“Deutschland”: seine Geschichte, Gegenwart und Zukunft. Veranstalter und Teilnehmer begaben sich diesmal also ins Zentrum ihrer Raison d’être.
Mit einem solchermaßen geschärften Bewußtsein mögen die inzwischen schon traditionellen, abends im Gasthof “Schäfchen” geschmetterten jugendbewegten Lieder inbrünstiger, kämpferischer und wehmütiger als sonst geklungen haben. Eine paradoxe Situation, die heute allerdings gerade für Deutschland charakteristisch ist: Wer sich heute redlich um das Ganze zu bemühen sucht, tut dies im kleinen Kreise in einem abgelegenen Rittergut in Sachsen-Anhalt, und nicht im Deutschen Bundestag. Nicht wenige der im Schnitt 30 bis 40 Teilnehmer der halbjährlichen Seminare haben sich inzwischen zu regelrechten Ein-Mann-Traditionskompanien entwickelt, von denen jeder auf seine Weise versucht, die Fackel weiterzutragen.
Die Bestandsaufnahme begann mit einem Vortrag des Anthropologen Andreas Vonderach über die genetischen Grundlagen der Deutschen als Volk. Ein Tabuthema in Zeiten, in denen die Meinungsmacher und politischen Eliten den Begriff des Volkes zunehmend in Anführungstriche setzen und seine ethnisch-biologischen Grundlagen entweder als unerheblich abtun, gänzlich leugnen oder gar mit dem Ruch des Rassismus belegen. Als einzige Realität sollen “Menschen” gelten, während kollektive Identitäten in den Bereich der Fiktion und Konstruktion verwiesen werden. Daß dieser Vorstellung harte wissenschaftliche Fakten entgegenstehen, wies Vonderach detailliert nach. Trotz aller “Ich seh etwas, was du nicht siehst”-Spielchen ist die Gesamtheit der Deutschen immer noch als genetisch nahe verwandte Abstammungsgemeinschaft identifizierbar. In dem daraufolgenden Vortrag skizzierte Institutsleiter Dr. Erik Lehnert “Die deutsche Lage”, sekundiert von Götz Kubitschek, der 10 Thesen zur Ausländerproblematik vortrug.
Am Samstag wurde vor allem der geistigen Bedeutung der großen geschichtlichen Linien nachgegangen. Dr. Karlheinz Weißmann untersuchte die wechselnden Ausformulierungen der “deutschen Frage”, die spätestens nach dem Untergang des alten Reiches aufgeworfen wurde. Im Gegensatz zu anderen politischen Existenzfragen des 19. Jahrhunderts (etwa in Bezug auf die polnische oder italienische Nation) hatte die “deutsche Frage” auch immer eine metaphysische Komponente, was in der deutschen Geistesgeschichte zu einer beispiellosen Radikalität der Bejahungen und Verwerfungen geführt hat. Heute ist es vor allem der bedingungslose Anschluß an den Westen, der in den Augen seiner Apologeten die geistigen und politischen Spannungen der “deutschen Frage” für immer befrieden soll. Denkbar ist, daß die Funken des deutschen “Daueraufstandes gegen die Weltzivilisation” tatsächlich für immer verloschen sind, und auch das physische Verschwinden der Deutschen ist inzwischen nicht mehr unvorstellbar. Damit verschwände aber auch die Idee des “Deutsch-Seins überhaupt” als “einer prinzipiellen Möglichkeit menschlicher Existenz”.
Der 1933 geborene Bildhauer und Historiker Wolf Kalz interpretierte die Vorstellung vom “Deutschen Sonderweg” als politische Selbstlegitimisierungs-Legende der Sieger zweier Weltkriege, an deren Endpunkt schließlich das “Finis Germaniae“stünde. Dabei nahm Kalz insbesondere die erzieherische und umerzieherische Rolle der Zeithistoriker ins Visier, mit deren Beihilfe die Geschichtschreibung nach einem Wort von Feldmarschall Montgomery zum “zweiten Triumph der Sieger über die Besiegten” wird. Die “Freiheit der Nation” ließe sich nur zurückgewinnen, wenn die “Legende” des “deutschen Sonderwegs” aufgehoben werde.
Etwas lockerer ging es in dem Vortrag Wolfgang Dvorak-Stockers über das Verhältnis Österreichs zu seinem größeren Bruder zu. Dvorak-Stocker zeichnete die wesentlichen historischen Gründe nach, warum in der Alpenrepublik so manche Uhr anders tickt als beim bundesdeutschen Nachbarn und in Deutschland undenkbare Phänomene wie die FPÖ hervorbringt.
Nach dem Abendessen stand wie immer ein Filmabend auf dem Programm. Anstelle des ursprünglich geplanten Veit Harlan-Films “Kolberg” (1943–45), entschlossen sich die Veranstalter, den “umstrittenen” Fernsehfilm “Wut” aus dem Jahr 2006 zu zeigen. Statt Harlans pathetisch-wehrhaften Deutschen von Damals gab es also jämmerlich-wehrlose Deutsche von Heute zu sehen – eine traurige, aber treffsichere Darstellung, die so manchem Zuschauer geradezu physische Schmerzen bereitet hat.
In dem von Züli Aladag inszenierten und von Max Eipp geschriebenen Drama wird die Familie eines linksliberalen Professors von einem jungen türkischen Dealer terrorisiert, der vollgeladen mit Sozialneid und ethnozentrischem Furor den deutschen Weicheiern das Leben zur Hölle macht. Im Gewand eines Thrillers übt “Wut” nicht nur Multikulturalismus-Kritik, sondern attackiert vor allem die sich als Toleranz und Aufgeklärtheit tarnende Feigheit der bürgerlichen Liberalen, die sich gegenüber der von ihnen geförderten multikulturellen Realität als hilflos erweisen.
Der Film seziert den identitären Rückenmarkschwund der Deutschen und den traumatischen Verlust von Männlichkeit und Väterlichkeit mit verblüffender Luzidität. Wie sehr er ins Schwarze getroffen hat, zeigten nicht zuletzt die Diskussionen unter den Seminarteilnehmern der bis in die späte Nacht reichenden Abendrunde.
Am Sonntag vormittag passierte Ulrich March in schwungvoller freier Rede die “Schlüsselereignisse der deutschen Geschichte” von der Kaiserkrönung von König Otto I. im Jahre 962 bis zu dem immer noch in den Knochen der Deutschen sitzenden “politisch-psychologischen Trauma” der “Katastrophe von 1945”. March rief zum Mut und zur “Gelassenheit” auf, denn der Pendelschlag der deutschen Geschichte zeige, daß das deutsche Volk “schon wiederholt ausweglos erscheinende Situationen erlebt” und überlebt hätte. Für den kurzfristig verhinderten Dr. Steffen Dietzsch sprang abschließend Dr. Karlheinz Weissmann mit einem anekdotengesättigten Rückblick zum Thema “Der Untergang der DDR” ein.
Die meisten Vorträge sind in gekürzter Fassung im Themenheft Deutschland der Sezession abgedruckt, das pünktlich zur Akademie erscheinen ist und hier bestellt werden kann.