Staat, Demographie, Wirtschaft
Union verliert mehr Wähler an die Linke als an Rechtsparteien
BERLIN. Enttäuschte Unionswähler haben bei der Bundestagswahl wesentlich häufiger für die Linkspartei gestimmt als für eine der rechten Parteien. Laut dem Ulmer Institut für Wahl‑, Sozial- und Methodenforschung büßte die Union im Vergleich zur Bundestagswahl 2005 rund 2,1 Millionen Wählerstimmen ein.
Wohin steuert Deutschland?
Von Dieter Stein
Es gab Bundestagswahlen in Deutschland, in denen es um Richtungsentscheidungen ging. 1969 – die Auseinandersetzung um eine neue Ostpolitik. 1980 – die Entscheidung zwischen Helmut Schmidt und Franz Josef Strauß unter der Parole „Freiheit oder Sozialismus“. 1983 – die Entscheidung über den Nato-Doppelbeschluß. 1998 – das rot-grüne Reformbündnis, Änderung des Staatsangehörigkeitsrechtes inbegriffen.
Die Wahl des Jahres 2009 konnte keine Richtungsentscheidung mehr sein. Sieben Jahre rot-grüne Koalition und vier Jahre Große Koalition stehen für tiefgreifende gesellschaftspolitische Weichenstellungen, denen sich die bürgerlichen Parteien unterworfen haben. Ein fundamentales Entweder-Oder in Kernfragen stand nicht mehr zur Debatte. Deutschland als Einwanderungsland, Homoehe, neues Familienbild, „Gender Mainstreaming“ – unter Angela Merkel wurde hinter allem ein Haken gemacht.
Bundestagswahl 2009
Wie Westerwelle das „Volk“ für sich vereinnahmt
Von Eckhard Fuhr
Der Hohlkörper FDP sucht eine Füllung: Kein Politiker hat am Abend der Bundestagswahl das Wort „Volk“ so oft benutzt wie der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle. Das ist erstaunlich, weil die beiden Noch-Volksparteien das „Volk“ als solches nicht mehr in den Mund nehmen.
Da spielt wohl jemand ein wenig die nationale Karte …
Westerwelle spricht deutsch
Auf der gestrigen Pressekonferenz von Guido Westerwelle zur Bundestagswahl fragte ein BBC-Reporter den FDP-Chef, ob er ihm eine Frage auf englisch stellen dürfe. Überraschend verneinte dies Westerwelle: „In Großbritannien wird erwartet, daß die Leute Englisch sprechen, und es ist dasselbe in Deutschland – von den Leuten wird erwartet, daß sie Deutsch sprechen.“
Nun mutmaßen die Medien: War Westerwelles Reaktion ein „Vorgeschmack auf ein neues teutonisches Selbstbewußtsein in internationalen Angelegenheiten“, wie der „Independent“ schreibt – oder lags am schlechten Englisch des künftigen Außenministers, daß er sich vor den zahlreich anwesenden Journalisten zierte, auf englisch zu antworten, wie die „Augsburger Allgemeine“ vermutet.
Guido und die BBC
Westerwelle und das englische Mißverständnis
Bei seiner ersten Pressekonferenz nach der Wahl brüskierte Guido Westerwelle, Außenminister in spe, einen BBC-Reporter, indem er keine Frage in Englisch zuließ. Die Empörung darüber findet Thorsten Jungholt ungerecht. Der FDP-Chef habe sich lediglich an diplomatische Gepflogenheiten gehalten. Anderen Politikern habe er einiges voraus – auch im Englischen.
Treffender Kommentar eines WELT-Lesers:
Wenn Westerwelle sich jetzt auch noch glaubhaft gegen den EU-Beitritt der Türkei ausspricht (entgegen bisherigen Verlautbarungen!), dann ist er der Richtige für das Amt des Außenministers. Ich fürchte allerdings, daß das Spielen der nationalen Karte bei ihm nicht ernst gemeint ist.
Die Linke, Geschichts- und Identitätspolitik, Historisches (Zeitgeschichte)
Linke Realitätsverweigerer sprechen von „Paranoia“ …
Kampf der Paranoiker
Am kommenden Samstag will „Pax Europa“ in Berlin das christliche Abendland retten. Linke Gruppen protestieren
Von Lothar Bassermann
1.-Mai-Prozeß
„Autonome Gruppe“ bedroht Berliner Staatsanwalt
Eine „autonome Gruppe“ droht einem Berliner Staatsanwalt mit dem Tod. Über den Ankläger der beiden Schüler, die während der Mai-Krawalle einen Brandsatz auf Polizisten geworfen haben sollen, heißt es in einem Internet-Eintrag, er solle so enden „wie KHK Uwe Lieschied an der Hasenheide“. Der Polizeibeamte Lieschied war im März 2007 ermordet worden.
