Für die libertär-konservative Sezession

pdf der Druckfassung aus Sezession 3 / Oktober 2003

sez_nr_3von André F. Lichtschlag

Wenn sich der Herausgeber eines libertären Magazins in einer konservativen Zeitschrift als Libertärer zu Wort meldet, dann sollte er erst einmal erklären, wer Libertäre sind und was sie wollen. Libertäre glauben, daß jeder Mensch Eigentümer seiner selbst und der Früchte seiner Arbeit ist. Sie treten daher für einen durch keinerlei staatliche Vorschriften eingeschränkten Laissez-faire-Kapitalismus ein.

Im Zusam­men­le­ben der Men­schen gibt es nur zwei Wege: Gewalt oder Frei­wil­lig­keit, Gewehr oder Ver­trag, Zen­sur oder frei­es Wort, Sozia­lis­mus oder Eigen­tum, Poli­tik oder Han­del. Liber­tä­re tre­ten kom­pro­miß­los für Frei­wil­lig­keit, Ver­trag, das freie Wort, Eigen­tum und Han­del ein, wo ande­re der sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Ver­su­chung meist nicht wider­ste­hen kön­nen. Liber­tä­re sind oft aus­ge­wie­se­ne Öko­no­men. Sie wis­sen, daß Plan­wirt­schaft nie­mals funk­tio­niert und am Ende immer zu Cha­os und Ver­der­ben füh­ren muß. Sie set­zen die Pri­vat­wirt­schaft dage­gen. Die liber­tä­re Bewe­gung ver­steht sich seit jeher als Netz­werk, gebil­det aus den ver­schie­dens­ten frei­heit­li­chen Denk­schu­len und Wis­sen­schaft­dis­zi­pli­nen. Zu ihr gehö­ren die Chi­ca­go-School (zum Bei­spiel Mil­ton Fried­man, David Fried­man), die Öster­rei­chi­sche Schu­le (zum Bei­spiel Lud­wig von Mises, Fried­rich A. von Hay­ek), die Public Choice- und Ratio­nal Choice-Schu­le (zum Bei­spiel Gor­don Tul­lock, Erich Weede) sowie His­to­ri­ker, Poli­to­lo­gen, Phi­lo­so­phen, Wis­sen­schafts­theo­re­ti­ker und Lite­ra­ten (zum Bei­spiel Ralph Raico, Ayn Rand, Gerard Rad­nitz­ky, Antho­ny de Jasay oder Mario Var­gas Llosa). Sie alle eint nur der Wil­le zu einem selbst­be­stimm­te­ren Leben und der Wunsch nach wesent­lich weni­ger staat­li­cher Gän­ge­lung in allen Lebensbereichen.
Kaum jemals zuvor hat ein Arti­kel in der von mir her­aus­ge­ge­be­nen Zeit­schrift ein solch leb­haf­tes Echo erfah­ren, wie mein Plä­doy­er unter der Über­schrift „Rudi Möl­le­mann“ (sie­he André F. Licht­schlag: Rudi Möl­le­mann, eigen­tüm­lich frei Nr. 36/2003, im Inter­net kos­ten­los abzu­ru­fen unter www.eifrei.de/Inhalt_36/rudi.pdf). In die­sem Auf­satz zeich­ne ich das Ent­ste­hen der Par­tei „Die Grü­nen“ nach als erfolg­rei­che Geschich­te eines Zusam­men­schlus­ses von Öko­lo­gis­ten und Sozia­lis­ten. Die­ses Gemisch aus Büro­kra­ten, Staats­fans, Umwelt­hys­te­ri­kern, Män­ner­has­sern und Anti­fa­schos regiert und domi­niert bis in den letz­ten Gedan­ken­winkel hin­ein heu­te unser Land und die meis­ten Köp­fe. Gegen­wehr ist nicht in Sicht, und die ver­schie­de­nen klei­nen Freun­des­krei­se, Zir­kel und Zeit­schrif­ten wir­ken zer­split­tert und noch wenig laut­stark. Ähn­lich wie die zer­split­ter­ten sozia­lis­ti­schen (K‑Gruppen, Spon­tis) und öko­lo­gis­ti­schen (Grü­ne Lis­ten, Umwelt­grup­pen) Freun­des­krei­se, Zir­kel und Zeit­schrif­ten kurz vor deren Zusam­men­schluß und Durch­marsch seit Beginn der acht­zi­ger Jahre.
