Während er den Ansprachen der Gratulanten aus den unterschiedlichen politischen Fraktionen lauscht, beobachtet er den Saal wachsam aus dem Augenwinkel. Alte Angewohnheit. An den Ausgängen haben sich zwei Männer in Camouflage-Anzügen, schwarzen Gefechtswesten und Maschinenpistolen postiert – zum Schutz der Veranstaltung. Der Libanon gilt als das Land mit der höchsten Agentendichte. Ständig ist man auf der Hut vor Attentätern. Junge palästinensische Mädchen in ihren Trachten reichen Gebäck und Tee. Marwan Abdulal von der PFLP steht am Rednerpult und skizziert die Situation in Palästina, beschwört den Freiheitskampf der Palästinenser, zu dem es keine Alternative gebe. Mokadem hört ihm aufmerksam zu und nickt immer wieder. Zwischendurch brandet Beifall unter den Besuchern auf.
Seit 1968 gehört er der Arabisch-Sozialistischen Partei (Baath) an, die in Syrien regiert und die bis zum Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 im Irak regierte. Heute ist er Mitglied des Politbüros seiner Partei, also ihrer obersten Führungsebene. 1970 kämpfte er an der Seite der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO in Jordanien und wurde nach dem gescheiterten palästinensischen Putschversuch (»Schwarzer September«) dort inhaftiert. Als 1982 die Israelis in den Libanon einrückten, stand er ebenfalls an vorderster Front. Gleich mehrmals wurde er sowohl vom libanesischen als auch vom syrischen Geheimdienst inhaftiert. Seit einigen Jahren ist Mokadem allerdings in einer neuen Mission unterwegs: Er organisiert den Widerstand im Irak mit. Damit gehört er wohl aus Washingtoner Sicht zu den gefährlichsten derzeit lebenden Terror-Funktionären. Insgesamt 35 arabische Milizen gehören zur »National Iraqi Resistance« – zur nationalen irakischen Widerstandsbewegung –, die Mokadem organisiert und für die er unermüdlich im arabischen Raum wirbt.
Und dieser Widerstand hat ein genauso großes Imageproblem wie Mokadem selbst. Fast täglich erreichen die westliche Welt Nachrichten über Bombenattentate auf Marktplätzen, in Moscheen und in Einkaufsstraßen des Irak, bei denen zahlreiche Zivilisten getötet werden. Und fast täglich fallen US-Soldaten zwischen Euphrat und Tigris. Sie geraten in Hinterhalte, ihre Konvois werden angegriffen, Scharfschützen töten US-Amerikaner, die durch die Straßen patrouillieren: ein Land des Terrors und des Sterbens.
Doch was geschieht dort wirklich? Ein Name ist omnipräsent: Abu Musab az-Zarqawi. Die deutsche Zeitung Die Welt bezeichnete den 2006 von US-amerikanischen Streitkräften im Irak getöteten geborenen Jordanier gar als den »Mastermind des islamischen Terrorismus« überhaupt. Und in der Tat schien Zarqawi dem Terrorpapst Osama bin Laden in nichts nachgestanden zu haben. Geboren wurde Zarqawi am 30. Oktober 1966 in kleinen Verhältnissen. Internationale Bekanntheit erlangte er, als ihn der damalige amerikanische Außenminister Powell Anfang 2003 vor dem UN-Sicherheitsrat als ein Beispiel dafür erwähnte, daß Saddam Hussein mit Terroristen gemeinsame Sache mache. Wohl im Jahr 2002 reiste Zarqawi aus Afghanistan kommend über den Iran ins kurdisch-irakische Bergland, wo er bis zum Einmarsch amerikanischer Truppen mit den »Ansar al Islam« aktiv war. Zugleich gründete er seine eigene Organisation »Al Tawhid wa al Dschihad« (Einheit und Heiliger Krieg). Im Frühjahr 2003 ließ sich Zarqawi in der irakischen Provinz Anbar nieder, von wo aus er angeblich wiederholt nach Syrien reiste. In der von Sunniten bewohnten Region nördlich von Bagdad, wo auch Baquba liegt, bewegte er sich wohl bis zu seinem Tod. Wie viele Tote genau auf sein Konto gehen, kann niemand so genau sagen – aber sein Gesicht wurde weltweit zum »Gesicht des Terrors« stilisiert.
