Bettelheim soll geantwortet haben, daß es mit Zinnpazifisten einfach nicht zu machen sei.
Die Frage hätte abstrakter gestellt werden können: Wenn davon auszugehen ist, daß Krieg ein Konstrukt oder eine anerzogene Disposition sei, warum ist er dann noch nicht aberzogen? Oder knapper: „Krieg – nur eine Erfindung?“ So fragte der Historiker Karlheinz Weißmann in seinem Einführungsvortrag zur 3. Winterakademie des Instituts für Staatspolitik (IfS), die Ende Februar zum Thema „Krieg“ veranstaltet wurde.
Weißmanns Antwort, daß Krieg keine Erfindung, sondern eine anthropologische Konstante sei, war zu erwarten: Zu Weißmanns Schutz muß auch gesagt werden, daß er die Frage nicht in der Hoffnung stellte, sie mit einem „Ja“ beantworten zu können. Zuviel stichhaltige Forschung hat den eigentlich evidenten Sachverhalt erhärtet und alles Fabulieren von künstlichen und pädagogisierbaren Sozialkonstrukten wenigstens in diesem Feld widerlegt. Und doch war Weißmanns Fragestellung mit Blick auf die Unfähigkeit der deutschen Politik, politisch zu denken, richtig gestellt und verriet etwas über den pädagogischen Ansatz der für ein junges Publikum konzipierten Akademie.
Um zu erklären, worum es Weißmann – und damit dem Institut für Staatspolitik – ging, könnte es hilfreich sein, ihn selbst einer der Grundeinstellungen zuzuordnen, die er in seinem Vortrag beschrieb. Daß es angesichts der außergewöhnlichen Bedeutung des Krieges für die Geschichte des Menschen unabdingbar sei, sich zu diesem Phänomen zu verhalten, führt zu vier idealtypischen Positionen: Der absolute Bellizismus, das heißt die Auffassung, daß der Krieg „natürlich“ und insofern gerechtfertigt sei, und der relative Bellizismus, der den Krieg für ein notwendiges Übel hält, das eben nicht nur negative Seiten hat, sondern auch als „Stahlbad“ der Völker dient, stehen den beiden pazifistischen Positionen gegenüber: Hier ist der relative Pazifismus noch bereit, den Krieg als ultima ratio zu begreifen, wobei möglichst alle militärischen Aktionen vermieden werden sollten. Kompromißlos gegen jedwede Gewaltanwendung – und damit auch gegen den Krieg – tritt hingegen der absolute Pazifismus an.
Wie immer berühren sich die Extreme wie die Enden eines Hufeisens. Beiden absoluten Haltungen hängt etwas Religiöses an, etwas von der Politik Gelöstes: Wenn der absolute Bellizist um des Töten willens tötet und seinen Urtrieb feiert, ist er nicht weit entfernt vom absoluten Pazifisten, der die „Ethische Irrationalität“ (Max Weber) der Welt nicht erträgt und sich zur Tatenlosigkeit verdammt. Politisch in dem Sinne, daß Krieg und Politik aufeinander bezogen und in ihrem Verhältnis nicht entfremdet begriffen würden, sind nur die beiden mittleren Positionen.
Hier hat auch das Denken Weißmanns seinen Platz: Es ist politisch, kreist um das Machbare und kann dem Lager des relativen Bellizismus zugeordnet werden, weil es an anderer Stelle – und im Verlauf der Akademie ebenfalls immer wieder – die Dekadenz als eines der Grundübel deutscher Staatlichkeit ausmacht. Krieg, Auseinandersetzung an sich sind dann Antriebskräfte einer Wiederbelebung altruistischer Tugenden wie Selbstlosigkeit und Kameradschaft.
So zu denken, folgt dem Beispiel von Moltkes, der den berühmten Satz sprach: „Der ewige Friede ist ein Traum, und nicht einmal ein schöner“, mißverstanden und ausgebeutet ohne seine Fortsetzung: „Ohne Krieg würde die Welt dem Materialismus verfallen“. Moltke verrät sich mit solchen Worten als Vertreter des relativen Bellizismus. Daß der Verfall kategorischer Ordnungen und die damit einhergehende Dekadenz bereits einmal eine halbe Generation zu absoluten Bellizisten gemacht hatte, beschrieb der Germanist Frank Lisson in seinem Vortrag über „Die schönen Gedanken, die töten“.
