Die Verteidigung des deutschen Films

In der aktuellen Ausgabe (07/09) der Jungen Freiheit reitet Martin Lichtmeß anläßlich der Berlinale einen Frontalangriff gegen „den deutschen Film“.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Dem darf gehö­rig wider­spro­chen wer­den. Von „dem deut­schen Kino“ und einem genu­in deut­schen Film­ge­schmack zu reden, ist natür­lich denk­bar schwer. Spre­chen wir vom main­stream oder von der Speer­spit­ze? Mei­net­hal­ben von bei­dem, jedoch muß man dann immer sagen, um wel­che Ebe­ne es gera­de geht. Licht­mesz aber ver­gleicht Lachs­fo­rel­le mit Fisch­stäb­chen, wenns ihm argu­men­ta­tiv paßt. Was fin­den wir vor?

Die gro­ßen, kom­mer­zi­ell star­ken Licht­spiel­häu­ser, jene glä­ser­nen Cine­plex- und Cine­ma­xx- Paläs­te, wäh­len das zur Schau gestell­te nicht unter qua­li­ta­ti­ven Gesichts­punk­ten aus, son­dern schlicht betriebs­wirt­schaft­lich. Das heißt im Nor­mal­fall fürs Wochen­pro­gramm: Zwei Action­fil­me (grund­sätz­lich ame­ri­ka­ni­schen Ursprungs), ein Thril­ler oder Hor­ror­film (angel­säch­si­scher Her­kunft), ein­mal das Gen­re des Schlüpf­ri­gen (Tee­nie-Ero­tik oder Ver­gleich­ba­res), ein­mal was zum Tot­la­chen, dane­ben Zei­chen­trick /Animation, ein Tier­film, ein Melo­dram oder Aben­teu­er­strei­fen, gele­gent­lich eine indi­sche Bol­ly­wood-Pro­duk­ti­on oder Exo­ti­sches aus Fernost.

Glo­ba­ler Geschmack im glo­ba­len Markt, also Zer­streu­ung via Action, Wit­zig­keit oder anspruchs­lo­ser Gefüh­lig­keit, bes­ten­falls ein­ge­packt in eine raf­fi­nier­te Hand­lung: Das wäre der Mas­sen­ge­schmack. Der ist, alles in allem, rela­tiv zeit­los. Der rei­ne Unter­hal­tungs­film: das ist wirk­lich Geschmacks­sa­che. Per­mis­si­ve Ten­den­zen hier­bei, also ein Absin­ken der Hemm­schwel­le in punk­to Gewalt und Sexua­li­tät, sind Ober­flä­chen-Phä­no­me­ne. Schrott ist es zu gro­ßen Tei­len den­noch. Nur halt kein deut­scher! Das aber bereits ist doch bemer­kens­wert am deut­schen Film: Abge­se­hen vom Kla­mauk­gen­re hält man sich hier­zu­lan­de weit­ge­hend frei von Stof­fen, die auf puren Affekt, auf Effekt und inhalt­li­che – und gewoll­te – Anspruchs­lo­sig­keit aus­ge­rich­tet sind.

Gemes­sen am Welt­maß­stab hält Licht­meß das deut­sche Kino für „tech­nisch weit unter­le­gen“, bezüg­lich sei­ner „Ein­stel­lun­gen“ für ver­wech­sel­bar, inhalt­lich für „prä­ten­ti­ös“ oder „dick auf­ge­tra­gen“. Apro­pos „Ein­stel­lun­gen“: Daß, wie Licht­meß schreibt, „eine Ein­stel­lung aus einem Film von Pet­zold sich genau­so­gut in einem Film von Ars­lan, Scha­nelec oder Val­eska Gise­bach wie­der­fin­den“ könn­te, wäre dann rele­vant, wenn der Autor eben­sol­che „Ein­stel­lun­gen“ aus klein- oder mit­tel­bud­ge­tier­ten angel­säch­si­schen Fil­men mit dem jewei­li­gen Regis­seur­na­men iden­ti­fi­zie­ren könn­te. Dürf­te schwer werden!

Die Stern­stun­den des deut­schen Kinos des ver­gan­ge­nen Jahr­zehnts nennt oder kennt Licht­meß nicht (ein Groß­teil der Fil­me von Tom Tykwer, Sön­ke Wort­mann, Fatih Akin, Domi­nik Graf oder zuletzt den gran­dio­sen Im Win­ter ein Jahr von Caro­li­ne Link), oder sie pas­sen nicht ins Ras­ter der Kri­tik. Und wenn doch, unter­stellt er ihnen Fal­sches. Wo wären die „intel­lek­tua­li­sier­ten Zom­bies“ in Chris­ti­an Pet­zolds Fil­men? Weder in Yel­la, noch in Jeri­chow, um bei den her­vor­ra­gen­den jüngs­ten Pro­duk­tio­nen Pet­zolds zu blei­ben, haben wir Intel­lek­tu­el­le gese­hen, son­dern schlich­te, ver­zwei­fel­te Men­schen die am Ran­de Deutsch­lands sowie ihrer eige­nen Exis­tenz einen Grund zum Über­le­ben suchen. Inhalts­schwer und melan­cho­lisch, wie so vie­le Pro­duk­tio­nen aus der soge­nann­ten Ber­li­ner Schu­le – ja, das mag den deut­schen Film aus­zeich­nen. Aber war­um wäre das „unau­then­tisch“? Einen „rea­lis­ti­sche­ren Zugriff“ hält Licht­meß aus­ge­rech­net dem (in der Tat gran­dio­sen) Film 1. Mai – Hel­den bei der Arbeit (2008) zugu­te: Da fußt die gan­ze Hand­lung dar­auf, daß einer der bei­den Prot­ago­nis­ten gera­de sei­ne Groß­el­tern um die Ecke gebracht hat, der pure All­tag also!

