Das November-Gedicht: Heilmittel

Als ich vor ein paar Tagen über die Ebene durch die noch junge Eichenallee auf unser Dorf zufuhr, sah ich im Graben einen...

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

toten Fuchs lie­gen. Er war nicht platt­ge­walzt und auch nicht blu­tig zer­fetzt, son­dern lag da nach einem stump­fen Schlag, den er mit­ten in der Anst­re­gung eines letz­ten, ret­ten­den Sprun­ges emp­fan­gen hatte.

Wäh­rend eines lan­gen Auf­ent­halts in Kame­run hat­te ich ein­mal einen Toten auf der Stra­ße lie­gen sehen, von einer Keu­le erlegt, einer Waf­fe, die ich nur aus Kin­der­bü­chern über die Stein­zeit kann­te und die dort am Ran­de von Buea nun an einer Leder­schlin­ge unter der Hand des Anfüh­rers einer gan­zen Hor­de bau­ern­krie­ge­risch bewaff­ne­ter jun­ger Män­ner bau­mel­te. Ich erfuhr nicht, war­um sie den Mann erschla­gen hat­ten und wie weit er schon gerannt war, um sei­nen Ver­fol­gern zu entkommen.

Um den Grund des Tötens wuß­te ich jedoch, als ich in einem bos­ni­schen Dorf vor einem gera­de erst ent­deck­ten und geho­be­nen Mas­sen­grab stand. Es lagen zehn jün­ge­re Män­ner dar­in, und alle waren – mit Stri­cken anein­an­der­ge­bun­den – durch Hie­be auf den Hin­ter­kopf ums Leben gebracht wor­den. Was hat­te der fünf­te ver­sucht, um die­sem Schlag zu ent­ge­hen, was hat­te der zehn­te gedacht, dem zum Nach­den­ken doch am meis­ten Zeit blieb?

Das wie­der­um weiß ich nicht.

Ich weiß nur, daß mir seit Jah­ren immer ein Gedicht in den Kopf kommt, wenn ich sol­ches sehe oder ver­neh­me. Es ist von Ste­fan Geor­ge, und ich glau­be, ich weiß, war­um es immer da ist, wenn es recht ist. Dann brei­tet es sich aus wie eine Medi­zin, so auch neu­lich, als der Fuchs im Gra­ben lag:

Komm in den tot­ge­sag­ten park und schau:
Der schim­mer fer­ner lächeln­der gestade.
Der rei­nen wol­ken unver­hoff­tes blau
Erhellt die wei­her und die bun­ten pfade.

Dort nimm das tie­fe gelb, das wei­che grau
Von bir­ken und von buchs, der wind ist lau.
Die spä­ten rosen welk­ten noch nicht ganz.
Erle­se küs­se sie und flicht den kranz.

Ver­giss auch die­se letz­ten astern nicht.
Den pur­pur um die ran­ken wil­der reben
Und auch was übrig blieb von grü­nem leben
Ver­win­de leicht im herbst­li­chen gesicht.

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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