Nun ist es Zeit zum Wider­stand. Die Rich­tung wird in „Rudi Möl­le­mann“ als Umkeh­rung des rot­grü­nen Spie­ßes gezeich­net; gegen Büro­kra­tie, poli­ti­cal cor­rect­ness und Staats­all­macht, gegen Femi­nis­mus, Gesin­nungs­ter­ror und Ästhe­ti­sie­rung des Bana­len und Durch­schnitt­li­chen, für Zukunfts­freu­de, Frei­heit, per­sön­li­che Ver­ant­wor­tung und Unter­neh­mer­tum. Das Plä­doy­er zielt auf eine wie auch immer gear­te­te Zusam­men­ar­beit zwi­schen Kon­ser­va­ti­ven und Libertären.
Auf die­sen Arti­kel hin erhielt ich vie­le Anre­gun­gen, die ich ger­ne hier auf- und ein­ar­bei­ten möch­te. Dazu kom­men zwei Ereig­nis­se der jüngs­ten Zeit, die eben­falls ein­be­zo­gen wer­den wollen.

Mei­ne Über­le­gun­gen waren zunächst noch sehr stark in Rich­tung par­tei­po­li­ti­scher Alter­na­ti­ve geprägt. Inzwi­schen bin ich davon über­zeugt, daß dies allen­falls der zwei­te Schritt sein kann. Denn die Ent­wick­lung der Jür­gen W. Möl­le­mann-Freun­des­krei­se nach des­sen Tod hat sich inzwi­schen als ein Para­de­bei­spiel für das par­tei­po­li­ti­sche Glatt­eis her­aus­ge­stellt. Ent­ge­gen den ursprüng­li­chen Plä­nen Möl­le­manns und sei­nes liber­tä­ren Bera­ters Fritz Goer­gen, eine Par­tei „von oben“ zu grün­den, mit fer­ti­gem radi­ka­len Pro­gramm und anspre­chen­dem aus­ge­wähl­ten Per­so­nal­ta­bleau, wol­len nun eini­ge Kom­mu­nal­po­li­ti­ker im Fahr­was­ser Möl­le­manns eine neue Par­tei „von unten“ grün­den. Ihr vor­läu­fi­ger Name bis zum Grün­dungs­par­tei­tag ist dabei so attrak­tiv wie Per­so­nal und Pro­gramm: „Euro­pä­isch Libe­ra­le Par­tei Deutsch­lands (ELPD)“. Die gro­tes­ken Dis­kus­sio­nen rund um die Grün­dung kön­nen der­zeit noch unter www.elpd.de in einem Inter­net­fo­rum bewun­dert wer­den. Da tref­fen sich eine Hand­voll selbst ernann­ter Par­tei­grün­der plötz­lich irgend­wo und bil­den einen Grün­dungs­vor­stand. Jeder erhält einen Pos­ten, vom Schrift­füh­rer bis zum Jugend­wart. In den Wochen danach fech­ten die­ser Vor­stand unter­ein­an­der und die nicht hin­zu­ge­be­te­ne Basis mit ein­zel­nen Vor­ständ­lern unzäh­li­ge klei­ne Kämp­fe aus – ohne daß es auch nur im ent­fern­tes­ten um zukünf­ti­ge Inhal­te geht. Sat­zungs­fra­gen, Per­so­nal­fra­gen, Wahl­fra­gen und die Tages­ord­nung auf dem noch aus­ste­hen­den Grün­dungs­par­tei­tag wer­den bis aufs Kom­ma aus­dis­ku­tiert. Und der hal­be Vor­stand tritt nach und nach zurück und bil­det teil­wei­se Kon­kur­renz-Split­ter­par­tei­en. Vor radi­ka­le­ren, unkon­ven­tio­nel­len kon­ser­va­ti­ven oder liber­tä­ren Ideen schre­cken die Neu­par­tei­ler mit Ver­weis auf die zukünf­ti­gen Wäh­ler ver­ängs­tigt zurück. Nein, man wol­le „natür­lich eine Par­tei der Mit­te“ grün­den. Welch ein Hohn, wenn man Möl­le­manns pro­gram­ma­ti­sches Buch Klar­text gele­sen hat, in dem etwa für die Abschaf­fung aller Steu­ern bis auf eine ein­zi­ge, für Gemein­de-Auto­no­mie und für das Wag­nis von wesent­lich weni­ger Poli­tik gewor­ben wird. Aus der radi­ka­len Theo­rie ist in der mini- und vor­par­tei­po­li­ti­schen Pra­xis inner­halb weni­ger Wochen das glat­te Gegen­teil geworden.
