Dieses kodifizierte Wissen aus einer Zeit, in der das Militär nicht nur in Deutschland als wichtiges Element der Gesellschaft anerkannt war und Rangunterschiede als selbstverständlich vorausgesetzt wurden, ist historisch gesehen bereits sehr differenziert und überdies aufschlußreich für die systematische Überlegung, was überhaupt als Wesen einer militärischen Elite erfaßt werden kann.
Die Garden der Herrscher hatten neben ihrer Schutzfunktion als Leibwache immer auch repräsentative Aufgaben als Ausweis der Stärke und des souveränen Selbstbewußtseins: Von den Hetairoi des Makedoniers Alexander bis hin zum preußischen Gardekorps im kaiserlichen Deutschland verstanden es die »Vornehmsten« als ihre Pflicht und ihr besonderes Anrecht, in der Garde zu dienen, unmittelbar am Zentrum der Macht als jener Teil derselben, der sie an den Zugängen sichtbar verkörperte. Die Garde konnte damit soziologisch eine »Elite«, eine gesellschaftliche Auslese abbilden, aber auch den einfachen Soldaten aus niederen Schichten durch seine Funktion aus der Allgemeinheit herausheben und gleichsam adeln. In der weiteren geschichtlichen Entfaltung hängt es von der jeweiligen Lage ab, wie die Funktionen solcher Garden zu gewichten sind – in längeren Friedenszeiten kann sich der Schwerpunkt zur Repräsentation verlagern, so daß der äußere Eindruck, etwa das »Gardemaß« der Soldaten, die Uniform und das Zeremoniell wichtiger erscheinen als die reale Kampfkraft der betreffenden Einheit. Der Gedanke einer Auswahl geeigneter oder gar im Wortsinn herausragender Individuen bleibt dann zwar erhalten, ist aber funktional auf die repräsentative Erscheinung ausgerichtet. Verbände wie das vorwiegend aus Wehrpflichtigen bestehende Wachregiment »Friedrich Engels« der Nationalen Volksarmee in der DDR oder das Wachbataillon beim Bundesministerium der Verteidigung in der BRD sind daher zwar nicht mit preußischen Gardekorps gleichzusetzen, behalten in ihrer Erscheinung und sichtbaren Nähe zur Macht aber doch Züge solcher seinerzeit zweifelsohne elitären Truppenteile.
Derlei vorwiegend zu Repräsentationsaufgaben verwendete Verbände werden heute kaum noch als Elitetruppen bezeichnet, weil sich dieser Begriff spätestens seit dem Zweiten Weltkrieg auf eine spezifische Funktionalität im Kriegseinsatz verengt hat. Mit der »Leibstandarte Adolf Hitler« der SS kam zwar das Modell der Prätorianer wie auch die Doppelfunktion als Repräsentations- und Kampftruppe noch einmal zum Tragen, der Begriff der Elitetruppe aber wandelte sich allmählich zu einem Synonym für Einheiten und Verbände mit besonderen Verwendungen: Im Begriff der »Spezialeinheiten« schwingt heute stets die Vorstellung von einer Elite mit. Daraus erklärt sich die groteske Tatsache, daß sich in den jugoslawischen Sezessionskriegen der 1990er Jahre zahllose mehr oder weniger organisierte Einheiten und paramilitärische Gruppierungen aller Feldpostnummern mit der Selbstkennzeichnung als »Specijalna Jedinica« schmückten, in der Hoffnung, damit einen elitären Status zu erlangen. Dieser Logik der »Spezialeinheiten« als Elitetruppen folgt beispielhaft auch Terry Whites Untersuchung über die Aufstellung von Eliteverbänden: Er führt ausgesprochene Spezialverbände wie den britischen und australischen Special Air Service (SAS), die U.S. Special Forces und die Navy Seals, die sagenumwobene sowjetisch-russische Vojska Special’nogo Naznaćenija (»Speznas «) zusammen mit Truppengattungen wie den britischen Paras, den israelischen Fallschirmjägern und ganzen Teilstreitkräften wie dem U.S. Marine Corps und vergißt auch nicht, die Légion Etrangère mit ihrem komplizierten Status in der französischen Armee den Elitetruppen zuzuordnen – auch sie scheinen auf den ersten Blick in den jeweiligen Armeegefügen etwas »Spezielles« an sich zu haben.
