Autorenportrait: Henry de Montherlant

pdf der Druckfassung aus Sezession 30 / Juni 2009

von Alain de Benoist

Roman, Novelle, Essay, Erzählung, Lyrik, Notizen, Bühnenstück: kaum ein literarisches Genre, das Montherlant ausgelassen hätte. Und immer fand er in seinem eigenen Leben die wichtigste Inspiration für sein Wirken – nicht in einer oberflächlich-narzißtischen Weise (wie so viele heutige Autoren), sondern indem er dem am eigenen Leibe Erfahrenen höhere Bedeutung beimaß.

Hen­ry (Mil­lon) de Mon­t­her­lant kam am 20. April 1895 in Paris zur Welt – bis­wei­len soll­te er den 21. April als sein Geburts­da­tum ange­ben, damit es auf das tra­di­tio­nel­le Grün­dungs­ju­bi­lä­um Roms fal­le. Sein Vater ent­stamm­te einem picar­di­schen Adels­ge­schlecht, sei­ne Mut­ter war kata­la­ni­scher Her­kunft. Nach dem frü­hen Tod des Vaters blieb sei­ne Bil­dung und Erzie­hung der Mut­ter über­las­sen, die ihm schon in sehr jun­gen Jah­ren die Lust an der Lite­ra­tur ver­mit­tel­te. Hen­ryk Sien­kie­wicz’ Geschichts­wäl­zer Quo Vadis? hin­ter­ließ nicht nur einen lebens­lan­gen Ein­druck, son­dern weck­te auch sein Inter­es­se für die römi­sche Anti­ke, als Hei­den und Chris­ten ein­an­der in stän­di­ger Kon­fron­ta­ti­on gegen­über­stan­den. In die­sem Buch sind bereits Topoi prä­sent, mit denen er sich in sei­nem eige­nen Werk immer wie­der aus­ein­an­der­set­zen soll­te: das anti­ke Rom, Stie­re, Freund­schaft und Selbst­mord. Über sei­ne Kind­heit sag­te er spä­ter: »Ich war so beses­sen von mei­nen Römern wie Don Qui­chot­te von sei­nen Hel­den des Rittertums.«
Sein Aus­schluß vom Col­lè­ge Sain­te-Croix in Neuil­ly-sur-Sei­ne lie­fer­te ihm den Stoff für gleich zwei Wer­ke, das Thea­ter­stück La ville dont le prin­ce est un enfant (1951, dt. Die Stadt, deren König ein Kind ist) und den Roman Les gar­çons (1969, dt. Die Kna­ben), in denen er die The­men reli­giö­ser Erzie­hung und »spe­zi­el­ler Freund­schaf­ten« zwi­schen Jun­gen im Alter von 14 bis 16 Jah­ren ver­knüpft. »Alle Freund­schaf­ten, die von der Geschich­te über­lie­fert wor­den sind«, schrieb er, »hat­ten ihren Ursprung in der Schu­le oder auf dem Schlachtfeld.«
In den Schrif­ten Fried­rich Nietz­sches und Mau­rice Bar­rès’, mit denen er sei­nen jugend­li­chen Lese­hun­ger still­te, fand Mon­t­her­lant ein Tap­fer­keits­ide­al und eine Initia­ti­on in die Ethik der Ehre. Im Ers­ten Welt­krieg wur­de er 1916 zunächst zum Ersatz‑, dann zum akti­ven Kriegs­dienst ein­ge­zo­gen. Die Ver­wun­dung, die er dabei erlitt, fand Ein­gang in sein 1914 ent­stan­de­nes Früh­werk L’exil und in sei­nen 1922 erschie­ne­nen Debüt­ro­man Le son­ge. Nach Kriegs­en­de wird er Sekre­tär des Ver­eins OEu­vre de l’Ossuaire de Douau­mont und ver­öf­fent­licht einen bemer­kens­wer­ten Toten­ge­sang, den Chant funèb­re pour les mor­ts de Ver­dun (1932 in Mors et vita nachgedruckt).
