Als Nationaltorhüter waren mir Jens Lehmann und Oliver Kahn geläufig, und an ihre Vorgänger kann ich mich noch bis herab zu Sepp Maier erinnern, aber von dem bislang nur achtmaligen Nationalspieler Robert Enke hätte ich, als Fußball- und Fernsehmuffel, womöglich erst nächstes Jahr etwas vernommen, wenn er denn überhaupt als erster Torwart bei der WM 2010 aufgestellt worden wäre, was nicht sicher war.
Und selbst wenn es sich um Lothar Matthäus, Jürgen Kliensmann, Rudi Völler, Franz Beckenbauer oder um einen anderen Helden des Fußballs, um Boris Becker, Michael Schumacher, Steffi Graf oder sonst einen berühmten Sportler gehandelt hätte, stellt sich doch die Frage nach der Verhältnismäßigkeit einer Trauerfeier mit Spitzenpolitikern und Kirchenfunktionären wie dem ehemaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder, dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulf, und der Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Margot Käßmann.
Nicht daß ich den rund 40.000 Menschen, die am Sonntag im Stadion von Hannover 96 von ihrem “idealen Vorbild”, “Ausnahmesportler”, “Sympathieträger” oder wie die Schlagworte sonst noch lauteten, Abschied genommen haben, ihre Lust an der Trauer vermiesen möchte, aber ein bißchen wundere ich mich doch über diesen Totenkult mit Kondolenzbrief der Bundeskanzlerin an Enkes Ehefrau, über die Beschwörungen des “Robert Enke in uns allen” (FAZ) und die “Leere”, die Deutschland nun angeblich erfaßt habe.
Könnte es vielleicht sein, daß dieses Ritual, das in vergleichbarer Form noch für keinen Sportler in Deutschland zelebriert und von Kommentatoren mit der Trauerfeier nach dem Tod Konrad Adenauers 1967 verglichen wurde, etwas mit dem 9. und dem 11. November – den Tagen von Mauerfall, “Reichskristallnacht” und der deutschen Kapitulation am Ende des Ersten Weltkriegs – zu tun haben könnte? Enke starb am 10. November, also genau dazwischen. Bekanntlich dient Fußball heute oft als verhältnismäßig friedlicher Kriegsersatz; die “großen Spiele” der Welt- und Europameisterschaften werden von Sportfunktionären oder Journalisten, die dann auch in Deutschland plötzlich ein nationaler Furor erfaßt, gelegentlich mit den beiden Weltkriegen verglichen, und England etwa kann sich mit seinen militärischen Siegen einigermaßen über die notorischen Niederlagen gegen Deutschland nach dem üblichen Elfmeterschießen hinwegtrösten -, aber daß die Beerdigung eines Fußballers als nationales Trauerritual gefeiert wird, ist offenkundig neu.
Es ist zweifellos eine gute Erfindung, statt sich zu bekriegen, lieber Fußball zu spielen, aber anscheinend läßt sich das Politische nicht gänzlich durch Symbole ersetzen, und was von der Politik verdrängt wird, taucht beim Sport überraschenderweise wieder auf. Vielleicht flossen die Tränen bei der Trauerfeier für Robert Enke daher um so heftiger.