Verdammte dieser Erde – zur Problematik des Tierrechts

Sezession 28 / Februar 2009

von Wiggo Mann

An der Liebe zum Tier kann man sich erwärmen. Mit ihr ist aber nichts getan – Milliarden von Tieren befinden sich in der Gewalt von Menschen, ...

… füh­ren ein Leben unter Umstän­den und in einer Umge­bung, wel­che die Dan­te­sche Höl­le locker in den Schat­ten stel­len. Der aus­tra­li­sche Moral­phi­lo­soph Peter Sin­ger dia­gnos­ti­zier­te in sei­nem 1975 erschie­ne­nen Buch Ani­mal Libe­ra­ti­on eine der Aus­beu­tung und Ver­nut­zung zugrun­de­lie­gen­de Dis­kri­mi­nie­rung der Tie­re durch den Men­schen, auf­grund der Spe­zi­es­zu­ge­hö­rig­keit, den »Spe­zie­sis­mus«, und ver­glich dies mit Ras­sis­mus und Sexis­mus. Der Skan­dal war ihm sicher.

Sein von Auf­klä­rung und Uti­li­ta­ris­mus gepräg­ter Ansatz – daß Tie­re in unse­re ethi­schen Über­le­gun­gen ein­ge­schlos­sen wer­den müs­sen, da sie wie wir zu Lust und Unlust fähig sind und ihre Befrei­ung daher einen mora­li­schen Fort­schritt dar­stellt – ist bis heu­te einer der wich­tigs­ten in der soge­nann­ten Tier­ethik. Ähn­lich argu­men­tiert der Ame­ri­ka­ner Tom Regan: Bestimm­te Tie­re besä­ßen einen Wert an sich, soll­ten also auch Rech­te genie­ßen, da sie auto­no­me Wesen mit auf die Zukunft zie­len­den Wün­schen sei­en. Bei­de Autoren wer­den in den öffent­li­chen Debat­ten in Deutsch­land, wenn es um die pro­ble­ma­ti­sche Behand­lung und die Bewer­tung von Tie­ren geht, noch immer rela­tiv sel­ten genannt. Selbst in einer geho­be­nen Sach­buch­pu­bli­ka­ti­on wie der von Mar­kus Wild (Tier­phi­lo­so­phie zur Ein­füh­rung, Ham­burg: Juni­us Ver­lag 2008. 232 S., 14.90 €) sind Sin­ger und Regan in nur weni­gen Absät­zen ver­tre­ten – Der­ri­da und Heid­eg­ger schei­nen für Tie­re mehr zu bie­ten zu haben. In vie­len Redak­tio­nen und Stu­dier­zim­mern ist der Begriff »Tier­rech­te« nicht ange­kom­men. Es wird hart­nä­ckig von Tierschutz gespro­chen, was einen an auf­op­fe­rungs­vol­le Rent­ne­rin­nen den­ken läßt, die für drin­gend benö­tig­te Tier­hei­me wer­bend durch die Stra­ßen zie­hen. Tier­lie­be ist bei uns durch­aus gut beleu­mun­det, Tier­rech­te sind es nicht – eben­so das ernst­haf­te und kon­se­quen­te Nach­den­ken über das Mensch-Tier-Ver­hält­nis. Bei Sin­ger und Regan beinhal­tet es poli­ti­sche Kon­se­quen­zen, gar juris­ti­sche, denen man lie­ber aus dem Weg geht. Auch auf sei­ten der extre­men und neue­ren Lin­ken haben die dort zum Groß­teil ange­sie­del­ten Tier­recht­ler und vega­nen (also unter Ver­zicht auf jeg­li­che tie­ri­sche Pro­duk­te leben­den) Akti­vis­ten einen schlech­ten Stand: Regel­mä­ßig wird ihnen ein laten­ter »Faschis­mus« unter­stellt. Erschwe­rend hin­zu kommt z. B. Peter Sin­gers Nähe zum Gedan­ken der Eutha­na­sie. Sei­ne hie­si­gen Ver­an­stal­tun­gen wur­den mas­siv gestört. Seit­dem mei­det er Deutsch­land – ein Land, das ein­mal, neben Eng­land und den USA, das fort­schritt­lichs­te Land in Sachen Tier­ethik war. Dis­kus­sio­nen um Tier­ver­su­che wur­den hit­zig geführt, der Vege­ta­ris­mus war, vor allem durch die Lebens­re­form­be­we­gung, in wei­te Tei­le der deut­schen Gesell­schaft vor­ge­drun­gen. Und Deutsch­land besaß für kur­ze Zeit das fort­schritt­lichs­te Tier­schutz­ge­setz, am 24. Novem­ber 1933 vom gleich­ge­schal­te­ten Reichs­tag ver­ab­schie­det. Die­ser pro­ble­ma­ti­schen Kon­stel­la­ti­on wid­met Dani­el Heintz eine inter­es­san­te Stu­die (Tier­schutz im Drit­ten Reich, Müll­heim: Wâra Ver­lag 2008. 317 S., 19.95 €), die sich erst­mals in die­ser Brei­te mit dem The­ma beschäf­tigt – viel­leicht weni­ger kri­tisch als das heu­te, wo die dama­li­ge Nähe von Natio­nal­so­zia­lis­mus und Tier­schutz als Tot­schlag­ar­gu­ment taugt, sonst der Fall sein dürf­te. Bekannt ist, daß Hit­ler die Tie­re am Her­zen lagen, auch wenn das man­cher als obs­zön emp­fin­den mag. Trei­ben­de Kraft auf höchs­ter Ebe­ne für die Sache des Tier­schut­zes war Her­mann Göring. Dabei ging es bei dem von ihm vor­an­ge­trie­be­nen »Reichs­tier­schutz­ge­setz« nicht allein um ein Ver­bot des Schäch­tens und um eine ver­stärk­te Aus­gren­zung der Juden. Das Gesetz schütz­te »erst­mals und laut amt­li­cher Begrün­dung gewollt das Tier nur um sei­ner selbst Wil­len … und nicht aus auf Men­schen bezo­ge­nen sitt­li­chen Grün­den«. Doch gera­de die star­ke Ein­schrän­kung von Tier­ver­su­chen durch das Gesetz wur­de bald zurück­ge­nom­men. Man befürch­te­te inter­na­tio­na­le Nach­tei­le beim Wett­lauf um den wis­sen­schaft­lich-tech­ni­schen Fortschritt.