Licht­meß beklagt einer­seits das Unau­then­ti­sche der deut­schen Films, der nichts zu tun habe mit den Gefüh­len, „mit denen sich die Deut­schen so sehr pla­gen.“ Ande­rer­seits beklagt er die „Beschrän­kung auf das Pri­va­te und All­täg­li­che“. Ja, was nun? Der deut­sche Film ist nicht bom­bas­tisch. Wie soll­te er auch, und war­um? Ansons­ten schil­lert er wie kaum je zuvor. Neben der haar­fei­nen (ja, in gewis­ser Wei­se sehr deut­schen!) Inner­lich­keit eines Andre­as Dre­sen, eines Pet­zold und einer Link bürs­tet er (mit Fatih Akins Mul­ti­kul­ti-Dra­men Kurz und Schmerz­los und Gegen die Wand, mit Wort­manns Der Cam­pus, Hans Wein­gart­ners Die fet­ten Jah­re sind vor­bei) ordent­lich und fein­sin­nig genug gegen den Strich poli­ti­scher Kor­rekt­heit, mit Wort­manns Wun­der von Bern und Deutsch­land, ein Som­mer­mär­chen hat er gar beschei­de­ne Natio­nal­epen zu bie­ten. Oder neh­men wir allein Tykwers Film­schaf­fen, von Lola rennt, Der Krie­ger und die Kai­se­rin, über Hea­ven hin zu Das Par­fum und The Inter­na­tio­nal: Woll­te man sich Licht­meß’ Schel­te­sche­ma bedie­nen, könn­te man die­se groß­ar­ti­gen Fil­me ein­mal mit Shrek, Fluch der Kari­bik oder irgend­wel­chen High-School-Strei­fen ver­glei­chen. „Geis­ti­ge Lau­heit“ – nein, gera­de dafür steht der anspruchs­vol­le deut­sche Film nicht. Und des­halb darf man auf den eben urauf­ge­führ­ten Lage­be­richt Deutsch­land 09 (von Tykwer, Link, Graf, Pet­zold u.a.) äußerst gespannt sein.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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Kommentare (13)

Philipp

8. Februar 2009 19:23

Speziell die Filme von Petzold, wie eben Yella oder die die zwei vorhergegangen Filme der "Gespenster"-Trilogie, gehören wohl zu dem besten was der deutsche Film in den letzten Jahren hervorgebracht hat. Was da sonst noch aus der Ecke der Berliner-Schule kommt, ist vielleicht nicht alles Gold, aber wo ist es das auch schon? Sieht man von diversen Fernsehproduktionen oder den ganzen sehr amerikanischen Eichinger-Produktionen etc. ab, so macht man es sich schon etwas einfach, wenn man sagt nach dem deutschen Autorenfilm, nach Herzog, Syberberg und Wenders kam sowieso nur noch Müll aus Deutschland und verkennt eben die vielen recht feinfühligen, sensiblen, eben für den Deutschen Film charakteristischen neuen Produktionen. Unter dem Gesichtspunkt betrachtet haben auch die Filme von Faith Akin etwas typisch deutsches. In diese Reihe passt auch sehr gut "Winterreise" von Hans Steinbichler, um einen bisher noch nicht genannten Regisseur zur Sprache zu bringen.

Michael Morozow

9. Februar 2009 14:10

Alle oben positiv genannten Filme bringen es auf den maximalen Zähler 10 innerhalb eines Produktionszeitraums von mindestens 10 Jahren! Und das bei einem 80 Millionen Volk? Sorry für diese profane Bewertung! Aber auch das darf mal gesagt sein: Große Kunst weist stets über sich hinaus und hat einen religiösen Kern. Wo ist das der Fall bei den zitierten Filmen?
Nur mal zum Vergleich: das kleine Land Spanien hat mit El Orfanato/Das Waisenhaus (Regie: Bayona, Produzent: Guillermo del Toro) bislang knapp 100 Millionen $ weltweit eingespielt. Was in Deutschland verbal mit Horrorfilm abqualifiziert wird, birgt als Filmwerk alle Qualiltäten, die die geschätzten Schreiber weiter oben gefordert haben: Feinfühligkeit, Sensibilität, Schlichtheit, Verzweiflung - aber darüber hinaus eben auch: halluzinöse Feier der Liebe und Bejahung des Kosmos.
Doch was uns Deutsche betrifft: wir träumen in unseren Filmen nicht. Mit C.G.Jung könnte man sagen: entweder sind wir psychisch furchtbar gesund oder furchtbar tot.

Philipp

9. Februar 2009 17:39

Große Kunst weist stets über sich hinaus und hat einen religiösen Kern. Wo ist das der Fall bei den zitierten Filmen?

Das sagen Sie. Und weil Deutschland Deutschland ist und nicht Spanien wird in den hiesigen Filmen auch vielleicht nicht mehr so geträumt, wobei es da auch genügend Beispiele gibt, die sogar älter als zehn Jahre sind. Wenn die Filme von Werner Herzog nicht ein Beispiel für die Fähigkeit zu Träumen ist, welche dann? Darin findet sich etwas, das man irgendwie faustisch nennen könnte, aber wer sagt denn bitte, daß so etwas den Kunst, Film oder speziell den deutschen Film ausmachen sollte?

Harry

9. Februar 2009 20:16

Trotz guter Ansätze im deutschen Film: meine Gesamtbilanz ist eindeutig negativ.

Die goldene Zeit des deutschen Films waren die 20er Jahre des letzten Jahrhunderts. Kommerziell erfolgreich UND künstlerisch anspruchsvoll - oft in einem Film (den von Ellen Kositza aufgebauten schablonenhaften Gegensatz zwischen E- und U-Filmen sehe ich nicht). "Dämonische Leinwand" und die Neue Sachlichkeit hatten beide ihren Platz auf der Leinwand.

Die vorhandene Substanz hat der deutsche Film verloren. Zunächst die DYNAMIK (durch den Wechsel hin zum Tonfilm, nur in Deutschland war dieser Verlust dauerhaft), dann das ABSTRAKTIONSVERMÖGEN (durch reaktionäre Bestrebungen vor allem der UfA, hier sehe ich den Verlust an Träumen, den Michael Morozow völlig zu recht angesprochen hat), dann der EXODUS 1933 und die ZERSTÖRUNGEN 1945 und danach (Teilung, restriktive Filmpolitik in der DDR). Die Substanz hat zumindest in der Bundesrepublik noch ausgereicht, um die Kinos bis in die 60er zu beherrschen (Winnetou, Wallace, Heimatfilme), wenn auch nur mit gutem Handwerk.

