Allerseelen

Das soll's geben: Leute, die ohne technische Apparatur farblich definierte Auren um ihre Mitmenschen sehen.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Ich las­se mir sagen, Gui­do Wes­ter­wel­le leuch­te weder gelb, blau noch rosa, son­dern in einem zu Umbra ten­die­ren Oran­ge. Ande­re Syn­äs­the­ti­ker ord­nen Wochen­ta­ge Far­ben zu oder Gerü­chen Melo­dien. War­um auch nicht, dies alles ist eini­ger­ma­ßen plau­si­bel. Für mich ist der Novem­ber deutsch.

In der Mor­gen­däm­me­rung raus in den Gar­ten, die Tie­re füt­tern. Beim Öff­nen der Tür fal­len zwei Dut­zend halb­le­bi­ge Mari­en­kä­fer aus dem Rah­men auf die Schwel­le. In Zim­mer­ecken zit­tern Schmet­ter­lin­ge, die Flü­gel hoch­ge­schla­gen. Irgend­ein Tem­pe­ra­tur­maß muß gera­de unter­schrit­ten wor­den sein. Die Ton­nen sind nur dünn beeist, doch es reg­net Blät­ter, so sehr, daß es rauscht. Hun­de­napf und Geflü­gel­trän­ke sind zen­ti­me­ter­dick bedeckt und kaum auf­find­bar, Herr und Frau Igel huschen davon, will­kom­men zurück! Die Bir­nen – es war ein Bir­nen­jahr – plump­sen im Minu­ten­takt, so geht es seit dem Vor­abend. Die Bäu­me über­ra­gen unser Haus, am Nach­mit­tag wer­den wir die Lei­ter anstel­len und ganz oben an den mäch­ti­gen Ästen rüt­teln. Nietz­sche: “Das Alles von heu­te – das fällt, es ver­fällt: wer woll­te es hal­ten? Aber ich – ich will es noch sto­ßen!” Vom Bir­nen­mus aus den längst unan­sehn­li­chen Früch­ten bekom­men unse­re Kin­der gar nicht genug.

Die Stu­den­ten­blu­men und die Kapu­zi­ner­kres­se sind heut nacht erst erfro­ren, die Chry­san­the­men blü­hen gera­de auf.  Sie sind ja die aller­schöns­ten, purpurrot.

Und komisch: Hal­lo­ween („All hal­lows eve“), viel­mehr des­sen kom­mer­zi­ell-ordi­nä­re Abart, ist die­ses Jahr aus­ge­fal­len. Kei­ner klin­gel­te, „trick or tre­at“ krei­schend (dabei war die Kür­bis­aus­beu­te wie­der gigan­tisch). Der Super­markt beschränk­te sich heu­er auf ein paar weni­ge Acces­soires an einem ent­le­ge­nen Aus­stel­ler. Vor zwei Jah­ren hat­te das Dorf den schö­nen Umzug mit Fackeln, Trom­pe­ten, Posau­nen und Trom­meln vom 3. Okto­ber auf „Hal­lo­ween“ verlegt.

Dies­mal gab’s kein Klin­geln an den Häu­sern, dafür wur­den klas­si­sche Later­nen getra­gen, zag­haft wur­den ver­früh­te Mar­tins­lie­der ange­stimmt. Anders als die Nach­barn, deren Hüh­ner sich mau­sern und mit Eiern spa­ren, lesen wir täg­lich zwei Hän­de voll ab. Ja, komisch, das alles, die­sen Herbst – viel­mehr: selt­sam. Sel­ten, daß das toten­kul­ti­ge, heid­nisch- kel­ti­sche Voll­mond­fest Sam­hain mit Aller­hei­li­gen und Aller­see­len zusam­men­fällt. In der Mes­se wur­de die Johan­nes-Offen­ba­rung gele­sen, die soge­nann­te Apo­ka­lyp­se. Und wenn im früh­abend­li­chen Nebel die Grä­ber geseg­net wer­den, schweigt sogar die vor­lau­te Jugend, die ande­re Sakra­li­en gern mit der ange­lern­ten Pri­se Iro­nie entzaubert.

ies irae, dies illae, die Toten­se­quenz: wie selt­sam, wenn’s aus acht­jäh­ri­gem Mund gesummt wird. Nie sonst sind Mor­gen – und Abend­däm­me­rung so nah bei­ein­an­der. Man fühlt sich so hei­misch, so hei­me­lig, es ist trau­rig, schön und irgend­wie sehr deutsch.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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