Anfang der zwanziger Jahre strebten vor dem Hintergrund der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg und des Zusammenbruchs des wilhelminischen Reiches einige deutsche Historiker eine grundsätzliche Neuausrichtung ihre Faches an. Nicht der Staat und seine Politik sollten mehr im Mittelpunkt der Geschichtsbetrachtung stehen, sondern das Volk. Es sollte versucht werden, „sein Wesen nach Abstammung, … Kulturschichtung und landschaftlicher wie stammlicher Gliederung zu begreifen und dieses Gesamtvolk, wo immer möglich als Träger der deutschen Geschichte zu setzen” (Hermann Aubin). Die Historiker wollten einen Beitrag zur Neubesinnung der Deutschen nach der Niederlage von 1918 leisten. Ähnlich wie im Zeitalter der Befreiungskriege seien zunächst geistige Anstrengungen erforderlich, um den Zustand der Bedrohung und Machtlosigkeit von Volk und Nation zu überwinden. Die auch mit historischen Argumenten vorgebrachten französischen und polnischen Ansprüche auf deutsches Land wollte man begründet zurückweisen.
Zentren der „Volksgeschichte” waren die landesgeschichtlichen Institute an den Universitäten in Bonn, Leipzig und Innsbruck. Die Volksgeschichte war methodisch außerordentlich innovativ und zugleich interdisziplinär ausgerichtet. Neu war vor allem die Verbindung historischer und kartographischer Verfahren und die enge Zusammenarbeit mit der Sprachwissenschaft, der Volkskunde und den Sozialwissenschaften. Besonders der Bonner Historiker Hermann Aubin (1885–1969) schritt methodisch voran. In seinen gemeinsam mit dem Sprachwissenschaftler Theodor Frings und dem Volkskundler Josef Müller verfaßten Kulturströmungen und Kulturprovinzen in den Rheinlanden wurde das neue Konzept erstmals beispielhaft umgesetzt. In Leipzig war es Rudolf Kötzschke (1867–1949), der auf ähnliche Weise den ostmitteldeutschen Raum erforschte, und in Innsbruck Adolf Helbok. Zum Kreis der Volksgeschichtler gehörten außerdem die Historiker Otto Brunner und Erich Keyser, der Soziologe Gunther Ipsen sowie die Sprachwissenschaftler Franz Steinbach und Ernst Schwarz. Hermann Aubin und andere Vertreter der Volksgeschichte waren es auch, die gemeinsam mit Volkskundlern den Anstoß zu dem großen Raumwerk der deutschen Volkskunde, dem Atlas der deutschen Volkskunde (ADV), gaben.
Vor allem Otto Brunner (1898–1982) und Werner Conze (1910–1986) ließen nach dem Krieg viele methodische Neuerungen der Volksgeschichte in die moderne Sozialgeschichte einfließen. Dabei war in den fünfziger Jahren ein gemäßigt nationalgeschichtlicher Standpunkt durchaus noch vorherrschend. Das änderte sich bekanntlich mit der kulturellen Wende von 1968. Die personelle Kontinuität der Volksgeschichte in der deutschen Nachkriegswissenschaft ist der Grund, warum spätestens seit dem Frankfurter Historikertag von 1998 eine Gruppe von linken Historikern – hier sind Götz Aly, Michael Fahlbusch, Peter Schöttler und Ingo Haar zu nennen – zum Sturm auf die Gründerfiguren der deutschen Sozialgeschichte nach dem Zweiten Weltkrieg geblasen hat. Selbst altlinke Vertreter der Historikerzunft wie Hans-Ulrich Wehler und Heinrich August Winkler gerieten plötzlich in die Schußlinie und erschienen als „Apologeten” NS-belasteter Traditionen.