Noch bevor Harald Reinl abtrat, wurde 1962 der Todesstoß des deutschen Films im Oberhausener Manifest verkündet (dort nannte man es den Abschied von Papas Kino). Der Autorenfilmer trat auf die Bühne. Ambitioniert, gesellschaftlich engagiert, handwerklich dilettantisch (letzteres der große Unterschied zu Nouvelle Vague, Free Cinema u.a.)

Inhaltlich setzte man auf sozial und politisch relevante Themen (links akzentuiert natürlich), formal bevorzugte man den Theaterblick (die unbewegliche Kamera zeigt das Geschehen, ohne Schnitt oder Zoom) oder die Halbtotale (oft aufgrund der Kooperation mit TV-Anstalten).

Dieses Erbe gibt es noch heute. Gute Ansätze sehe ich durchaus. Kinderfilme und Komödien aus deutschen Landen haben sich feste Marktanteile erobert und werden gerne gesehen, und Tom Tykwer ist sicherlich das Zugpferd des deutschen Films (seine Filmsprache hat eine Dynamik, die man in Deutschland lange vermisst hat). Und es gibt auch herausragende Einzelgänger, deren Filmwerk bemerkenswert ist (z.B. Romuald Karmakar).

Trotzdem - bei den meisten deutschen Filmen denke ich mir, ein Soziologe hat das Drehbuch geschrieben (selbst bei Petzold) und der Regisseur von Wetten Dass? hat Regie geführt. In Deutschland fehlt (von Einzelfällen abgesehen) die Lust am Pathos, an der Ästhetik, am Spielerischen, an der Vitalität. Und - ja - es gibt auch zu wenig (ästhetisierte) Gewalt und Erotik in deutschen Filmen. Weil nicht zwischen Signifikat und Signifikant unterschieden wird.

Wie sieht gutes Kino aus? Z.B. Südkorea. Ein breites Angebot an verschiedensten Filmen, für alle Geschmäcker und trotzdem unverkennbar, davon viele herausragende Werke (z.B. Joon-Ho Bonhs "Memories of Murder" oder Park Chan-Wooks geniale Vengeance-Trilogie).

Weiter bin ich der Ansicht, dass es keineswegs authentisch ist, wenn ein Filmemacher sich auf das Private und Alltäglich beschränkt Abgesehen davon dass hier der Dokumentarfilm das bessere Mittel ist, kann die Gestalt eines Problems, einer Angst... viel besser dargestellt werden, wenn man den platten Realismus verlässt und abstrahiert. (siehe Guillermo del Toros "Pan`s Labyrinth" oder Stanley Kubricks "Eyes white shut").

Wie gesagt, es geht nicht darum alle deutschen Filmemacher oder Filme zu verdammen (Philipp hat sicher recht wenn er sagt, dass selbst manche Autorenfilmer gute Werke geschaffen haben). Von einer vielfältigen und innovativen Filmlandschaft ist man in Deutschland aber noch sehr weit entfernt.

Harry

10. Februar 2009 19:22

Leichtgewichtig in die Runde geworfen, meine 10 deutschen Lieblingsfilme nach 1945 (sehr subjektiv ;-)

- Der Frosch mit der Maske (Harald Reinl 1959)
- Faust (Peter Gorski 1960)
- Hitler - Ein Film aus Deutschland (Hans-Jürgen Syberberg 1977/1980)
- Woyzeck (Werner Herzog 1979)
- Christiane F. (Uli Edel 1980)
- Das Boot (Wolfgang Petersen 1981)
- Der Todesking (Jörg Buttgereit 1990)
- Kleine Haie (Sönke Wortmann 1992)
- Wer früher stirbt ist länger tot (Marcus Rosenmüller 2006)
- Requiem (Hans-Christian Schmid 2006)

Martin Lichtmesz

11. Februar 2009 10:54

Damit alle wissen, worum es überhaupt geht, hier noch der Originaltext aus der aktuellen JF.

***

BILDER AUS DEM NIEMANDSLAND

Eine künstlerisch bedeutsame oder international erfolgreiche Filmnation ist Deutschland schon lange nicht mehr. Als die glanzvollsten Zeiten des deutschen Films gelten einerseits die Jahre der Weimarer Republik, als Regisseure wie Murnau, Lang, und Lubitsch klassische Meilensteine schufen, andererseits die Ära des "Neuen Deutschen Films", in der Rainer Werner Fassbinder, Werner Herzog, Volker Schlöndorff, Werner Schroeter oder Hans-Jürgen Syberberg dem Kino der Bundesrepublik Weltruhm verschafften. Mitte der Achtziger Jahre hatte sich der "Neue Deutsche Film" totgelaufen. Faßbinder starb, Wenders, Schlöndorff, Herzog gingen in die USA, Syberberg und Schroeter zogen sich zurück. Filme wie "Das Boot", "Die unendliche Geschichte", "Männer" und "Otto - Der Film" definierten den Publikumsgeschmack der nächsten Jahrzehnte. Ein Vierteljahrhundert später sind es immer noch die Eichinger-Blockbuster und Klamaukfilme, die die höchsten Einspielergebnisse erzielen. Der Anteil des deutschen Films von knapp 20% am US-dominierten Markt wird vor allem von Produktionen wie "Keinohrhasen", Bully-Herbig-Vehikeln oder "7 Zwerge" bestritten. Dazu kommen Millionenschwarten wie "Der Untergang" oder "Der Baader-Meinhof-Komplex" , die künstlerisch gesehen kaum mehr sind als ausstattungslastige Ausbeutungen zweier beliebter Exportartikel der deutschen Unheilsgeschichte. Und wie eben wieder "Operation Walküre" bewiesen hat, ist das deutsche Kino trotz aller Imitationsversuche den amerikanischen Profis rein technisch immer noch weit unterlegen.