Was zunächst an dieser typischen Aufzählung und Zusammenfassung auffällt, ist die Tatsache, daß es sich um vorwiegend infanteristisch orientierte Verbände handelt, auch wenn sie aus der Luft oder von der See her angelandet werden. Diese noch heute festzustellende Fixierung auf die Kampfesweise der Infanterie im Gefecht der verbundenen Waffen ist aus der Historie zu erklären; selbstverständlich aber gibt es in den modernen, hochtechnisierten Streitkräften nicht erst seit dem Zweiten Weltkrieg Vorstellungen von elitären Truppenteilen bei allen Teilstreitkräften, denkt man heute etwa an die U‑Bootbesatzungen oder Kampfschwimmer bei der Marine, an die Jagdverbände der Luftwaffe oder die angloamerikanischen Bomberflotten im Zweiten Weltkrieg.
Einen objektiven gemeinsamen Nenner sogenannter Elitetruppen bildet zweifellos die selektive Rekrutierungspraxis in Verbindung mit einer gründlichen und harten Ausbildung der ausgewählten Soldaten. Den genannten Spezialverbänden, Truppengattungen und Teilstreitkräften, denen in anderen Kompilationen je nach Ausrichtung und Herkunft der Autoren weitere historische und aktuelle Beispiele hinzugefügt werden, ist eigentümlich, daß sie unter Bedingungen operieren, die extremer scheinen als der konventionelle Krieg ohne Atomwaffen mit verhältnismäßig klaren Gefechtsfeldstrukturen. Spezialverbände wie die U.S. Special Forces sind vorgesehen für unconventional warfare, eine spezielle Kriegführung, die sich aus den Erfahrungen des ideologisch unterfütterten Kleinkriegs entwickelte, den Guerilla-Taktiken im Krieg der Vietminh gegen die französischen Kolonialherrn und der Vietcong gegen die US-Amerikaner, sich aber auch auf die Erfahrungen der Briten in deren Kolonialkriegen stützen konnte.
Die Personalauswahl und Ausbildung solcher Spezialeinheiten, zu denen in der heutigen Bundeswehr auch das Kommando Spezialkräfte (KSK) in Calw gehört, ist ganz auf längere, auf sich gestellte Operationen verhältnismäßig kleiner Truppenteile »hinter den feindlichen Linien« ausgerichtet. Es leuchtet sofort ein, daß damit für die Personalauswahl ein Profil vorgegeben ist, welches hohe Anforderungen an die gesundheitliche Eignung, die körperliche Leistungsfähigkeit, an Intelligenz und Charakter gleichermaßen stellt.
Beispielhaft forderte auch das Handbuch für Fallschirmjäger der NVA neben »hohem politischem Bewußtsein« im ideologischen Krieg selbstverständlich »ein Höchstmaß an theoretischem sowie praktischem militärischem Wissen und Können«. Weil eine Fallschirmjägergruppe »im rückwärtigen Gebiet des Gegners ständig von überlegenen Kräften und Mitteln des Gegners umgeben und bedroht« sei, komme es darauf an, »daß der Fallschirmjäger mit viel List und Findigkeit mutig, initiativreich und entschlossen seine Kampfaufgaben erfüllt«. Willensstärke, Kühnheit, Kaltblütigkeit, Zuverlässigkeit und Kameradschaft sollen ihn auszeichnen: »Der ungewöhnlichen Härte und den hohen physischen und psychischen Belastungen beim Einsatz im rückwärtigen Gebiet des Gegners muß er gewachsen sein. Das setzt natürlich ein regelmäßiges, systematisches und tägliches Ausdauer- und Krafttraining voraus.« Die Verfahren der Personalauswahl und Ausbildung sind daher bei solchen Truppen in den unterschiedlichsten Ländern grundsätzlich ähnlich.
