Etwa: Was ist schon „männlich“, was „weiblich“? Was „eigen“, was „fremd“? Was schön und was häßlich? Die Grenzen zwischen all diesen (als überkommen empfundenen) Polen sind lang schon morsch. Auch zwischen Alt & Jung weichen die Trennlinien auf. Beliebtes Motto: „Man ist so alt, wie man sich fühlt.”
Neil Postman hat schon vor langer Zeit konstatiert, daß das Schwinden der Kindheit und die Infantilisierung der Alten Hand in Hand gehen. Sexuell konnotiert ist dieser Sachbestand für gewöhnlich nicht. Allerdings ist auch das nicht neu. Schon Daniel Cohn-Bendit hatte ja in seinen Kinderladen-Hosenlatz-Erinnerungen sinngemäß festgestellt, daß diese jungen Mädchen aus der Kita ganz schön raffiniert vorgehen können.
Ob dieser Kindfrauenhype nun wieder aktuell ist? Indiz Nr. 1 wäre die Causa Polanski. Laut FAZ ist zwar in den USA in den letzten Wochen die breite Front der Free–Polanski-Rufer zusammengebrochen. Aber ich erinner mich noch gut an den Spott der versammelten Mannschaft des Ahriman-Verlags-Standes auf der Buchmesse, der mich deshalb traf, weil ich die dort ausliegende Pro-Polanski-Petition nicht unterschreiben wollte. Man erklärte mir, daß doch wohl beide – Polanski und sein 13jähriges Lustobjekt – an der „Nummer“ großen Spaß hatten. Nur äußerst prüde Zeitgenossen würden leugnen, daß auch junge Mädchen gern mal „von hinten verwöhnt“ werden wollten.
Indiz Nr. 2 war der neue Film des von mit sonst ziemlich geschätzten Regisseurs Mathias Glasner, „This is love“. Den sah ich letzte Woche, das Kino verließ ich schlecht gelaunt bzw. mit leichter Übelkeit. Es ging – stark verkürzt – um einen sensiblen älteren Typen, der sich in eine elf- oder zwölfjährige Vietnamesin verknallt. Warum auch immer, es wird an keiner Stelle klar. Klar ist nur, daß es dem Kind auch nach Verlassen des Bordells in Saigon nur darum geht, reizvoll zu sein und Männern „Gutes“ zu tun. In aller Unschuld – schlimm ist nur, wenn rohe Gewalt mit im Spiel ist – und„Liebe“ hat sie wesentlich ein Ziel: den „geliebten“ Europäer zu befriedigen. Nicht geistig, klar. Ein höllischer Film mit extrem unklarer Botschaft.
Und nun, mein Indiz Nr. 3, wird uns die glamouröse, magazinartige Beilage Z- Die schönen Seiten (die sowohl der NZZ als auch der FAZ beigegeben ist und auch deren redaktioneller Verantwortung unterliegt) präsentiert von einem Kindchen mit lasziv halbgeöffneten Lippen, das in güldenem Minigewand und auf High Heels (mit sexy Schnürbändern bis ans Knie) posiert, siehe Bildchen. Wie alt ist das Mädchen? Neun, schätzte ich und schätzten auch die, denen ich das Heft zeigte. Im Heftinnern sehen wir „Anne Sophie M.“ auch in anderer Aufmachung, etwa drastisch geschminkt und knallrot auf noch höheren Stöckeln oder noch knapper bekleidet (und in Stiefeln) auf einem plüschenen Rehböckchen „reitend“. Naja, eine meiner Töchter meinte: „Die ist mal mindestens elf“. Es kann gut sein, daß das Model (Recherchen nutzten wenig) in Wahrheit 39 ist. Hier, in der Werbewelt, zählt der Schein, und der sagt: Kind. Im Vergleich jedenfalls kam die gute Twiggy als reife Erwachsene rüber. Darf ich mich , von rechts gesehen, darüber aufregen? Daß ein Kind oder Scheinkind derart in Szene gesetzt wird?
Über jenen Nackedei-Kalender eines Göttinger Gymnasiums (Abi macht sexy, klar) haben sich ja alle gefreut, im Stadtparlament fast parteienübergreifend („ausgezeichneter Geschäftssinn“: der FDP-Mensch). Nur die Linkspartei fand’s blöd, weil „frauenverachtend“. Gut: Dort nun haben sich sogenannte Erwachsene entblößt, die auch als solche zu erkennen waren. Wenn ich nun den Kleinmädelsexykult als abstoßend und verachtenswert empfinde und gleichzeitig hundertprozentig weder links noch feministisch bin? Ist das insofern auch eine Grenzverletzung?