Daß auch die großen Formate hierzulande immer einen Geschmack von Lindenstraße haben, ist kein Zufall. Vom Mainstream bis zum alternativen Kino leidet der deutsche Film an einer übergroßen ästhetischen und finanziellen Abhängigkeit vom Fernsehen. Die Fördergremien sind mit TV-Redakteuren bestückt, die in risikoarmen Kategorien denken. "Der deutsche Kinofilm", schrieb Peter Körte in der FAZ, könnte "trotz zahlreicher Filmfördereinrichtungen der Länder und des Bundes, ohne das Fernsehen gar nicht existieren. (...) So hat das Fernsehen nicht nur ein internes Qualitätsproblem. Es hinterlässt auch Kollateralschäden: Indem es den deutschen Film nach seinem Bilde formt, indem es ihn auf Sendetauglichkeit trimmt, deformiert es ihn zugleich."

Nur ein kleiner Bruchteil der 20 % Marktanteil wird von der Arthaus- und Autorenfilm-Nische besetzt. Filmemacher wie Christian Petzold versuchen, den Massengeschmack mit stilistischer Spröde und inhaltlicher Schwere zu kontern. Am bekanntesten wurde eine lose Gruppe von Regisseuren, die unter dem Schlagwort "Berliner Schule" zusammengefaßt wurde. Die meisten davon sind Absolventen von Filmhochschulen mit cinephilem Hintergrund. Statische Kamera, reduziertes Schauspiel, lange Einstellungen, die Beschränkung auf das Private und Alltägliche sind favorisierte Stilmittel und Inhalte. Die Ergebnisse reichen von gepflegter Langeweile (Angela Schanelecs "Mein langsames Leben", 1998) über konzentrierten Lyrizismus (Thomas Arslans "Dealer", 1999), bis zu düsteren Charakterstudien (Christoph Hochhäuslers "Falscher Bekenner", 2005) und gespenstischen Parabeln (Christian Petzolds "Yella", 2007). Allen diesen Filmen gemeinsam ist die Melancholie und Unverortetheit ihrer Figuren. In einem publizierten E-Mail-Wechsel zwischen den Regisseuren Petzold, Dominik Graf und Christoph Hochhäusler sprach Graf gar davon, daß in vielen dieser Filme Deutschland als eine Art Niemandsland, eine "Todeszone" erscheine. Es gäbe "beim deutschen Nachwuchs im Übermaß eine bestimmte Sorte Kino", die man als "Schneewittchenfilme" bezeichnen könnte: "Menschen leblos hinter Glas, in Erwartung". Drückt sich darin eine "Melancholie des Bürgertums" aus? Christoph Hochhäusler spannte den Bogen noch weiter: es sei "die deutsche Tradition des schweren Lebens, die Sehnsucht nach endgültiger Form, nach einer eigentlich lebensfremden Stabilität, die da zum Ausdruck kommt, und die sich vielleicht in unseren Filmen und Stoffen fortsetzt. Diese Hingabe an das Tote, Infrastrukturfetischismus, haben wir alle erlebt. Und das geht tatsächlich über die Melancholie des neuen Bürgertums hinaus."

Also typisch deutsche Innerlichkeit, aus Eichenholz geschnitzt? Das Zweifelnde, Suchende, Nie-Einverstandene, Nicht-Arrivierte, das Melancholische, das Vage, kein Schwarz, kein Weiß, lauter Grauzonen, wie im wirklichen Leben, alles im Dämmer, ein Abbild unserer Zeit, wie deutsch, wie schön, wahr und gut? Die Gestimmheit der "Schneewittchen"-Filme scheint immerhin zu bestätigen, daß auch nach der Wende gilt, was Hans-Jürgen Syberberg 1978 über die Brüche von 1945 und 1968 schrieb: "Deutschland wurde seelisch enterbt und enteignet ... Wir leben in einem Land ohne Heimat." Das Unbehagen an Deutschland bestimmte bereits die seelische Grundierung des Neuen Deutschen Films. Die Verarbeitungen fielen je nach Temperament unterschiedlich aus: der selbstquälerische Fassbinder stürzte sich mit seinem Ensemble in den Schmerz wie in eine Gruppentherapie, Wenders entwich ihm, in dem er quasi in ein Auto stieg und Richtung Amerika davonfuhr, während Herzog die mythische Überhöhung suchte. Dreißig Jahre später sind die Ausdrucksformen deutlich eingeschränkter. Eine Einstellung aus einem Film von Petzold könnte sich genauso gut bei Arslan, Schanelec oder Valeska Grisebach wiederfinden. Auch weil es der "Nouvelle Vague Allemand" an visuellem Temperament fehlt, kann sie dem Mainstream kaum etwas entgegensetzen.

Fraglich ist auch, ob die Weigerung, sich festzulegen, oftmals nicht den einfacheren Weg darstellt. Viele Autorenfilme scheinen sich ebensowenig im Klaren zu sein, was sie nun eigentlich erzählen wollen, scheinen ebensosehr "Filme ohne Haltung" zu sein wie Eichingers Spektakel. Hochhäusler schrieb von einer Gruppe, "die das Leblose offensichtlich nur wählt, weil es sich so gut gestalten lässt: Wachsfiguren." Das Ungreifbare macht auch unangreifbar. Die professierten Intentionen sind andere: "Kino muß gefährlich sein" betitelte sich ein Sammelband der Filmzeitschrift "Revolver", die der "Berliner Schule" nahesteht. Die intellektualisierten Zombies, die etwa durch Petzolds Filme geistern, sind indessen vielleicht bloß die Kehrseite der gefühligen Seifigkeit des Mainstreams. Ob dick aufgetragen oder prätentiös unterkühlt, beides ist gleich weit weg von den authentischen Gefühlen, mit denen die Deutschen sich so sehr plagen. Selbst in den populäreren Filmen von Detlev Buck, Tom Tykwer oder Sönke Wortmann sind die falschen Töne unverkennbar. Im Grunde ist auch das Beharren der Geschichtsfilmwelle ("Dresden", "Die Flucht") auf der politisch korrekten Wattierung diesem Umstand geschuldet. Andere Filme wie "Halbe Treppe" (Andreas Dresen, 2002), "Netto" (Robert Thalheim, 2005) oder "1. Mai - Helden bei der Arbeit" (2008) setzen wiederum im Gegensatz zur Berliner Schule auf einen realistischeren Zugriff, erdigere Thematik und Handlungsorientierheit, verbleiben aber trotz kurzweiliger Ergebnisse oft im transzendenzlosen Banalen.

