Das mindert ihre Verdienste nicht, zumal Orbachs Körper-Philosophie sich an wichtigen Stellen – etwa, was den zentralen Gedanken der Machbarkeit angeht – von genderaffizierten Axiomen unterscheidet. Die Auffassung, daß Biologie nicht mehr Schicksal sei (ein Postulat des Feminismus), hat laut Orbach eine verhängnisvolle Popularität gewonnen. Wenn sie von »instabilen Körpern« spricht, meint sie einen Trend, der durch die Globalisierung weltweit befördert wird und der selbst in existentielle Fragen ausgreift. Selbst die Fortpflanzung werde neu »konfiguriert «, das beginnt mit der schon weitgenutzten Möglichkeit, Eizellen einzufrieren und mag beim gebärfähigen Transgendermann einen vorläufigen Schlußpunkt finden.
3000 Schönheitschirurgen allein in Teheran, zigtausend junge Chinesinnen, die mit selbstgebastelten »Lidöffnern« dem westlichen Augenblick nacheifern, die Tatsache, daß nach Einführung des Fernsehens auf den Fidschi-Inseln (1995) 12 Prozent der Mädchen manifeste Eßstörungen entwickelten, ein gestiegener Umsatz allein an Anti-Aging-Cremes von weltweit 1,58 Milliarden Dollar (2004) auf etwa 2,86 Milliarden 2009; die Vielzahl solcher Programme, mit deren Hilfe sich Babyphotos digital »verhübschen« lassen: Orbach spricht von der internationalen »Demokratisierung« eines verengten Schönheitsideals. Der »richtige« Körper werde propagiert als Ziel, das jeder unabhängig von seiner sozialen Stellung erreichen könne.
Wo der Körper des Arbeiters einst an Schwielen und Muskeln zu erkennen war, unterwerfe sich heute der Mittelschichtkörper dem Gebot, anzuzeigen, daß an ihm gearbeitet wurde. Wo Jungs früher den Bewegungskünsten von Sportlern nacheiferten, richte sich heute ihr Streben darauf, »auch so ein Sixpack« zu haben. Unser Körper stelle keine Dinge mehr her, er sei zu einem gleichsam ausgelagertem Objekt geworden. Das entfremdete Körpertraining sowie der umgreifende Aspekt der Schönheitschirurgie zähle heute zur Rhetorik der »Selbstverwirklichung« nach dem Motto: »Gönn dir das! Gehöre dazu!«. Orbach weiß, daß es den simplen, »natürlichen « Körper nie gab. Sein Ideal war immer zeitgenössischen Codes unterworfen. Ihn zu schmücken und verändern war stets Teil der Kultur.
Neu ist, daß dies nicht mit gesellschaftlichen Ritualen verbunden, sondern Teil des individuellen Strebens ist. Dies unter bloßer »Eitelkeit« zu subsummieren, führe nicht weit genug. Orbach legt dar, wie sich unser bildergesättigter Alltag auf den visuellen Kortex niederschlage und die Vielfalt des menschlichen Körperausdrucks »verschleife «. Die virtuelle Kommunikation besorge ein übriges, sie entmaterialisiere die Existenz ihrer Teilnehmer und führe zu neuen »Körperfiktionen«. Besonders würden junge Mädchen von dieser Entwicklung ergriffen. Sie wissen, daß Sexyness wichtig ist (und lassen sich etwa ihr Aussehen auf entsprechenden Portalen bewerten), ohne bereits eine eigene Sexualität zu haben. Wo einst dem weiblichen Körper eine so große Macht zugesprochen wurde, daß er weitgehend bedeckt gehalten wurde, leben junge Frauen heute mit dem Gefühl, hart an ihm arbeiten zu müssen, daß er einer »Bewertung « standhält und auf dem Markt besteht. Ein erstklassiges Buch!
(Susie Orbach: Bodies. Schlachtfelder der Schönheit. Aus dem Englischen übersetzt von Cornelia Holfelder von der Tann. Zürich: Arche 2010, 203 S., €)