Als am Ende des 18. Jahrhunderts das Nibelungenlied wiederentdeckt wurde, schrieb der schweizerische Historiker Johannes Müller begeistert, diese Dichtung müsse zur „teutschen Ilias“ werden. Die Hoffnung erfüllte sich. Schon für die Romantik und den Vormärz war das Nibelungenlied ein Nationalepos. Entscheidendes leistete auch Wagner mit dem Ring des Nibelungen, obwohl der Stoff von ihm sehr stark verändert wurde, und für das Kaiserreich gehörte das Nibelungenlied bereits vollständig in den Kanon deutscher Mythologie.
Dabei waren es immer zwei Motive, die trotz ihres Kontrastes gleichermaßen Bedeutung hatten: das des Drachenkämpfers Siegfried und das des heroischen Untergangs der Nibelungen in Etzels Halle. Deshalb verstand jedermann, was mit der „Nibelungentreue“ des Reiches gemeint war, oder was während des Krieges ein Begriff wie „Siegfriedlinie“ bedeuten sollte, und nach der Niederlage bediente sich die „Dolchstoß“-Propaganda bewußt einer Ikonographie, die an die Ermordung Siegfrieds erinnerte.
Die Krise der nationalen Symbolik, die der Zusammenbruch ausgelöst hatte, war zu diesem Zeitpunkt schon überwunden. 1924 notierte Alfred Döblin: „Es ist jetzt die Zeit der Nibelungenrenaissance“. Der Satz bezog sich auch auf den monumentalen Film Fritz Langs, der in demselben Jahr dem Publikum vorgestellt wurde und allgemeine Begeisterung auslöste. Lang hatte zu diesem Zeitpunkt bereits einen Namen als Regisseur. 1921 war Der müde Tod aufgeführt worden und verhalf ihm zu internationaler Anerkennung, 1922 drehte er – schon in Zusammenarbeit mit seiner Frau Thea von Harbou – den Kriminalfilm Dr. Mabuse, der Spieler.
Lang verstand den Film ausdrücklich als Massenmedium und äußerte in bezug auf die Nibelungen: „Es mußte mir also darauf ankommen, in einer Form, die das Heilig-Geistige nicht banalisierte, mit den Nibelungen einen Film zu schaffen, der dem Volke gehören sollte und nicht, wie die ›Edda‹ oder das mittelhochdeutsche Heldenlied, einer im Verhältnis ganz geringen Anzahl bevorzugter und kultivierter Gehirne.“
Damit war gerade nichts gegen die politische Absicht des Films gesagt, den er ausdrücklich dem deutschen Volk widmete und der dazu dienen sollte, „… den Mythos für das 20. Jahrhundert wieder lebendig werden“ zu lassen. Bei der Uraufführung am 14. Februar 1924 hielt der Außenminister Gustav Stresemann eine Ansprache, und in der Filmwoche hieß es aus Anlaß der Premiere: „Ein geschlagenes Volk dichtet seinen kriegerischen Helden ein Epos in Bildern.“
Die Dreharbeiten für das aufwendige, aus zwei Teilen – Siegfried und Kriemhilds Rache – bestehende Werk hatten fast zwei Jahre in Anspruch genommen. Lang erklärte zwar, nicht mit der Monumentalität des amerikanischen Films in Konkurrenz treten zu wollen, aber Siegfrieds Kampf mit dem Drachen, die Burg Brunhilds inmitten eines Flammenmeers, der Nebelwald und die Tarnkappe erforderten technisches Raffinement, die Massenszenen ein ungeheures Aufgebot an Personal.
Die Realisierung der komplizierten Tricksequenz von Kriemhilds Falkentraum übertrug Lang Walter Ruttmann, der bekannt war für seine avantgardistischen Montageexperimente, als Kameramann verpflichtete er Carl Hoffmann, mit dem er schon früher zusammengearbeitet hatte. Bei der Besetzung der Hauptrollen verzichtete er ausdrücklich auf Stars, um Die Nibelungen in bewußt stilisierten Bildern ohne psychologische Note zu erzählen.
Das von Thea von Harbou geschriebene Drehbuch kam dieser Intention entgegen durch Vereinfachung der Charaktere. Der strengen Polarität von Gut und Böse entsprach die symbolische Bedeutung von Hell und Dunkel. Im ersten Teil sind Hagen und Brunhild schwarz gekleidet, Siegfried und Kriemhild tragen weiße Kostüme. Grau ist die Farbe Königs Gunthers, um seine unentschiedene Position zu kennzeichnen. Im zweiten Teil trägt die rächende Kriemhild ein schwarzes Gewand.
