Salonkultur mit Hitler

pdf der Druckfassung aus Sezession 35 / April 2010

Wenn das »angeblich so markante Dritte Reich« tatsächlich ein »Reich der verfließenden Übergänge« (A. Mohler) war, dann gilt diese Unübersichtlichkeit erst recht für die Weltanschauungskämpfe der vorangehenden Jahrzehnte.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Ein Feld, das man zu Recht als »span­nend« beschrei­ben darf. Wolf­gang Mar­tyn­ke­wicz’ Fokus gilt den Emp­fän­gen, die das Ver­le­ger­ehe­paar Hugo und Elsa Bruck­mann in sei­nen Mün­che­ner Salons zwi­schen 1899 und 1941 ver­an­stal­te­te. Bruck­mann war Ver­le­ger von Hous­ton Ste­wart Cham­ber­lains 1100seitigem Welt­an­schau­ungs­buch Grund­la­gen des XIX. Jahr­hun­derts (1899), dem Debat­ten­stoff sei­ner Zeit. Das dezi­diert anti­se­mi­ti­sche Werk (wohl­ge­merkt: der jüdi­sche Wag­ner-Diri­gent Levi hat­te Cham­ber­lain an Bruck­mann emp­foh­len!) des lei­den­schaft­lich dilet­tie­ren­den Mul­ti-Wis­sen­schaft­lers und Welt­rei­sen­den wur­de bald Pflicht­lek­tü­re für Leh­rer und Offi­zie­re; bis zum Ers­ten Welt­krieg ver­kauf­te es sich fast 100.000mal. Zum Freun­des­kreis der Bruck­manns zähl­ten das Ehe­paar Wolfs­kehl, Her­mann Graf Key­ser­ling, Har­ry Graf Kess­ler und der schil­lern­de, weit­ge­reis­te Phy­sio­gno­mi­ker Rudolf Kass­ner. Gele­gent­lich waren Alfred Schul­er, Walt­her Rathen­au und Ste­fan Geor­ge zu Gast; mit Ril­ke, Lud­wig Kla­ges und von Hof­manns­thal führ­te die Dame des Hau­ses, eine spär­lich begna­de­te Lai­en­dich­te­rin, zudem inten­si­ve Kor­re­spon­den­zen. In den pro­mi­nen­ten Brief­wech­seln, aus denen Mar­tyn­ke­wicz hier zitiert, und in den Salon­ge­sprä­chen wur­de mit Cham­ber­lain und durch viel­fäl­ti­ge ähn­li­che Ver­su­che einer »Gesamt­in­ter­pre­ta­ti­on« der Geist der kom­men­den Zeit anti­zi­piert und, mehr noch, her­bei­ge­sehnt. Was ist Grö­ße, was Per­sön­lich­keit, wer soll­te künf­tig herr­schen, und wie? Der »Künst­ler­sou­ve­rän« galt weit­hin als der Mann der Stun­de, man rühm­te die Kul­tur und ver­ach­te­te die Zivi­li­sa­ti­on, das – posi­tiv besetz­te – Wort vom »neu­en Bar­ba­ren« mach­te die Run­de. Das Wesen der Deut­schen war ein »Wer­den­des«, stets im Kom­men begrif­fe­nes. Nor­bert von Hel­ling­rath kon­tras­tier­te das »Volk Goe­thes« und des­sen uni­ver­sa­len Bezugs­punkt mit dem »Volk Höl­der­lins«, weil des deut­schen Wesens »inners­ter Glut­kern unend­lich weit unter der Schla­cken-Krus­te« lie­ge, so ver­bor­gen, daß er »Nicht-deut­schen wohl nie zugäng­lich« sein wer­de. Der Jude hin­ge­gen wur­de zur Pro­jek­ti­ons­flä­che des­sen, was man als Zer­set­zungs­ge­fahr der Moder­ne begriff. Der Publi­zist und Tota­li­ta­ris­mus­kri­ti­ker Fritz Ger­lich, der das Schlag­wort vom »jüdi­schen Bol­sche­wis­mus« auf­brach­te und seit 1919 Gast bei Bruck­manns war, emp­fand das Juden­tum als Gefahr, weil es die »Eigen­tüm­lich­keit« besit­ze, »sich der stärks­ten geis­ti­gen Rich­tung anzu­schlie­ßen, in des­sen Mit­te es lebt (…) Unter Völ­kern mit stark ent­wi­ckel­tem Natio­na­lis­mus ist der Jude des­halb auch natio­na­lis­tisch gerich­tet.