Mit Möl­le­mann (viel­leicht auch durch ihn) wäre eben­falls irgend­wann ein radi­ka­les Pro­gramm ins Gegen­teil ver­kehrt wor­den. Auch den Grü­nen ging es unter Josch­ka Fischer etwa bezüg­lich ihres ursprüng­li­chen Pazi­fis­mus so. Nur hät­te es unter Möl­le­mann ver­mut­lich etwas län­ger gedau­ert als bei einem Hau­fen von gut­wil­li­gen Ama­teu­ren, der es gleich von Beginn an allen recht machen will. Aus­nah­men wie Chris­toph Blo­chers „Volks­par­tei“ kön­nen sogar über Jahr­zehn­te ihr Pro­fil eini­ger­ma­ßen wah­ren. Daß es aber selbst bei pro­mi­nen­tem und recht ori­gi­nel­lem Per­so­nal und einer eigent­lich guten Aus­gangs­po­si­ti­on par­tei­po­li­tisch ganz schnell schief gehen kann, zeigt das zwei­te Bei­spiel, näm­lich der Skan­dal um die Schill-Par­tei in Ham­burg. Dort mach­te der Par­tei­grün­der auf Vet­tern­wirt­schaft beim Regie­rungs­part­ner auf­merk­sam. Soll­te durch Schills Kri­tik die Koali­ti­on plat­zen, gäbe es Neu­wah­len. Und vie­le sei­ner Par­tei­freun­de müß­ten plötz­lich um ihr Man­dat mit all den Gel­dern und Ver­güns­ti­gun­gen fürch­ten. Also tun die Schill-Par­tei­ler, was der Koali­ti­ons­part­ner CDU von ihnen ver­langt: Sie distan­zie­ren sich von ihrem Par­tei­grün­der, um ihren eige­nen Ses­sel in der Bür­ger­schaft für eini­ge Jah­re und vie­le Tau­send Euro zu ret­ten. So ist das Sys­tem. Das ist Par­tei­po­li­tik. Das ist Demokratie.

Natür­lich ori­en­tie­ren sich die Schill-Par­tei-Poli­ti­ker nicht an einem schwer greif­ba­ren „All­ge­mein­wohl“. Mein Wohl ist schließ­lich nicht dein Wohl. Die eige­nen Vor­tei­le wer­den nun ein­mal im demo­kra­ti­schen Ein­topf­spiel auf Kos­ten ande­rer erzielt. „Der Staat ist die gro­ße Fik­ti­on, nach der jeder­mann ver­sucht auf Kos­ten des ande­ren zu leben“ – so hat es der gro­ße Liber­tä­re Fré­dé­ric Bas­ti­at for­mu­liert. Der gro­ße Kon­ser­va­ti­ve Lord Acton for­mu­lier­te es so: „Macht kor­rum­piert! Immer!“
Noch ist jeder Liber­tä­re oder Kon­ser­va­ti­ve von Par­tei­en ent­täuscht wor­den. Denn den weit­aus meis­ten Men­schen liegt die eige­ne Macht­fül­le, der eige­ne Wohl­stand oder der Wohl­stand der eige­nen Fami­lie näher als das Wohl­erge­hen von voll­kom­men Unbe­kann­ten. Mit den Wor­ten der Öko­no­men: Men­schen sind „Nut­zen­ma­xi­mie­rer“. Das ein­zi­ge Sys­tem, wel­ches das ein­ge­schränk­te Inter­es­se der Men­schen an Frem­den stets zum Nut­zen aller ver­wan­delt, ist der freie Markt. Hier birgt jeder Tausch, jeder Han­del, immer einen Gewinn für bei­de Sei­ten – sonst wür­de er nicht statt­fin­den. Poli­tik bedeu­tet Dieb­stahl, Raub und Ver­nich­tung, der Markt bie­tet Part­ner­schaft und Reich­tum. Weil der Mensch ein Mensch ist.