Der Text ist eine lan­ge Medi­ta­ti­on über den Tod, in der Mon­t­her­lant en pas­sant Fritz von Unruh und Goe­the zitiert. »Alles, was den Men­schen aus­macht, kommt in drei Mona­ten Krieg stär­ker zur Gel­tung als in einem gan­zen Leben zu Frie­dens­zei­ten«, sag­te er an ande­rer Stel­le. Dabei hüte­te er sich wohl­weis­lich, den Krieg zu ver­herr­li­chen: »Wenn man den Krieg abschaf­fen will, muß man beherz­ten Män­nern, vor allem jun­gen Men­schen, etwas Gleich­wer­ti­ges bie­ten … Man muß zu Frie­dens­zei­ten die Kriegs­tu­gen­den erwe­cken … Ich for­de­re einen Frie­den, in dem wir sys­te­ma­tisch sämt­li­che Anläs­se her­auf­be­schwö­ren, Mut und Selbst­auf­ga­be zu zei­gen.« Unwei­ger­lich fühlt man sich an Ernst Jün­ger erinnert.

In den 1920er Jah­ren wand­te sich Mon­t­her­lant dem Sport zu, ins­be­son­de­re der Leicht­ath­le­tik und dem Fuß­ball, die er unter das Zei­chen des »Got­tes der Freund­schaft« stell­te. In den Sta­di­en glaub­te er die Brü­der­lich­keit der Schüt­zen­grä­ben wie­der­zu­fin­den, in Les Olym­pi­ques zele­brier­te er die Tugen­den des nack­ten Kör­pers, sport­lich und mann­haft, und die Schön­heit femi­ni­ner Gesich­ter »aus­ge­brei­tet wie das Meer«. Auch im Stier­kampf, der ihn stets fas­zi­niert hat­te, ver­such­te er sich, sah er ihn doch einem reli­giö­sen Opfer gleich. So trat er sel­ber in der Are­na gegen die toros an. Als Bewun­de­rer der Mit­tel­meer-Zivi­li­sa­tio­nen – der römi­schen natür­lich, aber auch der Spa­ni­ens und der ara­bi­schen Welt – unter­nahm er zahl­rei­che Rei­sen dort­hin. In Sevil­la ent­stand Les Bes­ti­ai­res (Tier­men­schen), sein ers­ter lite­ra­ri­scher Erfolg. Nach Marok­ko und Tune­si­en ver­brach­te er meh­re­re Jah­re im Alge­ri­en der Kolo­ni­al­zeit, wo er in den 1930er Jah­ren André Gide in der Haupt­stadt Algiers ken­nen­lern­te. Sei­ne Lie­be zu Kna­ben, deren Ent­hül­lung nach sei­nem Tod skan­da­li­siert wer­den soll­te, leb­te er dort frei­zü­gig aus. Aber er schrieb auch einen dicken »anti­ko­lo­nia­lis­ti­schen « Roman, La rose de sable (Die Wüs­ten­ro­se) mit einem jun­gen Offi­zier der fran­zö­si­schen Armee als Hel­den, in dem er die Exzes­se der Kolo­ni­sa­ti­on anpran­ger­te. Davon erschie­nen spä­ter Frag­men­te, doch das gesam­te Werk wur­de erst 1968 ver­öf­fent­licht. Mon­t­her­lant selbst war es, der vor einer Publi­ka­ti­on zurück­schreck­te, fürch­te­te er doch, sie hät­te »den Inter­es­sen eines geschwäch­ten Frank­reich gescha­det«. Sei­ne Kri­tik am Kolo­nia­lis­mus kam in der Kor­re­spon­denz zum Aus­druck, die er mit dem Hee­res­kom­man­dan­ten Paul Oudi­not unter­hielt, sel­ber ein offe­ner Geg­ner des Kolonialismus.
