Der Widerstandsbewegung werden in der (west)deutschen Gesellschaft heute vor allem drei Vorwürfe gemacht:
(1) Ihre Beweggründe für den Umsturz und ihre Pläne für die Zeit danach seien an nationalkonservativen Idealen ausgerichtet gewesen, die sich kaum von nationalsozialistischen Vorstellungen unterschieden. Bei den Widerständlern habe es sich also nicht um Demokraten gehandelt.
(2) Der militärische Anteil der Opposition gegen Hitler stellte nur eine kleine und unbedeutende Gruppierung im Vergleich zur überwiegend nationalsozialistisch orientierten Wehrmacht dar.
(3) Die Kriegskoalition gegen das nationalsozialistische Deutschland beruhte auf einem „antifaschistischen Konsens”. Hauptträger des „antifaschistischen” Kampfes sei die Sowjetunion gewesen. Infolgedessen kann ein Grundgedanke des Widerstandes, nämlich den Kampf gegen die Rote Armee nach der erfolgreichen Erhebung fortzusetzen, um eine Bolschewisierung Deutschlands und damit Mitteleuropas zu verhindern, und gegebenenfalls die Front gegenüber den westlichen Alliierten zu öffnen, nur als problematisch, schlimmstenfalls selbst als „faschistisch” eingestuft werden.
Wenn schon die Würdigung der Verschwörung gegen Hitler so negativ ausfällt, dann kann die Beurteilung der Wehrmacht, die angeblich willfährig den Krieg des Regimes bis zum bitteren Ende fortsetzte, nur noch kritischer sein. Dabei werden Gründe für das Durchhalten und den Einsatz an der Front, die beispielsweise auch auf das Verhalten und die Zielsetzungen der Kriegsgegner zurückzuführen sind, nicht mehr anerkannt. Norbert Blüm meinte vor einigen Jahren, man müsse die ungeheuerlichen Verbrechen in den Vernichtungs- und Konzentrationslagern unter dem Gesichtspunkt betrachten, daß sie weitergehen konnten, so lange die deutschen Fronten hielten – was unterstellt, daß die Wehrmachtsverbände von diesen Verbrechen wußten, sie in Kauf nahmen oder sich gar mit ihnen identifizierten. Ausgelöst von der Diskussion über tatsächliche Kriegsverbrechen der Wehrmacht hat der Publizist Ralph Giordano zuletzt die Auffassung vertreten, die Wehrmacht sei insgesamt als „verbrecherische“ Organisation zu beurteilen, weil sie einem von Anfang an verbrecherischen Krieg diente. Das Urteil gelte auch für die Soldaten, die im guten Glauben und anständig kämpften.
Am Beispiel zweier Offiziere, Roland und Hartmut von Hößlin, einem ungewöhnlichen Brüderpaar, sei hier der Berechtigung solcher Vorwürfe – gegen den Widerstand einerseits, gegen die Wehrmacht andererseits – nachgegangen. Beide verband ihre Herkunft und die Tradition ihres Standes, beide waren Berufssoldaten, beide wurden wegen Tapferkeit vor dem Feinde hoch dekoriert. Trotzdem fällten sie in derselben Situation sehr unterschiedliche Entscheidungen. Der eine sah sich veranlaßt, aktiv an der Ausschaltung des Diktators teilzunehmen, der andere kämpfte – trotz seines Wissens um das Schicksal des Bruders – weiter für eine hoffnungslose Sache.
Roland von Hößlin wurde im Februar 1915 in eine alte schwäbische Adelsfamilie hineingeboren. Über viele Jahrzehnte hinweg hatten seine Vorfahren im bayerischen 4. Chevauleger Regiment, dem „Königs“-Regiment, in Augsburg gedient. Sein Vater Hubert von Hößlin stieg bis 1943 zum Generalmajor auf. Er war Chef des Stabes des Stellvertretenden Generalkommandos III in Wiesbaden.