Angesichts der post-politischen, ästhetischen und geistigen Lauheit der deutschen Arthaus-Filmer, darf man der Gemeinschaftsarbeit "Deutschland 09", die auf der diesjährigen Berlinale Premiere hat, mit Skepsis entgegenblicken. Der Film will an den Klassiker „Deutschland im Herbst“ (1978) anknüpfen, in dem unter anderem Fassbinder, Schlöndorff und Alexander Kluge radikal subjektive Beiträge zur Lage der Nation im Zeitalter des RAF-Terrorismus lieferten. Schlöndorff faßte damals seine Erfahrungen während der Dreharbeiten zusammen: „Man fragt sich nicht mehr, warum gibt es sogenannte Terroristen, sondern wie kommt es, daß es nicht viel mehr gibt. Wie kommt es, daß nicht alle um sich schlagen?“ Ob darauf nun die Beteiligten, darunter Tykwer, Petzold, Graf, Hans Weingartner und Angela Schanelec, eine Antwort geben können, ist fraglich. Haben sie sich diese Frage denn jemals gestellt?

Martin Lichtmesz

11. Februar 2009 15:07

Als Verfasser des von Ellen Kositza kritisierten Artikels möchte ich zu ein paar Punkten ihrer "Verteidigung" Stellung nehmen.

1. Grundsätzlich kann ich Kositzas Auffassung, was "großartige Filme" oder gar "Sternstunden" des Kinos konstituiert, kaum teilen. Die herausragenderen, erfolgreichen deutschen Filme der letzten zehn, fünfzehn Jahre von "Lola rennt" über "Das Wunder von Bern" bis "Gegen die Wand" halten weder einem internationalen noch einem filmgeschichtlichen Vergleich stand. Wenn man als Maßstab das Beste nimmt, das das europäische Kino seit, sagen wir, 1960 hervorgebracht hat, von Truffaut, Godard, Rivette, Chabrol, Malle, Bergman, Antonioni, Fellini, Pasolini, Rosi, Herzog, Fassbinder, Wenders, Bunuel, Melville, Loach, Kieslowski, Kaurismäki, Greenaway, von Trier etc etc, dann fällt der Vergleich nicht nur für das deutsche, sondern für das zeitgenössische europäische Kino überhaupt schlecht aus: seine große Zeit scheint unwiderruflich vorbei. Woran es vor allem fehlt, sind die großen Stilisten, die einem Film ihren unverwechselbaren Stempel aufdrücken. Nicht nur die Zeit des Neuen Deutschen Films, auch die des klassischen Autorenfilms endete um 1980. Das hat mit veränderten Produktionsbedingungen zu tun, aber auch mit dem Nachlassen eines, sagen wir, kulturellen Spannungsverhältnisses.

Gerade der von Kositza genannte Tom Tykwer ist ein symptomatischer Fall: technisch perfekter als andere deutsche Regisseure, hat er keine eigene Handschrift, kein eigenes Thema entwickelt. In seinen inhaltlich ambitionierten, dezidiert kunstsinnigen Arbeiten wie "Winterschläfer" und "Der Krieger und die Kaiserin" kann ich nur prätentiöse, bedeutungschwängernde Posen erkennen, aber keine echte Substanz. Und man vergleiche einen flotten, gut gemachten Film wie "Lola rennt" mit der auf einer ähnlichen Ebene angesiedelten französischen Komödie "Die wunderbare Welt der Amélie" und der meilenweite Abstand springt ins Auge. Ähnlich verhält es sich mit dem von Eichinger produzierten (und geschriebenen!) Ausstattungsspektakel "Das Parfüm" im Vergleich zu "La Reine Margot" (1995) von Patrice Chereau, um keinen allzu unfairen Vergleich zu bringen.

Ähnlich kann man schwerlich Sönke Wörtmann oder Detlev Buck wirklich als "große" Regisseure bezeichnen: sie sind kaum mehr als Vertreter des gehobenen Mainstreams, die in der Regel biedere, harmlose Filme drehen, die keinem wehtun ("Knallhart" war eine Ausnahme), und außerhalb von Deutschland kaum jemandem interessieren. Ich finde auch die "politische Unkorrektheit" von Filmen wie "Der Campus" oder Weingartners "Die fetten Jahre..." weit überschätzt. Da ist Kositza, ebenso wie im Falle des "Patriotismus" von "Das Wunder von Bern" den scheinbar politischen Häppchen "gegen Links" auf den Leim gegangen. Speziell Weingartner ist ein klassisches Beispiel für eine insgeheim bequeme, sozialdemokratisch-betuliche Pseudorevolten-Attitüde, die sich inzwischen mit dem unsäglichen "Free Rainer" in ihrer ganzen Schlichtheit bloßgestellt hat.

In diesem Zusammenhang ist auch Möchtegern-Neo-Fassbinder Oskar Roehler zu erwähnen, der Houellebecqs "Elementarteilchen" jegliches Gift genommen hat, und sie in eine typisch deutsche Beziehungs-Sex-Streßkomödie verwandelt hat. Das kann in so einer lähmenden Gründlichkeit wohl nur einem deutschen Regisseur gelingen.

Auch der Fall Fatih Akin, dessen Arbeiten im Schnitt vitaler sind, als die meisten seiner deutschen Kollegen (vielleicht weil er aus einem spannungsreicheren, problematischeren Milleu kommt) ist unterm Strich recht problematisch: der Eindruck, den seine Filme beim ersten Sehen machen, blättert beim zweiten oft schnell ab. Auch sein Multikultiknaller "Kurz und Schmerzlos" wirkt gegenüber dem fast schon plagiierten Vorbild von Scorsese, "Mean Streets", geradezu mickrig, gewollt, posenhaft, gestellt. Besonders schlimm wird es, wenn Akin versucht, über seine Kräfte anspruchsvoll zu sein, und etwa von einem Milieu zu erzählen, das nicht das seine ist: in "Solino" über süditalienische Einwanderer ist wirklich jeder Ton falsch, und der Film sieht stellenweise aus wie eine Fernsehwerbung für Tomatensauce.