Haben sich nicht gera­de die Kon­ser­va­ti­ven immer wie­der in ihrem skep­ti­schen bezie­hungs­wei­se rea­lis­ti­schen Men­schen­bild von der Geschich­te bestä­tigt gese­hen? Es wird Zeit, daß sie dar­aus Kon­se­quen­zen in ihrer Bewer­tung von Markt und Staat zie­hen: Es waren schließ­lich die Büro­kra­tie und die weit­ver­brei­te­te Obrig­keits­gläu­big­keit, die staat­li­che Ver­bre­chen frü­her und heu­te erst mög­lich gemacht haben. Han­del und Eigen­ver­ant­wor­tung sind daher die rea­lis­ti­sche Alter­na­ti­ve zum kon­struk­ti­vis­ti­schem Kol­lek­ti­vis­mus des Staa­tes. Vie­le ame­ri­ka­ni­sche Kon­ser­va­ti­ve haben dies bereits längst erkannt.
Die Poli­tik ist der gro­ße Zer­stö­rer. Nicht zuletzt zer­stört sie Wer­te und Tra­di­tio­nen, also all das, wor­auf sich Kon­ser­va­ti­ve beru­fen. Dies gilt ins­be­son­de­re für die Fami­lie. Erb­schafts­steu­ern, Schul­pflicht, Infla­ti­on, Erzie­hungs- und Ver­sor­gungs­zwang sowie die staat­li­che Anord­nung von Arbeits­lo­sen­ver­si­che­rung, Min­dest­löh­nen, Ren­ten­ver­si­che­rung, Ganz­tags­schu­len und Ganz­tags­kin­der­stät­ten oder die Form des staat­li­chen Ehe­schei­dungs­rechts – all dies zer­stört die Fami­li­en, wie Jörg Gui­do Hüls­mann gezeigt hat. (Sie­he Jörg Gui­do Hüls­mann: Wie der Staat die Fami­li­en zer­stört, eigen­tüm­lich frei Nr. 37/2003, im Inter­net kos­ten­los abzu­ru­fen unter www.eifrei.de/familie.pdf).
Ent­ge­gen einem weit ver­brei­te­ten Irr­glau­ben stel­len sich Liber­tä­re kei­nes­wegs gegen Tra­di­tio­nen und her­ge­brach­te Wer­te. Im Gegen­teil, hat uns doch der Liber­tä­re Fried­rich August von Hay­ek den Wert der Tra­di­ti­on als Wis­sens­spei­cher erst ver­ständ­lich gemacht. Über­dies recht­fer­ti­gen in unse­rem Kul­tur­kreis die Tra­di­tio­nen das Pri­vat­ei­gen­tum, in wel­chem sie umge­kehrt gedei­hen konn­ten. Tra­di­tio­nen kön­nen dem Men­schen nur von Nut­zen sein, wenn sie sich im Wett­be­werb bil­den oder bestehen. Fami­li­en­ban­de oder Ach­tung vor Auto­ri­tä­ten etwa sind nicht Selbst­zweck, son­dern von staat­li­chen Ein­grif­fen bedroh­te (Zwischen-)Ergebnisse eines sozia­len Ent­de­ckungs­ver­fah­rens und Aus­druck der Ach­tung vor Eigen­tum. Hier unter­schei­den sich Liber­tä­re vom eher kon­struk­ti­vis­ti­schen Ansatz vie­ler Kon­ser­va­ti­ver. Doch gera­de wer die Tra­di­ti­on beson­ders schätzt, soll­te sich mit der Basis­wis­sen­schaft Öko­no­mie beschäf­ti­gen und etwa dem kul­tur­kon­ser­va­ti­ven Liber­tä­ren Lud­wig von Mises fol­gen, der erklärt, war­um Staats­in­ter­ven­tio­nis­mus immer zu noch mehr Inter­ven­tio­nis­mus füh­ren muß. Folg­lich führt jeder Staat über kurz oder lang zum tota­len Staat, der spä­tes­tens dann in sei­ner all­um­fas­sen­den Tota­li­tät alle Tra­di­tio­nen zer­stört. Man ver­glei­che etwa die Ach­tung vor (nicht­staat­li­cher) Auto­ri­tät, Wer­ten, Fami­lie und Eigen­tum im Deut­schen Kai­ser­reich, in der frü­hen BRD, in der heu­ti­gen BRD und in der DDR.