Noch vor dem Abitur trat Roland von Hößlin 1933 in das (bayer.) Reiterregiment 17 der Reichswehr in Bamberg ein. Er verbrachte die Dienstzeit bis zum Kriegsausbruch in derselben Einheit, die später in Kavallerieregiment 17 umbenannt wurde. Die Stellenbesetzung zum Januar 1939 weist neben ihm so unterschiedliche Persönlichkeiten wie Ludwig Freiherr von Leonrod (als Widerständler im August 1944 hingerichtet), Peter Sauerbruch (Sohn des berühmten Chirurgen), Walter Frick (Sohn des Innenministers Frick, ungeachtet dessen ein Freund Hößlins) oder Emil Graf von Spannocchi, den späteren Generaltruppeninspekteur des österreichischen Bundesheeres, aus. Im Regiment gedient hatten Claus Graf von Stauffenberg (bis 1934) sowie Freiherr von Thüngen und Graf Marogna-Redwitz, alle drei ebenfalls im Zusammenhang mit dem 20. Juli 1944 hingerichtet.
Roland von Hößlin sah blendend aus, er war intelligent und ein überdurchschnittlicher Offizier. Als er im Jahr 1942 Kommandeur der Aufklärungsabteilung 33 in Nordafrika wurde, äußerte Rommel: „Der Hößlin ersetzt mir mit seiner Abteilung eine ganze Division.“ Hößlin wurde mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet, dann erlitt er bei einem Einsatz eine schwere Verwundung an Arm und Hand. Längere Lazarettaufenthalte schlossen sich an, kriegsverwendungsfähig war Hößlin danach nicht mehr. Noch 1944 erhielt er im Alter von 29 Jahren die Beförderung zum Major.
Wie viele andere Offiziere seiner Generation, die sich der Militäropposition anschlossen, fand Hößlin erst relativ spät den Weg zum Widerstand. Die moralische Verwerflichkeit des Systems war ihm allerdings schon früher klar. Bereits 1943 hatte er einem Kameraden die Frage gestellt: „Glauben Sie, daß wir unter diesem Regime noch das Recht haben, den Krieg zu gewinnen?“ Im April 1944 – inzwischen Kommandeur einer gepanzerten Ausbildungs- und Ersatzabteilung im ostpreußischen Insterburg – stellte er sich Stauffenberg, seinem Regimentskameraden, für den Umsturz zur Verfügung. Seine Aufgabe sollte es für den Fall des gelungenen Staatsstreichs sein, mit Kräften der Abteilung Organe der Partei und der SS in Königsberg auszuschalten, gegebenenfalls auch die Abschirmung des Führerhauptquartiers zu übernehmen. Im allgemeinen Befehlswirrwarr des 20. Juli wurde Hößlins Abteilung allerdings nicht alarmiert. Erst in den folgenden Tagen erfuhr er von der Tatsache, den Begleitumständen und den Ursachen des gescheiterten Putsches. Über sein mögliches Schicksal konnte er nur spekulieren und hoffen. In einem Brief an seine Eltern schrieb er im Juli tief niedergeschlagen: „An die Front gehen und dort den Tod suchen, erscheint mir als der einzige noch ehrenhafte Ausweg, dabei noch als der einfachste.“
Am 23. August 1944 wurde Hößlin durch die Gestapo verhaftet, seine Verhandlung vor dem Volksgerichtshof auf den 13. Oktober festgelegt. Das Todesurteil erschien unausweichlich. Einen Tag vor der Aufnahme des Verfahrens schrieb er an seine Eltern und Geschwister: „Nur noch wenige Stunden trennen mich von den Unvergeßlichen, die in diesem Kriege ihr Leben geopfert haben .… Meine äußere Ehre als Offizier ist mir genommen. Der Erfolg und die Tatsachen sprechen gegen mich. Das letzte Urteil spricht die unbestechliche Geschichte. Ich mag geirrt haben. Der Antrieb meines Handelns war jedoch nur die Pflicht. Ich fühle meine innere Ehre unverletzt.“ Mit anderen Angeklagten wurde Hößlin noch am Tag des Prozeßbeginns zum Tode verurteilt und in Plötzensee durch den Strang hingerichtet. Die Mitteilung über die Vollstreckung des Urteils erreichte die Eltern zusammen mit den letzten Briefen erst einen Monat später, am 15. November 1944. Der Vater erhielt die Nachricht über die Hinrichtung des „ehemaligen Major Roland von Hößlin“ zusammen mit der Anweisung: „Die Veröffentlichung einer Todesanzeige ist unzulässig.“