Die Kritiker werfen der „Volksgeschichte” nicht nur ideologische Nähe zum Nationalsozialismus und die Verstrickung einiger Vertreter in die nationalsozialistische Ostraumplanung, sondern generell ihre „ethnozentrische” Haltung vor. Da ist die Rede von einer „verwerflichen Volkstumsideologie”, die dem Nationalsozialismus und seinen Verbrechen vor- und zugearbeitet habe. Die Kritiker übersehen dabei, daß in jener Zeit das Bekenntnis zu Volk und Heimat für die große Mehrheit der Deutschen noch selbstverständlich war. Verwerflich ist eine „ethnozentrische” Haltung erst dann, wenn sie dazu führt, daß sachliche Standards in der Wissenschaft oder ethische Standards im Verhältnis zu den Menschen anderer Völker verletzt werden. Daß in der Zeit des Nationalsozialismus die Gefahr der Verstrickung groß war und sich nicht alle Wissenschaftler so verhielten, wie wir es uns heute wünschen würden, sei unbestritten.
Adolf Helbok, der Verfasser der von Grabert neu aufgelegten Deutschen Volksgeschichte, wurde am 2. Februar 1883 in Hittisau im österreichischen Vorarlberg als Sohn eines Beamten geboren. Nach der Matura und einem Freiwilligenjahr bei den Tiroler Kaiserjägern studierte er in Innsbruck Geschichte und promovierte 1910 mit einer Arbeit über die Verwaltung der Stadt Bregenz im Mittelalter. 1923 wurde er zum außerordentlichen Professor für Geschichte und Wirtschaftsgeschichte in Innsbruck berufen. Er entwickelte ein Konzept einer ausgeweiteten Siedlungsforschung, die den „tieferen Lebenszusammenhängen zwischen Menschen und Boden” nachspüren und neben Hausforschung und Flurnamenforschung auch die Familiengeschichte berücksichtigen sollte. Helbok trug seine Vorstellungen gemeinsam mit Hermann Aubin auf dem Frankfurter Historikertag von 1924 vor, der für die „Volksgeschichte” den Durchbruch zur Anerkennung in der etablierten Historikerschaft bedeutete. 1929 wurde er mit der Leitung des Atlas der deutschen Volkskunde in Österreich beauftragt. Schon drei Jahre später übernahm er die Gesamtleitung des ADV in Berlin. Wegen Meinungsverschiedenheiten über die Durchführung des Atlasunternehmens gab er die Leitung bereits 1933 wieder auf und kehrte nach Innsbruck zurück. Während seiner Zeit in Berlin ist Helbok im April 1933, zwei Monate nach der „Machtergreifung”, der NSDAP beigetreten.
Wieder in Österreich, geriet Helbok in Widerspruch zu dem dort herrschenden „austrofaschistischen” Regime der Regierung Dollfuß. 1934 schließlich wurde er wegen antiklerikaler und „pangermanischer” Aktivitäten von der Universität Innsbruck beurlaubt und zwangspensioniert. In dieser Situation ging der mittlerweile 51jährige Helbok wieder nach Deutschland, wo er zunächst eine Gastprofessur in Berlin übernahm und ein Jahr später an das Institut für Deutsche Landes- und Volksgeschichte in Leipzig wechselte.
Während die Mehrheit der Vertreter der Volksgeschichte bürgerlich-national, aber nicht nationalsozialistisch eingestellt war, gehörte Adolf Helbok zu denjenigen unter ihnen, die man als überzeugte Nationalsozialisten bezeichnen kann. Dennoch erregte auch er Anstoß, etwa wenn er den Beitrag der „nicht nordischen Rassen” zum deutschen Volk als konstitutiv ansah und entsprechend positiv bewertete. Es gab zwar Intrigen gegen ihn, doch konnten die ihm nicht wirklich gefährlich werden.
In Berlin hatte sich Helbok mit dem damaligen Rektor der Universität, dem Anthropologen Eugen Fischer angefreundet. Unter dessen Einfluß nahm er immer mehr biologische Gedankengänge in sein Konzept der Volksgeschichte auf. Die Volksgeschichte sollte nach seiner Vorstellung nicht nur die Kultur- und Sozialgeschichte, sondern auch die biologischen Siebungs- und Auslesevorgänge umfassen, die mit der sozialen und regionalen Mobilität der Menschen in einem Volk verbunden sind. In der Oberschicht, an den Fürstenhöfen, in den Zünften und in den evangelischen Pfarrhäusern, in den Rodungsgebieten des Mittelalters und in den Residenzstädten hätten sich bestimmte Begabungstypen angereichert, die dann prägend auf ihr kulturelles Umfeld wirkten.