Das rund­um­be­treu­te Staats­kind­chen der Öko­so­zia­lis­ten wird letzt­lich anfäl­lig für Destruk­ti­vi­tät und Gewalt, anstatt ein selbst­be­stimm­ter und selbst­be­wuß­ter Eigen­tü­mer sei­ner selbst zu sein. Selbst­haß und lin­ki­sche poli­ti­sche Nei­gun­gen tre­ten an die Stel­le von Auf­rich­tig­keit. Para­gra­phen und Rechts­beu­gung erset­zen den Hand­schlag. In Deutsch­land kommt noch der kol­lek­ti­ve Selbst­haß als neue Form des Natio­nal­be­wußt­seins hin­zu. So wur­den und wer­den auch noch die schreck­lichs­ten Kriegs­ver­bre­chen der Alli­ier­ten gegen zumeist per­sön­lich völ­lig unschul­di­ge Deut­sche, wie der Bom­ben­krieg gegen Frau­en und Kin­der oder die mil­lio­nen­fa­che Ver­trei­bung, mit einer zutiefst natio­na­lis­ti­schen Kol­lek­tiv­schuld gerecht­fer­tigt. So ent­stand ein Schuld­kult, mit dem sich die Deut­schen, geführt an dem von Armin Moh­ler beschrie­be­nen „Nasen­ring“, auch noch Mil­lio­nen­pro­gram­me zur eige­nen Indok­tri­na­ti­on auf­zwin­gen und abknöp­fen las­sen. Den­ken wir etwa an die mas­si­ve Sub­ven­tio­nie­rung von haupt­be­ruf­li­chen Anti­fa­schis­ten oder Berufs­fe­mi­nis­ten, von an der Nach­fra­ge vor­bei aus­ge­bil­de­ten Geis­tes­wis­sen­schaft­lern, die ansons­ten nur Taxi­fah­rer wären. Die­se Unter­wür­fig­keit und Selbst­ver­leum­dung hat, wie es auch der gemä­ßigt­li­ber­tä­re Hans-Olaf Hen­kel dar­legt, den tota­len Wohl­fahrts­staat in Deutsch­land erst in die­sem Umfang mög­lich gemacht.
Fas­sen wir kurz zusam­men: Ers­tens wer­den wir von Büro­kra­ten, Staats­fans, Umwelt­hys­te­ri­kern, Män­ner­has­sern und Anti­fa­schos gna­den­los und immer all­um­fas­sen­der regiert. Die Fol­ge sind zwei­tens wirt­schaft­li­che Zer­würf­nis­se, Mas­sen­ar­beits­lo­sig­keit, bal­di­ger Staats­bank­rott und Kul­tur­zer­stö­rung auf brei­ter Front. Drit­tens ist eine neue Par­tei zumin­dest zum jet­zi­gen Zeit­punkt nicht das adäqua­te Gegen­mit­tel. Was ist also zu tun?
War der Ver­weis auf den Zusam­men­schluß von Öko­lo­gis­ten und Sozia­lis­ten inner­halb der Grü­nen Par­tei völ­lig abwe­gig? Es war viel­leicht nur ein klei­ner Denk­feh­ler, der uns auf die fal­sche Fähr­te gelockt hat. Natür­lich waren näm­lich die Öko­lo­gis­ten und Sozia­lis­ten (und mit ihnen auch die Femi­nis­ten und Anti­fa­schos) im Zusam­men­schluß sehr erfolg­reich. Aber die Grü­ne Par­tei wur­de viel­leicht gar nicht des­halb so bedeu­tend, weil sich Emmas, Ökos und Sozen in ihr ver­eint haben, son­dern weil der Zeit­geist sozia­lis­tisch, öko­lo­gis­tisch und femi­nis­tisch war und ist. Und vor allem, weil er dies nicht neben­ein­an­der war und ist, son­dern gleich­zei­tig! Die meis­ten Grü­nen waren und sind bei nähe­rer Betrach­tung Staats­fans­ozen, Öko­fe­mi­nis­ten und Anti­fa­schos in einer ein­zi­gen gut­men­scheln­den Person.