Ein derartiges Raster der Personalauswahl wird aber nicht nur bei kommandoähnlichen Einheiten in Anschlag gebracht, sondern ebenso in Truppengattungen wie den israelischen Fallschirmjägern, den im Hochgebirge operierenden Einheiten der Gebirgsjäger oder den amerikanischen Marineinfanteristen, die durchaus im Rahmen üblicher konventioneller infanteristischer Szenarien kämpfen müssen; es ist bezüglich der physischen und psychologischen Kampftauglichkeit feiner als bei den meisten anderen vergleichbaren infanteristischen und ähnlichen Truppenteilen, was nicht zuletzt wieder durch die Einsatzgrundsätze und potentiellen Verwendungen bedingt ist – die Begriffe der »Feuerwehr«, der schnellen Eingreiftruppe oder der Reserve gegen durchgebrochenen Feind sind hier einschlägig. In der arbeitsteiligen Armeeorganisation gilt freilich, daß die Spezialisierung der Truppengattungen höchst unterschiedlich ist und daher nicht nur etwa die als »Elite« anerkannten Kommandos oder auch die Jetpiloten, sondern ebenso beispielsweise Spezialisten der Elektronischen Kampfführung eigenen, durchaus rigiden Auswahlkriterien entsprechen müssen. In dieses Feld gehört überdies, daß auch bei der Auswahl des Führungspersonals Prozeduren greifen – für den Offiziersnachwuchs der Bundeswehr etwa in einem mehrtägigen Verfahren in einer »Offizierbewerberprüfzentrale« (OPZ) –, mit denen die Spreu vom Weizen getrennt werden soll.
Die festgefügte Vorstellung von klar abgrenzbaren Elitetruppen muß also relativiert und dynamisiert werden. Es wäre freilich unsinnig, Qualitätsunterschiede zwischen einzelnen Truppengattungen, Verbänden oder Einheiten abzustreiten; analytisch ebenso problematisch ist es indessen, auf institutionalisierten Eliten zu bestehen, wie es etwa die derzeitige Universitätspolitik vorführt: Als Elite erscheint dann nur, worauf das Etikett »Elite« prangt – hier droht die Arroganz der Hätschelkinder, der schöne Schein. Das Konzept der »Elite« sollte systematisch vielmehr unter drei Aspekten diskutiert werden: Erstens hat man es als eine objektive Qualitätsbezeichnung zu fassen, die aufgrund bewertbarer Leistungen gemäß einem nachvollziehbaren Maßstab zu treffen ist: Wann und wodurch wird eine Einheit substantiell zu einer dauerhaft überdurchschnittlichen Truppe? Zweitens wäre die Kennzeichnung eines Verbands als Elite durch Außenstehende zu analysieren: Wovon hängt es neben der objektiven Leistung ab, daß ein Truppenteil als Eliteeinheit gilt? Und drittens müßte gefragt werden, wann und wie eine Truppe sich selbst als Elite versteht: Gründet dies auf ihrer objektiven Leistungsfähigkeit, und wirkt sich das elitäre Selbstbild wiederum darauf aus?
Die Frage, was bestimmte Einheiten und Verbände besser sein läßt als andere, ist in der Militärwissenschaft der meisten Länder immer wieder Gegenstand der Untersuchung geworden. So gelangte eine Studie an der Naval Postgraduate School im kalifornischen Monterey Mitte der 1980er Jahre zum Ergebnis, es seien in den herausragenden Bataillonen acht »Säulen« dingfest zu machen, auf denen ihre Leistungsfähigkeit beruhe: Führung durch Vorbild, ernstfallorientierte Ausrichtung auf Gefechtstauglichkeit, Delegation von Verantwortung, starke Kollektividentität in der Truppe, großgeschriebene Fürsorge, Disziplin und hohe alltägliche Standards, gelebte Kameradschaft und Kooperation sowie eben nachhaltig gute Leistungen über einen langen Zeitraum. Sicher ist dem noch hinzuzufügen, daß eine bessere Ausrüstung die Performanz weiter verbessert, auch die Kriegserfahrung der Truppe oder wenigstens eines Teils ihres Stammpersonals spielt eine wesentliche Rolle. Eine entscheidende Voraussetzung für den exzellenten Zustand eines Verbands liegt natürlich in der Qualität der Ausbildung, die wiederum von der Qualität des Führungspersonals abhängt. Beißt sich damit die Katze in den Schwanz? Auffällig ist, daß die empirisch ermittelten Befunde der amerikanischen Studie sich mit der Analyse des deutschen Artillerieoffiziers Elmar Dinter deckten, der 1982 der Frage nachgegangen war, wie es im Krieg zu »Heldentum«, aber auch zu Feigheit kommen kann. Ihm ging es also aus einer truppenpsychologischen Perspektive um eine ähnliche Frage wie den Amerikanern, denn der traditionelle Begriff des Heldentums steht ja für herausragendes Verhalten, das von einer Elite habituell und nachhaltig erwartet wird. Hier münden die drei erwähnten Aspekte der Analyse des Eliteverständnisses in einen zentralen Faktor, den Dinter in der Gruppenkohäsion bestimmte. Einheiten mit einer starken kollektiven Identität sind, das fachliche Können immer vorausgesetzt, in der Lage, auch extreme Situationen zu meistern. Die Amerikaner versuchen schon seit langem, dieser Einsicht unter anderem mit dem Buddy-System gerecht zu werden und insbesondere die kleine Kampfgemeinschaft als Keimzelle der Einheiten zu stärken – in der Ausbildung wird der Trupp als Kollektivwesen behandelt, er wird vom Gang auf die Toilette über die Mahlzeit bis zum Kampfeinsatz auf Gedeih und Verderb aneinandergebunden. Auch auf der Ebene der Einheiten wird dort seit Dezennien alles getan, um die Gruppenkohäsion zu fördern, mit je eigenem Kampfschrei, Wimpeln, intensiver Traditionspflege und dergleichen mehr.