Nachdem in Leipzig die Finanzierung seiner Forschungsvorhaben unter anderem durch die negative Bewertung seitens politischer Stellen zum Stillstand gekommen war, kehrte Helbok 1941 wieder nach Innsbruck zurück, wo er seine Lehrtätigkeit wieder aufnahm. Nach 1945 wurde er von der Universität Innsbruck wegen seiner NS-Vergangenheit entlassen und unter Kürzung seiner Pension in den dauernden Ruhestand versetzt.
In den Nachkriegsjahren schlug sich Helbok als Ziegenzüchter in den Tiroler Bergen durch. 1953 gelang es ihm aber, als einer der Initiatoren des Österreichischen Volkskundeatlasses noch einmal eine Rolle in einer wissenschaftlichen Institution zu spielen. 1963 veröffentlichte Helbok seine Lebenserinnerungen, eines jener typischen Rechtfertigungsbücher NS-belasteter Prominenter, nicht frei von Verbitterung, insbesondere über das vermeintliche Unrecht seiner Entlassung im Jahr 1945. Er sah im Nationalsozialismus nach wie vor eine Revolution hin zum Gesunden und Guten, die allerdings durch inkompetente und korrupte Amtsträger beschädigt worden sei. Der Krieg und die Unterjochung anderer Völker seien die entscheidenden Fehler gewesen, die alles Erreichte wieder zunichte machten. Helbok starb 85jährig am 29. Mai 1968 in Götzens bei Innsbruck.
Schon während des Krieges hatte Helbok an einer umfassenden Geschichte des deutschen Volkes unter volksgeschichtlichem Gesichtspunkt gearbeitet. Es sollte eine „Deutsche Wesensgeschichte” werden. Das bei Kriegsende bereits in wesentlichen Teilen fertiggestellte und in den folgenden Jahren noch einmal überarbeitete Werk erschien 1964 und 1967 unter dem Titel Deutsche Volksgeschichte in zwei Bänden mit insgesamt mehr als 800 Seiten im Deutschen Hochschullehrerverlag, dem Vorgänger des Grabert-Verlages.
Das Buch beginnt mit dem „Wesensbild” der Germanen. Die seien ein reines Bauernvolk gewesen, dessen ganzes Denken auf der Idee vom „guten Blut” beruht habe. Die Oberschicht der freien Bauern hätte auf ihre rassische „Artreinheit” geachtet und sich von der Mischung mit minder „nord-rassischen” Fremden und Angehörigen der Unterschicht ferngehalten. Die Weltanschauung der Germanen war diesseitig ausgerichtet und mit ihrem kosmischen Denken allen Ideen aus dem Mittelmeerraum überlegen. Der Untergang des Römischen Reiches ist für Helbok die Folge des Aussterbens der nordischen Rasse bei den führenden Geschlechtern der Römer. Die Germanen beerbten Rom, nahmen mit der mediterranen Kultur und dem Christentum aber auch den Keim ihres eigenen Niederganges auf. Die Kirche hatte kein Verständnis für die „artpflegerische” Gattenwahl der Germanen. Dennoch waren die Deutschen des Mittelalters noch „artbewußte” Menschen, und die Annahme des Christentums nur äußerlich. Das Zölibat führte zum Aussterben der adeligen Familien. Trotzdem habe die Durchschnittsbegabung der Deutschen noch um 1350 heutigen Spitzenbegabungen entsprochen. Die Entstehung der Städte im Spätmittelalter beschleunigte den Niedergang. Zwar war das Bürgertum eine soziale Leistungsauslese, aber die städtische Kultur führte zur Vermassung der Menschen und förderte die Rassenmischung. Das 16. Jahrhundert bedeutete zwar noch einmal eine große Zeit der Deutschen – Luther war der „ewige Deutsche” -, aber auch die Reformation konnte den Niedergang nicht mehr aufhalten. Die Ideen der Französischen Revolution waren „Gift” für die Deutschen. Die Industrialisierung verstärkte die Tendenz zur Auflösung und Vermassung. Helboks Buch endet mit der Weimarer Republik, die „aus ihrer Unmöglichkeit im Sinne unserer germanischen Herkunft” heraus scheitern mußte. Der Nationalsozialismus und der Zweite Weltkrieg kommen in Helboks Buch nicht mehr vor – in „weiser Beschränkung”, wie Herausgeber Herbert Grabert im Vorwort zur ersten Auflage schreibt.