Sei­ne ers­ten Wer­ke muß­te Mon­t­her­lant noch auf eige­ne Kos­ten ver­öf­fent­li­chen, nach­dem sie von Ver­la­gen abge­lehnt wur­den. Doch erlang­te er schnell Berühmt­heit, als Les céli­ba­tai­res (Die Jung­ge­sel­len) 1933 mit dem Gro­ßen Preis der Aca­dé­mie fran­çai­se aus­ge­zeich­net wur­de. Die vier Bän­de des Roman­zy­klus Jeu­nes fil­les (Die jun­gen Mäd­chen) wur­den über 1,5 Mil­lio­nen Mal ver­kauft und mach­ten ihn welt­weit bekannt. Die­se Wer­ke brach­ten ihm dau­er­haft – und durch­aus nicht zu Recht – den Ruf eines Frau­en­has­sers ein. In Wahr­heit gilt sein Inter­es­se zuvör­derst einer psy­cho­lo­gi­schen Ana­ly­se des weib­li­chen Gemüts sowie des­sen, was es vom männ­li­chen Gemüt unter­schei­det. Er geriert sich kei­nes­wegs als Frau­en­feind (im übri­gen hat­te er sein Leben lang zahl­lo­se Bewun­de­rin­nen, und gera­de sei­nen Lese­rin­nen ver­dank­te er den Erfolg der Jeu­nes fil­les), son­dern ver­tritt viel­mehr die Ansicht, daß Män­ner und Frau­en gewis­ser­ma­ßen unter­schied­li­chen Spe­zi­es ange­hö­ren – und daß die Ehe ein Gefäng­nis sei, in das der Held des Roman­zy­klus, Pierre Cos­tals, sich ein­zu­tre­ten wei­gert. Dar­in glich er Mon­t­her­lant sel­ber, der 1934 sei­ne Ver­lo­bung brach.

Mon­t­her­lant war Patri­ot, ohne je Natio­na­list zu sein – er lieb­te Frank­reich, so wie Cato der Älte­re sein Vater­land lieb­te – und ohne sich je poli­tisch zu enga­gie­ren. Den­noch äußer­te er sich in eini­gen Auf­sät­zen aus den 1930er Jah­ren kri­tisch gegen­über dem natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Deutsch­land und sprach sich mit deut­li­chen Wor­ten gegen das Münch­ner Abkom­men aus. Sein 1936 erschie­ne­nes Buch L’équinoxe de sep­tembre stand unter der deut­schen Besat­zungs­herr­schaft auf dem Index. Ein ande­res Werk dage­gen, des­sen Titel Le sol­sti­ce de juin auf das vor­he­ri­ge anspiel­te, han­del­te von der Schlacht um Frank­reich im Mai/Juni 1940 und trug ihm den Ruch eines Kol­la­bo­ra­teurs ein. Dort beschreibt er das Haken­kreuz als neu­en Ava­tar der »Son­nen­ru­ne« und fei­ert das Hel­den­tum ein­zel­ner, das uns ein­zig gestat­te, »Din­gen zu ent­kom­men, die nicht von uns abhän­gen«. Wäh­rend der Besat­zung hielt er sich von der Poli­tik fern, lehn­te 1941/42 eine Teil­nah­me am Kon­greß euro­päi­scher Schrift­stel­ler in Wei­mar ab, betei­lig­te sich jedoch rege am lite­ra­ri­schen Leben und pfleg­te enge Bezie­hun­gen zu eini­gen Mit­glie­dern des Deut­schen Insti­tuts. Heinz-Die­ter Bre­mer etwa, der 1943 an der Ost­front fiel, über­setz­te meh­re­re Bücher Mon­t­her­lants. Nach der Befrei­ung geriet er des­we­gen in Mißkredit.
