Rechts – 4. Sommerakademie des IfS

pdf der Druckfassung aus Sezession 3 / Oktober 2003

pdf der Druck­fas­sung aus Sezes­si­on 3 / Okto­ber 2003

sez_nr_3von Phil­ip Plickert

Für Karl Marx war die Sache ein­deu­tig: Die Lin­ke ist die „Par­tei der Unter­drück­ten“, die Rech­te die „Par­tei der Unter­drü­cker“. Man­cher Sozia­list gefällt sich daher noch heu­te in dem Glau­ben, daß „Links“ prin­zi­pi­ell das Gute, „Rechts“ hin­ge­gen das Böse ver­kör­pe­re. Ernst­haft hin­ge­gen setz­te sich das Insti­tut für Staats­po­li­tik (IfS) bei sei­ner 4. Som­mer­aka­de­mie mit der Fra­ge aus­ein­an­der, ob es über­zeit­li­che Kon­stan­ten „lin­ken“ und „rech­ten“ Den­kens gebe oder ob die­se poli­ti­sche „Sitz­geo­gra­phie“ ver­al­tet sei. Die fran­zö­si­sche Nou­vel­le Droi­te etwa behaup­tet, der wah­re Gegen­satz lie­ge heu­te zwi­schen Kom­mu­ni­ta­ris­ten und Inter­na­tio­na­lis­ten, gleich­gül­tig ob sozia­lis­ti­scher oder kapi­ta­lis­ti­scher Prä­gung. Sol­chen Ver­su­chen, die Unter­schei­dung zwi­schen „links” und „rechts” auf­zu­lö­sen, erteil­te Karl­heinz Weiß­mann in sei­nem Ein­gangs­re­fe­rat eine Absage.
Von Ernst Nol­te stammt die The­se, daß es zwar sehr wohl eine „ewi­ge Lin­ke” gebe, die im Streik ägyp­ti­scher Pyra­mi­den­bau­ar­bei­ter erst­mals his­to­risch nach­weis­bar sei und bis zu den moder­nen sozia­lis­ti­schen Par­tei­en rei­che. Jedoch kön­ne von einer „ewi­gen Rech­ten” kei­ne Rede sein. In den ver­gan­ge­nen 200 Jah­ren, stimm­te Weiß­mann zu, kam es zu einer Rei­he von Ablö­sungs­pro­zes­sen. Und unstreit­bar ist, daß bestimm­te poli­ti­sche Posi­tio­nen im Lauf der Geschich­te zwi­schen dem Lager der Lin­ken und dem der Rech­ten gewan­dert sind, so der Begriff der Nati­on oder die For­de­rung nach einer all­ge­mei­nen Wehr­pflicht. Um trotz die­ses The­men-Wan­derns eine über­zeit­li­che Schei­dung der poli­ti­schen Lager auf­recht­zu­er­hal­ten, wird gele­gent­lich die Exis­tenz eines „lin­ken” und „rech­ten” Per­sön­lich­keits­ty­pus behaup­tet – was letzt­lich auch nicht weiterführt.
Für Weiß­mann bleibt als „rela­tiv plau­si­ble Lösung” nur die Suche nach den Grund­ori­en­tie­run­gen der „lin­ken” und „rech­ten” Ideo­lo­gien, das „(über-)optimistische” Men­schen­bild der Lin­ken und ein eher „pes­si­mis­ti­sches” oder „skep­ti­sches” der Rech­ten. Als Kon­stan­te einer „rech­ten” Über­zeu­gung sieht Weiß­mann die Auf­fas­sung an, daß der Mensch grund­sätz­lich gut wie auch böse sein kön­ne. Über­op­ti­mis­ti­sche Ent­wür­fe vom Men­schen schei­ter­ten dage­gen regel­mä­ßig in der Pra­xis. So began­nen die meis­ten lin­ken Regime eman­zi­pa­to­risch, ten­dier­ten jedoch bald in Rich­tung einer „Erzie­hungs­dik­ta­tur” zwecks Schaf­fung des „Neu­en Menschen”.
Zu einer wei­te­ren Kon­stan­te des Gegen­sat­zes von „links” und „rechts” zähl­te Weiß­mann die wider­strei­ten­den Defi­ni­tio­nen von Gerech­tig­keit. Der Gerech­tig­keits­be­griff der Rech­ten dif­fe­ren­zie­re, indem er „jedem das Sei­ne” zuwei­se, zum Bei­spiel eine Ent­loh­nung nach Leis­tung und Ver­dienst befür­wor­te. „Links” dage­gen sei die For­de­rung, grund­sätz­lich „jedem das Glei­che” zu geben. Im Ergeb­nis bedeu­tet dies oft Gleich­ma­che­rei. Nicht bloß Chan­cen­gleich­heit, son­dern Gleich­heit der Ergeb­nis­se wird von Lin­ken als „gerecht” und erstre­bens­wert empfunden.
In der anschlie­ßen­den Dis­kus­si­on beharr­te Weiß­mann dar­auf, daß die ein­di­men­sio­na­le Ska­lie­rung des poli­ti­schen Spek­trums ent­lang der Ach­se „links-rechts” zwar eine Ver­ein­fa­chung sei, jedoch zur Ori­en­tie­rung not­wen­dig. Die enor­me Spann­wei­te und Plu­ra­li­tät „rech­ten” Den­kens ver­deut­lich­ten zwei Vor­trä­ge über Nikolás Gómez Dávila und Alexis de Toc­que­ville. Mit Akri­bie und Sym­pa­thie zeich­ne­te der His­to­ri­ker Till Kin­zel ein Bild der kom­ple­xen Per­sön­lich­keit des kolum­bia­ni­schen Schrift­stel­lers und „Reak­tio­närs” Dávila. Hin­ge­gen gilt Toc­que­ville gemein­hin als „Libe­ra­ler”, wie der His­to­ri­ker Eber­hard Straub in sei­nem Refe­rat beton­te. Toc­que­ville warn­te gleich­wohl früh vor einer Abwärts­spi­ra­le der demo­kra­ti­schen Gesell­schaft in die Medio­kri­tät. Er lob­te zwar das frei­heit­li­che Sys­tem, das „dem Glück tau­send neue Wege bie­tet”. Doch gleich­zei­tig miß­fiel ihm die nivel­lie­ren­de Ent­wick­lung. Zudem warn­te Toc­que­ville vor dem Ver­lust sozia­ler Bin­dun­gen und Span­nun­gen in einer ato­mi­sier­ten Gesell­schaft. Bedeut­sam ist auch heu­te noch die von ihm skiz­zier­te Gefahr einer „Tyran­nei der Mehr­heit”. Die demo­kra­ti­sche Gesell­schaft, bemerk­te Straub, hul­di­ge in der Tat allein dem Gegen­wär­ti­gen und der Befrie­di­gung bil­li­ger Konsumgelüste.

