Professorenarroganz

pdf der Druckfassung aus Sezession 4 / Januar 2004

Mitte November führte ich ein denkwürdiges Telefongespräch über...

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

das Buch „Jüdi­scher Bol­sche­wis­mus“. Mythos und Rea­li­tät, und zwar mit dem Bie­le­fel­der Eme­ri­tus Hans-Ulrich Weh­ler. Grund mei­nes Anrufs bei Weh­ler war der Streit um den Autor des Buchs, Johan­nes Rogal­la von Bie­ber­stein, der in der Uni­ver­si­täts­bi­blio­thek in Bie­le­feld als Wis­sen­schaft­li­cher Biblio­the­kar ange­stellt und Autor mei­nes Ver­lags ist.

In jah­re­lan­ger Arbeit hat Rogal­la von Bie­ber­stein das Mate­ri­al zu sei­ner Unter­su­chung über den „Jüdi­schen Bol­sche­wis­mus“ zusam­men­ge­tra­gen, um sie schließ­lich – berei­chert um ein Vor­wort von Ernst Nol­te – zu ver­öf­fent­li­chen. Über die Rede, die der Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­te Mar­tin Hoh­mann (CDU) zum 3. Okto­ber hielt, wur­de Rogal­la von Bie­ber­steins Buch zu einem viel­ge­kauf­ten und viel­dis­ku­tier­ten Werk, weil Hoh­mann sich in sei­nen Über­le­gun­gen zu Juden und Deut­schen als „Täter­völ­kern“ auf das Quel­len­ma­te­ri­al des „Jüdi­schen Bol­sche­wis­mus“ bezog. Rogal­la von Bie­ber­stein selbst muß seit­her um sei­ne wis­sen­schaft­li­che Repu­ta­ti­on kämp­fen, obwohl eine fun­dier­te Kri­tik sei­ner Arbeit bis­her nicht vor­liegt: Man warf und wirft ihm ein­fach anti­se­mi­ti­sche Argu­men­ta­ti­ons­struk­tu­ren vor.
Es ist ver­wun­der­lich, daß die tief­ge­hen­de wis­sen­schaft­li­che Aus­ein­an­der­set­zung mit Rogal­la von Bie­ber­steins The­se und Metho­dik aus­blieb. Denn natür­lich streng­te die Uni­ver­si­tät Bie­le­feld eine Prü­fung des Buchs an, scheu gemacht nicht zuletzt durch die dra­ma­ti­sche Bericht­erstat­tung der Neu­en West­fä­li­schen, Lokal­teil Bie­le­feld. Dort, in den Redak­ti­ons­räu­men einer über­ra­schungs­lo­sen Stadt, sah sich der Redak­teur plötz­lich im Brenn­punkt des Kampfs um den anti­fa­schis­ti­schen Kon­sens. Stel­lung­nah­men der Uni­ver­si­täts­lei­tung wur­den ein­ge­for­dert. Nach eini­ger Zeit kam die Aus­kunft, daß straf- oder beam­ten­recht­lich nichts gegen Rogal­la von Bie­ber­stein vor­ge­bracht wer­den kön­ne. In einer Pres­se­mit­tei­lung distan­zier­te sich die Uni­ver­si­täts­lei­tung jedoch von jeder anti­se­mi­ti­schen Äuße­rung eines ihrer Mit­ar­bei­ter. In der Pres­se wur­de die­se Distan­zie­rung auf­ge­grif­fen und zu einer Distan­zie­rung von Rogal­la von Bie­ber­stein über­haupt umgedeutet.
An die­ser Stel­le des Vor­gangs begann ich mit mei­nen Anru­fen. Den Pro­rek­tor der Uni­ver­si­tät Bie­le­feld, den Rechts­wis­sen­schaft­ler Chris­toph Gusy, bat ich, sich im Sin­ne sei­ner Für­sor­ge­pflicht nicht halb­her­zig oder zwei­deu­tig, son­dern unmiß­ver­ständ­lich hin­ter sei­nen Mit­ar­bei­ter zu stel­len. Gusy jedoch mach­te das Gegen­teil und drück­te in einem Gespräch mit der Pres­se sein Bedau­ern dar­über aus, daß gegen Rogal­la von Bie­ber­stein insti­tu­tio­nell nicht anders vor­ge­gan­gen wer­den kön­ne. Um sei­ner Beur­tei­lung mehr Gewicht zu ver­lei­hen, ver­wies Gusy auf die Auto­ri­tät Hans-Ulrich Weh­lers, des­sen deut­li­che Kri­tik an Bie­ber­stein und am wis­sen­schaft­li­chen Stan­dard des Buchs für die Uni­ver­si­tät maß­geb­lich sei.

