pdf der Druckfassung aus Sezession 3 / Oktober 2003
Für Karl Marx war die Sache eindeutig: Die Linke ist die „Partei der Unterdrückten“, die Rechte die „Partei der Unterdrücker“. Mancher Sozialist gefällt sich daher noch heute in dem Glauben, daß „Links“ prinzipiell das Gute, „Rechts“ hingegen das Böse verkörpere. Ernsthaft hingegen setzte sich das Institut für Staatspolitik (IfS) bei seiner 4. Sommerakademie mit der Frage auseinander, ob es überzeitliche Konstanten „linken“ und „rechten“ Denkens gebe oder ob diese politische „Sitzgeographie“ veraltet sei. Die französische Nouvelle Droite etwa behauptet, der wahre Gegensatz liege heute zwischen Kommunitaristen und Internationalisten, gleichgültig ob sozialistischer oder kapitalistischer Prägung. Solchen Versuchen, die Unterscheidung zwischen „links” und „rechts” aufzulösen, erteilte Karlheinz Weißmann in seinem Eingangsreferat eine Absage.
Von Ernst Nolte stammt die These, daß es zwar sehr wohl eine „ewige Linke” gebe, die im Streik ägyptischer Pyramidenbauarbeiter erstmals historisch nachweisbar sei und bis zu den modernen sozialistischen Parteien reiche. Jedoch könne von einer „ewigen Rechten” keine Rede sein. In den vergangenen 200 Jahren, stimmte Weißmann zu, kam es zu einer Reihe von Ablösungsprozessen. Und unstreitbar ist, daß bestimmte politische Positionen im Lauf der Geschichte zwischen dem Lager der Linken und dem der Rechten gewandert sind, so der Begriff der Nation oder die Forderung nach einer allgemeinen Wehrpflicht. Um trotz dieses Themen-Wanderns eine überzeitliche Scheidung der politischen Lager aufrechtzuerhalten, wird gelegentlich die Existenz eines „linken” und „rechten” Persönlichkeitstypus behauptet – was letztlich auch nicht weiterführt.
Für Weißmann bleibt als „relativ plausible Lösung” nur die Suche nach den Grundorientierungen der „linken” und „rechten” Ideologien, das „(über-)optimistische” Menschenbild der Linken und ein eher „pessimistisches” oder „skeptisches” der Rechten. Als Konstante einer „rechten” Überzeugung sieht Weißmann die Auffassung an, daß der Mensch grundsätzlich gut wie auch böse sein könne. Überoptimistische Entwürfe vom Menschen scheiterten dagegen regelmäßig in der Praxis. So begannen die meisten linken Regime emanzipatorisch, tendierten jedoch bald in Richtung einer „Erziehungsdiktatur” zwecks Schaffung des „Neuen Menschen”.
Zu einer weiteren Konstante des Gegensatzes von „links” und „rechts” zählte Weißmann die widerstreitenden Definitionen von Gerechtigkeit. Der Gerechtigkeitsbegriff der Rechten differenziere, indem er „jedem das Seine” zuweise, zum Beispiel eine Entlohnung nach Leistung und Verdienst befürworte. „Links” dagegen sei die Forderung, grundsätzlich „jedem das Gleiche” zu geben. Im Ergebnis bedeutet dies oft Gleichmacherei. Nicht bloß Chancengleichheit, sondern Gleichheit der Ergebnisse wird von Linken als „gerecht” und erstrebenswert empfunden.
In der anschließenden Diskussion beharrte Weißmann darauf, daß die eindimensionale Skalierung des politischen Spektrums entlang der Achse „links-rechts” zwar eine Vereinfachung sei, jedoch zur Orientierung notwendig. Die enorme Spannweite und Pluralität „rechten” Denkens verdeutlichten zwei Vorträge über Nikolás Gómez Dávila und Alexis de Tocqueville. Mit Akribie und Sympathie zeichnete der Historiker Till Kinzel ein Bild der komplexen Persönlichkeit des kolumbianischen Schriftstellers und „Reaktionärs” Dávila. Hingegen gilt Tocqueville gemeinhin als „Liberaler”, wie der Historiker Eberhard Straub in seinem Referat betonte. Tocqueville warnte gleichwohl früh vor einer Abwärtsspirale der demokratischen Gesellschaft in die Mediokrität. Er lobte zwar das freiheitliche System, das „dem Glück tausend neue Wege bietet”. Doch gleichzeitig mißfiel ihm die nivellierende Entwicklung. Zudem warnte Tocqueville vor dem Verlust sozialer Bindungen und Spannungen in einer atomisierten Gesellschaft. Bedeutsam ist auch heute noch die von ihm skizzierte Gefahr einer „Tyrannei der Mehrheit”. Die demokratische Gesellschaft, bemerkte Straub, huldige in der Tat allein dem Gegenwärtigen und der Befriedigung billiger Konsumgelüste.
