Nase im Wind. 80 Jahre Enzensberger

pdf der Druckfassung aus Sezession 32 / Oktober 2009

von Adolph Przybyszewski

Er habe die Nase immer im Wind, sagte Jürgen Habermas einmal etwas despektierlich von Hans Magnus Enzensberger, der am 11. November auf 80 Jahre seines Lebens und über 50 Jahre Textproduktion zurückblicken darf. Ideologischen Zickzack warf man diesem von der Linken kommenden Schriftsteller bisweilen vor, geistige Rassehygieniker verorteten ihn später gar in fatalen Nachbarschaften: »Die neue Dreieinigkeit Enzensberger/Strauß und Walser« definiere in einer anhaltend »bleiernen Zeit«, »was als deutsche Dichtkunst und Nation gilt«, liest man noch im Jahr 2000 in einer Traktatsammlung des Duisburger Instituts für Sozialforschung.

Enzens­ber­ger selbst will sich frei­lich nicht der­art dis­kur­siv aus­mer­zen las­sen, er ist als Autor ja auf Öffent­lich­keit ange­wie­sen. Das pas­sie­re nicht noch ein­mal, beeil­te sich der Autor daher 1999 gegen­über der Jungle World zu ver­si­chern, als ihn die­ses Organ ermahn­te wegen des Abdrucks eines sei­ner Essays in der natio­nal­re­vo­lu­tio­när getön­ten Zeit­schrift wir selbst. »seht in den spie­gel: feig, / scheu­end die müh­sal der wahr­heit, / dem ler­nen abge­neigt, das den­ken / über­ant­wor­tend den wöl­fen, / der nasen­ring euer teu­ers­ter schmuck«, hat­te er einst zur ver­tei­di­gung der wöl­fe gegen die läm­mer letz­te­ren ins Stamm­buch geschrie­ben, in sei­nem lyri­schen Debüt von 1957 als »rabia­ter Ran­da­lie­rer «, wie ihn, nicht ohne Respekt, der Autor, Kri­ti­ker und kriegs­ge­dien­te SS-Mann Hans Egon Hol­thusen sei­ner­zeit nannte.
Enzens­ber­ger, Sohn gut­si­tu­ier­ter Bür­ger­li­cher aus Süd­deutsch­land, blieb als klu­ges Lamm immer bei der Her­de, aber das sehr reflek­tiert. Unter den natio­na­len Sozia­lis­ten wur­de er nur zur Hit­ler­ju­gend und dann gegen Kriegs­en­de als 15jähriger noch zum Volks­sturm gezo­gen, hat aus die­ser Zeit also kraft spä­ter Geburt kei­ne »Lei­chen im Kel­ler«. Mit einer Dis­ser­ta­ti­on über den katho­li­schen Roman­ti­ker Cle­mens Bren­ta­no wies er sich 1955 als aka­de­mi­scher Intel­lek­tu­el­ler aus, den es sogleich auch als Autor zur ›Grup­pe 47‹ zog, zur »Degus­sa der schö­nen Lite­ra­tur«, wie sie Peter Rühm­korf 1972 im Rück­blick nann­te. Enzens­ber­ger bedien­te fort­an ein brei­tes publi­zis­ti­sches Spek­trum sehr flei­ßig mit Tex­ten, vom Radio­es­say und Hör­spiel über den Fern­seh­film, vom for­mal varia­blen Gedicht über das essay­is­ti­sche und erzäh­le­ri­sche Gen­re bis hin zu sze­ni­schen Arbei­ten ein­schließ­lich eini­ger Opernlibretti.
Der ver­sier­te Lite­rat zähl­te als zeit­wei­li­ger Rund­funk­re­dak­teur und Hoch­schul­do­zent, als Suhr­kamp-Lek­tor, Her­aus­ge­ber und schreib­freu­di­ger Feuil­le­to­nist, als Über­set­zer und Edi­teur der Ande­ren Biblio­thek zwei­fel­los zu den ein­fluß­rei­chen Autoren in Westdeutschland.Das von ihm begrün­de­te und lang ver­ant­wor­te­te Kurs­buch avan­cier­te zu einem Theo­rie­or­gan für die soge­nann­te Neue Lin­ke, wobei Enzens­ber­ger selbst nie ein har­ter Mar­xist war, mit ein­schlä­gi­gen Theo­re­men aber vir­tu­os han­tier­te. Sein Reden vom abseh­ba­ren »Ende der zwei­ten deut­schen Demo­kra­tie« 1967, ange­sicht des­sen die Revo­lu­ti­on auf der Tages­ord­nung ste­he, ent­pupp­te sich schnell als Meta­phern­ge­wit­ter, als »gro­ße the­ra­peu­ti­sche Situa­ti­on «, wie Karl-Heinz Boh­rer damals wohl­wol­lend urteilte.
Der the­ra­peu­ti­sche Erfolg resul­tier­te bei Enzens­ber­ger in einem kon­ser­va­ti­ven Skep­ti­zis­mus, der sei­ne Autor­schaft von Beginn an grun­diert hat­te und nun domi­nier­te. Auch wenn dem Medi­en­kri­ti­ker im rei­fen Alter die Spie­gel-Sot­ti­se unter­lief, Sad­dam Hus­sein als »Hit­lers Wie­der­gän­ger« zu ver­kau­fen, um den ers­ten Golf­krieg zu recht­fer­ti­gen, sind doch fast alle sei­ne Essays und Gedich­te Ver­su­che im bes­ten Sinn: Sie prä­sen­tie­ren sel­ten Resul­ta­te, son­dern regen das Selbst­den­ken an. Bei­spie­le hier­für sind Enzens­ber­gers frü­he Über­le­gun­gen zur »Bewußt­seins-Indus­trie«, die sich heu­te mit dem Fran­zo­sen Ber­nard Stiegler fort­füh­ren las­sen, oder jener auch von rechts adap­tier­te Begriff vom »mole­ku­la­ren Bür­ger­krieg«. Sei­ne Tex­te wei­sen ihn als wachen Beob­ach­ter aus, der frei­lich bestimm­te Fol­ge­run­gen stets geschmei­dig ver­mei­det. Enzens­ber­ger lesen lohnt sich aber immer, und er ist im übri­gen auch Autor geglück­ter Kinderbücher.

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