Was nun die "Speerspitze" betrifft, also die deutschen Kunstfilmer unterhalb des gehobenen Mainstreams, etwa die "Berliner Schule", so sind diese trotz oft beeindruckender Werke (das sage ich ganz ausdrücklich!) allzuhäufig nicht mehr als Epigonen und Nachahmer von Regisseuren wie Bresson, Antonioni, Kieslowski und anderen. Man vergleiche "Falscher Bekenner" und "Der Teufel möglicherweise", "Dealer" und "Pickpocket", "Marseille" und "Cleo zwischen 5 und 7" etc etc.

Und schließlich möchte ich einen Film sehen, der es an emotionaler Intensität und gestalterischer Innovation mit anderen Euro-Filmen des letzten Jahrzehnts aufnehmen kann wie (ich werfe Drama und Komödien wild durcheinander) "Das Fest", "Idioten", "La Haine", "Rosetta", "Die hundert Schritte", "Alles über meine Mutter", "Seul contre tous", "Hundstage", "Songs from the second floor", "Lilya 4-ever", "Nordrand", "Adams Äpfel", "My Name is Joe", "Caché", "This is England"...

2. Daß das deutsche Kino dem US-Kino (nicht dem Weltkino, wie Kositza schreibt) technisch unterlegen ist, ist eine schlichte Tatsache, die auch eng mit seiner Verfilzung mit dem Fernsehen zusammenhängt, die ich kurz angesprochen habe. (Siehe dazu den sehr guten Artikel von Peter Körte auf faz.net "Große Leinwand, kleines Format".) Der Punkt ist, daß sich diese Beschlagnahme durch TV-Ästhetik und -kompatibilität quer durch alle Schichten des Filmschaffens bemerkbar macht, vom "Untergang" bis zu den Filmen von Petzold, die sich ja eben als Gegenentwürfe zum Constantin-Kino verstehen.

Die technische Überlegenheit der USA betrifft indessen nicht nur die Blockbuster, sondern auch den Qualitätsmainstream: auf der einen Seite eben Buck, Wörtmann, Akin, Tykwer auf der anderen Scorsese, Lynch, P. T. Anderson, Coen Brothers, Shyamalan... der Unterschied ist gewaltig. Da kann man sich etwa aus deutschem Kulturaffekt noch so sehr über einen Superhelden-Blockbuster-Regisseur wie Bryan Singer mokieren: "Operation Walküre" ist voller inszenatorischer und visueller Ideen, mit einer treffsicheren Schauspielführung, die man im deutschen Film in dieser Qualität nur äußerst selten vorfindet.

3. Kositza schreibt:

Daß, wie Lichtmeß schreibt, „eine Einstellung aus einem Film von Petzold sich genausogut in einem Film von Arslan, Schanelec oder Valeska Gisebach wiederfinden“ könnte, wäre dann relevant, wenn der Autor ebensolche „Einstellungen“ aus klein- oder mittelbudgetierten angelsächsischen Filmen mit dem jeweiligen Regisseurnamen identifizieren könnte.

Der Punkt ist, daß die ästhetische Vielfalt des deutschen Kunstkinos, die Vielfalt der Ausdrucksformen, die dem Mainstream entgegengehalten werden, beträchtlich abgenommen hat. Der Vergleich, der sich aus dem eigenen Anspruch ergibt, wären nicht irgendwelche "angelsächsische Filme", sondern Autorenfilmer, denen eben diese Unverwechselbarkeit gelingt, z. B. den Österreichern Ulrich Seidl und Haneke. Dagegen unterscheidet sich "Yella" schon rein optisch-fotografisch durch nichts, aber auch gar nichts von dem glatten Standard-TV-Movie-Look, nur eben ein Spur spröder, unterkühlter.

Es gibt heute keine wirklichen unverwechselbaren visuellen Temperamente. Genau das war aber zur Zeit des Neuen Deutschen Films anders, und erst recht zur Zeit der orginalen Nouvelle Vague von etwa 1958-1968. Die Ausdrucksformen (also: der Stil) ebenso wie die Sujets von Fassbinder, Wenders, Herzog waren grundverschieden voneinander und haben unzählige Nachahmer geprägt. Ebendarum wiegt es umso schwerer, daß die Filme etwa der Berliner Schule etc. einander stilistisch oft zum Verwechseln ähnlich sind. Auch im gehobeneren Mainstream fehlen die Filme mit wirklichen Charakter.

Deshalb scheint mir Kositzas Behauptung nicht haltbar, der deutsche Film "schillere wie kaum je zuvor". Ein Blick auf das Kino der Referenzepochen der Weimarer Republik und Neuer Deutscher Film widerlegt das ganz klar. Wobei ich die Generation Fassbinder & Co keineswegs für sakrosankt halte: gegenüber dem italienischen und französischen Nachkriegskino etwa fällt der deutsche Film nach 1945, auch in seinen Höhepunkten, deutlich ab.

4.

Wo wären die „intellektualisierten Zombies“ in Christian Petzolds Filmen? Weder in Yella, noch in Jerichow, um bei den hervorragenden jüngsten Produktionen Petzolds zu bleiben, haben wir Intellektuelle gesehen, sondern schlichte, verzweifelte Menschen die am Rande Deutschlands sowie ihrer eigenen Existenz einen Grund zum Überleben suchen.

Hier habe ich mißverständlich formuliert: Nicht die Figuren sind "Intellektuelle", der Zugang des Autors Petzold scheint mir jedoch "intellektualisiert", sowohl in der Inszenierung als auch in der Konzeption der Figuren selber. Petzolds Interviews sind oft interessanter als die Filme selber. An der Figur der "Yella" etwa scheint mir nichts echt, aber alles konstruiert. Nina Hoss irrt durch den Film mit einem einzigen, nie wechselnden Gesichtsausdruck, guckt dabei ständig leidend und ernst, als wäre in ihre Miene die Parole "Ich spiele jetzt in einem künstlerisch wertvollen Film" eingeschrieben... das sind für mich keine Figuren aus Fleisch und Blut, sondern Konstrukte, und es ist kein Wunder, daß "Yella", ebenso wie "Gespenster" ein Quasi-Geisterfilm ist.