Welche Gefühle die Angehörigen Roland von Hößlins bewegten, zunächst in der Zeit der Ungewißheit nach der Verhaftung, dann nach Erhalt der Todesnachricht, darüber sagt die Schilderung des Sachverhalts nichts aus. Welchen Gefühlen jedoch war der Verhaftete ausgesetzt, in der brennenden Sorge um sein Land, das Scheitern beim Versuch, dessen Los zu ändern, und nun ein unabwendbares Schicksal vor Augen? Ewald von Kleist, selbst an mehreren Attentatsversuchen und am Umsturz in der Bendlerstraße beteiligt und heute der letzte Überlebende aus dem Kreis der Handelnden jener Zeit, schreibt über seine Begegnung mit Hößlin im Zuchthaus Tegel: „An diesem ersten Morgen trat mir gegenüber aus seiner Zelle ein Aristokrat. Ich hatte keine Ahnung, wer er war, empfing aber einen außerordentlich starken sofortigen Eindruck durch seine Haltung, die mit Worten schwer zu beschreiben ist. Man hatte das Gefühl, daß er von seiner Umwelt keine Notiz nahm, für die ihm zugefügten Erniedrigungen Verachtung empfand und in seiner ganzen Haltung eine beeindruckende Souveränität ausstrahlte. Es sind jetzt fast 60 Jahre vergangen, und man hat natürlich einiges erlebt. Trotzdem, dieses Bild eines erstaunlich eindrucksvollen und vornehmen Mannes ist mir nach wie vor ganz und gar gegenwärtig.“
Hartmut von Hößlin hat freundlicherweise erlaubt, diese Sätze aus einem Brief Kleists an ihn zu zitieren. Er wurde vier Jahre nach seinem Bruder im März 1919 in München geboren. Bescheiden spricht er bis heute immer von seinem „großen“ Bruder, der durch die Ausprägung seiner Talente und den Ablauf seines Lebens viel bedeutender gewesen sei als er selbst.
Nach dem Abitur wurde Hartmut von Hößlin Soldat im Artillerieregiment 7, dem Artillerieregiment der bekannten 7. bayerischen Infanteriedivision. Er diente in diesem Regiment ohne Unterbrechung bis zum Mai 1945. Nach der Beförderung zum Leutnant 1939 war er mit seiner Einheit im Polen- und Frankreichfeldzug und danach fortwährend bis zum Kriegsende in Rußland eingesetzt. Er wurde Batteriechef, Regimentsadjutant und ab 1944 Kommandeur einer Artillerieabteilung. Trotz der „Belastung“ durch seinen Bruder erhielt er im April 1945 ebenfalls das Ritterkreuz. Im Mai 1945 geriet er mit seiner Division im Raum Danzig in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Er wechselte durch insgesamt sechs Lager, sein Leben glich dem von Hundertausenden seiner deutschen Kameraden. Unter seinen Schicksalsgenossen waren so bekannte Persönlichkeiten wie Major Erich „Bubi“ Hartmann, der berühmte Jagdflieger, und Karl-Günter von Hase. Als ehemaligem Offizier wurde ihm nach der Rückkehr aus Rußland, 1949, ein Studium verwehrt. Als „Altlehrling“ begann er mit 31 Jahren eine Banklehre. Im Verlaufe seines Berufslebens bekleidete er für seine Bank leitende Positionen in verschiedenen Städten, zuletzt in Augsburg.