Für unsere Begriffe wirkt eine solche plakativ nach außen getragene Gruppenidentität bisweilen übersteigert; damit soll die Intention derartiger Bemühungen jedoch keinesfalls abgewertet werden. »Korpsgeist, Kameradschaft, Können« hieß einst ein Leitsatz in der deutschen Infanterie, und er bringt mit jenem gewissen Understatement, das wirklich gute Truppen auszeichnet und in besonderem Maße etwa an den vorzüglichen britischen Paras auffällt, zum Ausdruck, was die »Kerntruppen« aller Zeiten ausmacht. Es sind im Grunde alte Weisheiten, denn schon Friedrich der Große hielt in seinem Politischen Testament von 1768 fest: »Das beste, was man den Soldaten beibringen kann, ist Korpsgeist; das heißt, sie sollen ihr Regiment höherstellen als alle anderen Truppen der Welt.« Der Kern aus solchen Truppen ist hart, er bleibt übrig und weicht auch nicht, wenn der Rest weggeschmolzen ist.
Robustiores nannten die Römer daher ihre herausragenden Kämpfer, von robur, dem lateinischen Wort für Eichenholz ausgehend. »Wir Fallschirmjäger sind geschnitzt aus hartem Eichenholz / Wir sind auf unsern weißen Schirm und unsern Adler stolz«, sang so auch diese seinerzeit neuartige Truppe, die aufgrund ihrer objektiven militärischen Leistungen im Zweiten Weltkrieg von der Fachhistorie in breiter Übereinstimmung zu den Elitetruppen gezählt wird. An ihrem Beispiel zeigte sich auch, daß das Selbstverständnis als Elitetruppe mit der Einschätzung durch »konkurrierende« Verbände und objektiver Leistung korrelieren kann und entsprechende Rückkoppelungseffekte zu erkennen waren. Zwar konnte sich der junge Verband in seinen ersten Jahren nicht auf eine längere Tradition stützen, doch verfügte er mit dem obligatorischen Fallschirmsprung über einen zugleich modern-funktionalen und archaischen Initiationsritus, der eine starke Gruppenkohäsion fast garantiert. Das Prinzip der Freiwilligkeit, eine gute Auslese und die fordernde Ausbildung mußten in Verbindung mit diesem Korpsgeist zu entsprechenden Leistungen führen. Nach Eben Emael war der Ruf aus der Luft etabliert, und ein solcher Ruf wiederum verpflichtete, sich auch am Boden etwa in Monte Cassino dem Leistungsdruck in ganz anderer Lage besonders gewachsen zu zeigen.
Was an diesem Beispiel und anderen in zugespitzter Form zu sehen ist, gilt freilich prinzipiell für alle Truppengattungen und Einheiten: Der Status einer Elite in der Truppe ist ein dynamischer Faktor und keineswegs auf ausgewiesene Spezialeinheiten beschränkt, sondern auch in der Versorgungstruppe oder der Instandsetzung denkbar und daher als Ausbildungsziel überall zu fordern. Eine Auswahl von »Individuen, die dem Züchtungsziel am besten entsprechen«, technisches Können und gute Ausrüstung allein machen dabei noch keine Elitetruppe. Es ist der Esprit de corps, der aus einer potentiellen Kampfkraft den stets hohen Gefechtsoder Einsatzwert in wechselnden Lagen hervorbringt.