Hier geschieht in meinen Augen genau das, was Hochhäusler in dem zitierten E-mail-Wechsel anspricht, jene Art von Inszenierung, "die das Leblose offensichtlich nur wählt, weil es sich so gut gestalten lässt: Wachsfiguren."

Petzold hat außerdem kaum einen Zugang zu den Schauspielern, zu den Gefühlen der Protagonisten: in "Die innere Sicherheit" läßt er Julia Hummer Szene für Szene hängen, ohne eine erkennbare Anweisung, was sie denn nun spielen soll, ohne ihr und dem Rest der Besetzung Nuancen zu geben. In den Folgefilmen inszeniert er konsequenterweise seine Figuren als Geister, die steif und emotionsarm kaum wissen zu scheinen, was der Regisseur mit ihnen vorhat.

Es ging mir nun in meinem Artikel vor allem darum, das "Zweifelnde, Suchende, Nie-Einverstandene, Nicht-Arrivierte, das Melancholische, das Vage, kein Schwarz, kein Weiß, lauter Grauzonen, alles im Dämmer", das auch Kositza sieht, in erster Linie als Zeitsymptom zu begreifen. Die von Graf-Hochhäusler-Petzold konstatierte Häufigkeit der "Schneewittchenfilme" ist mit Sicherheit kein Zufall und reflektiert eine kollektive Verfassung der Deutschen.

Ob nun die angesprochenen künstlerischen Verarbeitungen wirklich Größe haben, oder ob sie vielleicht nur Teil des Symptoms und einer allgemeinen schöpferischen Schwäche und Unentschlossenheit sind, steht auf einem anderen Blatt. Kositza tendiert eher zur ersteren, ich zur letzteren Beurteilung.

Um ein Gesamtbild zu gewinnen, müßte nun freilich auch der Mainstream von Wörtbuckmann bis "Keinohrhasen" und den "Geschichtsfilmen" analysiert werden, aber dafür war kein Platz mehr.

5.

Lichtmeß beklagt einerseits das Unauthentische der deutschen Films, der nichts zu tun habe mit den Gefühlen, „mit denen sich die Deutschen so sehr plagen.“ Andererseits beklagt er die „Beschränkung auf das Private und Alltägliche“.Ja, was nun?

Es gibt hier keinen Widerspruch. Die "richtigen", "authentischen" Gefühle sind nicht notwendigerweise die "bombastischen", oder das Pathetische, Überschwengliche, Tränendrüsendrückende. Aber auch nicht das wüste Drauflos-Improvisieren à la "Halbe Treppe". Weiters habe ich die "Beschränkung auf das Private und Alltägliche“ keineswegs "beklagt". Am Schluß schrieb ich lediglich über einen gewissen Trend, von Filmen die "...aber trotz kurzweiliger Ergebnisse oft im transzendenzlosen Banalen" verbleiben. Das ist eben die Frage, was Kunst zur Kunst macht. Es kommt auf das Wie an. Morandi malt eine Vase, Cezanne einen Apfel, immer wieder und wieder.

6.

Einen „realistischeren Zugriff“ hält Lichtmeß ausgerechnet dem (in der Tat grandiosen) Film 1. Mai – Helden bei der Arbeit (2008) zugute: Da fußt die ganze Handlung darauf, daß einer der beiden Protagonisten gerade seine Großeltern um die Ecke gebracht hat, der pure Alltag also!

Kositza irrt hier zweifach: zum einen "fußt" die Handlung der besagten Episode des genannten Films nicht im Geringsten auf der Mordtat, die erst ganz am Schluß enthüllt wird. Zweitens wird hier "alltäglich" mit "realistisch" verwechselt. Freilich ist die Frage, wie "Realismus" oder "Authentizität" im Film, der immer ein Künstliches ist, zu definieren sind, schwierig, und wäre eine eigene Diskussion wert. Als "realistisch" bezeichne ich hier einen Film, der ausschließlich auf Originalschauplätzen, zum Teil semidokumentarisch, zum Teil mit Laien gedreht wurde, der im Gegensatz zu der hochartifiziellen Welt von "Yella" großes Gewicht auf Lokalkolorit, Sprache und authentischen Habitus der Protagonisten (Türken, Polizisten, Punks, Studenten) legt. (Damit ist nichts gegen das Artifizielle an sich gesagt, hier soll nur ein Stil und ein Zugriff unterschieden werden.) Ein anderer Vergleich wäre ein Film wie Arslans "Dealer", der zwar gleichfalls detailgenau ein spezifisches Kreuzberger Milieu zeigt, es aber durch stilisiertes Schauspiel und Kameraführung auf eine gänzlich andere Ebene hebt.

7.

Und deshalb darf man auf den eben uraufgeführten Lagebericht Deutschland 09 (von Tykwer, Link, Graf, Petzold u.a.) äußerst gespannt sein.

Dies habe ich bereits in meinem Artikel bezweifelt, ob man da so "gespannt" sein darf. Wo ist in all dem, was die genannten Regisseure bisher gemacht haben, die Wut, der Eigensinn, das Temperament, das wahrhaft Widerständige, die Poesie, das Unbequeme, das politisch Bewußte, das die Macher von "Deutschland im Herbst" noch besassen, und das rechtfertigen würde, in "Deutschland 09" große Erwartungen zu setzen? Ich sehe es nicht, und habe eher den Eindruck, der deutsche Film steckt fürs weitere in einem halb-launigen, halb-depressiven Biedermeier fest. Am Ende hat jedes Land auch die Filme, die es verdient.