Am 20. Juli 1944, so schildert er es in einer kleinen, nur für einen privaten Kreis gedachten Broschüre, stand er seit fünf Jahren an der Front. Er war wie erwähnt seit drei Monaten Kommandeur einer Abteilung und ist sicher, die Namen Stauffenbergs oder Mertz von Quirnheims damals noch nie gehört zu haben. „Am Abend dieses Tages kamen die ersten Meldungen über das Attentat auf Adolf Hitler. Ich hatte ein Feldfunkgerät und war in der Lage, die Abendnachrichten zu empfangen. Natürlich hatte ich keine Ahnung von Rolands Kontakt mit Stauffenberg, seiner Mitwisserschaft und seiner im Walküreplan übernommenen Rolle.“ Betroffen nahm er in den folgenden Tage von den Namen weiterer Verschwörer Kenntnis. Im kleinsten Kreis äußerte er die Auffassung: „Wenn ich mir die Namen überlege, die da jetzt gerade genannt worden sind, dann kann ich mir nur vorstellen, daß sie aus Idealismus gehandelt haben.“
Hartmut von Hößlin wurde von einem jungen Leutnant wegen dieser Äußerung denunziert. Nach einem Vier-Augen-Gespräch mit seinem wohlwollenden Regimentskommandeur (von denen es damals mehr gab, als wir heute zugestehen wollen) wurde seine Bemerkung dahingehend „umgebogen“, daß er sich über „fehlgeleiteten Idealismus“ geäußert habe. Einige Tage nach den Eltern erfuhr Hößlin von der Hinrichtung des Bruders. Im Rahmen seiner Division stand er damals, im November 1944, in harten Rückzugskämpfen gegen die Rote Armee am Narew, nicht weit von der Grenze zu Ostpreußen entfernt. Die persönliche Verletzung, der Schmerz und die Empörung sind leicht nachvollziehbar. Was waren seine Motive, trotzdem einem Regime weiter zu dienen, das seinen Bruder getötet hatte, eine hohe Tapferkeitsauszeichnung anzunehmen und sich nach dem Kriege dazu zu bekennen?
Den Schilderungen Hößlins ist zu entnehmen, daß sein Hauptbeweggrund war, seine Kameraden, mit denen ihn das Erleben an der Front verband, bei dem bevorstehenden harten Schicksal nicht im Stich zu lassen. Darüber hinaus war er in die politische und militärische Lage einbezogen, in der sich die Wehrmacht allgemein und vor allem das Ostheer im Herbst 1944 befand. Andreas Hillgruber äußerte in seiner Studie Zweierlei Untergang über diese Situation: „Schaut der Historiker auf die Winterkatastrophe 1944 / 45, so bleibt nur eine Position, auch wenn sie im Einzelfall oft schwer einzulösen ist: Er muß sich mit dem konkreten Schicksal der deutschen Bevölkerung im Osten und mit den verzweifelten und opferreichen Anstrengungen des deutschen Ostheeres und der … Marine im Ostseebereich identifizieren, die die Bevölkerung des deutschen Ostens vor den Racheorgien der Roten Armee, den Massenvergewaltigungen, den willkürlichen Morden .… zu bewahren und .… den Ostdeutschen den Fluchtweg zu Lande oder über See nach Westen frei zu halten suchten.“ Und an anderer Stelle heißt es: „Jede Stadt, jede Siedlung, jede Landschaft, die die deutschen Truppen beim Zusammenbruch der Ostfront im Winter 1944 / 45 aufzugeben gezwungen waren, war in einem ganz elementaren Sinne für immer für Deutschland und für seine deutschen Bewohner verloren.“
Nur eine oberflächliche Betrachtungsweise, die die Umstände der damaligen Zeit vollkommen ausblendet, kann die Zwänge ignorieren, die aus dieser Situation folgten. Der britische Militärhistoriker Christopher Duffy schreibt in seinem Buch Red Storm on the Reich über die vorhersehbaren Begleitumstände des Einfalls der Roten Armee in Deutschland: „Die Kommandeure der verschiedenen Ebenen mußten keine Mitglieder der SS sein oder Bewunderer Hitlers, um davon überzeugt zu sein, daß sie nun für eine ‘gerechte Sache´ kämpften, deren Motiv in der Aufgabe lag, Millionen ziviler Flüchtlinge zu retten“. So ist es kein Wunder, daß ausgesprochene Gegner des Regimes, wie der ehemalige Adjutant Hitlers, General Hossbach, oder General Röhricht, ein früherer Gefolgsmann des von den Nationalsozialisten ermordeten Reichskanzlers Schleicher, für die Fortsetzung des Kampfes gegen die Sowjetunion eintraten.