Spricht man Zafer Mokadem auf Zarqawi und dessen Rolle im Irak als »Widerstandskämpfer« an, verdreht er die Augen und muß lachen. »Ich wußte, daß diese Frage garantiert kommen wird, aber ich kann Ihnen keinen Vorwurf daraus machen«, antwortet Mokadem und zieht aus einer alten braunen Lederaktentasche einen Stapel Papiere hervor. »Ich habe mich darauf vorbereitet, wie sie sehen«, lacht er. Was er nun präsentiert, dürfte Geheimdiensten das Wasser im Munde zusammenlaufen lassen: eine akribische Auflistung aller Operationen des Widerstandes im Irak seit der US-amerikanischen Besatzung.
»Während die Zarqawi-Gruppe vor allem Zivilisten angreift und den Religionskonflikt, den es vor der US-amerikanischen Besatzung im Irak so niemals gab, anheizte, haben wir immer einen militärisch durchdachten Guerillakrieg gegen die Besatzer geführt. Unser Kampf richtet sich ausschließlich gegen militärische Ziele, nicht gegen Zivilisten. Wir wollen den Irak einen und nicht spalten!« Die Angreifer auf Zivilisten, so Mokadem, handelten nicht im Interesse der Araber, sie handelten im Interesse der westlichen Besatzer. »Sie sind Sektierer, mit ihnen haben wir nichts zu tun. Einige unserer Kameraden wurden sogar von der sogenannten Al Kaida getötet.« Zudem habe es Organisationen wie bin Ladens Netzwerk vor dem US-amerikanischen Einmarsch in den Irak gar nicht gegeben, gibt Mokadem zu bedenken. »Erst mit den Amerikanern kam auch der Terror gegen Zivilisten.«
Der eigentliche Widerstand werde vom Nationalen Irakischen Widerstand organisiert: »Dieser wurde schon lange vor dem Einmarsch der US-Truppen vorbereitet. Insgesamt 35 unterschiedliche Gruppen vereinigen sich unter dem Dach des Widerstandes, dazu gehören Angehörige der verbotenen Baath-Partei, Nationalisten, Nasseristen, Kurden und viele islamische Gruppen. In diesen Tagen reorganisieren wir uns.«
Einige der insgesamt 35 Gruppen, die unter dem Dach des irakischen Widerstandes organisiert sind, seien vor 2003 eingefleischte Gegner des gestürzten Präsidenten Saddam Hussein gewesen, so Mokadem. Einige hätten sogar anfangs die USA unterstützt. »Doch sie alle wurden in Rekordzeit desillusioniert. Das haben die USA immerhin geschafft: Baathisten und Saddam-Gegner, frühere Gegner, stehen heute Seite an Seite im Kampf gegen die fremde Besatzungsmacht.«
Die Ziele seien dabei klar definiert: »Für uns gilt Befreiung und Unabhängigkeit. Wir fordern nicht, wir haben unsere Rechte. Wir wollen die Rechte des Irak und des arabischen Volkes im gesamten Nahen Osten, die fordern wir zurück. Das ist nicht mehr und nicht weniger, als jedes andere Volk für sich einfordern kann und muß!« Aber auch die Aburteilung der Kollaborateure und Besatzungsverbrecher sei wichtig, so Mokadem. Dies sei doch auch in Europa nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges geschehen. Darüber hinaus fordert der Widerstand, daß die Rolle der »Terroristen« wie beispielsweise die des erwähnten Zarqawi ausführlich untersucht werde. »Vor allem der letzte Punkt wird außerordentlich interessant werden«, lacht Mokadem. Doch es ist ein bitteres Lachen. »Es wird enorm wichtig für die Angehörigen der Opfer Zarqawis sein, zu erfahren, in wessen Interesse diese sogenannte ›Al Kaida‹ tatsächlich handelt.«
