… Autonomie für ihre Region zu erlangen, beschäftigt hierzulande kaum jemanden. Dabei läßt das spanische Beispiel recht genau erkennen, was nach dem Ende der Nationalstaatlichkeit kommt: jedenfalls nicht das Ende der Identitätskämpfe. Denn die Gegner der spanischen Zentrale wollen ja keine Weltrepublik oder ein Wolkenkuckucksheim, sondern einen alternativen Staat und eine alternative Nation.
Während die Freunde der „postnationalen Demokratie” (Karl Dietrich Bracher) gerade noch behaupteten, daß im neuen Zeitalter die kulturelle Homogenität wie von selbst gewahrt bleibe und sich die Teilnehmer am herrschaftsfreien Diskurs ohne sprachliche Probleme würden verständigen können, sieht man jetzt immer deutlicher, wie unwahrscheinlich diese Hoffnungen sind. Das gilt selbst dann, wenn ein Nationalstaat nur in seine historisch gewachsenen Bestandteile zerfällt.
Es zeigt sich also einmal mehr, dass die Nation besteht, sofern sie etwas repräsentiert, das hinreichend klar erkennbar und großartig genug ist, um Loyalitätsgefühle bis zur Opferbereitschaft zu wecken. Sie existiert fort, weil ihre Existenz solche Empfindungen zu nähren weiß, sie verfällt, wenn die Erkennbarkeit undeutlich und die Emotionen schwach werden. Die Nation ist nicht natürlich wie Familie oder Sippe, sie gehört zur Natur des Menschen nur insofern, als sie zu jenen identitätstiftenden politischen Verbänden zählt, ohne die wir als soziale Wesen nicht leben können. Es hat in der Geschichte Verbände gegeben, die kleiner (Bünde, Stämme) oder größer (Imperien) waren und ähnliches leisteten, auch zahlreiche Fälle, in denen alles da war, um sich als Nation selbständig zu behaupten, die politischen Kräfteverhältnisse das aber nicht oder nur phasenweise erlaubten.
Die Rede von einer baskischen Nation hat insofern ihr Recht, ebenso wie die von einer katalanischen oder galizischen, allerdings ist die Frage noch nicht geklärt, ob die spanische sich ganz widerstandslos mit ihrem Austritt aus der Geschichte abfindet. Entscheidend wird sein, ob ein spanischer Nationalismus noch Mobilisierungskraft hat, größere jedenfalls als die der Konkurrenznationalismen.