“…den Mythos für das 20. Jahrhundert wieder lebendig werden lassen”

pdf der Druckfassung aus Sezession 1 / April 2003

von Karlheinz Weißmann

Fritz Langes Klassiker Die Nibelungen steht jetzt in einer DVD-Fassung zur Verfügung

Als am Ende des 18. Jahr­hun­derts das Nibe­lun­gen­lied wie­der­ent­deckt wur­de, schrieb der schwei­ze­ri­sche His­to­ri­ker Johan­nes Mül­ler begeis­tert, die­se Dich­tung müs­se zur „teut­schen Ili­as“ wer­den. Die Hoff­nung erfüll­te sich. Schon für die Roman­tik und den Vor­märz war das Nibe­lun­gen­lied ein Natio­nal­epos. Ent­schei­den­des leis­te­te auch Wag­ner mit dem Ring des Nibe­lun­gen, obwohl der Stoff von ihm sehr stark ver­än­dert wur­de, und für das Kai­ser­reich gehör­te das Nibe­lun­gen­lied bereits voll­stän­dig in den Kanon deut­scher Mythologie.

Dabei waren es immer zwei Moti­ve, die trotz ihres Kon­tras­tes glei­cher­ma­ßen Bedeu­tung hat­ten: das des Dra­chen­kämp­fers Sieg­fried und das des heroi­schen Unter­gangs der Nibe­lun­gen in Etzels Hal­le. Des­halb ver­stand jeder­mann, was mit der „Nibe­lun­gen­treue“ des Rei­ches gemeint war, oder was wäh­rend des Krie­ges ein Begriff wie „Sieg­fried­li­nie“ bedeu­ten soll­te, und nach der Nie­der­la­ge bedien­te sich die „Dolchstoß“-Propaganda bewußt einer Iko­no­gra­phie, die an die Ermor­dung Sieg­frieds erinnerte.

Die Kri­se der natio­na­len Sym­bo­lik, die der Zusam­men­bruch aus­ge­löst hat­te, war zu die­sem Zeit­punkt schon über­wun­den. 1924 notier­te Alfred Döb­lin: „Es ist jetzt die Zeit der Nibe­lun­gen­re­nais­sance“. Der Satz bezog sich auch auf den monu­men­ta­len Film Fritz Langs, der in dem­sel­ben Jahr dem Publi­kum vor­ge­stellt wur­de und all­ge­mei­ne Begeis­te­rung aus­lös­te. Lang hat­te zu die­sem Zeit­punkt bereits einen Namen als Regis­seur. 1921 war Der müde Tod auf­ge­führt wor­den und ver­half ihm zu inter­na­tio­na­ler Aner­ken­nung, 1922 dreh­te er – schon in Zusam­men­ar­beit mit sei­ner Frau Thea von Har­bou – den Kri­mi­nal­film Dr. Mabu­se, der Spie­ler.

Lang ver­stand den Film aus­drück­lich als Mas­sen­me­di­um und äußer­te in bezug auf die Nibe­lun­gen: „Es muß­te mir also dar­auf ankom­men, in einer Form, die das Hei­lig-Geis­ti­ge nicht bana­li­sier­te, mit den Nibe­lun­gen einen Film zu schaf­fen, der dem Vol­ke gehö­ren soll­te und nicht, wie die ›Edda‹ oder das mit­tel­hoch­deut­sche Hel­den­lied, einer im Ver­hält­nis ganz gerin­gen Anzahl bevor­zug­ter und kul­ti­vier­ter Gehirne.“

Damit war gera­de nichts gegen die poli­ti­sche Absicht des Films gesagt, den er aus­drück­lich dem deut­schen Volk wid­me­te und der dazu die­nen soll­te, „… den Mythos für das 20. Jahr­hun­dert wie­der leben­dig wer­den“ zu las­sen. Bei der Urauf­füh­rung am 14. Febru­ar 1924 hielt der Außen­mi­nis­ter Gus­tav Stre­se­mann eine Anspra­che, und in der Film­wo­che hieß es aus Anlaß der Pre­mie­re: „Ein geschla­ge­nes Volk dich­tet sei­nen krie­ge­ri­schen Hel­den ein Epos in Bildern.“