Es waren eben nicht nur ein paar Einzelne, die sich auf „blutbetauten Wiesen“ (Ernst Jünger) eine Revitalisierung ihrer eigenen Substanz und der ihrer Nation erhofften. Weißmanns Vortrag ist – in stark gekürzter Fassung – in diesem Heft dokumentiert (S. 14–19). Auch der sicherheitspolitische Berater der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Erich Vad, hat seine Gedanken über „Friedenssicherung und Geopolitik im Denken Carl Schmitts“ (S. 20–25) auf der Akademie des IfS vorgetragen, ebenso Oberst a. D. Klaus Hammel sein Autorenportrait über den israelischen Militärtheoretiker Martin van Creveld (S. 2–7).
Und gerade Vad verwirrte, weil er völlig unvoreingenommen den „jüngsten Klassiker des politischen Denkens“ (Bernhard Willms) auf die ganz aktuelle Außenpolitik der Bundesrepublik bezog: Vad zerlegte Joschka Fischer mit Carl Schmitt, ohne sich durch die zeitweilige Nähe Schmitts zum NS dessen Denken von vornherein zu verbieten. Gleichzeitig aber plädierte Vad beinahe vehement für einen fairen Blick auf die USA und für einen analytischen, lernbegierigen Blick auf ein gerade aus staatspolitischer Sicht faszinierendes Phänomen: daß es nämlich den Vereinigten Staaten gelungen sei, über einen nationalen Mythos im Ernstfall eine homogene Mobilisierung ihrer völlig heterogenen Bevölkerung zu bewerkstelligen.
Daß das Imperium dabei sei, die ohnehin schon brüchige internationale Rechtsordnung zu pulverisieren, war neben dem realpolitischen Ansatz der zweite rote Faden der Winterakademie. Der Historiker Dag Krienen von der „Deprivatisierung zur Reprivatisierung des Kriegs“. Wie kann die Errungenschaft einer „Hegung des Kriegs“ erhalten bleiben, wenn der Krieg absolut wird und das Zivilleben in einer totalen Mobilmachung den selben Arbeitscharakter annimmt wie die Streitkräfte? Eine Diskussion der Thesen des Buchs Der Brand von Jörg Friedrich zeigte, daß genau diese Analyse einer totalen Mobilmachung zur Konzeption einer flächenhaften Störung und Zerstörung des Räderwerks „Stadt“ geführt habe.
Mittlerweile sind die Methoden feiner geworden: Ein Vortrag über den „Offensiven Informationskrieg“, entlang der Analysen von Gebhard Geiger (siehe in diesem Heft S. 26–31), zeigte, daß im Zeitalter des Angriffs ohne Vorwarnzeit die einzige Verteidigung in der Prävention liege: Neue Militärdoktrinen der USA sprechen die Notwendigkeit des Präventivkriegs in den Bereichen Proliferation, Terrorismus und vor allem des computergestützten Informationskriegs offen aus. In der Tat ist der nichterklärte Krieg auf der Ebene des Kommandounternehmens längst Realität. Das Kriegsvölkerrecht erfährt dabei eine weitere Aushöhlung, weil am Computer zwischen Kombattant und Nichtkombattant kein Unterschied mehr besteht.
Das Recht zur Prävention leitet sich dabei nicht zuletzt aus einem wichtigen Bestimmungsstück der postmodernen Kriegsführung her: der Asymmetrie. Der Aufwand, in einem Computerladen Hard- und Software zu kaufen und zu hacken steht in keinem Verhältnis zu den Schäden in den Infrastrukturbereichen eines Staates, die Ziel des Hackerangriffs waren. Mit einem Teppichmesser, einem Großraumflugzeug und einem Hochhaus verhält es sich ebenso.
So kreiste die Akademie um drei Themen: um das Verhältnis zwischen Politik und Krieg, um die Hegung und um die Asymmetrie des neuen Krieges. Daß zumindest die ersten beiden Problembereiche mit der Schwäche der Staatlichkeit und dem Aufgeben des Machtmonopols durch den Staat zu tun hätten, wurde in der Abschlußbesprechung herausgehoben.