Presseschau, 2. Oktober 2009

Auswahlpresseschau, erstellt aus diversen Zeitungen, Magazinen und Blogs. Schwerpunkte diese Woche: Berichte und Analysen zur Wahl (S. 1), die Linke in Geschichte und Gegenwart (S. 2) und die bemerkenswerten Äußerungen des früheren Berliner Finanzsenators Thilo Sarrazin zur Ausländerproblematik (S. 3).

 

Staat, Demo­gra­phie, Wirtschaft

Uni­on ver­liert mehr Wäh­ler an die Lin­ke als an Rechtsparteien
BERLIN. Ent­täusch­te Uni­ons­wäh­ler haben bei der Bun­des­tags­wahl wesent­lich häu­fi­ger für die Links­par­tei gestimmt als für eine der rech­ten Par­tei­en. Laut dem Ulmer Insti­tut für Wahl‑, Sozi­al- und Metho­den­for­schung büß­te die Uni­on im Ver­gleich zur Bun­des­tags­wahl 2005 rund 2,1 Mil­lio­nen Wäh­ler­stim­men ein.

Wohin steu­ert Deutschland?
Von Die­ter Stein
Es gab Bun­des­tags­wah­len in Deutsch­land, in denen es um Rich­tungs­ent­schei­dun­gen ging. 1969 – die Aus­ein­an­der­set­zung um eine neue Ost­po­li­tik. 1980 – die Ent­schei­dung zwi­schen Hel­mut Schmidt und Franz Josef Strauß unter der Paro­le „Frei­heit oder Sozia­lis­mus“. 1983 – die Ent­schei­dung über den Nato-Dop­pel­be­schluß. 1998 – das rot-grü­ne Reform­bünd­nis, Ände­rung des Staats­an­ge­hö­rig­keits­rech­tes inbegriffen.
Die Wahl des Jah­res 2009 konn­te kei­ne Rich­tungs­ent­schei­dung mehr sein. Sie­ben Jah­re rot-grü­ne Koali­ti­on und vier Jah­re Gro­ße Koali­ti­on ste­hen für tief­grei­fen­de gesell­schafts­po­li­ti­sche Wei­chen­stel­lun­gen, denen sich die bür­ger­li­chen Par­tei­en unter­wor­fen haben. Ein fun­da­men­ta­les Ent­we­der-Oder in Kern­fra­gen stand nicht mehr zur Debat­te. Deutsch­land als Ein­wan­de­rungs­land, Homo­ehe, neu­es Fami­li­en­bild, „Gen­der Main­strea­ming“ – unter Ange­la Mer­kel wur­de hin­ter allem ein Haken gemacht.

Bun­des­tags­wahl 2009
Wie Wes­ter­wel­le das „Volk“ für sich vereinnahmt
Von Eck­hard Fuhr
Der Hohl­kör­per FDP sucht eine Fül­lung: Kein Poli­ti­ker hat am Abend der Bun­des­tags­wahl das Wort „Volk“ so oft benutzt wie der FDP-Vor­sit­zen­de Gui­do Wes­ter­wel­le. Das ist erstaun­lich, weil die bei­den Noch-Volks­par­tei­en das „Volk“ als sol­ches nicht mehr in den Mund nehmen.

Da spielt wohl jemand ein wenig die natio­na­le Karte …
Wes­ter­wel­le spricht deutsch
Auf der gest­ri­gen Pres­se­kon­fe­renz von Gui­do Wes­ter­wel­le zur Bun­des­tags­wahl frag­te ein BBC-Repor­ter den FDP-Chef, ob er ihm eine Fra­ge auf eng­lisch stel­len dür­fe. Über­ra­schend ver­nein­te dies Wes­ter­wel­le: „In Groß­bri­tan­ni­en wird erwar­tet, daß die Leu­te Eng­lisch spre­chen, und es ist das­sel­be in Deutsch­land – von den Leu­ten wird erwar­tet, daß sie Deutsch sprechen.“
Nun mut­ma­ßen die Medi­en: War Wes­ter­wel­les Reak­ti­on ein „Vor­ge­schmack auf ein neu­es teu­to­ni­sches Selbst­be­wußt­sein in inter­na­tio­na­len Ange­le­gen­hei­ten“, wie der „Inde­pen­dent“ schreibt – oder lags am schlech­ten Eng­lisch des künf­ti­gen Außen­mi­nis­ters, daß er sich vor den zahl­reich anwe­sen­den Jour­na­lis­ten zier­te, auf eng­lisch zu ant­wor­ten, wie die „Augs­bur­ger All­ge­mei­ne“ vermutet.