Nach Kriegs­en­de schrieb de Mon­t­her­lant ver­mehrt fürs Thea­ter. Nach dem unge­heu­ren Erfolg sei­ner Rei­ne mor­te (1942, Die tote Köni­gin) nutz­te er Stü­cke wie Mala­tes­ta (1946), Le maît­re de Sant­ia­go (1947, Der Ordens­meis­ter), Port-Roy­al (1954, Port-Roy­al), Bro­cé­lian­de (1956), Don Juan (1956, Don Juan), Le car­di­nal d’Espagne (1960, Der Kar­di­nal von Spa­ni­en, das am 21. April 1967 zum Zeit­punkt von Ade­nau­ers Beer­di­gung im deut­schen Fern­se­hen gezeigt wur­de) und La guer­re civi­le, um eine über­heb­li­che Moral vor­zu­füh­ren, deren Prot­ago­nis­ten am Ende – von ihren Lei­den­schaf­ten getrie­ben – ver­ra­ten wer­den oder zugrun­de gehen. Erns­te Fra­gen geht er mit Nach­druck an. Er bringt den Kon­flikt zwi­schen Mys­tik und Poli­tik auf die Büh­ne, die Tra­gö­die der Gna­de und jene der Macht, er zeigt, wie edle Wer­te in einer Gesell­schaft bestraft wer­den, die nur das zur Ent­fal­tung kom­men läßt, was der Mehr­heit gefällt. Wie er sel­ber sag­te, beschrieb er die Feh­ler der Men­schen um so bes­ser, als er sie zuvor an sich sel­ber erforscht hatte.
Im März 1960 wird er in die Aca­dé­mie fran­çai­se auf­ge­nom­men, ohne dar­um gebe­ten zu haben, wie es die Kon­ven­ti­on ver­langt. Zu die­sem Zeit­punkt war sein Leben und Wir­ken schon Gegen­stand zahl­rei­cher Bücher, und eini­ge sei­ner eige­nen Wer­ke waren in Luxus­aus­ga­ben mit Illus­tra­tio­nen bekann­ter zeit­ge­nös­si­scher Künst­ler (Coc­teau, Mari­et­te Lydis, Pierre Yves Tré­mois u. a.) erschie­nen. Zudem lagen Über­set­zun­gen in zahl­rei­che Fremd­spra­chen, ins­be­son­de­re ins Deut­sche vor.
Nach­dem er sein Augen­licht teil­wei­se ver­lo­ren hat­te und fürch­ten muß­te, voll­stän­dig zu erblin­den, ent­schloß sich Hen­ry de Mon­t­her­lant zum Frei­tod, den er stets in Ehren hielt. Er über­ließ nichts dem Zufall, son­dern wähl­te sei­nen Todes­tag mit Bedacht: Am 21. Sep­tem­ber 1972, zur Tag-und-Nacht-Glei­che, jenem Moment, in dem alle Din­ge – Schat­ten und Licht – sich die Waa­ge hal­ten, schoß er sich in sei­nem Pari­ser Wohn­sitz inmit­ten sei­ner anti­ken Büs­ten eine Kugel in den Kopf, starb also im Ein­klang mit den römi­schen Grund­sät­zen, die er zeit­le­bens ver­ehrt hat­te. Die­je­ni­gen, die ihm lan­ge vor­ge­wor­fen hat­ten, daß er sein Leben hin­ter eine Mas­ke füh­re, konn­ten nun nicht mehr leug­nen, daß er sich sel­ber treu geblie­ben war. So Juli­en Green: »Er hat­te einen Cha­rak­ter erfun­den, der ganz Bra­vour und Feu­er war, und er wur­de ihm bis zuletzt gerecht.« Gemäß sei­nen Wün­schen streu­ten sein Tes­ta­ments­voll­stre­cker Jean-Clau­de Bar­at und sein Freund Gabri­el Matz­neff sei­ne Asche auf dem Forum Roma­n­um, auf hal­ber Stre­cke zwi­schen dem Ves­ta-Tem­pel und dem Tem­pel der For­tu­na Virilis.