Und in der Tat scheint an der Rolle Zarqawis und der »Al Kaida« noch viel Klärungsbedarf zu bestehen. Die deutschsprachigen Medien halten noch immer an den Rollenverteilungen der ehemaligen Bush-Regierung in den USA fest: »Sie wissen, ich hasse es, Gewalt vorherzusagen, aber ich verstehe nur die Natur der Killer. Dieser Bursche, Zarqawi, ein Al-Kaida-Verbündeter (der übrigens vor der Entfernung Saddam Husseins in Bagdad war), ist noch auf freiem Fuß im Irak. Und wie Sie sich vielleicht erinnern, ist es Teil seines Operationsplans, durch kaltblütiges Töten Gewalt und Zwietracht unter den verschiedenen Gruppen im Irak zu säen. Und wir müssen dabei helfen, Zarqawi zu finden, so daß das irakische Volk eine hellere, glänzende Zukunft haben kann.« Dies sagte George W. Bush während einer Pressekonferenz in Washington am 1. Juni 2004.
Der kanadische Autor und Professor an der Universität von Ottawa, Michel Chossudovsky, gehört zu denjenigen, die von Anfang an den »War on Terror« der USA kritisch publizistisch begleiten und dort recherchieren, wo die Mainstream-Medien schon lange mit ihren eigenen Recherchen aufhörten. So weist er darauf hin, daß selbst die Washington Post in einem Artikel einräumte, daß die Rolle Zarqawis vom Pentagon absichtlich »vergrößert« worden sei, mit dem Ziel, die öffentliche Unterstützung für den von den USA und Großbritannien geführten »Krieg gegen den Terrorismus« zu bestärken: »Die Zarqawi-Kampagne wird in mehreren internen Militärdokumenten diskutiert. ›Zarqawi diffamieren/fremdenfeindliche Antwort zum eigenen Vorteil nutzen‹, heißt es in einer Lagebesprechung des US-Militärs aus dem Jahr 2004. Darin sind drei Vorgehensweisen aufgelistet: ›Medienoperationen‹, ›Spezialoperationen (626)‹ (ein Hinweis auf die Task Force 626, eine Elite-Einheit des US-Militärs mit dem primären Auftrag, im Irak hochrangige Funktionäre aus Husseins Regierung zu jagen) und ›PSYOP‹, die Bezeichnung des US-Militärs für Propagandaarbeit …« Das Propagandaprogramm des US-Militärs sei gemäß der Washington Post »weitgehend auf Iraker ausgerichtet gewesen«, aber scheint später in die US-Medien ebenso eingeflossen zu sein. Ein weiteres internes Dokument, welches vom US-Militärhauptquartier im Irak produziert worden war, stellt fest, daß »das Zarqawi PSYOP-Programm die bislang erfolgreichste Informationskampagne ist.« Ein Ziel der PSYOPKampagne sei gewesen, durch die Betonung der Terrorakte Zarqawis und des ausländischen Ursprungs seiner Truppe einen Keil in den Aufstand zu treiben, sagten mit dem Programm vertraute Offiziere. Es sei schwierig zu bestimmen, wieviel für die Zarqawi-Kampagne tatsächlich aufgewendet wurde, so Chossudovsky. Die US-Propaganda-Anstrengungen im Irak allein im Jahr 2004 kosteten nach Chossudovskys Angaben insgesamt 24 Millionen Dollar, aber das beinhaltete sowohl den Bau von Büros und Wohnungen für die beteiligten Truppen als auch Radioausstrahlungen und die Verteilung von Flugblättern mit Zarqawis Gesicht darauf.