Es gilt also, den Zeit­geist zu ändern. Im Vor­feld. Nicht in der Poli­tik. Dazu müs­sen wir gar nicht zum tau­sends­ten Mal Anto­nio Gramsci aus der Kis­te bemü­hen. Es reicht die Tat! Und die Pöst­chen­jä­ger wer­den sich am Ende ohne­hin von selbst des neu­en Zeit­geis­tes anneh­men, wenn er sich denn gewan­delt hat. So wie heu­te auch die meis­ten Poli­ti­ker der CDU oder der FDP mehr oder weni­ger Emmas, Ökos, Sozen und vor allem Staats­fans sind, so wer­den sie sich wan­deln, wenn wir den Zeit­geist ver­än­dert haben. Viel­leicht wer­den wir sogar den Zeit­geist soweit ver­än­dert haben, daß das poli­ti­sche Mit­tel für die Pöst­chen­jä­ger gar nicht mehr (oder nicht mehr in dem Maße) zur Ver­fü­gung steht.

Die eigent­li­che Fra­ge ist nicht der tak­ti­sche Zusam­men­schluß von Kon­ser­va­ti­ven und Liber­tä­ren. Man­che Kon­ser­va­ti­ve, die mir geschrie­ben haben, kön­nen mit per­sön­li­cher Frei­heit und mit frei­en Märk­ten nichts anfan­gen. Sie sind eigent­lich ordi­nä­re Sozi­al­de­mo­kra­ten. Und man­che Liber­tä­re – auch eini­ge Autoren in eigen­tüm­lich frei – ver­tre­ten ganz ande­re Wer­te als Kon­ser­va­ti­ve oder geben sich wert­frei. Für die ande­ren aber geht es um weit mehr, als nur um Tak­tik. Erst das Ver­schmel­zen zur gro­ßen Staats­öko­so­zi­fe­mi­an­ti­fa­scho­dok­trin hat schließ­lich die all­um­fas­sen­de heu­ti­ge Domi­nanz des rot­grü­nen Zeit­geis­tes mög­lich gemacht. Es paß­te ein­fach zusam­men. Und mei­ne The­se ist, daß auch heu­te eine Gegen­be­we­gung kom­men muß und ent­ste­hen wird, die eben­falls zusammenpaßt.
Ohne­hin ist die Geschich­te der Liber­tä­ren eine Geschich­te von Zusam­men­schlüs­sen und vor allem von neu­gie­ri­ger Tole­ranz. In Oppo­si­ti­on gegen den Viet­nam-Krieg for­mier­te sich Ende der sech­zi­ger Jah­re an ame­ri­ka­ni­schen Uni­ver­si­tä­ten eine Liai­son zwi­schen Liber­tä­ren und Sozia­lis­ten. Der heu­te welt­weit ein­fluß­reichs­te und bekann­tes­te Anarcho-Sozia­list, Noam Chom­sky, etwa bedank­te sich ein­mal dafür, daß er jah­re­lang sei­ne The­sen aus­schließ­lich in den zahl­rei­chen ame­ri­ka­ni­schen liber­tä­ren Zeit­schrif­ten publi­zie­ren durf­te. Eini­ge ehe­ma­li­ge Sozia­lis­ten sind heu­te Liber­tä­re. Die meis­ten Bünd­nis­se wur­den und wer­den aber mit Kon­ser­va­ti­ven geschlos­sen, die in den USA ohne­hin tra­di­tio­nell wesent­lich staats­kri­ti­scher sind als vie­le „kon­ser­va­ti­ve“ Sozia­lis­ten in Deutschland.
