100 Jahre Gräfin Dönhoff

pdf der Druckfassung aus Sezession 33 / Dezember 2009

von Karlheinz Weißmann

Vor einhundert Jahren, am 2. Dezember 1909, wurde Marion Gräfin Dönhoff geboren. Ihre Familie gehörte zu den alten Adelsgeschlechtern des deutschen Ostens, zuerst in Livland, dann in Preußen ansässig. Sie selbst war eine der einflußreichsten Journalistinnen der Nachkriegsjahrzehnte.

Als sie 1946 in die Redak­ti­on der neu gegrün­de­ten Zeit ein­trat, hat­te sie schon eine rela­tiv tur­bu­len­te Bio­gra­phie, ihre oppo­si­tio­nel­le Hal­tung gegen­über dem NS-Regime war eben­so bekannt wie ihre aben­teu­er­li­che (heu­te in einem pro­ble­ma­ti­schen Licht erschei­nen­de) Flucht aus Ost­preu­ßen im Janu­ar 1945. Nach eige­ner Dar­stel­lung gehör­te sie zum Umfeld des Krei­sau­er Krei­ses, besaß Kennt­nis von den Vor­be­rei­tun­gen der Män­ner des 20. Juli und ent­ging nur knapp der Ver­haf­tung nach dem Schei­tern der Erhe­bung. Sie galt als inte­ger und schien zu jener Grup­pe von Intel­lek­tu­el­len zu zäh­len, denen man in West­deutsch­land nicht nur einen Neu­an­fang, son­dern auch eine Ver­mitt­lung mit den gesun­den Tra­di­tio­nen der Natio­nal­ge­schich­te zutraute.

Die Auf­fas­sun­gen der Grä­fin Dön­hoff beweg­ten sich jeden­falls wäh­rend der vier­zi­ger und fünf­zi­ger Jah­re in einem mehr oder weni­ger prä­zi­se gesteck­ten Kon­sens. Das galt auch, als sie gegen den »Rechtsd­rall« oppo­nier­te, den ihr Chef­re­dak­teur, Richard Tün­gel, durch­set­zen woll­te und der in ihrer Kün­di­gungs­dro­hung gip­fel­te, falls Carl Schmitt in der Zeit ver­öf­fent­li­chen dürf­te. Erst in den sech­zi­ger Jah­ren wur­de ein Kurs­wech­sel spür­bar, vor allem in der Deutschlandpolitik.

Bis dahin war »die Dön­hoff« vor allem bekannt für ihre Kri­tik an Ade­nau­ers Kon­zept, da sie in der West­bin­dung ein Hin­der­nis für jede ope­ra­ti­ve Deutsch­land­po­li­tik sah. Die soll­te aus­drück­lich die Wie­der­ver­ei­ni­gung Gesamt­deutsch­lands zum Ziel haben, den Ver­zicht auf das Oder-Nei­ße-Gebiet lehn­te sie noch 1959 ent­schie­den ab. Mit dem Stim­mungs­um­schwung nach dem Mau­er­bau änder­te sich das, und Mari­on Grä­fin Dön­hoff gehör­te zu den Jour­na­lis­ten, die nicht nur den »Macht­wech­sel« (Arnulf Baring) intel­lek­tu­ell vor­be­rei­te­ten, son­dern auch mas­siv Ein­fluß nah­men, um die Aner­ken­nung der Tei­lung und der pol­ni­schen West­gren­ze wenigs­tens in den Köp­fen der Bun­des­deut­schen durchzusetzen.

Wie vie­le ihrer Weg­ge­fähr­ten mag sie dar­in anfangs eine bit­te­re Not­wen­dig­keit gese­hen haben, wahr­schein­lich sogar einen Aus­druck von poli­ti­schem Rea­lis­mus, aber all­mäh­lich wan­del­te sich die­se Ein­schät­zung, und gera­de die Rück­schlä­ge der »Neu­en Ost­po­li­tik« führ­ten zu einer mora­li­schen Auf­la­dung der eige­nen Argu­men­ta­ti­on; Posi­tio­nen, die sie bis dahin selbst ver­tre­ten hat­te, etwa die Uner­träg­lich­keit pol­ni­scher Geschichts­klit­te­rung oder den ver­bre­che­ri­schen Cha­rak­ter der Ver­trei­bung, wur­den von ihr jetzt zurück­ge­wie­sen und denun­ziert. Der Ton, in dem sie ihre Geg­ner abkan­zel­te, ließ erken­nen, daß sie wenig davon hielt, die Wer­te Frei­heit und Tole­ranz, die sie ger­ne beschwor, auch im Umgang mit Anders­den­ken­den zur Gel­tung zu bringen.

Mari­on Grä­fin Dön­hoff hat trotz­dem – vor allem wegen der immer wie­der durch­schei­nen­den, spe­zi­fisch preu­ßi­schen Fär­bung von Welt­sicht und Geschichts­bild –, auf Kon­ser­va­ti­ve eine wider­wil­li­ge Anzie­hung aus­ge­übt, ver­gleich­bar der­je­ni­gen Richard von Weiz­sä­ckers oder Chris­ti­an Graf von Kroc­kows. Die Anzie­hung rühr­te aus dem Stil der Her­rin, dem scharf Auto­ri­tä­ren, das noch in Klei­dung und Ges­tik zum Aus­druck kam, dem, was ihr anhaf­te­te von ost­deut­scher und aris­to­kra­ti­scher Tra­di­ti­on; der Wider­wil­le war Reak­ti­on auf die lin­ke Atti­tü­de, das Bedürf­nis »dabei« zu sein, die Selbst­ge­fäl­lig­keit, die sogar dann noch ganz sicher auf­tre­ten ließ, wenn das gar nicht am Platz war, etwa im Hin­blick auf ihre gro­tes­ke Fehl­ein­schät­zung der Fol­gen lin­ker Gesell­schafts­po­li­tik und der Ent­wick­lung am Ende der acht­zi­ger Jah­re, die zur Wie­der­ver­ei­ni­gung füh­ren sollte.

Irr­tü­mer ein­zu­ge­ste­hen, fehl­te ihr die Grö­ße, die Vor­gän­ge, die ihrer Ein­schät­zungs­fä­hig­keit ein schlech­tes Zeug­nis aus­stell­ten, ver­folg­te sie mit einer Mischung aus Miß­ver­gnü­gen und Alters­starr­sinn. Mari­on Grä­fin Dön­hoff starb am 11. März 2002, mit zwei­und­neun­zig Jahren.

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