Mon­t­her­lant gehört zwei­fels­oh­ne zu den ganz gro­ßen fran­zö­si­schen Schrift­stel­lern des 20. Jahr­hun­derts. Man braucht nur irgend­ei­nes sei­ner Bücher an belie­bi­ger Stel­le auf­zu­schla­gen, um sich sofort von dem Reich­tum und der Schön­heit einer klas­si­schen Spra­che begeis­tern zu las­sen, die er bes­ser beherrsch­te als jeder andere.
Sein Leben folg­te dem gro­ßen, immer wie­der miß­ver­stan­de­nen Prin­zip des Syn­kre­tis­mus und der getrenn­ten Betrach­tung, des Wech­sels und der ein­an­der ver­voll­stän­di­gen­den Gegen­sät­ze. Die­se hera­kli­ti­sche Sicht ent­lehn­te er dem Schau­spiel der Natur: »Die Natur wech­selt zwi­schen Tag und Nacht, zwi­schen Hit­ze und Käl­te, zwi­schen Regen und Tro­cken­heit, zwi­schen hei­te­rem Him­mel und Unwet­tern.« Sei­tens man­cher Autoren wird ihm vor­ge­wor­fen, er habe ein »Dop­pel­le­ben« geführt oder sich die meis­te Zeit sei­nes Daseins »mas­kiert«. Tat­säch­lich ging er aber von dem Gedan­ken aus, daß die Gegen­sät­ze sich mit­ein­an­der ver­bin­den und ein­an­der eben­bür­tig sind: der Tod und das Leben, Krieg und Frie­den, Hero­is­mus und Hedo­nis­mus, christ­li­ches und anti­kes Moral­ge­setz, fleisch­li­ches Glück und geis­ti­ge Seg­nung, Inbrunst und Sinn­lich­keit, Gewalt und Nächs­ten­lie­be, die Lust am Auf­bau und an der Zer­stö­rung (aedi­fi­c­abo ad des­truam), das Ja und das Nein, Katho­li­zis­mus und Hei­den­tum, Tiber und Oron­tes, der Mut und das Car­pe diem. Schon in Mors et vita heißt es: »Es gäbe kei­ne Schat­ten, wenn es kein Licht gäbe, und das Licht wirkt auf den Schat­ten.« »Zwei ent­ge­gen­ge­setz­te Dok­tri­nen«, erläu­tert er in L’équinoxe de sep­tembre, »sind ledig­lich Abwei­chun­gen der­sel­ben Wahr­heit.« Genau des­we­gen behaup­te­te er, das Chris­ten­tum zugleich zu bil­li­gen und zu miß­bil­li­gen, nach­dem er erst dem Stoi­zis­mus, dann dem Jan­se­nis­mus ver­fal­len war. Es hat­te die­ser Mensch, der den Mit­tel­meer­raum so sehr lieb­te, etwas Preu­ßi­sches an sich, und er, der Stren­ge und »Rein­heit« ver­ehr­te, fand viel Gefal­len am Genuß. Man sagt, die Men­schen glaub­ten nur an die Gefüh­le, die sie sel­ber zu emp­fin­den ver­mö­gen, und Mon­t­her­lant hat sie alle sel­ber empfunden.
Zuvör­derst ist er ein Mora­list, aber einer der beson­de­ren Art. In sei­nen Wer­ken, sei­en es Roma­ne – von Früh­wer­ken wie Les Bes­ti­ai­res und Les céli­ba­tai­res über La rose de sable bis hin zu Le cha­os et la nuit (1963, Das Cha­os und die Nacht) oder Un ass­as­sin est mon maît­re (1971, Ein Mör­der ist mein Herr und Meis­ter) –, Noti­zen wie Va jouer avec cet­te pous­siè­re (1966, Geh, spiel mit die­sem Staub) und La marée du soir (1972), Essays oder Büh­nen­stü­cke, pre­digt er gewiß nie das, was Nietz­sche als »Mora­lin« bezeich­net hät­te. Doch was er am meis­ten ver­ach­te­te – und in sei­nen Schrif­ten der Ver­ach­tung anheim­gab –, war das Bana­le, die Lüge, war Gefühls­du­se­lei, Wohl­ge­fal­len am Nütz­li­chen, Knau­se­rei und vor allem Nie­der­tracht. Nicht nie­der­träch­tig sein, son­dern nach Hoch­mut streben!