Im ersten Teil ist Siegfried der Held, an dem kein Makel ist, dessen Tod das Schicksal aber vorgezeichnet hat, im zweiten Teil ist Kriemhild zwar von heroischem Glanz umgeben, aber doch unmäßig in ihrer Rache. Dominiert im ersten Teil die geordnete Welt, von der Kamera in langen ruhigen Sequenzen erfaßt, so wird im zweiten Teil die Starre und Bewegungslosigkeit aufgebrochen und mündet schließlich in einem apokalyptischen, fünfundvierzig Minuten andauernden Massaker.
Der Eindruck von Monumentalität, den Lang erzeugte, kam vor allem durch die „Stimmungsarchitektur“ des Films zustande, die nach dem Konzept der Bühnenbilder Max Reinhardts entworfen worden war, und es erlaubte, die Schauspieler in übergroßen Räumen agieren zu lassen. Die kunstvolle Lichtdramaturgie tat ein übriges, die Wirkung zu verstärken und Szenen zu entwerfen, die Lang häufig ganz bewußt an Motive der Malerei von Max Klinger oder Arnold Böcklin angelehnt hatte.
Die Nibelungen machten Lang zu einem der wichtigsten deutschen Regisseure. Auch seine folgenden Arbeiten wie etwa der berühmte Film Metropolis waren große Erfolge. Die Karriere schien allerdings mit der nationalsozialistischen Machtübernahme beendet. Einige der jüngeren Produktionen Langs – Die Frau im Mond und M – Mörder unter uns – wurden verboten. Dagegen schätzte Hitler Die Nibelungen sehr und unterstützte die Herstellung einer vertonten Fassung des ersten Teils; die Aufführung von Kriemhilds Rache blieb bezeichnender Weise untersagt. Lang selbst, der jetzt als „Halbjude“ galt, verließ Deutschland bereits 1933.
Wie glaubwürdig seine Behauptung ist, Goebbels habe ihm die Stelle eines Reichsfilmintendanten angeboten, bleibt dahingestellt. Lang emigrierte zuerst nach Frankreich, dann in die USA, um in Hollywood seine Arbeit fortzusetzen. Obwohl auch später in seinen Filmen – bis hin zu Der Tiger von Eschnapur – großartige Kulissen und Massenszenen eine Rolle spielten, hat er alles getan, um die Erinnerung an den Nibelungen-Film vergessen zu machen oder doch dem Vorwurf zu begegnen, es habe sich um eine Frühform von „Naziästhetik“ gehandelt; in einem wenige Jahre vor seinem Tod 1976 geschriebenen Brief stellte Lang allen Ernstes die Behauptung auf, es sei ihm darum gegangen, den Untergang des „Kapitalismus“ metaphorisch vorweg zu nehmen.
Trotz des Erfolgs der Nibelungen und der relativ großen Zahl von Kopien, die angefertigt wurden, überlebte der Film nur in verstümmelten Fassungen. Erst nachdem man in den achtziger Jahren ausgerechnet in Moskauer Archiven ein vollständiges Exemplar des ersten Teils gefunden hatte und aus insgesamt fünf erhaltenen Kopien den zweiten rekonstruieren konnte, war das Münchener Filmmuseum in der Lage, das Original wiederherzustellen.
Auf dieser Grundlage wurden jetzt zwei DVDs produziert, die neben dem vollständigen Film Aufnahmen von Fritz Lang am Set, Zeichungen des Produktions-Designs sowie der Effekte von Erich Kettelhut und einen Vergleich zweier Drachen-Sequenzen (in Siegfried und dem gleichfalls 1924 uraufgeführten Thief of Bagdad) enthalten. Dem Film wurde außerdem wieder die originale Musik von Gottfried Huppertz beigegeben.
Es gehört zu den Merkwürdigkeiten unserer kulturellen Lage, daß damit einer der großen deutschen Filme für den Interessierten nur mit englischen Texttafeln zur Verfügung steht. Offenbar ist man hierzulande kaum an diesem Erbe interessiert und zieht es vor, die in den sechziger Jahren entstandene, qualitativ gar nicht vergleichbare Fassung der Nibelungen dem Publikum wie jedes beliebige Sandalenopus zu präsentieren.