Gui­do und die BBC
Wes­ter­wel­le und das eng­li­sche Mißverständnis
Bei sei­ner ers­ten Pres­se­kon­fe­renz nach der Wahl brüs­kier­te Gui­do Wes­ter­wel­le, Außen­mi­nis­ter in spe, einen BBC-Repor­ter, indem er kei­ne Fra­ge in Eng­lisch zuließ. Die Empö­rung dar­über fin­det Thors­ten Jung­holt unge­recht. Der FDP-Chef habe sich ledig­lich an diplo­ma­ti­sche Gepflo­gen­hei­ten gehal­ten. Ande­ren Poli­ti­kern habe er eini­ges vor­aus – auch im Englischen.

Tref­fen­der Kom­men­tar eines WELT-Lesers:
Wenn Wes­ter­wel­le sich jetzt auch noch glaub­haft gegen den EU-Bei­tritt der Tür­kei aus­spricht (ent­ge­gen bis­he­ri­gen Ver­laut­ba­run­gen!), dann ist er der Rich­ti­ge für das Amt des Außen­mi­nis­ters. Ich fürch­te aller­dings, daß das Spie­len der natio­na­len Kar­te bei ihm nicht ernst gemeint ist.

Die Lin­ke, Geschichts- und Iden­ti­täts­po­li­tik, His­to­ri­sches (Zeit­ge­schich­te)

Lin­ke Rea­li­täts­ver­wei­ge­rer spre­chen von „Para­noia“ …
Kampf der Paranoiker
Am kom­men­den Sams­tag will „Pax Euro­pa“ in Ber­lin das christ­li­che Abend­land ret­ten. Lin­ke Grup­pen protestieren
Von Lothar Bassermann

1.-Mai-Prozeß
„Auto­no­me Grup­pe“ bedroht Ber­li­ner Staatsanwalt
Eine „auto­no­me Grup­pe“ droht einem Ber­li­ner Staats­an­walt mit dem Tod. Über den Anklä­ger der bei­den Schü­ler, die wäh­rend der Mai-Kra­wal­le einen Brand­satz auf Poli­zis­ten gewor­fen haben sol­len, heißt es in einem Inter­net-Ein­trag, er sol­le so enden „wie KHK Uwe Lieschied an der Hasen­hei­de“. Der Poli­zei­be­am­te Lieschied war im März 2007 ermor­det worden.

Schon etwas älter, aber immer noch lesenswert …
Zeitgeschichte
Schlä­ge mit Stacheldraht
Mas­sen­grä­ber-Fun­de in der DDR erin­nern an ein dunk­les Nach­kriegs­ka­pi­tel: Hor­ror und Todes­op­fer in Lagern der sowje­ti­schen Besatzungsmacht.

Maos deut­scher Helfer
Maos „Lan­ger Marsch“ war sein Schick­sal: Der Deut­sche Otto Braun erfand als Mili­tär­be­ra­ter Mao Zedongs das legen­dä­re Groß­un­ter­neh­men, das Chi­nas Kom­mu­nis­ten an die Macht und die Welt aus dem Gleich­ge­wicht brach­te. 30 Jah­re spä­ter wur­de Braun zu Maos Gegen­spie­ler. Von Solv­eig Grothe

Land­nah­me und Überfremdung/Zuwanderung und Integration

Ein­bli­cke in das Welt­bild des Wolf­gang S. (von SiN bereits hier thematisiert) …
Ist Ein­wan­de­rung nützlich?
Von Die Fra­gen stell­ten Ste­fa­nie Bol­zen und Tho­mas Schmid
Ein Streit­ge­spräch zwi­schen Bun­des­in­nen­mi­nis­ter Wolf­gang Schäub­le und dem hol­län­di­schen Sozio­lo­gen und Migra­ti­on­for­scher Paul Schef­fer über Inte­gra­ti­on und die Kon­flik­te, die Ein­wan­de­rung nach sich zieht.