« Um rus­si­sche Ver­hält­nis­se zu ver­hin­dern, plä­dier­te er für eine vol­le Teil­ha­be der Juden am Gemein­schafts­le­ben. Mit Cham­ber­lains vom rein Ras­si­schen fort­wei­sen­den »Kom­pro­miß«, daß man »Jude sein kann ohne Jude zu sein, und daß man nicht ›Jude‹ zu sein braucht, weil man einer ist«, konn­ten sich vie­le der im Salon ein- und aus­ge­hen­den »Wis­sen­schafts­künst­ler « anfreun­den. Klar war: Fes­te Kate­go­rien waren gefragt, »men­schen­kund­li­ches« Ori­en­tie­rungs­wis­sen wie die Phy­sio­gno­mik, die Gra­pho­lo­gie und die »über­per­sön­li­che « Ras­sen­kun­de nah­men wis­sen­schaft­li­chen Rang ein. 1932 tra­ten die Bruck­manns der NSDAP bei. Er, obgleich nie fana­ti­scher Anhän­ger der Bewe­gung wie sei­ne Frau, die Hit­ler sogar wäh­rend des­sen Haft­zeit exklu­siv besucht hat­te, wur­de Abge­ord­ne­ter. Da wur­den längst Hit­ler, Rosen­berg sowie der Groß­in­dus­tri­el­le Kir­dorf im Salon emp­fan­gen, wäh­rend ande­re Weg­ge­fähr­ten nun fern­blie­ben. Daß es weder die Lese­bänd­chen der vor­nehm gestal­te­ten (Salon!) Aus­ga­be noch die frei­schwe­bend-asso­zia­ti­ven Kapi­tel­über­schrif­ten ver­mö­gen, einen roten Faden durch die­ses Buch bei­zu­steu­ern, ist nur ein klei­ner Wer­muts­trop­fen in die­sem aus­ho­len­den Werk. Ange­sichts der Mate­ri­al­fül­le ist ver­zeih­lich, daß gleich drei­mal zitiert wird, daß Elsa Bruck­mann sich nach der durch den Kriegs­tod ihres Nef­fen (Höl­der­lin­for­scher von Hel­ling­rath, der als eine Kris­tal­li­sa­ti­ons­fi­gur inner­halb des Salons wirk­te) ver­ur­sach­ten Depres­si­on durch Hit­lers Stim­me »wie auf­ge­rich­tet« fühl­te. Eben­so, daß Mar­tyn­ke­wicz gele­gent­lich so ver­kürzt wie salopp von Ansich­ten »der Nazis« spricht, wo er doch rund­um auf­zeigt, daß gera­de in der soge­nann­ten »Kampf­zeit« die Par­tei­sze­ne kei­nes­wegs als welt­an­schau­li­cher Mono­lith anzu­se­hen war. Nichts­des­to­we­ni­ger liest sich das Buch ganz her­vor­ra­gend, bis­wei­len roman­haft. Allein wegen der Fül­le sei­ner – teils bis­her uner­schlos­se­nen – Quel­len lohnt die Lek­tü­re. Ein Per­so­nen­ver­zeich­nis erleich­tert die Ori­en­tie­rung und macht das Gan­ze zu einem pro­fun­den Nach­schla­ge­werk. Erfreu­lich auch, daß der Autor nie ver­sucht, den hei­ßen Her­zen der Den­ker einer »ande­ren Moder­ne« glei­cher­ma­ßen erhitzt mit dem (Bes­ser) Wis­sen des Nach­ge­bo­re­nen ent­ge­gen­zu­tre­ten. Kühl wird dar­ge­legt, ein­ge­ord­net – der volks­päd­ago­gi­sche Zei­ge­fin­ger bleibt außen vor.

(Wolf­gang Mar­tyn­ke­wicz: Salon Deutsch­land. Geist und Macht 1900–1945, Ber­lin: Auf­bau-Ver­lag 2009. 450 S. 24.95 €.)

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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