das Buch „Jüdischer Bolschewismus“. Mythos und Realität, und zwar mit dem Bielefelder Emeritus Hans-Ulrich Wehler. Grund meines Anrufs bei Wehler war der Streit um den Autor des Buchs, Johannes Rogalla von Bieberstein, der in der Universitätsbibliothek in Bielefeld als Wissenschaftlicher Bibliothekar angestellt und Autor meines Verlags ist.
In jahrelanger Arbeit hat Rogalla von Bieberstein das Material zu seiner Untersuchung über den „Jüdischen Bolschewismus“ zusammengetragen, um sie schließlich – bereichert um ein Vorwort von Ernst Nolte – zu veröffentlichen. Über die Rede, die der Bundestagsabgeordnete Martin Hohmann (CDU) zum 3. Oktober hielt, wurde Rogalla von Biebersteins Buch zu einem vielgekauften und vieldiskutierten Werk, weil Hohmann sich in seinen Überlegungen zu Juden und Deutschen als „Tätervölkern“ auf das Quellenmaterial des „Jüdischen Bolschewismus“ bezog. Rogalla von Bieberstein selbst muß seither um seine wissenschaftliche Reputation kämpfen, obwohl eine fundierte Kritik seiner Arbeit bisher nicht vorliegt: Man warf und wirft ihm einfach antisemitische Argumentationsstrukturen vor.
Es ist verwunderlich, daß die tiefgehende wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Rogalla von Biebersteins These und Methodik ausblieb. Denn natürlich strengte die Universität Bielefeld eine Prüfung des Buchs an, scheu gemacht nicht zuletzt durch die dramatische Berichterstattung der Neuen Westfälischen, Lokalteil Bielefeld. Dort, in den Redaktionsräumen einer überraschungslosen Stadt, sah sich der Redakteur plötzlich im Brennpunkt des Kampfs um den antifaschistischen Konsens. Stellungnahmen der Universitätsleitung wurden eingefordert. Nach einiger Zeit kam die Auskunft, daß straf- oder beamtenrechtlich nichts gegen Rogalla von Bieberstein vorgebracht werden könne. In einer Pressemitteilung distanzierte sich die Universitätsleitung jedoch von jeder antisemitischen Äußerung eines ihrer Mitarbeiter. In der Presse wurde diese Distanzierung aufgegriffen und zu einer Distanzierung von Rogalla von Bieberstein überhaupt umgedeutet.
An dieser Stelle des Vorgangs begann ich mit meinen Anrufen. Den Prorektor der Universität Bielefeld, den Rechtswissenschaftler Christoph Gusy, bat ich, sich im Sinne seiner Fürsorgepflicht nicht halbherzig oder zweideutig, sondern unmißverständlich hinter seinen Mitarbeiter zu stellen. Gusy jedoch machte das Gegenteil und drückte in einem Gespräch mit der Presse sein Bedauern darüber aus, daß gegen Rogalla von Bieberstein institutionell nicht anders vorgegangen werden könne. Um seiner Beurteilung mehr Gewicht zu verleihen, verwies Gusy auf die Autorität Hans-Ulrich Wehlers, dessen deutliche Kritik an Bieberstein und am wissenschaftlichen Standard des Buchs für die Universität maßgeblich sei.
Ausdrücklich verwies der Prorektor auf die Berichterstattung dieser Zeitung, die den international renomierten Historiker Hans-Ulrich Wehler zu dem Bieberstein-Buch befragt hatte. Eine gute Adresse, die an der Universität dafür sorge, daß die „fachwissenschaftliche Diskussion eigentlich so gut wie abgeschlossen ist“, verweist Gusy auf die Autorität des bedeutenden Bielefelder Gelehrten.
(Neue Westfälische, 20. November 2003)
Ich telefonierte erneut mit Gusy. Er wiederholte seine Aussagen, stritt eine Wertung seinerseits ab und berief sich nochmals auf Wehler. Für mich war das der Auslöser, direkt bei Professor Wehler anzurufen. Ich beobachtete dabei an mir eine seltsame Scheu, denn Gusy hatte wiederholt von Wehler als einem „Historiker von Weltruf“ gesprochen und damit mein eigenes Bewertungssystem erschüttert: Mir war Wehler nur als Autor einer methodisch konfusen Gesellschaftsgeschichte der Deutschen in Erinnerung.
Um aufgewärmt mit Wehler über Rogalla von Biebersteins Redlichkeit sprechen zu können, telefonierte ich zunächst mit Professor Wilhelm Heitmeyer. Heitmeyer, Soziologe und Leiter des Interdisziplinären Zentrums für Gewalt- und Konfliktforschung, ebenfalls Bielefeld, hatte der Presse gegenüber versucht, die Körperhaltung meines Autors mit den Inhalten des Buchs in Verbindung zu bringen.
