Das Institut für Staatspolitik hatte 12 Studenten und Doktoranden eingeladen, sich an diesen Tagen intensiv mit dem Thema “Weltanschauung” auseinanderzusetzen.
Grundlage war eine umfangreiche Textsammlung, die die Teilnehmer vorher durcharbeiten mußten. Es ging, ganz klassisch, um die politischen Weltanschauungen der Linken, Mitte und Rechten. Ein Teilnehmer hat ein Protokoll verfaßt. Daraus einige Auszüge:
Unter der Leitung von Dr. Erik Lehnert wurde in der ersten Sitzung die Frage behandelt, was Weltanschauungen eigentlich sind. Seit dem späten 19. Jahrhundert bildete man Weltanschauungstypologien, die auf der Annahme beruhten, daß Weltanschauungen nicht ableitbar aus der psychischen Totalität des Menschen hervorgingen und daher gewisse Grundtypen von Weltanschauung immer vorhanden seien. Wenn in diesem Sinne Weltanschauung die Konsequenz aus der Analyse des eigenen Weltbildes und des eigenen Verhaltens ist, dann sind – unabhängig von der auch diskutierten Frage nach dem Verhältnis von Weltanschauung und Religion – zwei wesentliche Erkenntnisse festzuhalten: Erstens sind Weltanschauungen niemals einfach eine Systematisierung von unbestreitbaren Fakten; die Lücke zwischen der Welt, wie sie ist, und unserer Anschauung von ihr, ist niemals vollständig überbrückbar. Zweitens aber gibt es gar keine Alternative zur Ausbildung einer Weltanschauung, wenn man sich denkend und handelnd in der Welt verhalten will.
Prof. Dr. Peter Furth leitete die Sitzung über die politische Linke, deren Attraktivität nicht etwa aus der Vernünftigkeit ihrer Weltanschauung herrühre. Ganz im Gegenteil wurde festgestellt, daß der Gleichheits-Humanismus der Linken nicht die Folge, sondern die Prämisse linken Denkens sei, zusammen mit einer technischen Reduktion der Welt zur Umwelt. Daraus folgen dann die weiteren Aspekte linker Weltanschauung: der Optimismus und die – individuelle wie gattungsnarzißtische – Philanthropie; die Naturalisierung des Humanen, die sich unter anderem in der Vorstellung vom Reichtum als politischer Problemlösung äußert; die Enttäuschungsindifferenz und der von keinem Gegenbeweis erschütterbare Glaube an die Macht des Bewußtseins sowie insgesamt die Nutzung des Neuen als Stimulus des politischen Handelns. Die daraus folgenden Probleme linker Weltanschauung liegen auf der Hand; in erster Linie handelt es sich dabei um das „humanistische Theodizeeproblem“ – der Versuch einer Durchsetzung des Postulats von der Perfektibilität des Menschen geht nicht ohne Terror ab und erzeugt den unaufhebbaren Widerspruch zwischen hedonistischem Zweck und terroristischen Mitteln – und die totale Feindseligkeit gegenüber denjenigen, die die linken Gleichheitsvorstellungen nicht teilen. Prof. Furth brachte den Unterschied zwischen links und rechts mit dem Satz auf den Punkt, daß die Linke Weltverbesserung anstrebe, während es der Rechten um Daseinsverbesserung gehe.
