manns Rede mit unbe­strit­ten anti­se­mi­ti­schen Delik­ten gekop­pelt. So schreibt Wolf­gang Benz in der Frank­fur­ter Rund­schau: „Ent­ge­gen der im Hoh­mann-Skan­dal oft und gern geäu­ßer­ten Ver­mu­tung, Anti­se­mi­tis­mus sei in Deutsch­land ein in kon­ti­nu­ier­li­chem und neu­er­dings raschem Wachs­tum befind­li­ches Phä­no­men, zei­gen seriö­se Mei­nungs­um­fra­gen kei­nen sol­chen Trend. Im Gegen­teil. Frei­lich steht der lang­fris­ti­gen ten­den­zi­el­len Abnah­me die Vehe­menz ein­zel­ner Mani­fes­ta­tio­nen gegen­über, sei es durch Gewalt- und Pro­pa­gan­da­de­lik­te, sei es durch die bis­lang ein­zig­ar­ti­ge Arti­ku­la­ti­on anti­se­mi­ti­scher Ste­reo­ty­pen durch einen Ange­hö­ri­gen der poli­ti­schen Eli­te des Lan­des, den nun­mehr frak­ti­ons­lo­sen Abge­ord­ne­ten Mar­tin Hoh­mann.“ Hier erschei­nen „Gewalt- und Pro­pa­gan­da­de­lik­te“ wie Kör­per­ver­let­zun­gen, Schän­dun­gen von Fried­hö­fen und ras­sis­ti­sche Schmie­re­rei­en in einem Atem­zug mit Hoh­manns Äuße­run­gen. Durch die sprach­li­che Ver­knüp­fung in einem Satz wird außer­dem inhalt­lich Nähe her­ge­stellt. Dazu dient auch die Extrem-Skan­da­li­sie­rung „bis­lang ein­zig­ar­ti­ge Arti­ku­la­ti­on anti­se­mi­ti­scher Ste­reo­ty­pen“, in der die Vor­wür­fe hyper­bo­lisch bis ins Aller­höchs­te hin­ein gestei­gert werden.
(3) Im fol­gen­den Schritt wird Hoh­mann in sei­ner gesam­ten Per­sön­lich­keit auf die umstrit­te­nen Pas­sa­gen sei­ner Rede redu­ziert. Dies geschieht etwa, wenn das Bou­le­vard­blatt Bild als Deutsch­lands meist­ge­le­se­ne Zei­tung schlag­zeilt „CDU-Poli­ti­ker for­dern: Der Het­zer muß die Par­tei ver­las­sen“ oder „Mer­kel wirft CDU-Het­zer raus!“. In den beglei­ten­den Arti­keln wird Hoh­mann mehr­fach und immer wie­der als „Het­zer“ apo­stro­phiert. Aus einem Mann, der Äuße­run­gen tätig­te, die man­che für anti­se­mi­tisch hiel­ten, ande­re nicht, war für die öffent­li­che Wahr­neh­mung der „Het­zer Hoh­mann“ gewor­den. Die Aus­gren­zung erreich­te nun eine beängs­ti­gen­de Nähe zur media­len Ver­nich­tung eines Menschen.

Kar­di­nal Leh­mann wies die Behaup­tung als falsch zurück, er habe Hoh­mann einen „Sün­den­bock“ gehei­ßen. Dabei wäre die­ser Ver­gleich gar nicht so falsch gewe­sen. Der Sün­den­bock war ein Tier, das mit der Schuld der gan­zen Gemein­schaft bela­den und hin­aus in die Wüs­te geschickt wur­de, um stell­ver­tre­tend für alle zu büßen. Das war exakt die Rol­le, die Hoh­mann für vie­le erfüll­te. Auf ihn als Ein­zel­nen wur­den etli­che Ras­sis­men, Ver­drän­gun­gen, Schuld­ge­füh­le, Ängs­te, Aggres­sio­nen und was noch alles im deut­schen Wesen her­um­irrt pro­ji­ziert und stell­ver­tre­tend aus­ge­trie­ben. Und es moch­te gut mög­lich sein, daß auch Hoh­manns Kri­ti­ker ledig­lich ver­such­ten, mit der Last der deut­schen Schuld fer­tig zu wer­den: Indem sie beson­de­re Ver­ve und Erbar­mungs­lo­sig­keit dar­auf ver­wen­de­ten, einen Men­schen nie­der­zu­ma­chen, des­sen Äuße­run­gen auch nur in die Nähe von Juden­feind­schaft kamen, ver­si­cher­ten sie sich ihrer eige­nen abso­lu­ten Unschuld. Viel­leicht kann man in die­sen Über­re­ak­tio­nen einen aus der Bahn gera­te­nen Ver­such ver­ste­hen, Buße zu tun. Die­ser Ver­such wird aber weder dem Men­schen Hoh­mann noch dem Pro­blem Anti­se­mi­tis­mus gerecht.
„Haupt­sa­che, Sie ver­lie­ren als ehe­ma­li­ger Fall­schirm­jä­ger jetzt nicht die Ner­ven“ unk­te Tobi­as Kauf­mann höh­nisch in einem mit „Tschüss, Herr Hoh­mann“ beti­tel­ten offe­nen Brief, der unter ande­rem im Köl­ner Stadt­an­zei­ger, in der Jüdi­schen All­ge­mei­nen und auf der Home­page Hen­ryk M. Bro­ders ver­öf­fent­licht wur­de. Möl­le­manns Selbst­mord und die Gefahr, daß Hoh­mann dazu getrie­ben wer­den könn­te, sich eben­falls etwas anzu­tun, ver­kom­men hier zur maka­bren Schlußpointe.

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