Ich lasse mir sagen, Guido Westerwelle leuchte weder gelb, blau noch rosa, sondern in einem zu Umbra tendieren Orange. Andere Synästhetiker ordnen Wochentage Farben zu oder Gerüchen Melodien. Warum auch nicht, dies alles ist einigermaßen plausibel. Für mich ist der November deutsch.
In der Morgendämmerung raus in den Garten, die Tiere füttern. Beim Öffnen der Tür fallen zwei Dutzend halblebige Marienkäfer aus dem Rahmen auf die Schwelle. In Zimmerecken zittern Schmetterlinge, die Flügel hochgeschlagen. Irgendein Temperaturmaß muß gerade unterschritten worden sein. Die Tonnen sind nur dünn beeist, doch es regnet Blätter, so sehr, daß es rauscht. Hundenapf und Geflügeltränke sind zentimeterdick bedeckt und kaum auffindbar, Herr und Frau Igel huschen davon, willkommen zurück! Die Birnen – es war ein Birnenjahr – plumpsen im Minutentakt, so geht es seit dem Vorabend. Die Bäume überragen unser Haus, am Nachmittag werden wir die Leiter anstellen und ganz oben an den mächtigen Ästen rütteln. Nietzsche: “Das Alles von heute – das fällt, es verfällt: wer wollte es halten? Aber ich – ich will es noch stoßen!” Vom Birnenmus aus den längst unansehnlichen Früchten bekommen unsere Kinder gar nicht genug.
Die Studentenblumen und die Kapuzinerkresse sind heut nacht erst erfroren, die Chrysanthemen blühen gerade auf. Sie sind ja die allerschönsten, purpurrot.
Und komisch: Halloween („All hallows eve“), vielmehr dessen kommerziell-ordinäre Abart, ist dieses Jahr ausgefallen. Keiner klingelte, „trick or treat“ kreischend (dabei war die Kürbisausbeute wieder gigantisch). Der Supermarkt beschränkte sich heuer auf ein paar wenige Accessoires an einem entlegenen Aussteller. Vor zwei Jahren hatte das Dorf den schönen Umzug mit Fackeln, Trompeten, Posaunen und Trommeln vom 3. Oktober auf „Halloween“ verlegt.
Diesmal gab’s kein Klingeln an den Häusern, dafür wurden klassische Laternen getragen, zaghaft wurden verfrühte Martinslieder angestimmt. Anders als die Nachbarn, deren Hühner sich mausern und mit Eiern sparen, lesen wir täglich zwei Hände voll ab. Ja, komisch, das alles, diesen Herbst – vielmehr: seltsam. Selten, daß das totenkultige, heidnisch- keltische Vollmondfest Samhain mit Allerheiligen und Allerseelen zusammenfällt. In der Messe wurde die Johannes-Offenbarung gelesen, die sogenannte Apokalypse. Und wenn im frühabendlichen Nebel die Gräber gesegnet werden, schweigt sogar die vorlaute Jugend, die andere Sakralien gern mit der angelernten Prise Ironie entzaubert.
ies irae, dies illae, die Totensequenz: wie seltsam, wenn’s aus achtjährigem Mund gesummt wird. Nie sonst sind Morgen – und Abenddämmerung so nah beieinander. Man fühlt sich so heimisch, so heimelig, es ist traurig, schön und irgendwie sehr deutsch.