Aus­drück­lich ver­wies der Pro­rek­tor auf die Bericht­erstat­tung die­ser Zei­tung, die den inter­na­tio­nal reno­mier­ten His­to­ri­ker Hans-Ulrich Weh­ler zu dem Bie­ber­stein-Buch befragt hat­te. Eine gute Adres­se, die an der Uni­ver­si­tät dafür sor­ge, daß die „fach­wis­sen­schaft­li­che Dis­kus­si­on eigent­lich so gut wie abge­schlos­sen ist“, ver­weist Gusy auf die Auto­ri­tät des bedeu­ten­den Bie­le­fel­der Gelehrten.
(Neue West­fä­li­sche, 20. Novem­ber 2003)

Ich tele­fo­nier­te erneut mit Gusy. Er wie­der­hol­te sei­ne Aus­sa­gen, stritt eine Wer­tung sei­ner­seits ab und berief sich noch­mals auf Weh­ler. Für mich war das der Aus­lö­ser, direkt bei Pro­fes­sor Weh­ler anzu­ru­fen. Ich beob­ach­te­te dabei an mir eine selt­sa­me Scheu, denn Gusy hat­te wie­der­holt von Weh­ler als einem „His­to­ri­ker von Welt­ruf“ gespro­chen und damit mein eige­nes Bewer­tungs­sys­tem erschüt­tert: Mir war Weh­ler nur als Autor einer metho­disch kon­fu­sen Gesell­schafts­ge­schich­te der Deut­schen in Erinnerung.
Um auf­ge­wärmt mit Weh­ler über Rogal­la von Bie­ber­steins Red­lich­keit spre­chen zu kön­nen, tele­fo­nier­te ich zunächst mit Pro­fes­sor Wil­helm Heit­mey­er. Heit­mey­er, Sozio­lo­ge und Lei­ter des Inter­dis­zi­pli­nä­ren Zen­trums für Gewalt- und Kon­flikt­for­schung, eben­falls Bie­le­feld, hat­te der Pres­se gegen­über ver­sucht, die Kör­per­hal­tung mei­nes Autors mit den Inhal­ten des Buchs in Ver­bin­dung zu bringen.

In der Uni­ver­si­tät gilt von Bie­ber­stein als Son­der­ling und wird auch so behan­delt. Das Pro­blem erle­digt sich spä­tes­tens in ein­ein­halb Jah­ren. Dann ver­lässt der stets gebeugt gehen­de Bie­ber­stein (Heit­mey­er: „Sei­ne Kör­per­hal­tung zeigt, dass er schwer an sei­ner Mis­si­on trägt“) für immer sein Büro in der Bibliothek.
(Neue West­fä­li­sche, 13. Novem­ber 2003)

Nach län­ge­rem Zure­den ver­sprach Pro­fes­sor Heit­mei­er, sich bei Rogal­la von Bie­ber­stein für sei­ne nicht ganz sach­li­chen Dis­kus­si­ons­bei­trä­ge zu ent­schul­di­gen. (Heit­mey­er ent­schul­dig­te sich tat­säch­lich am nächs­ten Tag).
Das Gefühl, letzt­end­lich Selt­sa­mes tun zu müs­sen, hat­te sich durch das Gespräch mit Heit­mei­er noch ver­stärkt. Ich rief Weh­ler an. Er war gleich am Tele­fon. Ich stell­te mich vor und stol­per­te ein wenig schnell ins Gespräch, indem ich mich ohne Umschwei­fe danach erkun­dig­te, auf wel­che inkri­mi­nier­ten Pas­sa­gen denn die Ver­ur­tei­lung von Buch und Autor sich stüt­ze. Weh­ler brei­te­te zunächst aber eine Gesamt­be­ur­tei­lung der Per­son Bie­ber­stein aus und frag­te, mit wel­chem Recht eigent­lich ein Biblio­the­kar sich an ein so kom­ple­xes The­ma wie die Geschich­te Russ­lands und sei­ner Bol­sche­wi­sie­rung in den frü­hen zwan­zi­ger Jah­ren des ver­gan­ge­nen Jahr­hun­derts wagen dür­fe, ein Biblio­the­kar außer­dem, der eine mit­tel­mä­ßi­ge Pro­mo­ti­on vor­ge­legt habe.

