Ganz anders der Fall des Franz Josef Strauß: In ihm lebte der Wille zur Macht und zu einer rechten Realpolitik. Sein Verhältnis zur äußersten Rechten und jener zu ihm war dabei naturgemäß ambivalent. Konnte er mit Aussprüchen wie: „Ich bin ein Deutschnationaler und verlange bedingungslosen Gehorsam” bei Rechtsbürgerlichen der 1970er Jahre punkten, so fühlte sich die extreme Rechte von: „Man muß sich der nationalen Kräfte bedienen, auch wenn sie noch so reaktionär sind – mit Hilfstruppen darf man nicht zimperlich sein” getroffen. Worum es ihm dabei eigentlich ging, liest man in seinen Erinnerungen: „Wer meint, Nation und nationales Denken hintanstellen zu müssen, könnte sich in seiner politischen Rechenfähigkeit als sehr kurzsichtig erweisen. Wenn es einer seriösen Rechtspartei, einer progressiven nationalkonservativen Partei gelingt, auf Dauer über die Fünf-Prozent-Hürde zu kommen, wäre die Kombination aus CDU, CSU und FDP nicht mehr mehrheitsfähig. … Es geht nicht um rechtsradikale Narren, wie etwa um die Deutsche Volksunion des Gerhard Frey. Aber wenn sich eine Rechtspartei bildet mit einem populistischen Programm und einer charismatischen Führung … Der Gedanke einer großen Koalition weckt mehr Unbehagen als Zuversicht. Wo also bleibt die Bewegungsfähigkeit der Union?” Strauß sorgte sich um Bayern und Deutschland und daher um die strukturelle Mehrheitsfähigkeit des nicht-linken Lagers. Besser als seine verzagten Widersacher in der CDU verstand es Strauß die CSU zu einer allumfassenden Kraft der Mitte und der Rechten zu formen, indem er aus „liberalitas bavariae”, christlich-sozialer und staatsinterventionistischer Marktwirtschaft, bayerischem Heimatgefühl und nationalkonservativem Denken eine antisozialistische Volkspartei machte.
Alle Strömungen fanden sich wieder in Programmatik und Personal: auch und gerade die Konservativen. Der Konservativismus hatte in den Nachkriegsjahren eine technokratische und pragmatische Richtung eingeschlagen und war eng mit der Westbindung und dem Wirtschaftswunder verknüpft. Nationalkonservativismus im Sinne militärischer Stärke und Selbstbestimmung der Deutschen war vor dem Hintergrund der Ost-West-Konfrontation und der deutschen Teilung nur in Kombination mit dem Freiheitspathos des Antikommunismus der westlichen Siegermächte denkbar. Das erklärte auch die positive Haltung des konservativen mainstream gegenüber Bundeswehr und Einbindung in die Nato, für die Strauß als Verteidigungsminister maßgebliche Verantwortung getragen hatte.
Aber damit war es nach der Spiegel-Affäre vorbei, und in den sechziger Jahren suchte Strauß sich auf dem Feld der Außenpolitik neu zu profilieren. Während der Diskussion um den Atomwaffensperrvertrag – Adenauer hatte von einem drohenden „Super-Versailles” gesprochen – setzte er sich dezidiert für eine atomare Bewaffnung der Bundeswehr sein. Daß diese Art von „Gaullismus” von Armin Mohler publizistisch verteidigt wurde, kann nicht verwundern, und unter dem Eindruck von Neuer Linker und Studentenbewegung suchte Strauß sowieso nach Möglichkeiten, publizistisch aufzurüsten. Sein neuer Mann für das CSU-Parteiblatt Bayernkurier wurde Marcel Hepp. Dieser hatte mit seinem Bruder, dem späteren Soziologieprofessor Robert Hepp, während seines Studiums in Tübingen zur „Katholischen Front” gehört, die noch im Jahr ihrer Gründung 1959 auf Druck des Bischofs von Rottenburg in „Konservative Front” umbenannt werden mußte. Im Herbst 1965 ging Marcel Hepp auf Vermittlung Mohlers als „Persönlicher Referent” zu FJS, erhielt ein eigenes „Büro des Landesvorsitzenden”, um Strauß’ Bonner und Münchener Interessen zu koordinieren. 1967 wurde Hepp „Geschäftsführender Herausgeber” eines Bayernkuriers, gegen den die heutige Junge Freiheit zahm und der heutige Bayernkurier zahnlos wirkt. Auch sein Nachfolger als Chefredakteur, Wilfried Scharnagl, hatte dem Blatt noch intellektuelle Impulse gegeben. Sein neues Buch (Wilfried Scharnagl: Mein Strauß. Staatsmann und Freund, München: Ars Una 2008. 303 S., 29.80 €) reicht hingegen nicht an seinen großen Wurf heran, den er mit der Abfassung von Straußens Erinnerungen landen konnte. Der frühe Tod Hepps 1970 beendete auch Mohlers Episode parteipolitischer Zuarbeit, die erst mit den Republikanern Franz Schönhubers wieder auflebte. Schönhubers Mitgliedschaft im „Franzens-Club” um FJS erinnert dessen Sohn Franz Georg Strauß vor allem negativ. (Franz Georg Strauß: Mein Vater. Erinnerungen. München: Herbig 2008. 304 S., 19.95 €) Schönhuber hätte bewußt Unwahrheiten gestreut, um sich interessant zu machen. In den ansonsten nur mäßig interessanten Erinnerungen an seinen Vater ist denn auch Schönhuber einer der wenigen, den er schlecht aussehen läßt.
