Bürger und Künstler

pdf der Druckfassung aus Sezession 30 / Juni 2009

von Frank Lisson

Dieses Buch ist ein Genuß. Auch wer glaubt, schon vieles über Thomas Mann zu wissen, liest es mit Gewinn. Das liegt zum einen am brillant-präzisen Stil Kurzkes, der in hundert kleinen Kapiteln knapp, aber ungemein dicht das Leben Thomas Manns erzählt. Zum anderen an der Empathie, mit der Kurzke – emeritierter Germanistikprofessor und der Thomas-Mann-Forscher schlechthin – auf dieses Leben blickt.

Man spürt, er weiß genau um Fähr­nis­se und Wid­rig­kei­ten der Künst­ler­exis­tenz. Dadurch ent­steht eine Innen­schau, die so takt­voll gehal­ten ist, daß sie nichts Voy­eu­ris­ti­sches bekommt, obwohl sie gera­de jenen Dich­ter zeigt, der sich vor den Augen der Welt ver­barg: den sen­ti­men­ta­len, bis­wei­len lie­der­li­chen (»ein träu­me­ri­scher Faul­pelz«), nar­ziß­ti­schen, manch­mal depres­si­ven. »Kein stei­fer und kal­ter Bür­ger fer­tig­te die­ses Werk, son­dern ein uner­füll­ter, ent­wur­zel­ter und ver­letz­li­cher Mensch rang es sich ab.« Vor allem zeigt es einen Roman­cier, der zeit­le­bens sei­ner Geschlecht­lich­keit zu ent­flie­hen such­te. Das Lei­den an der sexu­el­len Indif­fe­renz zieht sich als roter Faden durch das Buch. Und dar­aus resul­tie­rend ein wei­te­rer Aspekt, der die Tra­gik, aber auch die enor­me Schöp­fer­kraft Tho­mas Manns erklärt, näm­lich der selbst­auf­er­leg­te Impe­ra­tiv: Du darfst nicht lie­ben! Kunst als Kom­pen­sa­ti­on, aber mit dem ent­schei­den­den Dreh ver­se­hen, der aus der Not eine Tugend macht: »ein Mensch, der emp­fin­det, dich­tet schlecht.« Also – eiser­ne Dis­zi­plin bis zur Rück­sichts­lo­sig­keit. »Er kennt den Preis. Man kann nicht Künst­ler und Bür­ger zugleich sein. Man bezahlt Künst­ler­schaft mit dem Ver­zicht auf das Leben.«
Kurz­kes ein­fühl­sa­me Beschrei­bung ver­deut­licht am Bei­spiel Manns, wie und war­um Kunst und Lite­ra­tur ent­ste­hen, wel­che Bedin­gun­gen, wel­che Zwän­ge und Beschä­di­gun­gen nötig sind, damit sie über ihren blo­ßen Unter­hal­tungs­wert etwas essen­ti­ell Mensch­li­ches und Kul­tu­rel­les ent­hält. Und welch enor­mer Druck zumeist auf einem sol­chen Dasein las­tet: 1910 nahm sich eine Schwes­ter das Leben, 1927 die ande­re, 1949 der Sohn Klaus. Toch­ter Eri­ka ver­fiel den Dro­gen, Sohn Micha­el starb in der Sil­ves­ter­nacht 1976/77 an einer »Mischung aus Alko­hol und Bar­bi­tu­ra­ten.« Auch der berühm­te Vater blieb trotz groß­bür­ger­li­chen »Glücks« inner­lich ein­sam, zer­ris­sen, hei­mat­los und in stän­di­ger Anspan­nung gefan­gen zwi­schen Trieb und Ver­nunft. – Ja, gewiß: »Es war anstren­gend, Tho­mas Mann zu sein.«

(Her­mann Kurz­ke: Tho­mas Mann. Ein Por­trät für sei­ne Leser Mün­chen: C.H. Beck 2009. 250 S., 16.90 €)

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