Für die Geschichts­wis­sen­schaft­ler der Uni spielt Bie­ber­stein, ein Spross aus altem süd­west­deut­schen Beam­ten­adel, den­noch kei­ne Rol­le als His­to­ri­ker. „Sei­ne Pro­mo­ti­on bei Rudolf Vier­haus war mit­tel­mä­ßig“, urteilt etwa der ange­se­he­ne Sozi­al­his­to­ri­ker Hans-Ulrich Wehler.
(Neue West­fä­li­sche, 13. Novem­ber 2003, Anmer­kung dazu: Von Bie­ber­steins Pro­mo­ti­on Die The­se von der Ver­schwö­rung 1776 – 1945 wur­de mit dem Prä­di­kat sum­ma cum lau­de ver­se­hen und ist der­zeit in der vier­ten Auf­la­ge erhältlich).

Ich ließ mich mit Weh­ler in ein klei­nes Gefecht ein, nann­te Son­ja Mar­go­li­na (Das Ende der Lügen, 1992), Alex­an­der Sol­sche­nit­zyn (Zwei­hun­dert Jah­re gemein­sam. Die Juden in der Sowjet­uni­on, 2003) und Nor­man Fin­kel­stein (sein Auf­tritt bei Chris­ti­an­sen war ätzend und stark und muß­te der deut­schen Pro­fes­so­ren­schaft die Scha­mes­rö­te ins Gesicht trei­ben). Letzt­end­lich ver­such­te ich, Weh­ler auf die Spur einer text­im­ma­nen­ten Kri­tik zurück­zu­brin­gen. Wo im Buch selbst ver­läßt Rogal­la von Bie­ber­stein wis­sen­schaft­li­che Min­dest­stan­dards, wo bedie­nen sei­ne The­sen anti­se­mi­ti­sche Kli­schees? Wo haben wir es mit einer für sen­si­ble The­men unstatt­haf­ten Pole­mik zu tun?
Weh­ler dreh­te noch eini­ge Schlei­fen. Er empör­te sich über den Applaus, den Rogal­la von Bie­ber­stein von der – aus sei­ner Sicht – deut­lich fal­schen Sei­te erhal­te (Weh­ler mein­te damit die Rezep­ti­on des Buchs in kon­ser­va­ti­ven Zei­tun­gen und Zeit­schrif­ten). Und er bezeich­ne­te Rogal­la von Bie­ber­stein als Stich­wort­ge­ber für ver­ant­wor­tungs­lo­se poli­ti­sche Stim­mungs­ma­cher (womit er Hoh­mann mein­te), mit deren Wort dann der Mob die Brand­fla­sche fülle.
Nach jeder neu­en Atta­cke bat ich um die Anga­be von kon­kre­ten Stel­len im Buch Rogal­la von Bie­ber­steins, an denen Weh­ler sei­ne Anschul­di­gun­gen fest­ge­macht sehen woll­te; schließ­lich ste­he der Vor­wurf im Raum, daß wir Betei­lig­ten auf wis­sen­schaft­lich frag­wür­di­ge Wei­se anti­se­mi­ti­sche Ste­reo­ty­pen ver­brei­tet hätten.
Die Ant­wort Weh­lers auf mein Insis­tie­ren war eben­so knapp wie ent­nervt: Er habe das Buch, von dem hier stän­dig die Rede sei, noch nie in der Hand gehabt, außer­dem inter­es­sie­re es ihn nicht wirk­lich, ich kön­ne es ihm aber zusen­den, und wehe, wenn er dann fün­dig wür­de! Ich war so ver­blüfft, daß ich ver­gaß, eine Rech­nung beizulegen.
Mit Pro­rek­tor Gusy sprach ich am andern Tag noch­mals, und ich prä­sen­tier­te ihm das Ein­ge­ständ­nis Weh­lers. Gusy wand sich, erwies sich als geschick­ter Rabu­list und ent­kam in die Aus­sa­ge, er wol­le nun kein wei­te­res Öl in die Flam­men gegos­sen sehen. Außer­dem habe auch er das Buch nicht gelesen.

Gusy wört­lich in der Neu­en West­fä­li­schen vom 20. Novem­ber 2003: „Hier hat ein belang­lo­ses Buch eine Auf­merk­sam­keit erfah­ren, die wis­sen­schaft­lich nicht begründ­bar ist.“ Bie­ber­stein habe kei­nen Bezug zu der an der Uni­ver­si­tät gepfleg­ten Wis­sen­schaft und errei­che auch nicht deren Stan­dard.

Viel­leicht ste­cken hin­ter Gusys selbst­si­che­rem Urteil die geheim­nis­vol­len Gut­ach­ter, die – vom Rek­to­rat nicht genannt – Biber­steins Buch prüf­ten. Angeb­lich. Es sol­len zwei Gut­ach­ter gewe­sen sein. Oder fünf. Auch das weiß man nicht genau.

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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