Im »Brief eines Vaters an sei­nen Sohn« heißt es: »Das Wesent­li­che ist der Hoch­mut. Er wird Euch Ersatz für alles ande­re sein. Dar­un­ter ver­ste­he ich auch Gleich­gül­tig­keit, denn wie soll man hoch­mü­tig wer­den, ohne zuvor Gleich­gül­tig­keit zu erlan­gen? Der Hoch­mut wäre Euch Vater­land genug, hät­tet Ihr kein ande­res. Er wird Euch das Vater­land erset­zen am Tag, an dem Euer ande­res Euch feh­len wird.« Die bekann­tes­ten Zei­len aus La rei­ne mor­te lau­ten: »Ins Gefäng­nis! Ins Gefäng­nis mit der Mit­tel mäßig­keit!« La vie en for­me de proue heißt eines sei­ner Bücher: »Das Leben in Bug­form«; La pos­ses­si­on de soi-même ein ande­res: »Besitz sei­ner selbst«. Sich selbst zu besit­zen, zu beherr­schen, meint die Erha­ben­heit der Idee, die ein Mensch vom eige­nen Ich hat. Es meint, in erha­be­ner Höhe zu atmen. Es meint, sein Dasein inmit­ten der – zumeist nich­ti­gen – Ver­lo­ckun­gen aller Art zu besit­zen und zu beherr­schen, die von der Außen­welt an uns her­an­ge­tra­gen werden.

Neben La relè­ve du matin (1920) und Les Olym­pi­ques (1924) sind Mors et vita (1932) und Ser­vice inu­tile (1935, Nutz­lo­ses Die­nen) sicher­lich sei­ne wich­tigs­ten Essays.
In Mors et vita fin­det sich ein kur­zer Text aus dem Jahr 1929, der über­schrie­ben ist: »Anspra­che an deut­sche Stu­den­ten«. Die Anspra­che wur­de zwar in die­ser Form nie gehal­ten, ent­hält aber Sät­ze, die Mon­t­her­lant nach eige­nem Bekun­den aus­ge­spro­chen hät­te, wenn er je nach Deutsch­land gereist wäre (wohin man ihn wie­der­holt ein­ge­la­den hat­te): »Patrio­tis­mus«, heißt es dort, »ist die Ach­tung vor dem Feind, denn Patrio­tis­mus weiß um die Bedeu­tung des Vater­lands und weiß, daß sie auf bei­den Sei­ten gleich hoch ist.« Und wei­ter: »Wir müs­sen zuge­ben, mei­ne Her­ren, daß es eines Tages wie­der unse­re Pflicht sein mag, uns gegen­sei­tig zu töten. Einem sol­chen Aus­gang müs­sen wir mit Gelas­sen­heit ent­ge­gen­se­hen: Es gibt Schlim­me­res, als zu ster­ben.« Bei Homer sagt Achil­les zu Lykaon, als er ihn tötet: »Alla phi­los. – Stirb, Freund!«
Schon der Buch­ti­tel Ser­vice inu­tile ist bezeich­nend. Die Lust am Die­nen ver­weist auf Idea­lis­mus, die Über­zeu­gung, daß es nutz­los ist, auf Rea­lis­mus. Am stärks­ten ist jedoch der Gedan­ke, daß es not­wen­dig ist zu die­nen – nicht obwohl, son­dern gera­de weil es nutz­los ist: eine Kri­tik des Nütz­lich­keits­den­kens, eine Apo­lo­gie des umsonst Geleisteten.
