Auf einen haarsträubenden, ja: absurden Liebesbrief von Fried an Kühnen bin ich durch die Wiener Literaturzeitung Volltext aufmerksam geworden, deren Lektüre auch deshalb lohnt, weil Herta Müller darin mit einem wirklich beachtlichen Interview vertreten ist, das sie noch vor Bekanntgabe des Nobelpreises gewährte.
Die umfängliche, süßliche Schmerzschrift von Fried an Kühnen einzuordnen, fällt mir schwer. An editorischer Notiz ist hier nur folgendes beigegeben: 1983 sollten der Erfinder des „Kühnen-Grußes“ und Fried in einer TV-Sendung miteinander diskutieren. Kühnen wurde kurzfristig ausgeladen, was Fried ärgerte. Die beiden trafen sich, es folgte ein Briefwechsel über Jahre. Fried wollte sogar für den zwischenzeitlich inhaftierten Neonazi aussagen.
Der in Volltext abgedruckte Brief ist ein Auszug aus dem jüngst bei Wagenbach erschienenen, von Volker Kaukoreit herausgegebenen Buch: Erich Fried. Alles Liebe und Schöne, Freiheit und Glück. Briefe von und an Erich Fried.
Fried versucht hier auf langen Seiten vor Kühnen zu begründen und entschuldigen, warum in der taz ein Interview mit ihm – Fried – erscheinen konnte, in dem der als extrem charismatisch geltende Kühnen letztlich als „armer Hund“ dargestellt wurde.
Du weißt sicher auch, daß in meinem Brief an Deinen Anwalt steht: ‘Natürlich würde ich Michael Kühnen gern von vielen seiner Ansichten abbringen, doch ist meine Bereitschaft, für ihn auszusagen, davon in keiner Weise beeinträchtigt.´ Das gilt nicht nur von den Aussagen vor Gericht, sondern Du bedeutest mir natürlich viel, auch dann wenn ich Dich nie von etwas überzeugen könnte. Das ist so, wie wenn ich einem von meinem Kindern sage: ‘Das ist meine Meinung: tust Du aber das Gegenteil, so bedeutest Du mir noch genauso viel, und ich werde Dir immer noch zu helfen versuchen und für Dich da sein.
Fried rühmt Kühnens Briefstil als ” menschlich gut” und “großherzig”, doch:
Erst will ich noch sagen was ich von Herrn Horst Peters Satz: ‘wie jeder andere gemeine und heimtückische Verbrecher können Faschisten Objekte polizeilicher Verfolgung sein´ halte. Natürlich bin ich anderer Meinung, aber auch im Namen der ‘gemeinen und heimtückischen Verbrecher´, die ja auch Mitmenschen sind, oft auch in Wirklichkeit Opfer unserer Gesellschaft. Solche bloßen Verfolgungsobjekte könnte man ja ihrer Menschenrechte ledig sprechen. Da wäre der Besserungsanspruch der Justiz dann weggewischt. Nein!!! Natürlich glaube ich Dir, daß jedes Wort in Deinem langem Brief an mich Deine ehrliche Überzeugung ist. Gerade dadurch bestätigt mir Dein Brief ja auch, daß ich mich in meiner Einschätzung Deiner Ehrlichkeit, deines menschlichen Wertes, über all deiner guten Eigenschaften nicht geirrt habe, und dafür bin ich auch dankbar. Und überhaupt ist es eine Leistung, in Deiner Lage einen so schönen Brief zu schreiben.
Hach, man möchte Zeile um Zeile zitieren! Wie niedlich und reizend ist das! Der Briefwechsel datiert aus jenen Jahren, als Fried nach seiner Zeit als der politische Dichter Nachkriegsdeutschland nicht eben vergessen war – doch seinerzeit schlug grad seine späte Liebeslyrik („… es ist, was es ist, sagt die Liebe.“) ein.
In der zweiten Hälfte des Briefs an Kühnen geht´s historisch- politisch zur Sache: Warum Neonazis wie Kühnen Auschwitz eben nicht aus „Gemeinheit oder Trotz“ leugnen. Daß es mutig sei, die Ideale eines Ernst Röhm (den der homosexuelle Kühnen verehrte)von den Zielen des SS-Staates zu trennen. Warum Fried Sympathien zum jungen Hitler hegt, und warum die von den Nationalsozialisten eingeführte Tierschutzgesetzgebung vorbildlich sei.
Sachen gibt´s.