Schon etwas älter, aber immer noch lesenswert …
Zeitgeschichte
Schläge mit Stacheldraht
Massengräber-Funde in der DDR erinnern an ein dunkles Nachkriegskapitel: Horror und Todesopfer in Lagern der sowjetischen Besatzungsmacht.
Maos deutscher Helfer
Maos „Langer Marsch“ war sein Schicksal: Der Deutsche Otto Braun erfand als Militärberater Mao Zedongs das legendäre Großunternehmen, das Chinas Kommunisten an die Macht und die Welt aus dem Gleichgewicht brachte. 30 Jahre später wurde Braun zu Maos Gegenspieler. Von Solveig Grothe
Landnahme und Überfremdung/Zuwanderung und Integration
Einblicke in das Weltbild des Wolfgang S. (von SiN bereits hier thematisiert) …
Ist Einwanderung nützlich?
Von Die Fragen stellten Stefanie Bolzen und Thomas Schmid
Ein Streitgespräch zwischen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble und dem holländischen Soziologen und Migrationforscher Paul Scheffer über Integration und die Konflikte, die Einwanderung nach sich zieht.
Teil 2 des Gesprächs …
Interview
Die offene Gesellschaft wird am Ende stärker sein
Von Thomas Schmid; Stefanie Bolzen
Ein Streitgespräch zwischen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble und dem holländischen Migrationsforscher Paul Scheffer über Konflikte und Mühen, aber auch die Chancen, die Einwanderung und Integration bereiten – Zweiter Teil
Bemerkenswerte Äußerungen des früheren Berliner Finanzsenators Thilo Sarrazin zur Ausländerproblematik …
Sarrazin schockiert mit Angriffen auf Migranten
von Stefan Schulz
Das Enfant terrible der deutschen Finanzszene hat wieder zugeschlagen: Bundesbank-Vorstand Thilo Sarrazin, in Berlin als Finanzsenator wegen seiner scharfen Sprüche gefürchtet, hat in einem Interview Migranten und Hartz-IV-Empfänger heftig attackiert. Bundesbank und Parteien reagieren entsetzt.
Bundesbank
Sarrazins türkenfeindliche Tiraden lösen Entsetzen aus
Von Anne Seith, Frankfurt am Main
„Geschmacklos“, „unerhört“, „durchgeknallt“: Die Empörung über Bundesbankvorstand Sarrazin ist groß. Der ehemalige Berliner Finanzsenator hat in einem Interview über die Hauptstadt hergezogen – und über die dort lebenden Einwanderer. Migrantenverbände verlangen eine Entschuldigung.
Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Sarrazin
Offenbar in ein Wespennest hat Berlins ehemaliger Finanzsenator Thilo Sarrazin öffentlich gestochen. Die Meute heult auf, und geifernd fällt Deutschlands Dressurelite und die, die sich dafür halten, über den SPD-Mann her. Diskriminierend seien seine Äußerungen, untragbar – von Kenan Kolat bis zum Bundesbankvorstand distanziert man sich.
Die schlimmsten Äußerungen Sarrazins waren die über die hohe Zahl von Unterschichtgeburten – egal ob es stimmt – und daß wir keine Leute aufnehmen sollten, die auf Staatskosten leben, was auch richtig ist.
Ver.di nennt Sarrazins Äußerungen „rechtsradikal“
Der Grünen-Politiker Gerhard Schick und die Gewerkschaft Ver.di haben die abfälligen Worte von Bundesbank-Vorstand Thilo Sarrazin über Arme und Ausländer in Berlin scharf kritisiert. Schick: „Diese Äußerungen finde ich widerlich.“ Sarrazin selbst sagte, er habe nur die Probleme der Stadt anschaulich beschreiben wollen.
Ein Kommentar von WELT-Chefredakteur Thomas Schmid:
Frischluft oder Wärmestube?
Er hat den Mut, auch Dinge auszusprechen, die ihm Schelte einbringen.Es mangelt ihm aber an Fingerspitzengefühl. Beides zusammengenommen macht Thilo Sarrazin, einst Berliner Finanzsenator und heute Bundesbank-Vorstand, zur Marke. Nun hat er wieder zugeschlagen.