Teil 2 des Gesprächs …
Interview
Die offe­ne Gesell­schaft wird am Ende stär­ker sein
Von Tho­mas Schmid; Ste­fa­nie Bolzen
Ein Streit­ge­spräch zwi­schen Bun­des­in­nen­mi­nis­ter Wolf­gang Schäub­le und dem hol­län­di­schen Migra­ti­ons­for­scher Paul Schef­fer über Kon­flik­te und Mühen, aber auch die Chan­cen, die Ein­wan­de­rung und Inte­gra­ti­on berei­ten – Zwei­ter Teil

Bemer­kens­wer­te Äuße­run­gen des frü­he­ren Ber­li­ner Finanz­se­na­tors Thi­lo Sar­ra­zin zur Ausländerproblematik …
Sar­ra­zin scho­ckiert mit Angrif­fen auf Migranten
von Ste­fan Schulz
Das Enfant ter­ri­ble der deut­schen Finanz­sze­ne hat wie­der zuge­schla­gen: Bun­des­bank-Vor­stand Thi­lo Sar­ra­zin, in Ber­lin als Finanz­se­na­tor wegen sei­ner schar­fen Sprü­che gefürch­tet, hat in einem Inter­view Migran­ten und Hartz-IV-Emp­fän­ger hef­tig atta­ckiert. Bun­des­bank und Par­tei­en reagie­ren entsetzt.

Bun­des­bank
Sar­ra­zins tür­ken­feind­li­che Tira­den lösen Ent­set­zen aus
Von Anne Seith, Frank­furt am Main
„Geschmack­los“, „uner­hört“, „durch­ge­knallt“: Die Empö­rung über Bun­des­bank­vor­stand Sar­ra­zin ist groß. Der ehe­ma­li­ge Ber­li­ner Finanz­se­na­tor hat in einem Inter­view über die Haupt­stadt her­ge­zo­gen – und über die dort leben­den Ein­wan­de­rer. Migran­ten­ver­bän­de ver­lan­gen eine Entschuldigung.

Staats­an­walt­schaft ermit­telt gegen Sarrazin
Offen­bar in ein Wes­pen­nest hat Ber­lins ehe­ma­li­ger Finanz­se­na­tor Thi­lo Sar­ra­zin öffent­lich gesto­chen. Die Meu­te heult auf, und gei­fernd fällt Deutsch­lands Dres­sure­li­te und die, die sich dafür hal­ten, über den SPD-Mann her. Dis­kri­mi­nie­rend sei­en sei­ne Äuße­run­gen, untrag­bar – von Ken­an Kolat bis zum Bun­des­bank­vor­stand distan­ziert man sich.
Die schlimms­ten Äuße­run­gen Sar­ra­zins waren die über die hohe Zahl von Unter­schicht­ge­bur­ten – egal ob es stimmt – und daß wir kei­ne Leu­te auf­neh­men soll­ten, die auf Staats­kos­ten leben, was auch rich­tig ist.

Ver.di nennt Sar­ra­zins Äuße­run­gen „rechts­ra­di­kal“
Der Grü­nen-Poli­ti­ker Ger­hard Schick und die Gewerk­schaft Ver.di haben die abfäl­li­gen Wor­te von Bun­des­bank-Vor­stand Thi­lo Sar­ra­zin über Arme und Aus­län­der in Ber­lin scharf kri­ti­siert. Schick: „Die­se Äuße­run­gen fin­de ich wider­lich.“ Sar­ra­zin selbst sag­te, er habe nur die Pro­ble­me der Stadt anschau­lich beschrei­ben wollen.

Ein Kom­men­tar von WELT-Chef­re­dak­teur Tho­mas Schmid:
Frisch­luft oder Wärmestube?
Er hat den Mut, auch Din­ge aus­zu­spre­chen, die ihm Schel­te einbringen.Es man­gelt ihm aber an Fin­ger­spit­zen­ge­fühl. Bei­des zusam­men­ge­nom­men macht Thi­lo Sar­ra­zin, einst Ber­li­ner Finanz­se­na­tor und heu­te Bun­des­bank-Vor­stand, zur Mar­ke. Nun hat er wie­der zugeschlagen.

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