Unter ande­rem ent­hält die­ses Werk den bemer­kens­wer­ten »Brief eines Vaters an sei­nen Sohn«: »Die Tugen­den, die Sie über allem ande­ren pfle­gen soll­ten, sind Mut, Bür­ger­pflicht, Stolz, Recht­schaf­fen­heit, Ver­ach­tung, Unei­gen­nüt­zig­keit, Höf­lich­keit, Erkennt­lich­keit und all­ge­mein gespro­chen alles, was man unter dem Begriff Groß­zü­gig­keit ver­steht.« Mon­t­her­lant erläu­tert, daß Stolz das Gegen­teil von Eitel­keit sei und die Ver­ach­tung »zur Hoch­ach­tung dazu­ge­hört«: »Man ist zur Ver­ach­tung in dem Maße fähig, wie man zur Hoch­ach­tung fähig ist.« Wei­ter heißt es: »Es gibt kei­nen ernst­haf­ten Haß, der kei­ne Ver­ach­tung ent­hält. Bei­spiels­wei­se has­se ich die Deut­schen nicht, weil ich sie nicht ver­ach­te. Es ist ein Zei­chen für den Nie­der­gang Frank­reichs, daß es nicht mehr zur Ver­ach­tung fähig is.« Und: »Es ist kaum von Bedeu­tung, ob Ihr Euren Nächs­ten liebt oder nicht. Aber bemüht Euch nicht um sei­ne Lie­be. Zum einen, weil der­je­ni­ge, der Euch sei­ne Lie­be gibt, Euch Eure Frei­heit nimmt. Zum ande­ren, weil das Bemü­hen, ande­ren zu gefal­len, der schnells­te Weg ist, schnur­stracks auf die tiefs­te Ebe­ne abzurutschen.«
In Mon­t­her­lant ver­mi­schen sich sozu­sa­gen Ele­men­te von Goe­the, Alfred de Vigny, Ernst Jün­ger, Gabrie­le d’Annunzio, Hans Blü­her und Paso­li­ni. Wie vie­le Autoren des »rech­ten Spek­trums« neigt er einem Welt­bild zu, das Ethik und Ästhe­tik zusam­men­brach­te, wobei ers­te­re oft auf letz­te­re hin­aus­läuft. Er zitier­te ger­ne den Leit­spruch: »Wir die­nen um der Ehre und um des Ver­gnü­gens wil­len, nicht um des Pro­fits wil­len.« Denn Ehre und Ver­gnü­gen kön­nen mit Hoch­mut ein­her­ge­hen, wäh­rend das Pro­fit­stre­ben unwei­ger­lich der Nie­der­tracht ähnelt.
»Einen frei­en Men­schen erkennt man dar­an, daß er gleich­zei­tig oder nach­ein­an­der von den gegen­sätz­li­chen Sei­ten ange­grif­fen wird«, sag­te er. Und in La guer­re civi­le ver­kün­digt der Chor: »Ehr­lich­keit ist das Vater­land der­je­ni­gen, die kein ande­res mehr haben wol­len. Und die­ses Vater­land ist ein Exil.« Mon­t­her­lant fühl­te sich zeit­le­bens im Exil, und eben des­we­gen ver­such­te er sich zu schützen.
»Zehn Jah­re nach mei­nem Tod wer­den mich alle ver­ges­sen haben«, pro­phe­zei­te er und hat­te damit nicht ganz unrecht. Ab und zu wer­den sei­ne Stü­cke noch gespielt, aber jün­ge­ren Gene­ra­tio­nen sind sie kaum noch ein Begriff. Die Emp­fin­dun­gen, die er sei­nen Figu­ren auf den Leib schrieb oder in den Mund leg­te, schei­nen heu­ti­gen Zeit­ge­nos­sen schlicht unver­ständ­lich. Wer sei­ne Bücher erneut aus dem Regal nimmt, fühlt sich in eine ande­re Welt ver­setzt. »Alles, was nicht Lite­ra­tur oder Genuß ist, ist ver­lo­re­ne Zeit«, sag­te Mon­t­her­lant. Die sei­ne hat er weder ver­lo­ren noch ver­schwen­det, die unse­re eben­falls mit sei­ner Prä­gung versehen.

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