Duffy schildert das abstoßende Verhalten von Parteigrößen oder Offizieren, die die rechtzeitige Flucht der Bevölkerung verhinderten und mit drakonischen Maßnahmen ein „Durchhalten“ erzwangen (und sich danach selbst als erste in Sicherheit brachten) ebenso, wie das Verantwortungsbewußtsein von Führern der Wehrmacht, die alles zur Rettung der Bevölkerung unternahmen, sinnlose Befehle mißachteten und das Los der Truppe bis in die Gefangenschaft teilten: „… Deutschlands Ehre wurde gewahrt durch die Hingebung von Männern wie Hossbach, Reinhardt, .… von Saucken, Lasch, von Ahlfen, Niehoff oder vielen anderen, die bewiesen, daß das Verantwortungsgefühl für die Bewahrung humanitärer Prinzipien im Einklang stand mit der Erfüllung soldatischer Pflichten“. Hartmut von Hößlin gehört auch in diese Reihe.
Zwar unterschied sich die Lage im Juli 1944 grundlegend von der im Winter 1944 / 45. Was seinerzeit als wahrscheinlich vor Augen stand, war nun unabweisbar Wirklichkeit geworden. Aber daß auch die Männer des 20. Juli die Fortsetzung des Kampfes im Osten für notwendig hielten, zeigt das Maß an gemeinsamer – nicht allein militärischer, sondern auch moralischer – Haltung, das sie mit vielen Offizieren verband, die wie Hartmut von Hößlin niemals den Weg in den Widerstand gefunden hatten oder diesen Weg ganz bewußt nicht zu gehen bereit waren. Ihnen ohne Umstände die Ehre abzuschneiden und ihr Tun als verwerflich zu betrachten, kann der tragischen Situation, in der sie sich als Deutsche und als Soldaten befanden, keinesfalls gerecht werden.
Wie eingangs erwähnt, ist es aber auch verfehlt, anzunehmen, daß die Zugehörigkeit zum Widerstand vor der Unnachsichtigkeit der Spätgeborenen bewahrt. Jedenfalls haben sich die Maßstäbe für die Beurteilung der Opposition gegen das NS-Regime im Laufe der Zeit bedenklich verschoben. Während die Gruppen des konservativen militärischen und zivilen Widerstands wegen ihrer politischen Orientierung ins Zwielicht geraten sind, hat es gleichzeitig eine massive Aufwertung des kommunistischen Untergrunds gegeben, nicht zuletzt durch den Wegfall der Unterscheidung von Hochverrat und Landesverrat bei der Beurteilung der Opposition und ihrer Ziele. Peter Steinbach, der Leiter der Zentralen Gedenkstätte Deutscher Widerstand gehört zu den Protagonisten dieser Tendenzen. Er hat unter anderem dafür gesorgt, daß heute auch das Nationalkomitee Freies Deutschland oder die Spionagegruppe „Rote Kapelle“ als Teil des Widerstands aufgefaßt werden. Bei den Gedenkfeiern zur 50. Wiederkehr des 20. Juli im Jahr 1994 kam es deshalb zu Auseinandersetzungen und Streitigkeiten, die ein helles Licht auf den Umgang der Nation mit diesem Erbe werfen. Damals schrieb Jens Jessen in der Frankfurter Allgemeinen über die eigenartige Rolle des Widerstands für die politische Identität in Nachkriegsdeutschland: „Daß die Widerständler aus eigenem und mit eigenem Recht gehandelt haben könnten, daß überhaupt irgend etwas in der deutschen Geschichte nicht der Bundesrepublik vorgearbeitet haben könnte, und trotzdem Moral und Würde auf seiner Seite hat, ist das Undenkbare dieses Staates. Es ist sein Tabu.“
Roland Freisler, der Vorsitzende des Volksgerichtshofes, hat den Verurteilten voller Verachtung und Häme zugerufen: „Volk und Geschichte werden künftig über sie schweigen. Der Untergang in der Geschichte ist ihnen gewiß.“ Wir sollten darauf achten, daß diese Prophezeiung nicht doch, wenngleich auf andere Art und Weise als Freisler gedacht hat, in Erfüllung geht.