In einem weiteren Vortrag über „Die Deutschen Bewegung” stellte Weißmann eine ins Positive gewendete Auffassung des deutschen Sonderbewußtseins vor. Dieses Sonderbewußtsein war geprägt von der Polarität romantischer und antiromantischer Positionen. Bei Beginn des Ersten Weltkrieges verdichteten sich die Vorstellungen der Deutschen Bewegung in den „Ideen von 1914“. Mit der Niederlage im Ersten Weltkrieg sahen manche Zeitgenossen auch das Ende der „Deutschen Ordnung” im Verfassungswettstreit gekommen. Allerdings wurde in der „Konservativen Revolution” der Versuch gemacht, die Konzepte der Deutschen Bewegung wieder aufzunehmen. Noch im Denken der Männer des 20. Juli sieht Weißmann Restbestände der Deutschen Bewegung, deren kulturelles Erbe erst durch die reeducation nach 1945 endgültig ausgetrieben werden sollte.
Der heikelsten Facette „rechten” politischen Denkens, dem Faschismus, näherte sich der Historiker Stefan Scheil. Beschwörungen des Faschismus, zitierte er Ernst Nolte, seien mittlerweile im politischen Diskurs derart inflationär gebräuchlich, daß man ihn für lebendig, mächtig und eine reale Gefahr für das liberale Staatswesen halten könne. Allerdings lassen sich auch diejenigen, die für eine Historisierung des Faschismus eintreten, zu Äußerungen hinreißen, die auf angebliche gegenwärtige „faschistische” Tendenzen verweisen. Nolte etwa schreibt im Vorwort zur Neuausgabe seines „Faschismus”-Bildbands, eine faschistische Entwicklung sei für ihn in den USA vorstellbar. Doch die Geschichte wiederhole sich nicht, unterstrich Scheil, allenfalls als Farce.
Das Ausmaß der „Faschisierung” Europas in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts selbst in abgelegenen Ländern wie Rumänien verblüfft noch heute. Nach Ansicht Scheils ist es aber schwierig, jenseits der Vorliebe der Faschisten für Uniformierung und martialisches Auftreten einen gemeinsamer Nenner der verschiedenen Faschismen zu bestimmen. Neben den „Anti”-Elementen (Antiliberalismus, Antimarxismus und der antibürgerlichen Haltung) steche als ideologisches Element vor allem der „utopische Nationalismus” hervor. Dieser komme weder von „rechts” noch von „links”, sondern sei ein eigenständiges Phänomen. Er suche, so Scheil, die Massen um das Banner einer nicht historisch begründeten, vielmehr noch zu schaffenden (daher utopischen) Nation zu scharen.
Nach dem harten ideologischen Brocken des Faschismus gab es leichtere Kost: Martin Hoschützky, Sozialhistoriker aus Hamburg, lieferte einen geschichtlichen Überblick über den Populismus als politische Kraft. Erstmals trat er in den USA Ende des neunzehnten Jahrhunderts auf, als die Peoples’ Party gegen die Abgehobenheit der politischen Klasse und die Verflechtung von Regierung und Großindustrie Widerstand organisierte. In Europa machte sich populistischer Protest zunächst in den siebziger Jahren in den skandinavischen Wohlfahrtsstaaten bemerkbar. Der Widerstand der Populisten richtete sich dort gegen zu hohe Steuern, bald traten zu den wirtschaftsliberalen Argumenten noch die Themen Kriminalität und Einwanderung. Hoschützky zufolge müssen mehrere Faktoren für den Erfolg von Populisten zusammentreffen: eine charismatische Führungspersönlichkeit, die gegen das angeblich verbrauchte „Kartell” der Etablierten opponiere und ein schichtenübergreifendes Mobilisierungsthema geschickt in die Medien spiele. Falls Populisten jedoch in die Regierung eintreten, müßten sie den schwierigen Spagat zwischen dem „kleinen Mann” und dem Mittelstand schaffen.
Götz Kubitschek untersuchte in seinem abschließenden Referat zur „Anatomie der Neuen Rechten” die Entwicklung dieser schillernden Strömung. Seine Hauptthese lautete, daß von einer einheitlichen „Neuen Rechten” keine Rede sein könne. Vielmehr habe der politische Gegner von der Linken unter diesem Etikett sehr verschiedene politische Gruppen mit zum Teil unvereinbaren politischen Ansätzen zusammengefaßt. So werde ein Schreckgespenst aufgebaut, das leichter zu bekämpfen sei.
Wie die konträren Diskussionen der 4. Sommerakademie des IfS zeigten, verbirgt sich hinter dem Sammelbegriff „rechts” eine gewaltige Vielfalt. Teils decken sich die politischen Ideen, teils widersprechen sie sich. Das Menschenbild und der Gerechtigkeitsbegriff verschiedener „rechter” Denker mögen Ähnlichkeiten aufweisen, doch wie nahe stehen sich ein elitärer „Reaktionär” und der die Massen betörende „Populist” tatsächlich?