In der Universität gilt von Bieberstein als Sonderling und wird auch so behandelt. Das Problem erledigt sich spätestens in eineinhalb Jahren. Dann verlässt der stets gebeugt gehende Bieberstein (Heitmeyer: „Seine Körperhaltung zeigt, dass er schwer an seiner Mission trägt“) für immer sein Büro in der Bibliothek.
(Neue Westfälische, 13. November 2003)
Nach längerem Zureden versprach Professor Heitmeier, sich bei Rogalla von Bieberstein für seine nicht ganz sachlichen Diskussionsbeiträge zu entschuldigen. (Heitmeyer entschuldigte sich tatsächlich am nächsten Tag).
Das Gefühl, letztendlich Seltsames tun zu müssen, hatte sich durch das Gespräch mit Heitmeier noch verstärkt. Ich rief Wehler an. Er war gleich am Telefon. Ich stellte mich vor und stolperte ein wenig schnell ins Gespräch, indem ich mich ohne Umschweife danach erkundigte, auf welche inkriminierten Passagen denn die Verurteilung von Buch und Autor sich stütze. Wehler breitete zunächst aber eine Gesamtbeurteilung der Person Bieberstein aus und fragte, mit welchem Recht eigentlich ein Bibliothekar sich an ein so komplexes Thema wie die Geschichte Russlands und seiner Bolschewisierung in den frühen zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts wagen dürfe, ein Bibliothekar außerdem, der eine mittelmäßige Promotion vorgelegt habe.
Für die Geschichtswissenschaftler der Uni spielt Bieberstein, ein Spross aus altem südwestdeutschen Beamtenadel, dennoch keine Rolle als Historiker. „Seine Promotion bei Rudolf Vierhaus war mittelmäßig“, urteilt etwa der angesehene Sozialhistoriker Hans-Ulrich Wehler.
(Neue Westfälische, 13. November 2003, Anmerkung dazu: Von Biebersteins Promotion Die These von der Verschwörung 1776 – 1945 wurde mit dem Prädikat summa cum laude versehen und ist derzeit in der vierten Auflage erhältlich).
Ich ließ mich mit Wehler in ein kleines Gefecht ein, nannte Sonja Margolina (Das Ende der Lügen, 1992), Alexander Solschenitzyn (Zweihundert Jahre gemeinsam. Die Juden in der Sowjetunion, 2003) und Norman Finkelstein (sein Auftritt bei Christiansen war ätzend und stark und mußte der deutschen Professorenschaft die Schamesröte ins Gesicht treiben). Letztendlich versuchte ich, Wehler auf die Spur einer textimmanenten Kritik zurückzubringen. Wo im Buch selbst verläßt Rogalla von Bieberstein wissenschaftliche Mindeststandards, wo bedienen seine Thesen antisemitische Klischees? Wo haben wir es mit einer für sensible Themen unstatthaften Polemik zu tun?
Wehler drehte noch einige Schleifen. Er empörte sich über den Applaus, den Rogalla von Bieberstein von der – aus seiner Sicht – deutlich falschen Seite erhalte (Wehler meinte damit die Rezeption des Buchs in konservativen Zeitungen und Zeitschriften). Und er bezeichnete Rogalla von Bieberstein als Stichwortgeber für verantwortungslose politische Stimmungsmacher (womit er Hohmann meinte), mit deren Wort dann der Mob die Brandflasche fülle.
Nach jeder neuen Attacke bat ich um die Angabe von konkreten Stellen im Buch Rogalla von Biebersteins, an denen Wehler seine Anschuldigungen festgemacht sehen wollte; schließlich stehe der Vorwurf im Raum, daß wir Beteiligten auf wissenschaftlich fragwürdige Weise antisemitische Stereotypen verbreitet hätten.
Die Antwort Wehlers auf mein Insistieren war ebenso knapp wie entnervt: Er habe das Buch, von dem hier ständig die Rede sei, noch nie in der Hand gehabt, außerdem interessiere es ihn nicht wirklich, ich könne es ihm aber zusenden, und wehe, wenn er dann fündig würde! Ich war so verblüfft, daß ich vergaß, eine Rechnung beizulegen.
Mit Prorektor Gusy sprach ich am andern Tag nochmals, und ich präsentierte ihm das Eingeständnis Wehlers. Gusy wand sich, erwies sich als geschickter Rabulist und entkam in die Aussage, er wolle nun kein weiteres Öl in die Flammen gegossen sehen. Außerdem habe auch er das Buch nicht gelesen.
Gusy wörtlich in der Neuen Westfälischen vom 20. November 2003: „Hier hat ein belangloses Buch eine Aufmerksamkeit erfahren, die wissenschaftlich nicht begründbar ist.“ Bieberstein habe keinen Bezug zu der an der Universität gepflegten Wissenschaft und erreiche auch nicht deren Standard.
Vielleicht stecken hinter Gusys selbstsicherem Urteil die geheimnisvollen Gutachter, die – vom Rektorat nicht genannt – Bibersteins Buch prüften. Angeblich. Es sollen zwei Gutachter gewesen sein. Oder fünf. Auch das weiß man nicht genau.