In einem wei­te­ren Vor­trag über „Die Deut­schen Bewe­gung” stell­te Weiß­mann eine ins Posi­ti­ve gewen­de­te Auf­fas­sung des deut­schen Son­der­be­wußt­seins vor. Die­ses Son­der­be­wußt­sein war geprägt von der Pola­ri­tät roman­ti­scher und anti­ro­man­ti­scher Posi­tio­nen. Bei Beginn des Ers­ten Welt­krie­ges ver­dich­te­ten sich die Vor­stel­lun­gen der Deut­schen Bewe­gung in den „Ideen von 1914“. Mit der Nie­der­la­ge im Ers­ten Welt­krieg sahen man­che Zeit­ge­nos­sen auch das Ende der „Deut­schen Ord­nung” im Ver­fas­sungs­wett­streit gekom­men. Aller­dings wur­de in der „Kon­ser­va­ti­ven Revo­lu­ti­on” der Ver­such gemacht, die Kon­zep­te der Deut­schen Bewe­gung wie­der auf­zu­neh­men. Noch im Den­ken der Män­ner des 20. Juli sieht Weiß­mann Rest­be­stän­de der Deut­schen Bewe­gung, deren kul­tu­rel­les Erbe erst durch die ree­du­ca­ti­on nach 1945 end­gül­tig aus­ge­trie­ben wer­den sollte.
Der hei­kels­ten Facet­te „rech­ten” poli­ti­schen Den­kens, dem Faschis­mus, näher­te sich der His­to­ri­ker Ste­fan Scheil. Beschwö­run­gen des Faschis­mus, zitier­te er Ernst Nol­te, sei­en mitt­ler­wei­le im poli­ti­schen Dis­kurs der­art infla­tio­när gebräuch­lich, daß man ihn für leben­dig, mäch­tig und eine rea­le Gefahr für das libe­ra­le Staats­we­sen hal­ten kön­ne. Aller­dings las­sen sich auch die­je­ni­gen, die für eine His­to­ri­sie­rung des Faschis­mus ein­tre­ten, zu Äuße­run­gen hin­rei­ßen, die auf angeb­li­che gegen­wär­ti­ge „faschis­ti­sche” Ten­den­zen ver­wei­sen. Nol­te etwa schreibt im Vor­wort zur Neu­aus­ga­be sei­nes „Faschismus”-Bildbands, eine faschis­ti­sche Ent­wick­lung sei für ihn in den USA vor­stell­bar. Doch die Geschich­te wie­der­ho­le sich nicht, unter­strich Scheil, allen­falls als Farce.
Das Aus­maß der „Faschi­sie­rung” Euro­pas in der ers­ten Hälf­te des zwan­zigs­ten Jahr­hun­derts selbst in abge­le­ge­nen Län­dern wie Rumä­ni­en ver­blüfft noch heu­te. Nach Ansicht Scheils ist es aber schwie­rig, jen­seits der Vor­lie­be der Faschis­ten für Uni­for­mie­rung und mar­tia­li­sches Auf­tre­ten einen gemein­sa­mer Nen­ner der ver­schie­de­nen Faschis­men zu bestim­men. Neben den „Anti”-Elementen (Anti­li­be­ra­lis­mus, Anti­mar­xis­mus und der anti­bür­ger­li­chen Hal­tung) ste­che als ideo­lo­gi­sches Ele­ment vor allem der „uto­pi­sche Natio­na­lis­mus” her­vor. Die­ser kom­me weder von „rechts” noch von „links”, son­dern sei ein eigen­stän­di­ges Phä­no­men. Er suche, so Scheil, die Mas­sen um das Ban­ner einer nicht his­to­risch begrün­de­ten, viel­mehr noch zu schaf­fen­den (daher uto­pi­schen) Nati­on zu scharen.