Um die ethi­sche und wis­sen­schaft­li­che Bewer­tung von Tier­ver­su­chen ging es auch im Novem­ber 2008 bei der Debat­te um die expe­ri­men­tel­len For­schun­gen an Affen durch den Bre­mer Hirn­for­scher Andre­as Krei­ter, dem kurz­zei­tig dafür die Erlaub­nis ver­wei­gert wur­de. Gera­de die soge­nann­te Grund­la­gen­for­schung an Tie­ren – mit oft qual­vol­len Expe­ri­men­ten – ist auf­grund neue­rer Erkennt­nis­se aus der Ver­hal­tens­for­schung immer schwe­rer zu recht­fer­ti­gen. Vie­le Tie­re schei­nen, was ihre Emp­fin­dun­gen betrifft, uns Men­schen näher zu sein, als bis­her ange­nom­men. Zudem ver­fäl­schen die unfrei­wil­li­gen Pro­ban­den immer öfter die erwar­te­ten For­schungs­er­geb­nis­se – die nur für die Wis­sen­schaft gezüch­te­ten Tie­re kön­nen ihre Auto­no­mie nicht zügeln.
Frans de Waal, einer der wich­tigs­ten Pri­ma­ten­for­scher, beschreibt in sei­nem aktu­el­len Buch (Pri­ma­ten und Phi­lo­so­phen. Wie die Evo­lu­ti­on die Moral her­vor­brach­te, Mün­chen: Carl Han­ser Ver­lag 2008. 224 S., 19.90 €) mora­li­sches Ver­hal­ten bei Men­schen­af­fen, ver­schie­de­ne For­men des Altru­is­mus bei­spiels­wei­se. Die Ergeb­nis­se sei­ner For­schung nutzt er aller­dings, um – unter dem Pri­mat der Evo­lu­ti­ons­theo­rie – dem Men­schen einen natür­li­chen, ent­wi­ckel­ten Besitz von Moral und die inne­woh­nen­de Mög­lich­keit zum mora­lisch guten Han­deln zu unter­stel­len. Kurz: Hob­bes könn­te sich geirrt haben, der Natur­zu­stand des Men­schen bedurf­te des Gesell­schafts­ver­trags gar nicht. Ver­bre­chen und ande­re Ent­glei­sun­gen sei­en mög­li­cher­wei­se nur krank­haf­te Abwei­chun­gen. Dahin­ter steckt auch ein inner­dar­wi­nis­ti­scher Dis­kurs, eine Gegen­po­si­ti­on zur soge­nann­ten Fas­sa­den­theo­rie (Moral und Gesell­schaft als blo­ße Fas­sa­de vor dem Bösen des Natur­zu­stan­des) und zu Richard Daw­kins »ego­is­ti­schem Gen«. Im zwei­ten Teil des Buches wird de Waals Theo­rie von diver­sen Kom­men­ta­to­ren zer­pflückt, auch von Peter Sin­ger. Die­sem gegen­über hält de Waal eine Art pater­na­lis­ti­sches Prin­zip Ver­ant­wor­tung – in etwa: Tie­re sind Schutz­be­foh­le­ne, ähn­lich Kin­dern und Behin­der­ten – für sinn­vol­ler als den ratio­na­lis­ti­schen Tierrechtsgedanken.
