Rechte Himmelsrichtung

pdf der Druckfassung aus Sezession 3 / Oktober 2003

sez_nr_3von Karlheinz Weißmann

Daß „Westen“ mehr als eine Himmelsrichtung bezeichnet und auch für eine bestimmte politische Orientierung steht, haben die langwierigen Debatten über Westbindung, Verwestlichung, westernization hinreichend deutlich gemacht. Dem gängigen Geschichtsbild folgend, kann man die Ausrichtung am Westen, also England und Frankreich, später auch den USA, als Merkmal aller deutschen Parteien betrachten, die den Versuchungen des Sonderwegs widerstanden, insbesondere Liberale und Linke. Allerdings macht die genauere Betrachtung deutlich, daß auch die Rechte in ihren Anfängen prowestlich – wenngleich aus verständlichen Gründen niemals profranzösisch – war.

Die Ver­eh­rung galt in ers­ter Linie Eng­land, zumal es Edmund Bur­ke, den Anre­ger des deut­schen Kon­ser­va­tis­mus, her­vor­ge­bracht hat­te. Vie­le Kon­ser­va­ti­ve sahen ähn­lich wie die Libe­ra­len im eng­li­schen ein Ver­fas­sungs­mo­dell, dem man nach­stre­ben soll­te, auch wenn sie den Akzent auf die stän­di­sche Tren­nung der Kam­mern leg­ten und die angeb­lich har­mo­ni­sche Ein­tracht von Par­la­ment und Kro­ne her­vor­ho­ben. Schon die Patrio­ten der Deut­schen Bewe­gung bewun­der­ten den hart­nä­cki­gen Kampf gegen die Revo­lu­ti­on, und die Erin­ne­rung an die Waf­fen­brü­der­schaft von Leip­zig und Water­loo und die Vor­stel­lung einer See­len­ver­wandt­schaft von „Fest­lands-“ und „Insel­ger­ma­nen“ hat­te im Grun­de bis zum Ende des 19. Jahr­hun­derts Bestand. Aller­dings nahm die Irri­ta­ti­on zu, und auch das Wachs­tum der eige­nen Macht ließ das Vor­bild in einem ande­ren, weni­ger güns­ti­gen Licht erschei­nen. Trotz­dem bestimm­te die deut­sche Sicht Eng­lands bis in den Ers­ten Welt­krieg hin­ein stär­ker das Gefühl ver­schmäh­ter Lie­be als der Haß auf das „per­fi­de Albion“.
Wäh­rend Eng­land tra­di­tio­nell zu den Fak­to­ren euro­päi­scher und deut­scher Poli­tik gehör­te, wird man das von den Ver­ei­nig­ten Staa­ten nicht sagen kön­nen. Trotz­dem gab es eine dem eng­li­schen Fall ähn­li­che Ambi­va­lenz in der Beur­tei­lung. Einer­seits ent­stand auf der Rech­ten schon früh eine anti­ame­ri­ka­ni­sche Kul­tur­kri­tik, die die Fremd­ar­tig­keit der neu­en Welt beton­te und sich mit kaum über­biet­ba­rer Schär­fe äußer­te, ande­rer­seits gab es in der rech­ten Intel­li­genz auch Bewun­de­rung für die Vita­li­tät und Dyna­mik der USA. Moel­ler van den Bruck – den man sonst für den „Osten“ rekla­miert – hat in der Vor­kriegs­zeit Hym­nen auf Walt Whit­man und Theo­do­re Roo­se­velt geschrie­ben und noch im Früh­jahr 1919 sein Ver­trau­en auf den Gerech­tig­keits­sinn Wil­sons gesetzt, Oswald Speng­ler glaub­te, daß Selbst­be­haup­tung im Zeit­al­ter der Zivi­li­sa­ti­on nur mög­lich sei, wenn man die Ame­ri­ka­ni­sie­rung vor­an­trieb und die dabei frei­wer­den­de Ener­gie poli­tisch nutzte.