Nach dem har­ten ideo­lo­gi­schen Bro­cken des Faschis­mus gab es leich­te­re Kost: Mar­tin Hoschütz­ky, Sozi­al­his­to­ri­ker aus Ham­burg, lie­fer­te einen geschicht­li­chen Über­blick über den Popu­lis­mus als poli­ti­sche Kraft. Erst­mals trat er in den USA Ende des neun­zehn­ten Jahr­hun­derts auf, als die Peo­p­les’ Par­ty gegen die Abge­ho­ben­heit der poli­ti­schen Klas­se und die Ver­flech­tung von Regie­rung und Groß­in­dus­trie Wider­stand orga­ni­sier­te. In Euro­pa mach­te sich popu­lis­ti­scher Pro­test zunächst in den sieb­zi­ger Jah­ren in den skan­di­na­vi­schen Wohl­fahrts­staa­ten bemerk­bar. Der Wider­stand der Popu­lis­ten rich­te­te sich dort gegen zu hohe Steu­ern, bald tra­ten zu den wirt­schafts­li­be­ra­len Argu­men­ten noch die The­men Kri­mi­na­li­tät und Ein­wan­de­rung. Hoschütz­ky zufol­ge müs­sen meh­re­re Fak­to­ren für den Erfolg von Popu­lis­ten zusam­men­tref­fen: eine cha­ris­ma­ti­sche Füh­rungs­per­sön­lich­keit, die gegen das angeb­lich ver­brauch­te „Kar­tell” der Eta­blier­ten oppo­nie­re und ein schich­ten­über­grei­fen­des Mobi­li­sie­rungs­the­ma geschickt in die Medi­en spie­le. Falls Popu­lis­ten jedoch in die Regie­rung ein­tre­ten, müß­ten sie den schwie­ri­gen Spa­gat zwi­schen dem „klei­nen Mann” und dem Mit­tel­stand schaffen.
Götz Kubit­schek unter­such­te in sei­nem abschlie­ßen­den Refe­rat zur „Ana­to­mie der Neu­en Rech­ten” die Ent­wick­lung die­ser schil­lern­den Strö­mung. Sei­ne Haupt­the­se lau­te­te, daß von einer ein­heit­li­chen „Neu­en Rech­ten” kei­ne Rede sein kön­ne. Viel­mehr habe der poli­ti­sche Geg­ner von der Lin­ken unter die­sem Eti­kett sehr ver­schie­de­ne poli­ti­sche Grup­pen mit zum Teil unver­ein­ba­ren poli­ti­schen Ansät­zen zusam­men­ge­faßt. So wer­de ein Schreck­ge­spenst auf­ge­baut, das leich­ter zu bekämp­fen sei.
Wie die kon­trä­ren Dis­kus­sio­nen der 4. Som­mer­aka­de­mie des IfS zeig­ten, ver­birgt sich hin­ter dem Sam­mel­be­griff „rechts” eine gewal­ti­ge Viel­falt. Teils decken sich die poli­ti­schen Ideen, teils wider­spre­chen sie sich. Das Men­schen­bild und der Gerech­tig­keits­be­griff ver­schie­de­ner „rech­ter” Den­ker mögen Ähn­lich­kei­ten auf­wei­sen, doch wie nahe ste­hen sich ein eli­tä­rer „Reak­tio­när” und der die Mas­sen betö­ren­de „Popu­list” tatsächlich?

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