Das ganze Werk ist in einem pathetischen Stil geschrieben, der für den heutigen Leser – zumindest geht es dem Rezensenten so – nur noch schwer zu ertragen ist. Der Gegensatz zwischen den guten und sittenreinen Germanen und ihren heimtückischen und verdorbenen Feinden, dem Christentum, der mediterranen Zivilisation und der westlichen Demokratie, durchzieht das ganze Buch. Das Geschichtsbild, das Helbok in seinem Buch ausbreitet, ist das der Völkischen der zwanziger und dreißiger Jahre, wie es Hans F. K. Günther und Walther Darré vertraten. Vom Nationalsozialismus unterscheidet sich Helboks Weltanschauung dadurch, daß die Juden in ihr nur am Rande vorkommen und die aggressive außenpolitische Komponente fehlt. Daß sein Buch wissenschaftlichen Ansprüchen nicht genügt – auch nicht denen seiner Zeit – , muß wohl nicht besonders hervorgehoben werden. So ist leider festzustellen, daß die Neuauflage von Helboks Volksgeschichte nicht begrüßt werden kann.
Heißt das nun, daß die Einbeziehung anthropologisch-biologischer Fragen in eine moderne Geschichtsschreibung grundsätzlich verfehlt wäre? Daß sie an sich unwissenschaftlich und „verwerflich” wäre? – Die Antwort darauf ist ein klares Nein! Es kommt vielmehr darauf an, wie man mit bevölkerungsbiologischen Themen umgeht, ob man sie als wissenschaftliche Fragen stellt und empirisch zu beantworten sucht, oder ob man sie wie Helbok als gegebene Tatsachen setzt und zugleich mit kräftigen Wertungen versieht. Die Humanbiologie hat bei Helbok die Funktion einer „black box”, mit deren Hilfe er seine Wertungen und Vorurteile in die Geschichte hineinträgt. Es handelt sich bei seiner Lehre nicht um Wissenschaft, sondern um Glauben.
Das ändert aber nichts daran, daß jedes Volk auch seine biologische Geschichte hat. In den regionalen Differenzierungen von Haar- und Augenfarbe, Physiognomie, Körpergestalt und genetischen Polymorphismen innerhalb Deutschlands spiegelt sich dessen Bevölkerungsgeschichte wider. Germanen, Kelten und Slawen haben in regional unterschiedlichem Maße ihre Spuren hinterlassen. Selbst lokale Wanderungsereignisse wie die Ansiedlung von Hugenotten lassen sich noch anhand des Merkmalsbildes der heutigen Bevölkerung nachvollziehen.
Außer den regionalen gibt es auch soziale Differenzierungen. Tatsächlich unterscheiden sich die Angehörigen unterschiedlicher sozialer Schichten und Berufsgruppen im Mittel sowohl in ihrem IQ als auch in anderen psychologischen, anthropologischen und genetischen Merkmalen. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, daß diese Unterschiede nicht nur auf Einflüssen der sozialen Umwelt, sondern auch auf sozialen Siebungsprozessen beruhen. Begabten Menschen gelingt der soziale Aufstieg in eine höhere Sozialschicht eher als weniger begabten, und viele unterdurchschnittlich Begabte in der Oberschicht können sich dort auf Dauer nicht halten. Auch in der ständischen Gesellschaft der Vormoderne gab es immer ein gewisses Maß an sozialer Mobilität, das seit dem 19. Jahrhundert stark zugenommen hat. Die unterschiedlich starke Fortpflanzung in den sozialen Schichten führt schließlich dazu, daß sich die anthropologische und genetische Zusammensetzung des gesamten Volkes verändert.
Das sind interessante und wichtige Fragen, die nicht nur für die Geschichte, sondern auch für die Gegenwart von Bedeutung sind.