Marc Bekoffs Das Gefühls­le­ben der Tie­re (Ein füh­ren­der Wis­sen­schaft­ler unter­sucht Freu­de, Kum­mer und Empa­thie bei Tie­ren, Ber­nau: ani­mal learn Ver­lag 2008. 231 S., 20 €) hat eine ähn­li­che Ten­denz wie de Waals Buch, was das Fak­ti­sche betrifft. Näm­lich: neu gewon­ne­ne Erkennt­nis­se über das Ver­hal­ten von Tie­ren und wie die­ses fun­diert ist. Wie nah, ähn­lich oder fern sind uns Tie­re? Dabei ist Bekoff wesent­lich stär­ker als de Waal von Ver­hal­tens­for­schern wie Lorenz und Tin­ber­gen beein­flußt, indem er deren Kon­zept zu einer »kogni­ti­ven Etho­lo­gie« erwei­tert, die »ver­glei­chen­de, evo­lu­tio­nä­re und öko­lo­gi­sche Erfor­schung des Ver­stan­des von Tie­ren«. Das Buch hat das Zeug zu einem popu­lä­ren Stan­dard­werk. Bekoff fragt nach den ethi­schen Kon­se­quen­zen, die sich aus dem Wis­sen über die Tie­re erge­ben – ist es legi­tim, sie zu Nah­rung und Beklei­dung zu ver­ar­bei­ten, sie als Versuchs‑, Ver­gnü­gungs- und Sport­ge­rä­te zu nutzen?
Um die Fra­ge der Nah­rung geht es in dem Buch Gewis­sens-Bis­sen (Tier­ethik und Ess­kul­tur, Inns­bruck: Löwen­zahn Ver­lag 2008. 238 S., 19.95 €). Ein Vete­ri­när, eine Rechts­phi­lo­so­phin und ein Gour­met kom­men zu Wort. Von Her­mann Nit­sch, dem für sei­ne tier­blut­las­ti­gen Hap­pe­nings bekann­ten Künst­ler, stammt das Vor­wort. Das soll­te aber nicht von der Lek­tü­re abhal­ten, die für inter­es­sier­te Lai­en eine gute Ein­füh­rung ins The­ma bie­tet. Aller­dings wird beim Wer­ben der Autoren um Sen­si­bi­li­sie­rung eine der wich­tigs­ten Ant­wor­ten auf den Über­fluß an bil­li­gen und qual­voll pro­du­zier­ten Lebens­mit­teln ver­ges­sen: Ver­zicht. Als fana­tisch oder radi­kal möch­te man hier halt auf kei­nen Fall gel­ten, und soll­ten die tie­ri­schen Ver­hält­nis­se erkann­ter­ma­ßen noch so im argen lie­gen. Dahin­ter steckt auch eine geis­ti­ge Träg­heit, wenn nicht gar unein­ge­stan­de­ne Igno­ranz, die sich gern mit dem Ver­weis auf wich­ti­ge­re zu lösen­de Pro­ble­me her­aus­re­det. Doch so etwas darf kein Argu­ment sein, weder bei den Inter­es­sen der Tie­re noch sonst. Mit Robert Spae­mann gespro­chen: »Zweit­wich­tigs­tes so lan­ge zu unter­las­sen, bis alles Wich­tigs­te sich erle­digt hat, wäre das Ende aller Kultur.«

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (0)

Für diesen Beitrag ist die Diskussion geschlossen.