Das Ergebnis nannte Jens »enttäuschend «: »Keine Fragen. Keine Brüche. Ein letztes Mal werden Nebelkerzen gezündet.« Nicht anders, nur ungleich schmerzhafter verhielt es sich mit der Portalfigur von Jens’ eigenem Leben, seinem nun 86jährigen Vater Walter Jens, von dem er in seinem Buch Demenz nun »Abschied« nimmt. Der einstige Rhetorikprofessor leidet seit 2004 an Demenz, die ihn der Sprache und Erinnerung beraubte und ins Kleinkindstadium regredieren ließ. Tilman Jens’ Buch ist nicht nur ein Abschied von dem Menschen, der sein Vater einst war, es ist auch ein Abschied vom Bild des makellosen Moralisten und Bewältigers, das sich dieser jahrzehntelang angemaßt hat. In einer dramaturgisch stimmigen Koinzidenz brach Jens’ Demenz kurz nach Bekanntwerden seiner NSDAP-Mitgliedschaft aus. Jens, »der Feind billiger Ausreden, der unbeugsame Advokat der Klarheit«, der sich stets zum Antifaschisten der ersten Stunde stilisiert hatte, reagierte mit Ausflüchten, ja Lügen auf die Enthüllung. Tilman Jens ist klug genug, den eigentlichen Sündenfall des Vaters zu erkennen: »Warum hat er (…) niemals über die Zeit des eigenen Verführtseins geredet, geschrieben, obwohl ihn das Thema, bei anderen, so umtrieb?«
Am Ende der quälenden Auseinandersetzung, die sich auf eine ganze Generation liberaler Meinungsführer erstreckt, steht die Erkenntnis, daß es die »Berufsankläger« selbst waren, die »erinnerungsfeindlich « (Walter Jens) gewirkt haben. Jens, der vermeintliche »Solitär und Einzelgänger, der couragierte Nein-Sager« war ein Konformist des juste milieu, der den Rückenwind des Zeitgeistes stets hinter sich wußte. Das im seniorenfreundlichen Großdruck gehaltene Büchlein seines Sohnes wirft ein bezeichnendes Licht auf den immergrünen Komplex »Vergangenheitsbewältigung«, der weit davon entfernt ist, Altersschwäche zu zeigen.
(Tilman Jens: Demenz. Abschied von meinem Vater, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2009. 144 S., 17.95 €)