Die Bombardierung Dresdens jährt sich 2009 zum 64. Mal. Das Sentiment dazu rangiert zwischen „Keine Träne für Dresden!”, „Harris, do it again” einerseits und dem Vorwurf eines angloamerikanischen Menschheitsverbrechens andererseits. Triumph der Zahlen statt Trauer: Der Befund zieht sich durch die Lager.
Hat der alliierte Bombenangriff 18.000 Opfer gebracht, wie es die etablierte Historikerkommission nun nahelegt, oder fanden 250.000 (oder mehr?) den Tod? (Interessant dabei, daß die Kommission die genuin linkslastige historische Methode der sogenannten „oral history” hier zum Abschuß freigegeben hat: Augenzeugenberichte von Tieffliegerangriffen oder massenhaften Flüchtlingstrecks in Dresden 1945 wurden nun als Paranoia entlarvt.) Werden über 5000 Trauermärschler sich am Sonnabend einfinden, um – laut Anweisung der veranstaltenden Jungen Landsmannschaft Ostpreußen: ohne Kippe & Pulle, ohne Sonnenbrille & fiepende Handys, ohne Parteiabzeichen, mit abgedeckten Tätowierungen – der Bombardierung „würdig” zu gedenken? Wird wenigstens ein Bruchteil der anvisierten 15.000 Antifaschisten gegendemonstrieren? Werden, wie der Verfassungsschutz mutmaßt, 1000 davon gewaltbereit sein? Werden 4000 oder mehr Polizisten das Geschehen überwachen? Wo das Gefühl stumpf ist, regieren die Zahlen. Man wird die Medien am Samstagabend damit jonglieren sehen.
Die Psychoanalytiker Alexander und Margarete Mitscherlich wurden für ihr Buch Über die Unfähigkeit zu trauern 1969 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels prämiert. Die Mitscherlichs bezogen ihr Werk damals auf das deutsche Unvermögen, ein von Hitler losgelöstes Ich-Gefühl zu entwickeln. Die Diagnose ist bis heute gültig, wenn sich auch die Vorzeichen verkehrt haben. Kollektive Trauer falle den Deutschen schwer, da sie direkt ihre (tönerne) Identität berühre. Die Mitscherlichs nannten das eine „neurotische Trauer”. Das Krankhafte und die selbstzerstörerischen Tendenzen im Umgang mit Trauer rührten nach ihrem Verständnis von autoritären Erziehungsmustern. (Auch das gilt bis heute: unser vordergründig antiautoritäres Partnerschaftsideal im Umgang mit Kindern ist ja keineswegs frei von moralische Zwangshaltungen.) Dadurch gelinge es Heranwachsenden nicht, ein Gefühl für den Wert des eigenen Selbst zu entwickeln. An die Stelle des Ich-Ideals treten dann oktroyierte Selbstbilder. Das Gewissen werde vom Kopf auf die Füße gestellt, der Destruktionstrieb erfahre eine völlige Enthemmung. Alles bliebe bei einer unentkrampften Abwehrhaltung gegenüber dem Geschehenen, dem eigentlich zu Betrauernden.
Die notwendige Therapie hin zu einer Trauerfähigkeit („erinnern, wiederholen, durcharbeiten”) scheitere daran, so die Mitscherlichs 1967, daß es uns wirtschaftlich so gut gehe – es fehle der Leidensdruck. Der Weg in die kollektive Depression sei aber vorgezeichnet. Wie geht’ s uns eigentlich heute?
Ums Faß voll zu machen, wird Skandal-Regisseur Volker Lösch, der schon in vorigen Inszenierungen Zitate von Sabine Christiansen und NPD-Hirn Jürgen Gansel zweckentfremdete im Dresdner Schauspiel sein uraufführen. Von Lösch, der sich selbst mitunter eine Glatze rasiert, heißt es, nach seiner Lesart wäre selbst Büchners Woyzeck heute ein Neonazi. Und: Gerüchte besagen, er will seinem „Dresdener Bürgerchor” Hitlerbärtchen anheften lassen. Na denn: Trauer marsch.