Dennoch ist´s ja keineswegs so, daß alle Eltern und das mitwirkende pädagogische Personal aus den Niederungen des Alltags die gleichen erzieherischen Schlüsse zögen. Seit Jahren, eventuell seit Jahrzehnten, klagen Lehrer, daß sie von Eltern keinerlei Rückendeckung erfahren. Im Gegenteil:
Wenn sich Eltern überhaupt engagieren, tun sie das als Anwälte ihrer Zöglinge, und wo das nicht ausreicht, vermeintliche Schülerrechte durchzusetzen, wird immer häufiger juristischer Beistand eingeholt. Traurige Zustände!
Ja, es wär schön, wenn in Fragen der Bildung an einem Strang gezogen werden könnte. Wenn die Autorität des Lehrers unhinterfragbar wäre. Manche Eltern fühlen sich sauwohl in der Rolle des Querulanten (ein Phänomen, das es nahezu ausschließlich in westdeutschen Großstädten gibt), andere hassen es. Ich zum Beispiel. Mir erscheints günstig, ein paar Bildungsaufgaben an fachlich ausgebildete Kräfte delegieren zu können. Methoden und Inhalte, die mir verquast erscheinen, schluck ich gern mal, weil ich weiß, daß unsere Kinder (also: die älteren; und die Grundschule ist hier ohnehin mustergültig) in der Lage sind, Fehlinformationen oder Quatsch als solchen einzuordnen. Das wird beim Abendbrot dann süffisant berichtet, und alle lachen herzlich.
Gelegentlich versiegt das Lachen, dann herrscht echter Kummer. Jüngst war bei der 13jährigen in Musik wieder Vorsingen nach Noten angesagt, heißt: Benotetes Singen. Daß Sangeskunst überhaupt noch zensurfähig ist, hat uns schon früher verblüfft – gut, soll sein! Das Liedchen darf ausgewählt werden, allerdings: seit Jahren aus dem gleichen Vorsing-Repertoire.
Die Tochter meckerte: „So ein Kitsch! So ein Schmu! Ich versinke in den Boden, wenn ich das sing!“ Und die Mitschüler? Versinken die auch? „Nee, nur teils. Die anderen wackeln lustig mit den Hüften dazu.”
Zur Wahl standen: Mamma mia, I will follow him, Wonderful World und Summer Loving.
Warum eigentlich dieser obligatorische Bezug auf das immergleiche Liedgut, fragte ich die Lehrerin, wo wäre denn da der Pluralismus? Oder sei der amerikanische Popsong seit Jahren Lehrstoff?
Die Frau verneinte und sprach ihren Text (den ich wiederum einsermäßig vortragen könnte) vom „die Schüler dort abholen, wo sie stehen“. Herrje, also steht unsereins wieder allein rum und wird dort stehengelassen.
Und, nein, Unterrichtsthema derzeit sei Barock.
In der Musikstunde drauf wurde wieder gesungen. Und zwar deutscher Sang – soll man triumphieren? Sogar was „Barockes“, nämlich der Rap Ba-ba-ba-ba-ba-Rock! Eine Textpassage:
Bach-Vivaldi-Bach-Vivaldi- Bach-ach!
Claudi-Claudi-Claudio-Monteverdi-oh!
Jaja, sehr hübsch, das. Kunstvoll ist neben den allfälligen Beatboxgeräuschen (tstststs…, bumbumtschak) am Ende mit eh eh eh eh eh noch der Gitarrensound von Smoke on the water eingebaut. Punktsieg für die Musikpädagogin. War eh´ klar, böse Menschen kennen keine Lieder.
Und natürlich hat sie volle Rückendeckung aus dem Bundesfamilienministerium. Das nämlich nennt auf der Netzseite seiner Behörde Bundesprüfstelle etliche Gründe, warum besser nicht nur in Musik, sondern auch in Religion und Deutsch losgerapt werden sollte.
Prompt liegt mir zu dieser staatlichen Handreichung ein feiner, schmutziger Rap auf der Zunge. Aber den verkneif ich mir lieber.