Die Unfähigkeit zu trauern

als doch recht spezifisch deutsches Manko wird alljährlich rund um den 14. Februar bewiesen.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Die Bom­bar­die­rung Dres­dens jährt sich 2009 zum 64. Mal. Das Sen­ti­ment dazu ran­giert zwi­schen „Kei­ne Trä­ne für Dres­den!”, „Har­ris, do it again” einer­seits und dem Vor­wurf eines anglo­ame­ri­ka­ni­schen Mensch­heits­ver­bre­chens ande­rer­seits. Tri­umph der Zah­len statt Trau­er: Der Befund zieht sich durch die Lager.

Hat der alli­ier­te Bom­ben­an­griff 18.000 Opfer gebracht, wie es die eta­blier­te His­to­ri­ker­kom­mis­si­on nun nahe­legt, oder fan­den 250.000 (oder mehr?) den Tod? (Inter­es­sant dabei, daß die Kom­mis­si­on die genu­in links­las­ti­ge his­to­ri­sche Metho­de der soge­nann­ten „oral histo­ry” hier zum Abschuß frei­ge­ge­ben hat: Augen­zeu­gen­be­rich­te von Tief­flie­ger­an­grif­fen oder mas­sen­haf­ten Flücht­lings­trecks in Dres­den 1945 wur­den nun als Para­noia ent­larvt.) Wer­den über 5000 Trau­er­mär­sch­ler sich am Sonn­abend ein­fin­den, um – laut Anwei­sung der ver­an­stal­ten­den Jun­gen Lands­mann­schaft Ost­preu­ßen: ohne Kip­pe & Pul­le, ohne Son­nen­bril­le & fie­pen­de Han­dys, ohne Par­tei­ab­zei­chen, mit abge­deck­ten Täto­wie­run­gen – der Bom­bar­die­rung „wür­dig” zu geden­ken? Wird wenigs­tens ein Bruch­teil der anvi­sier­ten 15.000 Anti­fa­schis­ten gegen­de­mons­trie­ren? Wer­den, wie der Ver­fas­sungs­schutz mut­maßt, 1000 davon gewalt­be­reit sein? Wer­den 4000 oder mehr Poli­zis­ten das Gesche­hen über­wa­chen? Wo das Gefühl stumpf ist, regie­ren die Zah­len. Man wird die Medi­en am Sams­tag­abend damit jon­glie­ren sehen.

Die Psy­cho­ana­ly­ti­ker Alex­an­der und Mar­ga­re­te Mit­scher­lich wur­den für ihr Buch Über die Unfä­hig­keit zu trau­ern 1969 mit dem Frie­dens­preis des Deut­schen Buch­han­dels prä­miert. Die Mit­scher­lichs bezo­gen ihr Werk damals auf das deut­sche Unver­mö­gen, ein von Hit­ler los­ge­lös­tes Ich-Gefühl zu ent­wi­ckeln. Die Dia­gno­se ist bis heu­te gül­tig, wenn sich auch die Vor­zei­chen ver­kehrt haben. Kol­lek­ti­ve Trau­er fal­le den Deut­schen schwer, da sie direkt ihre (töner­ne) Iden­ti­tät berüh­re. Die Mit­scher­lichs nann­ten das eine „neu­ro­ti­sche Trau­er”. Das Krank­haf­te und die selbst­zer­stö­re­ri­schen Ten­den­zen im Umgang mit Trau­er rühr­ten nach ihrem Ver­ständ­nis von auto­ri­tä­ren Erzie­hungs­mus­tern. (Auch das gilt bis heu­te: unser vor­der­grün­dig anti­au­to­ri­tä­res Part­ner­schafts­ide­al im Umgang mit Kin­dern ist ja kei­nes­wegs frei von mora­li­sche Zwangs­hal­tun­gen.) Dadurch gelin­ge es Her­an­wach­sen­den nicht, ein Gefühl für den Wert des eige­nen Selbst zu ent­wi­ckeln. An die Stel­le des Ich-Ide­als tre­ten dann oktroy­ier­te Selbst­bil­der. Das Gewis­sen wer­de vom Kopf auf die Füße gestellt, der Destruk­ti­ons­trieb erfah­re eine völ­li­ge Ent­hem­mung. Alles blie­be bei einer unent­krampf­ten Abwehr­hal­tung gegen­über dem Gesche­he­nen, dem eigent­lich zu Betrauernden.

Die not­wen­di­ge The­ra­pie hin zu einer Trau­er­fä­hig­keit („erin­nern, wie­der­ho­len, durch­ar­bei­ten”) schei­te­re dar­an, so die Mit­scher­lichs 1967, daß es uns wirt­schaft­lich so gut gehe – es feh­le der Lei­dens­druck. Der Weg in die kol­lek­ti­ve Depres­si­on sei aber vor­ge­zeich­net. Wie geht’ s uns eigent­lich heute?

Ums Faß voll zu machen, wird Skan­dal-Regis­seur Vol­ker Lösch, der schon in vori­gen Insze­nie­run­gen Zita­te von Sabi­ne Chris­ti­an­sen und NPD-Hirn Jür­gen Gan­sel zweck­ent­frem­de­te im Dresd­ner Schau­spiel sein  urauf­füh­ren. Von Lösch, der sich selbst mit­un­ter eine Glat­ze rasiert, heißt es, nach sei­ner Les­art wäre selbst Büch­ners Woy­zeck heu­te ein Neo­na­zi. Und: Gerüch­te besa­gen, er will sei­nem „Dres­de­ner Bür­ger­chor” Hit­ler­bärt­chen anhef­ten las­sen. Na denn: Trau­er marsch.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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