Die Dreh­ar­bei­ten für das auf­wen­di­ge, aus zwei Tei­len – Sieg­fried und Kriem­hilds Rache – bestehen­de Werk hat­ten fast zwei Jah­re in Anspruch genom­men. Lang erklär­te zwar, nicht mit der Monu­men­ta­li­tät des ame­ri­ka­ni­schen Films in Kon­kur­renz tre­ten zu wol­len, aber Sieg­frieds Kampf mit dem Dra­chen, die Burg Brun­hilds inmit­ten eines Flam­men­meers, der Nebel­wald und die Tarn­kap­pe erfor­der­ten tech­ni­sches Raf­fi­ne­ment, die Mas­sen­sze­nen ein unge­heu­res Auf­ge­bot an Personal.

Die Rea­li­sie­rung der kom­pli­zier­ten Trick­se­quenz von Kriem­hilds Fal­ken­traum über­trug Lang Wal­ter Rutt­mann, der bekannt war für sei­ne avant­gar­dis­ti­schen Mon­ta­ge­ex­pe­ri­men­te, als Kame­ra­mann ver­pflich­te­te er Carl Hoff­mann, mit dem er schon frü­her zusam­men­ge­ar­bei­tet hat­te. Bei der Beset­zung der Haupt­rol­len ver­zich­te­te er aus­drück­lich auf Stars, um Die Nibe­lun­gen in bewußt sti­li­sier­ten Bil­dern ohne psy­cho­lo­gi­sche Note zu erzählen.

Das von Thea von Har­bou geschrie­be­ne Dreh­buch kam die­ser Inten­ti­on ent­ge­gen durch Ver­ein­fa­chung der Cha­rak­te­re. Der stren­gen Pola­ri­tät von Gut und Böse ent­sprach die sym­bo­li­sche Bedeu­tung von Hell und Dun­kel. Im ers­ten Teil sind Hagen und Brun­hild schwarz geklei­det, Sieg­fried und Kriem­hild tra­gen wei­ße Kos­tü­me. Grau ist die Far­be Königs Gun­thers, um sei­ne unent­schie­de­ne Posi­ti­on zu kenn­zeich­nen. Im zwei­ten Teil trägt die rächen­de Kriem­hild ein schwar­zes Gewand.

Im ers­ten Teil ist Sieg­fried der Held, an dem kein Makel ist, des­sen Tod das Schick­sal aber vor­ge­zeich­net hat, im zwei­ten Teil ist Kriem­hild zwar von heroi­schem Glanz umge­ben, aber doch unmä­ßig in ihrer Rache. Domi­niert im ers­ten Teil die geord­ne­te Welt, von der Kame­ra in lan­gen ruhi­gen Sequen­zen erfaßt, so wird im zwei­ten Teil die Star­re und Bewe­gungs­lo­sig­keit auf­ge­bro­chen und mün­det schließ­lich in einem apo­ka­lyp­ti­schen, fünf­und­vier­zig Minu­ten andau­ern­den Massaker.

Der Ein­druck von Monu­men­ta­li­tät, den Lang erzeug­te, kam vor allem durch die „Stim­mungs­ar­chi­tek­tur“ des Films zustan­de, die nach dem Kon­zept der Büh­nen­bil­der Max Rein­hardts ent­wor­fen wor­den war, und es erlaub­te, die Schau­spie­ler in über­gro­ßen Räu­men agie­ren zu las­sen. Die kunst­vol­le Licht­dra­ma­tur­gie tat ein übri­ges, die Wir­kung zu ver­stär­ken und Sze­nen zu ent­wer­fen, die Lang häu­fig ganz bewußt an Moti­ve der Male­rei von Max Klin­ger oder Arnold Böck­lin ange­lehnt hatte.

