Wenig wissen wir über die Nornen, die an den Wurzeln des Welten- und Lebensbaumes ihre Arbeit verrichten. Sie dürften aufs engste verwandt sein mit den römischen Parzen und den griechischen Moiren. Die erste der weisen Frauen spinnt den Lebensfaden, die zweite vermißt ihn, die dritte schneidet ihn ab. Um Urd und Werdandi ist es still geworden. Welche Frau läßt sich schon nachsagen, sie spinne? Fäden vermessen, Maschen zählen – auch das zählt kaum zu den lebendigen Traditionen in unseren Breiten. Skuld allerdings, die Unerbittlichste der drei Weiber, hat durchaus ihre spirituell erleuchteten, wenn auch blechern-abgemagerten, Repräsentantinnen in der Gegenwart. Eventuell tragen sie den germanischen Namen Margot und predigen im katholischen Liebfrauendom die Schnitterhymne: »Die Pille ist ein Geschenk Gottes!«
Die Götter, die sie meint, sind in der Tat Männer. Ludwig Haberlandt, der 1921 das Grundkonzept zur hormonellen Empfängnisverhütung lieferte, wich aus politischen Gründen erst nach Ungarn, dann in den Freitod aus. Andere Herren der Schöpfung (der in die USA emigrierte Wiener Carl Djerassi, Luis Miramontes und John Rock, sämtlich ohne religiösen Bezug zu abendländischen Schicksalsgöttinnen) vollendeten sein Werk. Die Trennung von Sex und Fortpflanzung ist nicht ein Highlight des 20. Jahrhunderts, es ist die Revolutionierung der gesamten Menschheitsgeschichte. Im August 1960 kam das Präparat mit dem ehrlichen Namen Anti-Baby-Pille auf den amerikanischen Markt, ein knappes Jahr später eroberte es im Sturmlauf die Körper der deutschen Frauen. In der DDR wurde sie kostenlos abgegeben. Das göttliche Danaergeschenk, das seinerzeit noch als Hormonbombe einschlug und trotz schwerer Nebenwirkungen bereitwillig im Namen sexueller Selbstbestimmung geschluckt wurde, ist heute mit verfeinerter Rezeptur lieferbar. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung empfiehlt es auch bei abweichender Indikation: Die »Pille«, wie sie längst verniedlichend heißt, verbessere »unreine Haut.« Ist die Haut »rein« und die Pille geschluckt, so das offiziöse Familienhandbuch des Staatsinstituts für Frühpädagogik, wird ein »streßfreies Sexualleben ermöglicht«.
Über weitere positive Nebenwirkungen des Hormoncocktails für das gelingende Familienleben lesen wir ironie- und beweisfrei bei wikipedia: »Die Phase des Kennenlernens lieferte durch dank der Pille ermöglichten sexuellen Kontakt mehr Informationen über einen potentiellen Ehepartner. Die Entscheidung zur Eheschließung basierte daher auf weniger Ungewißheit, was die Wahrscheinlichkeit einer späteren Scheidung reduzieren könnte.«
Britische Wissenschaftlerinnen hingegen sahen jüngst abermals die Tatsache erhärtet, daß die Pille den Verstand vernebele: Das Medikament, das dem Körper beständig eine Schwangerschaft vorgaukelt, verändere die Wahrnehmung der Frauen so, daß sie andere Geschlechtspartner auswählten als hormonell naturbelassene Frauen. Diese fühlten sich gerade um die fruchtbare Phase des Eisprungs von besonders maskulinen Männern angezogen, die ihnen weder in Verhalten noch »Gen-Pool« ähneln. Dieser starke Unterschied sorge dafür, daß der Nachwuchs eine breitgefächerte Palette an Abwehrfähigkeiten erbe und im evolutionären Sinn »fitter« sei. Pillenkonsumentinnen bevorzugten Männer, die mit weiblichen Eigenschaften harmonisieren (»Nestbautrieb«), dadurch sei die genmäßige Ausbeute (wenn es nach Absetzung der Pille nicht zum spontanen Partnerwechsel kommt) dünner.
In einer individualisierten Gesellschaft dürfte man solche Folgen unter »persönliches Pech« subsumieren. Anders schaut es aus mit der hormonellen Kontamination des Trinkwassers. Kläranlagen sind nicht in der Lage, das synthetische Östrogen auszufiltern, das Millionen Pille-Konsumentinnen täglich über ihren Urin ausscheiden. Die Auswirkungen auf die Welt der Wasserlebewesen (Feminisierung von Fischen etc.) sind wissenschaftlich stichfest. Inwiefern sich das auf die zunehmende Unfruchtbarkeit von Männern auswirkt, ist noch umstritten. Beim Lebensborn der alten Urd wären wir damit wieder.