Als sie 1946 in die Redaktion der neu gegründeten Zeit eintrat, hatte sie schon eine relativ turbulente Biographie, ihre oppositionelle Haltung gegenüber dem NS-Regime war ebenso bekannt wie ihre abenteuerliche (heute in einem problematischen Licht erscheinende) Flucht aus Ostpreußen im Januar 1945. Nach eigener Darstellung gehörte sie zum Umfeld des Kreisauer Kreises, besaß Kenntnis von den Vorbereitungen der Männer des 20. Juli und entging nur knapp der Verhaftung nach dem Scheitern der Erhebung. Sie galt als integer und schien zu jener Gruppe von Intellektuellen zu zählen, denen man in Westdeutschland nicht nur einen Neuanfang, sondern auch eine Vermittlung mit den gesunden Traditionen der Nationalgeschichte zutraute.
Die Auffassungen der Gräfin Dönhoff bewegten sich jedenfalls während der vierziger und fünfziger Jahre in einem mehr oder weniger präzise gesteckten Konsens. Das galt auch, als sie gegen den »Rechtsdrall« opponierte, den ihr Chefredakteur, Richard Tüngel, durchsetzen wollte und der in ihrer Kündigungsdrohung gipfelte, falls Carl Schmitt in der Zeit veröffentlichen dürfte. Erst in den sechziger Jahren wurde ein Kurswechsel spürbar, vor allem in der Deutschlandpolitik.
Bis dahin war »die Dönhoff« vor allem bekannt für ihre Kritik an Adenauers Konzept, da sie in der Westbindung ein Hindernis für jede operative Deutschlandpolitik sah. Die sollte ausdrücklich die Wiedervereinigung Gesamtdeutschlands zum Ziel haben, den Verzicht auf das Oder-Neiße-Gebiet lehnte sie noch 1959 entschieden ab. Mit dem Stimmungsumschwung nach dem Mauerbau änderte sich das, und Marion Gräfin Dönhoff gehörte zu den Journalisten, die nicht nur den »Machtwechsel« (Arnulf Baring) intellektuell vorbereiteten, sondern auch massiv Einfluß nahmen, um die Anerkennung der Teilung und der polnischen Westgrenze wenigstens in den Köpfen der Bundesdeutschen durchzusetzen.
Wie viele ihrer Weggefährten mag sie darin anfangs eine bittere Notwendigkeit gesehen haben, wahrscheinlich sogar einen Ausdruck von politischem Realismus, aber allmählich wandelte sich diese Einschätzung, und gerade die Rückschläge der »Neuen Ostpolitik« führten zu einer moralischen Aufladung der eigenen Argumentation; Positionen, die sie bis dahin selbst vertreten hatte, etwa die Unerträglichkeit polnischer Geschichtsklitterung oder den verbrecherischen Charakter der Vertreibung, wurden von ihr jetzt zurückgewiesen und denunziert. Der Ton, in dem sie ihre Gegner abkanzelte, ließ erkennen, daß sie wenig davon hielt, die Werte Freiheit und Toleranz, die sie gerne beschwor, auch im Umgang mit Andersdenkenden zur Geltung zu bringen.
Marion Gräfin Dönhoff hat trotzdem – vor allem wegen der immer wieder durchscheinenden, spezifisch preußischen Färbung von Weltsicht und Geschichtsbild –, auf Konservative eine widerwillige Anziehung ausgeübt, vergleichbar derjenigen Richard von Weizsäckers oder Christian Graf von Krockows. Die Anziehung rührte aus dem Stil der Herrin, dem scharf Autoritären, das noch in Kleidung und Gestik zum Ausdruck kam, dem, was ihr anhaftete von ostdeutscher und aristokratischer Tradition; der Widerwille war Reaktion auf die linke Attitüde, das Bedürfnis »dabei« zu sein, die Selbstgefälligkeit, die sogar dann noch ganz sicher auftreten ließ, wenn das gar nicht am Platz war, etwa im Hinblick auf ihre groteske Fehleinschätzung der Folgen linker Gesellschaftspolitik und der Entwicklung am Ende der achtziger Jahre, die zur Wiedervereinigung führen sollte.
Irrtümer einzugestehen, fehlte ihr die Größe, die Vorgänge, die ihrer Einschätzungsfähigkeit ein schlechtes Zeugnis ausstellten, verfolgte sie mit einer Mischung aus Mißvergnügen und Altersstarrsinn. Marion Gräfin Dönhoff starb am 11. März 2002, mit zweiundneunzig Jahren.