Chossudovsky beschreibt diese Geheimdienstoperation wie eine moderne Werbekampagne: Die Propaganda präsentiere unter Ausnutzung der westlichen Medien die Porträts der Anführer hinter dem Terrornetzwerk. Damit gebe sie dem Terror ein einprägsames Gesicht. Zarqawi als Testimonial für den Globalterrorismus, vor dem kein westlicher Bürger, egal wo er sich gerade aufhält, letztendlich sicher sei. Ohne Zarqawi und bin Laden würde der »Krieg gegen den Terror« schnell seinen Daseinszweck verlieren.
Und Chossudovsky geht noch weiter. Die Pentagon-Dokumente über Zarqawi, die zur Washington Post durchsickerten, hätten enthüllt, daß Al Kaida im Irak eine reine Medien-Erfindung sei. Das deckt sich durchaus mit den Unterlagen von Zafer Mokadem. »Das Klima der Angst ist es, welches für die Besatzung im Irak bitter notwendig ist«, sagt Mokadem. »Vor uns braucht sich kein Iraker zu fürchten, sofern er nicht als Agent für die Besatzer arbeitet. Unser Ziel sind militärische Objekte der Besatzung, keine Zivilisten. Die sind unsere Brüder und Schwestern, die wir befreien wollen, nicht töten! Aber die Agenten der Kollaborationsregierung des Irak stehen den ausländischen Geheimdiensten oftmals in nichts nach.«
Daß Zarqawi bei allen anderen irakischen Widerstandsgruppen verhaßt war, daß niemand auch nur ansatzweise mit ihm zusammenarbeiten mochte, hat da durchaus seinen guten Grund. Mokadem ist sich sicher: »Alles, was Zarqawi angeblich oder tatsächlich getan haben soll, ölte die US-amerikanische Propagandamaschine. Wirklich alles! Vor allem war Zarqawi im Schwerpunkt damit beschäftigt, Konflikte zwischen Sunniten und Schiiten zu schüren, anstatt gegen die Besatzer vorzugehen. Das hat weder etwas mit Freiheitskampf noch etwas mit islamischer Gesinnung zu tun. Alles was er tat, führte direkt zur Forderung nach noch mehr alliierten Truppen im Irak und störte damit den Freiheitskampf des nationalen Widerstandes empfindlich!«
Und Zarqawi war für noch etwas sinnvoll: Er wurde ständig als Beleg geführt, daß es eine enge Verbindung zwischen Saddam Husseins Regierung und der Al Kaida gab. Erinnern wir uns zurück: Einer der angeblichen Gründe für den alliierten Einmarsch im Irak war Husseins angebliche Mitverantwortung für die Anschläge des 11. September 2001 in New York und Washington. »Was für ein Unsinn!« Mokadem ist wütend: »Man kann Saddam viel vorwerfen, aber nicht, daß er internationale Terrorzellen in seinem Land agieren ließ!« Und tatsächlich klingt auch diese offizielle US-Story wieder wie an den Haaren herbeigezogen. Angeblich unterhielt Zarqawi sein Terrorcamp im Irak, in dem er Hunderte von Dschihadisten ausgebildet haben soll. Ironischerweise soll dieses Camp sich im kurdischen Norden des Landes befunden haben – ein Landstrich, der bereits lange vor 2003 unter US-Einfluß stand.
Zafer Mokadem ist glaubwürdig. Er hat in seinem Leben Menschen bis aufs Blut bekämpft, die er »Feinde«, »Besatzer« und »Zionisten « nennt. Gewalt ist für ihn ein Mittel, welches zum Einsatz kommen muß, wenn Diplomatie und Reden nichts mehr bringt. Er hat also keinen Grund, sich hinter irgendwelchen Menschenrechtsfloskeln zu verstecken. Daher klingt es ehrlich, wenn er zum Abschluß sagt: »Egal, was Sie aus dem Irak, aus Palästina, aus dem Libanon oder von sonstwo hören. Fragen Sie sich immer: Wem nutzt es, wem schadet es? Und dann bleiben Sie dran und recherchieren Sie!«