Sol­che Auf­fas­sun­gen waren aller­dings nie­mals popu­lär, sie blie­ben dem deut­schen Gemüt und damit allen jenen fremd, die sich als des­sen Wäch­ter ver­stan­den. Seit der Roman­tik war die­ses Gemüt auch von einer „Nord­sehn­sucht“ (Richard Wolf­ram) bestimmt, die mit der Vor­stel­lung von der beson­de­ren Rein­heit und Klar­heit des Nor­dens zusam­men­hing, aber selbst­ver­ständ­lich auch von der Idee ursprüng­li­cher Gemein­sam­keit in der ger­ma­ni­schen Ver­gan­gen­heit gespeist wur­de. Die Aus­rich­tung der Eli­ten Skan­di­na­vi­ens an der deut­schen Kul­tur konn­te den Ein­druck erwe­cken, als ob die­se Sym­pa­thie erwi­dert wür­de. Aber eine nüch­ter­ne Bestands­auf­nah­me hät­te dar­über beleh­ren kön­nen, daß sich Däne­mark, Schwe­den und Nor­we­gen seit der Zwi­schen­kriegs­zeit poli­tisch immer stär­ker an den Sie­ger­mäch­ten ori­en­tier­ten. Die Völ­ki­schen hat das an ihrer Nei­gung für die vagi­na popul­orum (Olav Rud­beck) nicht irre wer­den las­sen, wäh­rend umge­kehrt der Lob­preis des Nor­dens bei vie­len, die die eigen­tüm­li­che his­to­ri­sche Unfrucht­bar­keit die­ses Bodens wahr­nah­men, Skep­sis wach­sen ließ.
Ernst Jün­ger sprach im Hin­blick auf die Völ­ki­schen von einem „unan­ge­neh­men Bar­den­ty­pus“, der ihm anfangs sogar den Blick auf die natür­li­che Schön­heit des Nor­dens ver­stellt habe. Er selbst zog ihm, wie man sei­nen Tage­bü­chern ent­neh­men kann, den Süden vor. Die­se geo­gra­phi­sche Aus­rich­tung war für einen grö­ße­ren Teil der geis­ti­gen Rech­ten in Deutsch­land schon des­halb nahe­lie­gend, weil sie mit der natio­na­len Bil­dungs­tra­di­ti­on über­ein­stimm­te. Obwohl in der Grie­chen­land den Vor­rang behaup­te­te, gab es gleich­zei­tig eine sehr star­ke, vor allem ästhe­ti­sche Ori­en­tie­rung an Italien.
Das „heroi­sche“ Ita­li­en spiel­te dafür eine Rol­le mit sei­nen Land­schaf­ten und ein­drucks­vol­len Denk­mä­lern. Neben den Über­res­ten der Anti­ke und der Renais­sance inter­es­sier­te man sich aber auch für das lan­ge ver­nach­läs­sig­te mit­tel­al­ter­li­che Ita­li­en. Mit der Wie­der­ent­de­ckung der Stau­fer war es im 19. Jahr­hun­dert in den Blick gekom­men, nähr­te ghi­bel­li­ni­sche Träu­me oder bot die Mög­lich­keit, sich am tra­gi­schen Schick­sal von Man­fred und Kon­ra­din zu erbau­en. Nach dem Zusam­men­bruch des Kai­ser­reichs wand­te man sich stär­ker einer Gestalt zu, die bis dahin eher irri­tier­te wegen ihrer fremd­ar­ti­gen – wenn man so will: undeut­schen – Züge. Nietz­sche hat­te zwar in Fried­rich II. den Vor­läu­fer des von ihm bewun­der­ten Renais­sance­men­schen gese­hen, aber erst Ernst Kan­to­ro­wicz gab in ihm das Mus­ter des deut­schen Ret­ters. Die Nie­der­le­gung eines Kran­zes an Fried­richs Sarg in Paler­mo mit der Inschrift „Sei­nen Kai­sern und Hel­den – das gehei­me Deutsch­land“, die im Vor­spann des Buches von Kan­to­ro­wicz erwähnt wird, war selbst ein mythen­zeu­gen­der Akt.
Jün­gers Lie­be zum Süden stand in deut­li­cher Span­nung zu sei­nen poli­ti­schen Idea­len, die ihn Ende der zwan­zi­ger Jah­re an die Sei­te des „Natio­nal­bol­sche­wis­ten“ Ernst Nie­kisch geführt hat­ten. Der Natio­nal­bol­sche­wis­mus bil­de­te inner­halb der Rech­ten eine am Rand ste­hen­de, aber intel­lek­tu­ell glän­zen­de Frak­ti­on. Das macht ver­ständ­lich, war­um er immer etwas Irr­lich­tern­des hat­te und nie ganz deut­lich wur­de, ob die For­de­rung nach Ost­ori­en­tie­rung nur in der Tra­di­ti­on preu­ßi­scher Staats­rai­son stand, oder ob man außer­dem Sym­pa­thien für eine kol­lek­ti­vis­ti­sche Neu­ord­nung der Gesell­schaft heg­te. Auch wenn die Ver­knüp­fung mit der Hoff­nung auf eine sla­wisch-bar­ba­ri­sche Erneue­rung Gesamt­eu­ro­pas (die Unter­gangs­pro­phe­ten des 19. Jahr­hun­derts wie Ernst von Lasaulx gehegt hat­ten) mög­lich war, gab es für sol­che Posi­tio­nen nie­mals eine brei­te­re Gefolg­schaft. Dage­gen hiel­ten sich bis in die Zeit nach der Wie­der­ver­ei­ni­gung im kon­ser­va­ti­ven Lager Anhän­ger einer real­po­li­ti­schen Ost­ori­en­tie­rung, die eine Tau­rog­gen- oder Rapal­lo-Lösung der natio­na­len Fra­ge vor­ge­zo­gen hätten.
Deutsch­land als Land der Mit­te brach­te, wenn auch erst spät, ein beson­ders kla­res Bewußt­sein vom Zusam­men­hang zwi­schen Geo­gra­phie und Poli­tik her­vor. Dar­über hin­aus erzeug­te die Zen­tral­la­ge ein vita­les Inter­es­se an den Nach­barn und eine beson­de­re Lei­den­schaft für das Über­set­zen und die Her­stel­lung von Bezie­hun­gen. Es ist nahe­lie­gend, daß die Welt­an­schau­un­gen von all­dem nicht aus­ge­nom­men blieben.

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