Ähn­lich wie Chom­sky als „Lin­ker“ jah­re­lang bei liber­tä­ren Medi­en Asyl fand, weil es kei­ne dezi­diert anarcho-sozia­lis­ti­schen oder auch nur auf sei­ne The­sen neu­gie­ri­gen ande­ren Medi­en gab, so durf­ten und dür­fen etwa Jörg-Gui­do Hüls­mann, Gerard Rad­nitz­ky und vor allem Roland Baa­der seit vie­len Jah­ren in kon­ser­va­ti­ven deut­schen Zeit­schrif­ten publi­zie­ren, schon zu Zei­ten, als es noch kei­ne dezi­diert liber­tä­re Zeit­schrift gab. Der ver­mut­lich über vie­le Jah­re ein­zi­ge sehr wohl­wol­len­de Bericht über „Mr. Liber­ta­ri­an“ Mur­ray Roth­bard ist denn auch in Cas­par von Schrenck-Not­zings altem Cri­ticón zu fin­den. Umge­kehrt schrei­ben heu­te etwa kon­ser­va­ti­ve Theo­re­ti­ker wie Hans-Hel­muth Knüt­ter oder Josef Schüßlb­ur­ner ganz selbst­ver­ständ­lich auch in eigen­tüm­lich frei.
Auf bei­den Sei­ten ist also Offen­heit und Neu­gier­de vor­han­den. Eine geis­ti­ge Offen­heit, die der staats­tra­gen­den „Lin­ken“ zumin­dest in Deutsch­land heu­te völ­lig fehlt. Den­ker wie Chom­sky gibt es hier­zu­lan­de gar nicht, sozia­lis­tisch und frei­heit­lich zusam­men wird nir­gends mehr gedacht (obwohl es vor dem Zusam­men­schluß zur staats­öko­so­zia­lis­ti­schen Dok­trin kein Wider­spruch war, man sie­he etwa die Kib­bu­zim-Bewe­gung oder Proudhons Mutua­lis­mus). Die heu­ti­gen Theo­rie­zeit­schrif­ten der „Lin­ken“ bestechen durch geis­ti­ge Ödnis, sat­te Unbe­weg­lich­keit und durch Zen­sur jedes unab­hän­gi­gen neu­en Gedan­kens mit den Keu­len des Anti­fa­schis­mus, des Ver­fas­sungs­schut­zes, der poli­ti­schen und neu­er­dings der gen­der-Kor­rekt­heit.
Streit­ba­re aus­ge­wie­sen-kon­ser­va­ti­ve Grö­ßen wie Robert Michels, Orte­ga y Gas­set oder Ernst Jün­ger äußer­ten in ihrer Men­schen- und Mas­sen­skep­sis und in ihrem stol­zen Indi­vi­dua­lis­mus immer auch liber­tä­re Ideen. Umge­kehrt stellt der liber­tä­re zeit­ge­nös­si­sche Den­ker Hans-Her­mann Hop­pe in sei­nem jüngs­ten Buch Demo­cra­cy. The God that fai­led fest, daß fast alle gro­ßen liber­tä­ren Den­ker auch Kon­ser­va­ti­ve waren.
Auch wenn man­cher Satz in Hop­pes Buch nicht nur Bei­fall fin­den mag, so ist ihm doch eine ful­mi­nant kon­ser­va­tiv-liber­tä­re Streit­schrift gegen die ent­ar­te­te Demo­kra­tie gelun­gen, wel­che in Ame­ri­ka für gro­ßes Auf­se­hen und hef­ti­ge Debat­ten gesorgt hat. Die­ses Buch wird im Herbst in deut­scher Über­set­zung erschei­nen. Dann wer­den sich „Rudi Möl­le­mann“ und die­ser Arti­kel nur als klei­nes Vor­spiel erwei­sen für ein nähe­res Ken­nen­ler­nen von (struk­tur­frei­heit­li­chen) Kon­ser­va­ti­ven und (kul­tur­kon­ser­va­ti­ven) Liber­tä­ren. Ein Ken­nen­ler­nen, wel­ches sich lohnt. Neu­es könn­te wach­sen und die oben beschrie­be­ne Domi­nanz beseitigen.
Hop­pes liber­tär-kon­ser­va­ti­ve Rezep­tur, und das ist das abschlie­ßend inter­es­san­te Schlag­wort, wel­ches ich zur Weckung der Neu­gier­de auf­ein­an­der und auf die kom­men­de Dis­kus­si­on in den Raum wer­fen möch­te, heißt – Sezession!

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