Ellen Kositza

12. Februar 2009 08:55

Am Ende muß man eben doch ein sehr schales Wort benutzen, um die Sache abschließend auf den Punkt zu bringen: Geschmackssache! Die meisten der hier ins Spiel gebrachten Filme hab ich nicht gesehen, Einige denn doch, und unter den von Lichtmesz als Positivbeispiele (für den herausragenden ausländischen Film) aufgeführten sind welche, die ich einfach nur grauenhaft finde. Den durch Lichtmesz gelobten von-Trier-Film "Idioten" z.B. hatte ich vor zehn Jahren mal in der Jungen Freiheit besprochen. Link funktioniert nicht, hier hab ich zwei Abschnitte rauskopiert:

"Klar, von Trier "jongliert mit dem Konzept des Normalen", wie er es ausdrückt, aber ist das nicht normal? Es steckt keine wirklich neue Aussage in der Beschreibung dieses idiotischen Projekts, vielmehr ist es noch einmal die unkritische und schlußendlich auch langweilige Auffrischung all jener "großen Erzählungen" der letzten Jahrzehnte: Antifaschismus, Individualismus bei gleichzeitigem Bemühen um das Kollektiv, Pornographie und die Gleichheit aller Menschen.

In "Idioten" zeichnet von Trier außer für die Regie auch für Kamera und Drehbuch verantwortlich, wobei dies nur scheinbar einen immensen Aufgabenbereich bedeutet, denn zumindest bis zu einem gewissen Punkt hatten die Schauspieler freie Hand bei der Ausfüllung ihrer Rollen. "Mal sehen, was wir machen und wie wir uns dabei fühlen", beschreibt von Trier dieses Motto."

Fazit: Man kann alles für irgendwie "spannend" halten. Oder für großen Mist.

Martin Lichtmesz

12. Februar 2009 13:27

Na, allzu voreilig würde ich mich nicht auf die "Geschmackskeule" zurückziehen. Und die von mir genannte Beispiele sind ja nicht unbedingt makellose Meisterwerke. Gerade den Trier sehe ich sehr kritisch. Er ist ein schwieriger Fall, einer der großen "Blender" wie Lynch und Greenaway, die zwischen Genie und Schwachsinn zu allem fähig sind.
Der Punkt ist, daß es in Deutschland aber auch kein vergleichbares "Enfant Terrible" gibt, das sich mit einer solchen Verve in immer neue Experimente stürzt.

https://www.jf-archiv.de/archiv06/200618042838.htm

Michael Morozow

12. Februar 2009 16:33

Ich muß Martin Lichtmesz recht geben. Man kann ja auch mal rezeptionsästhetisch argumentieren: Große Kunst setzt sich durch und bleibt. Da muß man nur mal schauen, was aus deutscher Produktion in den Kanon des internationalen Films eingegangen ist. Mir fällt da spontan immer nur Faßbinder und Herzog ein. Doch interessanterweise werden Faßbinder-Filme noch nicht mal mehr um 4 Uhr morgens auf ARTE gezeigt.

Bis vor einem Jahr noch (bevor Steinbrück die Steuervorteile zusammenstrich) wurden die deutschen privaten Investment-Filmfonds in Amerika und sonstwo als "stupid german money" bezeichnet, weil das Geld wahllos und naiv in schlechte B und C Produktionen der Ausländer gesteckt wurde. Wenn denn der deutsche Film so toll sein soll (sowohl inhaltlich als auch an der Kinokasse), warum hat er denn nicht einmal stupid german money an sich gebunden?

FjM

13. Februar 2009 00:20

Fassbinder und Herzog laufen schon gelegentlich im TV. Das ist dann der Überraschungseffekt für Rumzapper. Arte zeigt doch nach 4 far nichts mehr außer Programmvorschau, oder bis vor kurzem noch diese blöden Schafe. "Yella" wird nächsten Sonntag auf ARTE wiederholt, 16:10. Ich schaue ihn mir an, um zu begreifen worum es hier geht.

Philipp

13. Februar 2009 20:56

Herzog ist mittlerweile auch irgendwo im Nirvana der Dokumentation angelangt, vieles ist sicher sehenswert aber geht - zumindest in der Öffentlichkeit - unter. Sein letzter Spielfilm "Rescue Dawn" lief in, wenn überhaupt, kaum einem deutschen Kino. Seine große Zeit waren wohl die Filme mit Kinski.

Wim Wenders ist auch nicht mehr was er mal war. "Don't come knocking" war nett, aber doch irgendwie nichts besonderes mehr, vom neusten Film mit Campino mal ganz zu schweigen, den sogar die Kritiker zerrissen.

Die Zeit der "Alten" ist im deutschen Film irgendwie vorbei, genau wie man wahrscheinlich von Trier nicht mehr viel erwarten kann, der seine Hochzeit wohl mit Filmen wie "Dogville" oder der Serie "Geister" hatte.

Bleibt die Frage, was vom jungen deutschen Film zu halten ist und ich glaube da liegt eben der Hauptstreitpunkt. Die Berliner Schule ist bis auf den Abweichler Petzold alles andere als Massentauglich

Irma

14. Februar 2009 03:56

Jubel - Trubel, Biß - Verriß - Publikum das Fußvolk, die Filmemacher Herrscher, Krieger, Abenteurer in einer Ersatzwelt Film bei Ersatz-Kreuzzügen rund um den Globus. Und zwar in doppelter Hinsicht: Einmal als Producer mit der Crew und den Locations (Landnahme). Bei der Siegesfeier in der Arena des Filmtheaters, vom roten Teppich über die Premierenfeier bis zum Kinoabend mit Popcorn oder DVD auf häuslichen DVD-Player.
Welcher Produzent/Regisseur verhält sich noch angemessen als Künstler/Artist? Sieger, Prokurator, Feldherr, Potentat, Herrscher mit Hofstaat - so treten sie auf. Warum sollte man diesem Spektakel auch noch hofieren? Das Spektakel überstehen: Klausur, Sammeln, die Spreu vom Weizen trennen. Später in aller Ruhe absichtslos wie Otto Normalverbraucher ins Kino gehen. Nichts übereilen. Ihre ausgezeichnete Einschätzung in ruhigerer Zeit wäre sicher langlebiger, nachhaltiger, ergiebiger - grundlegender ausgefallen.

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