Hatte Prof. Furth dafür plädiert, den Liberalismus ebenfalls als letztlich links zu verstehen, da er mit der Linken den Anthropozentrismus, die Zukunftsfixierung und die Naturalisierung des Menschen teile, so versuchte Prof. Dr. Steffen Dietzsch zu zeigen, daß es sich beim Liberalismus um eine eigene, „erweiterte“ Denkungsart handle, die partiell auch für Konservative anschlußfähig sei. Zwei wesentliche Grundzüge des Liberalismus arbeitete Prof. Dietzsch heraus: das Eigentum und die Freiheit, beides verstanden als Mittel zur Selbsterhaltung. Die Fixierung auf den Reichtum durch das Eigentum teile der Liberalismus zwar mit der Linken, aber im Gegensatz zum linken Konzept einer Umverteilung als substantieller Ermöglichung des Reichtums, der wiederum Voraussetzung für die Freiheit sei, setze der Liberalismus konsequent die Aufklärung fort mit dem Konzept des Marktes als funktionaler Ermöglichung des Reichtums. Der zweite Grundzug, die Freiheit, sei deshalb auch Voraussetzung und nicht erst Ergebnis politischen Handelns, und zwar aus Gründen ökonomischer Effizienz. Der Liberalismus erscheine daher als letzte große Leistung der Aufklärung, indem er die Konsequenz aus dem Postulat ziehe, der Einzelne müsse sich selbst theoretisch auch an jede andere Stelle des politischen Gemeinwesens setzen können, und indem er als rein funktionalistische Denkweise ohne politische Theologie auskomme. Letzteres unterscheidet den Liberalismus vom Konservatismus und macht zugleich die zentrale Schwäche der liberalen Weltanschauung deutlich, die auf – illiberalen – Voraussetzungen beruht, die der Liberalismus selbst nicht herstellen und auch nicht aufrechterhalten kann.
Das wichtigste, weil an Schule und Universität nahezu vollkommen tabuisierte, Thema des Seminars war die politische Rechte, die unter der Leitung von Dr. Karlheinz Weißmann in den Blick genommen wurde. Die negative Umwertung der Rechten, so Dr. Weißmann, sei auch darum so fatal, weil der natürliche Vorzug der rechten Seite unbestritten und auch die politische Zuordnung bereits vor der französischen Revolution entsprechend gewesen sei. Ernst Noltes Behauptung, so etwas wie eine „ewige Rechte“ gebe es nicht, weil die Rechte immer reaktiv sei, stellte Dr. Weißmann die Kontinuität und Einheit der Denkmotive der Rechten gegenüber, die sich in erster Linie an drei Elementen zeige: dem Menschenbild, der Feindbestimmung und der Zukunftserwartung. Daß die Rechte immer wieder eine von den anderen vollkommen unterschiedliche, aber regelmäßig zutreffende Wahrnehmung von dem hatte, was kommen würde, wurde exemplarisch an Edmund Burkes „Betrachtungen über die Revolution in Frankreich“ deutlich, in denen Burke 1790 bereits die Tötung des Königs und die Errichtung einer Militärdiktatur voraussagte.Nachdem Burkes Prognosen über die Revolution eingetroffen waren, positionierte er sich neu: eine gemeineuropäische Gegenrevolution zur Niederschlagung des revolutionären Frankreichs sei nötig, und danach ein gewaltsamer Neuansatz, so etwas wie eine organische Konstruktion. Überhaupt machte Dr. Weißmann deutlich, daß die Einsicht in die Unmöglichkeit des problemlosen Festhaltens an alten Beständen und damit verbunden die Ausbildung wesentlicher konservativer Denkoptionen bereits in der erste Hälfte des 19. Jahrhunderts vorhanden war. Nationalismus, Faschismus und auch die Konservative Revolution versuchten darauf ein Antwort zu geben, was mit dem zunehmenden Substanzverlust immer schwieriger wurde. Daß die Rechte immer die Wirklichkeit auf ihrer Seite hat, muß im Alltag immer wieder aufs Neue erprobt werden.
Es ist an sich schon bemerkenswert, wenn Studenten ein ganzes Wochenende „opfern“, um sich mit Grundsatzfragen des Geistes zu befassen, und das ohne davon irgendeinen verwertbaren Nutzen etwa in Form einer anrechenbaren Studienleistung zu bekommen. Dieses erste Seminar des Collegiums Dextrum war aber darüber hinaus noch bemerkenswerter, weil es dem Teilnehmer ständig den Eindruck eines vollständigen Anachronismus vermittelte: Fachlich und pädagogisch kompetente Dozenten arbeiteten mit an der Sache interessierten und intellektuell hochschulfähigen Studenten – so wie man es sich eigentlich an jeder deutschen Universität wünschen würde; allein, wer kennt so etwas schon noch aus eigener Erfahrung?
Die nächsten beiden Kurse des ersten Collegium Dextrum finden im November und Dezember statt.