Nach der für die Union knapp verlorenen Bundestagswahl von 1969 (46,1 Prozent), die den Seitenwechsel des Koalitionspartners FDP und 4,3 Prozent für die – damals anders als heute – bürgerlich-nationalistische NPD mit sich brachte, sah Strauß die strukturelle Mehrheitsfähigkeit der CDU/CSU gefährdet. Das Problem erkannten auch andere, die Publizisten und Professoren etwa, die an einem intellektuellen roll back, der sogenannten „Tendenzwende” arbeiteten, und die Kreise, die Pläne zur Gründung einer „Vierten Partei” neben Union, SPD und FDP schmiedeten. Erste Versuche ergaben sich aus der Ablehnung der sozial-liberalen Ostpolitik durch den verbliebenen nationalliberalen Flügel der FDP. Der nordrhein-westfälische Bundestagsabgeordnete Siegfried Zoglmann gründete 1970 mit dem bayerischen FDP-Landesvorsitzenden Dietrich Bahner und anderen Mitgliedern des Hohensyburger Kreises die „Nationalliberale Aktion” (NLA), die 1971 in die „Deutsche Union” (DU) überführt wurde. Als das Scheitern der DU als eigenständige Partei absehbar wurde, wechselte er im November 1974 zur CSU.
Aber natürlich konnte Strauß nicht jeden Nationalliberalen und Rechtskonservativen direkt in die CSU integrieren und so manches Defizit der CDU beheben. Auch war nicht jeder konservative Wähler außerhalb Bayerns bereit, die CDU zu wählen, nur weil es die CSU gab. Nachdem die Union auch die Bundestagswahlen 1976, wenn auch mit 48,6 Prozent äußerst knapp, verloren hatte, trieb Strauß die legendären Beschlüsse von Wildbad Kreuth voran. Er kündigte der CDU die Fraktionsgemeinschaft im Bundestag und setzte auf das Motto „Getrennt marschieren, vereint schlagen”. Die CSU sollte bundesweit antreten, um so das ganze bürgerliche Lager anzusprechen. Die CDU für die Mitte, die CSU für die Rechte. Die Antwort des gerade gescheiterten Kanzlerkandidaten Helmut Kohl war eindeutig: dann trete die CDU auch in Bayern an. Kohls Option war nicht die absolute Mehrheit der Union – schon gar nicht unter Zuhilfenahme einer bundesweiten CSU, sondern die Koalition mit der FDP. Für die CSU mußte diese Kriegserklärung der CDU den Rückzug bedeuten, denn die CSU lebte in Bayern von ihrem Nimbus als bayerische Staats- und Volkspartei. Sie war es nicht, die Probleme damit hatte, alleine die absolute Mehrheit zu holen. Eine zusätzliche bayerische CDU hätte diese Option gestört, vielleicht zerstört. Hinzu kam das nicht von der Hand zu weisende Argument, daß eben jener Charakter als „der” bayerischen Volkspartei hätte Schaden nehmen können, bei Verengung auf ein rein konservatives Programm und Personal in den anderen Bundesländern. Eine Wiederholung erlebte dieses Konzept in Gestalt der „Deutschen Sozialen Union” (DSU), die sich im Zuge der Wiedervereinigung in Mitteldeutschland gegründet hatte. Auch hier war Schluß, als sich die DSU auf das ganze Bundesgebiet ausdehnen wollte.
Die Wiedervereinigung hat Strauß nicht mehr erlebt, er war am 3. Oktober 1988 verstorben. Seine Politik war in der letzten Phase seiner Tätigkeit bei weitem nicht mehr von jener Sicherheit bestimmt, die sie lange gekennzeichnet hatte. Trotzdem ist unbestreitbar, daß er für viele konservative und rechte Intellektuelle seiner Zeit Auftraggeber, Gesprächspartner, Rezipient war; sie hatten in Strauß einen Bezugspunkt in der Realpolitik. 20 Jahre ist es her.