Vor einigen Wochen ist bei DuMont ein Briefwechsel zwischen dem rechten Michel Houellebecq und dem linken Bernard-Henri Lévy erschienen, in dem die beiden streitbaren Literaten das Gemeinsame und Unterschiedliche ihrer Thesen ausloten.
Wie bei vielen Briefwechseln zwischen Intellektuellen muß man auch bei diesem seitenlanges Geschwätz entweder ertragen oder überblättern, um zu den interessanten Stellen zu gelangen.
Wirklich kontrovers wird es dort, wo Houellebecq seine Sympathie für einen Ausspruch von Goethe bekundet. Während der Französischen Revolution sagte dieser: „Vor die Wahl gestellt zwischen Unrecht und Unordnung, entscheidet sich der Deutsche für das Unrecht.“
Lévy, ein nach eigenem Bekunden „engagierter Intellektueller“, meint, dies sei „der niederträchtigste Satz überhaupt“:
Auf diesen Satz beruft sich derjenige, der einerseits um das Unrecht weiß, das in Tibet geschieht, und andererseits um die große Unordnung, die es bedeutet, wenn wir die Chinesen verärgern und sie, um uns zu bestrafen, beschließen, ihre Dollarreserven zu verkaufen und nicht mehr bei der Rettung von Goldman Sachs oder Lehman Brothers zu helfen.
Houellebecq erwidert:
Goethes Satz machen sich im Grunde genommen all jene zu eigen, die meinen, dass die mit einer Situation betraute Obrigkeit eine Entscheidung fällen muss, irgendeine Entscheidung, mag sie auch vorläufig oder ungerecht sein, anstatt der „Menge“ oder der „Straße“ – also dem großen, bösen, reizbaren, zur Plünderei und zum Gemetzel bereiten Tier – das letzte Wort zu überlassen.
Die Frage, ob man ein Unrecht der prinzipiellen Unordnung vorzieht, macht sehr schön den Unterschied zwischen linkem und rechtem Denken deutlich. Im Namen der Gerechtigkeit mischt sich der Linke überall dort ein, wo er ein Unrecht wittert. Die Gesamtordnung hingegen ist für ihn kein Maßstab. Diese Grundhaltung wirkt aufgrund ihres menschlichen Antlitzes auf den ersten Blick sehr sympathisch.
Der Rechte nun wünscht sich auch kein Unrecht. Wenn allerdings die Ordnung aus den Fugen geraten ist, zieht er ein „Ende mit Schrecken“ dem „Schrecken ohne Ende“ vor.
Thorsten
Werter Herr Menzel. Über Recht und Unrecht, Ordnung und Unordnung läßt sich nur reden, wenn zuvor die Begriffe definiert sind. Um welches Unrecht geht es denn? Um vermeintliches Unrecht, also geltendes Recht, welches nicht legitim erscheint? oder geht es um Unrecht aus Rechtsbruch? Um welche Ordnung geht es? Um die jeweils staatliche Ordnung oder um Ordnungen ganz anderer, z.B. religiöser oder ganzheitlicher Art. Ist gar die "lebensrichtige Ordnung" gemeint? Und wie sieht diese aus? Und warum ist es verwunderlich, dass der politische Gegner unsere Auffassung von Unrecht und Unordnung nicht teilt? Das dürfte umgekehrt doch ebenso zutreffen.