Gefühlte Demokratie

Die Nervensäge Richard Herzinger fühlte sich vor einigen Tagen aufgefordert, in der Welt eine Lanze für die Demokratie zu brechen.

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph und Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Staatspolitik.

Sein Ziel ist, die Debat­te um die “Post­de­mo­kra­tie” als absurd zu ent­lar­ven. Doch Her­zin­ger tut genau das, was all­wis­sen­de Demo­kra­ten meis­tens tun, wenn sie mit Argu­men­ten kon­fron­tiert wer­den: Sie wei­chen auf die Ebe­ne der Gefüh­le aus.

Ein paar “Argu­men­te” von Herzinger:

Wäh­rend die Demo­kra­tie somit welt­weit gro­ße Hoff­nun­gen weckt, wach­sen aus­ge­rech­net in den demo­kra­ti­schen Gesell­schaf­ten des Wes­tens Zwei­fel, ob die­se Staats­form den Her­aus­for­de­run­gen einer sich rasant ver­än­dern­den glo­ba­li­sier­ten Welt auf Dau­er gewach­sen sei.

Her­zin­ger geht also davon aus, daß alle Welt sich nach Demo­kra­tie sehnt. Für Irak und Afgha­ni­stan, für die sich die­se Sehn­sucht ja erfüllt hat, stellt sich die Fra­ge, ob sich auch die damit ver­bun­de­nen Hoff­nun­gen erfüllt haben. Her­zin­ger stellt sie nicht, weil die Ant­wort auf der Hand liegt: Was hat der Nor­mal­bür­ger davon, wenn er alle paar Jah­re sei­ne Stim­me abge­ben darf, wenn das Land um ihn her­um im Cha­os ver­sinkt und er selbst jeden Tag in die­sen Stru­del her­ein­ge­ra­ten kann.

Daß sich Zwei­fel “aus­ge­rech­net” dort breit­ma­chen, wo die Demo­kra­tie eine lan­ge Tra­di­ti­on hat, ist nicht so ver­wun­der­lich, wie Her­zin­ger tut. Auch die Demo­kra­tie hat schon bes­se­re Zei­ten als die heu­ti­gen gese­hen. Sol­che Zwei­fel ent­ste­hen natür­lich leich­ter aus eige­ner Anschau­ung. Her­zin­ger erklärt die Zwei­fel (zumin­dest für Mit­tel­deutsch­land) mit Enttäuschung:

Die Paro­le „Wir sind das Volk“ hat­te auch die Illu­si­on geweckt, Demo­kra­tie kön­ne per direk­ter Über­tra­gung des Mas­sen­wil­lens auf die Ent­schei­dungs­trä­ger ver­wirk­licht wen­den. Doch Demo­kra­tie braucht Zeit. Ihre Ent­schei­dungs­pro­zes­se beinhal­ten das oft lang­wie­ri­ge Aus­han­deln trag­fä­hi­ger Kom­pro­mis­se zwi­schen unter­schied­li­chen ideel­len Strö­mun­gen, Inter­es­sen­grup­pen und sich gegen­sei­tig kon­trol­lie­ren­den staat­li­chen Insti­tu­tio­nen. In den glo­ba­li­sier­ten, kom­mer­zia­li­sier­ten und media­ti­sier­ten moder­nen Gesell­schaf­ten aber zählt vor allem die Geschwin­dig­keit, mit der sich neu­es­te Neu­ig­kei­ten und Inno­va­tio­nen Bahn bre­chen und zum Kun­den gelangen.

Ist das wirk­lich der Fall? Sind alle Leu­te so naiv gewe­sen? Wohl kaum. Der Zwei­fel hat ganz ande­re Ursa­chen als Lang­sam­keit und Indi­rekt­heit der Demo­kra­tie. Vie­len stößt ein­fach die Tat­sa­che sau­er auf, daß aus einer frei­heit­li­chen Idee eine sozi­al­päd­ago­gi­sche Ver­an­stal­tung gewor­den ist, die am Ende sogar die Kri­tik an Demo­kra­tie kri­mi­na­li­sie­ren möch­te. Der euro­päi­sche “Eini­gungs­pro­zeß” ist am Zwei­fel auch nicht ganz unschul­dig. Aber weiter:

Es wur­de daher behaup­tet, wir leb­ten bereits in einer Ära der „Post­de­mo­kra­tie“. Doch die meis­ten Fak­to­ren, die für den demo­kra­ti­schen Zusam­men­halt nun zum Pro­blem wer­den, sind para­do­xer­wei­se Fol­ge einer umfas­sen­den Demo­kra­ti­sie­rung der Gesell­schaft, die sich von tra­di­tio­nel­len, star­ren Hier­ar­chien weit­ge­hend befreit hat.

Immer­hin, so schlau ist Her­zin­ger dann doch. Aber er wäre nicht Berufs­op­ti­mist, wenn es nicht auch Chan­cen gäbe:

Mit den Gefah­ren wach­sen des­halb zugleich neue Chan­cen für die Erneue­rung der Demo­kra­tie. So sind neben Ver­dros­sen­heit und Abkehr von der Poli­tik vie­ler­orts auch neu­ar­ti­ge Ansät­ze von Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on und punk­tu­el­ler Ein­mi­schung in die poli­ti­schen Ent­schei­dungs­pro­zes­se zu beob­ach­ten. Freie Wäh­ler­grup­pen und Basis­in­itia­ti­ven fin­den eben­so Zulauf wie die mono­the­ma­tisch ori­en­tier­te, gegen Inter­net-Zen­sur zu Fel­de zie­hen­de Piratenpartei.

Naja, wenn dar­auf die Hoff­nun­gen der Demo­kra­tie ruhen und so die Aus­ein­an­der­set­zun­gen des 21. Jahr­hun­derts bestan­den wer­den sol­len, gibt es eigent­lich kei­ne Grund opti­mis­tisch zu sein. Aber Her­zin­ger ist es den­noch, weil er an das Gute im Par­tei­po­li­ti­ker glaubt:

Die eta­blier­ten poli­ti­schen Kräf­te soll­ten sol­che For­ma­tio­nen nicht als läs­ti­ge Kon­kur­ren­ten behan­deln, die es aus dem poli­ti­schen Feld her­aus­zu­hal­ten gilt, son­dern sie als mög­li­che Dia­log- und Koope­ra­ti­ons­part­ner bei dem Ver­such betrach­ten, die Bür­ger zu mehr akti­ver Teil­ha­be am poli­ti­schen Leben zu motivieren.

Dann schwa­dro­niert er noch von einer “gesamt­eu­ro­päi­schen Öffent­lich­keit”, die geschaf­fen wer­den müs­se, damit sich alle Bür­ger über ihre “Pro­ble­me und Ansprü­che” aus­tau­schen kön­nen. (Viel­leicht auf SiN?) Nach­dem Her­zin­ger mit kei­nem Wort auf die Post­de­mo­kra­tie-Debat­te eige­gan­gen ist, hat er sich sein stärks­tes Argu­ment für den Schluß aufgehoben:

Die Demo­kra­tie wird frei­lich nur eine Zukunft haben, wenn sie das stärks­te Argu­ment für ihr Dasein nicht ver­gisst. Von allen denk­ba­ren Regie­rungs­for­men, sag­te einst Win­s­ton Chur­chill, ist die Demo­kra­tie die am wenigs­ten schlechte.

Das ist eigent­lich nur noch peinlich.

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph und Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Staatspolitik.

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