Die Nibe­lun­gen mach­ten Lang zu einem der wich­tigs­ten deut­schen Regis­seu­re. Auch sei­ne fol­gen­den Arbei­ten wie etwa der berühm­te Film Metro­po­lis waren gro­ße Erfol­ge. Die Kar­rie­re schien aller­dings mit der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Macht­über­nah­me been­det. Eini­ge der jün­ge­ren Pro­duk­tio­nen Langs – Die Frau im Mond und M – Mör­der unter uns – wur­den ver­bo­ten. Dage­gen schätz­te Hit­ler Die Nibe­lun­gen sehr und unter­stütz­te die Her­stel­lung einer ver­ton­ten Fas­sung des ers­ten Teils; die Auf­füh­rung von Kriem­hilds Rache blieb bezeich­nen­der Wei­se unter­sagt. Lang selbst, der jetzt als „Halb­ju­de“ galt, ver­ließ Deutsch­land bereits 1933.

Wie glaub­wür­dig sei­ne Behaup­tung ist, Goeb­bels habe ihm die Stel­le eines Reichs­film­in­ten­dan­ten ange­bo­ten, bleibt dahin­ge­stellt. Lang emi­grier­te zuerst nach Frank­reich, dann in die USA, um in Hol­ly­wood sei­ne Arbeit fort­zu­set­zen. Obwohl auch spä­ter in sei­nen Fil­men – bis hin zu Der Tiger von Eschna­pur – groß­ar­ti­ge Kulis­sen und Mas­sen­sze­nen eine Rol­le spiel­ten, hat er alles getan, um die Erin­ne­rung an den Nibe­lun­gen-Film ver­ges­sen zu machen oder doch dem Vor­wurf zu begeg­nen, es habe sich um eine Früh­form von „Nazi­äs­the­tik“ gehan­delt; in einem weni­ge Jah­re vor sei­nem Tod 1976 geschrie­be­nen Brief stell­te Lang allen Erns­tes die Behaup­tung auf, es sei ihm dar­um gegan­gen, den Unter­gang des „Kapi­ta­lis­mus“ meta­pho­risch vor­weg zu nehmen.

Trotz des Erfolgs der Nibe­lun­gen und der rela­tiv gro­ßen Zahl von Kopien, die ange­fer­tigt wur­den, über­leb­te der Film nur in ver­stüm­mel­ten Fas­sun­gen. Erst nach­dem man in den acht­zi­ger Jah­ren aus­ge­rech­net in Mos­kau­er Archi­ven ein voll­stän­di­ges Exem­plar des ers­ten Teils gefun­den hat­te und aus ins­ge­samt fünf erhal­te­nen Kopien den zwei­ten rekon­stru­ie­ren konn­te, war das Mün­che­ner Film­mu­se­um in der Lage, das Ori­gi­nal wiederherzustellen.

Auf die­ser Grund­la­ge wur­den jetzt zwei DVDs pro­du­ziert, die neben dem voll­stän­di­gen Film Auf­nah­men von Fritz Lang am Set, Zei­chun­gen des Pro­duk­ti­ons-Designs sowie der Effek­te von Erich Ket­tel­hut und einen Ver­gleich zwei­er Dra­chen-Sequen­zen (in Sieg­fried und dem gleich­falls 1924 urauf­ge­führ­ten Thief of Bag­dad) ent­hal­ten. Dem Film wur­de außer­dem wie­der die ori­gi­na­le Musik von Gott­fried Hup­pertz beigegeben.

Es gehört zu den Merk­wür­dig­kei­ten unse­rer kul­tu­rel­len Lage, daß damit einer der gro­ßen deut­schen Fil­me für den Inter­es­sier­ten nur mit eng­li­schen Text­ta­feln zur Ver­fü­gung steht. Offen­bar ist man hier­zu­lan­de kaum an die­sem Erbe inter­es­siert und zieht es vor, die in den sech­zi­ger Jah­ren ent­stan­de­ne, qua­li­ta­tiv gar nicht ver­gleich­ba­re Fas­sung der Nibe­lun­gen dem Publi­kum wie jedes belie­bi­ge San­da­le­no­pus zu präsentieren.

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