In einem Abschiedsbrief an seinen englischen Übersetzer, den Wissenschaftler Donald Keene, schrieb er: »Es war schon seit langem mein Wunsch, nicht als Literat, sondern als Soldat zu sterben«.
Als solcher starb er auch. Mit vier Kameraden aus der »Schildgesellschaft«, seiner kleinen Privatmiliz, drang er, bewaffnet mit Samuraischwertern und gekleidet in eine Phantasieuniform, am Vormittag des 25. November 1970 in das Hauptquartier der japanischen Selbstverteidigungsstreitkräfte in Tokio ein. Dort nahm er einen General als Geisel und forderte als Gegenleistung für dessen Freilassung, eine Rede vor den Soldaten der Garnison halten zu dürfen. Über tausend Soldaten versammelten sich auf dem Kasernenhof des Quartiers, während Mishima sich auf den Balkon stellte, die Hände in die Hüften stützte und einen Appell auf die Kaiserherrschaft, die altehrwürdige Tradition Japans und den Samuraigeist hielt.
Der Appell blieb unverstanden, Mishima erntete Spott und Beschimpfungen aus der Menge und brach die Rede vorzeitig ab. Er zog sich mit seinen Begleitern in ein Zimmer zurück und beging seppuku, die traditionelle japanische Form des Selbstmords durch Bauchaufschneiden, wie sie auch die Samurai praktiziert haben. Noch bevor Mishima unter Schmerzen starb, köpfte ihn einer seiner Begleiter. So hatte man es abgesprochen, und vereinbart war auch, daß ihm ein anderer Begleiter (pikanterweise Mishimas Geliebter Morita) in den Tod folgte. Das Bild von Mishimas abgetrenntem Kopf, den immer noch ein Stirnband mit dem Symbol der aufgehenden Sonne zierte, ging um die Welt.
Ein anderer Abgang Mishimas ist nur schwerlich vorstellbar. Der Großteil seines Lebens gleicht einer zeremoniellen Selbstinszenierung, und der Großteil seines künstlerischen Schaffens kreist um den Gedanken des Selbstmords: Ungezählt sind seine literarischen Arbeiten, in denen der Suizid als ästhetisches Ritual idealisiert wird; ungezählt sind seine Auftritte, bei denen er sich als Schauspieler in Film und Theater in langen, schmerzvollen Akten selbst tötet.
Als Kind und Jugendlicher war der am 14. Januar 1925 als Kimitake Hiraoka in Tokio geborene Mishima schmächtig, unnatürlich blaß und zurückhaltend. Seine dominante Großmutter, die einen großen Einfluß auf die gesamte Familie ausübte, verbat ihm den Umgang mit gleichaltrigen Jungen; er durfte nur mit Mädchen spielen. Männerkörper – vor allem Samuraikrieger und europäische Ritter, die er aus Bilderbüchern kannte – übten daher bereits im Kindesalter einen besonderen Reiz auf ihn aus. Als er eines Tages erfuhr, daß der Ritter auf einem seiner Lieblingsbilder eine Frau, Jeanne d’Arc, sei, war er darüber sehr enttäuscht.
Als Heranwachsender verbrachte Mishima seine Freizeit vornehmlich mit Lesen, wobei ihn auch europäische Literatur, insbesondere Raymond Radiguet – dessen Roman Der Teufel im Leib (1923) vielfach verfilmt wurde –, Oscar Wilde und Rainer Maria Rilke, prägte. Später wird er Thomas Mann als den Schriftsteller benennen, den er am meisten schätzt. Da bei Mishima irrtümlich eine beginnende Tuberkulose diagnostiziert wurde, mußte er den Militärdienst im Zweiten Weltkrieg nicht leisten.
Um dem Eindruck der Verletzlichkeit entgegenzuwirken, widmete sich Mishima fortan intensiv dem Kampf- und Kraftsport. Dank einer gnadenlosen Selbstdisziplin hatte er schon bald den muskelgestählten Körper, den er sich wünschte. Nicht selten wurden Mishima später Narzißmus und dandyhafte Züge nachgesagt; tatsächlich zeigen ihn viele seiner Bilder in heroischer Samuraipose mit nacktem, eingeöltem Oberkörper oder herrisch dreinblickend in dunklem maßgeschneidertem Anzug. Mishima wurde sein eigenes Ideal, er wurde der Held, den er als Kind so bewundert hatte.
Nachdem seine ersten schriftstellerischen Schritte weitgehend unbeachtet blieben, gelang ihm 1949 mit Geständnis einer Maske sein erster Erfolg. Das streckenweise autobiographische Werk ist das Porträt eines sensiblen, von Selbstzweifeln bedrängten Jungen an der Schwelle zum Erwachsensein. Bereits hier treten zahlreiche Themen auf, die sich wie rote Fäden durch Mishimas Werk ziehen: die Todessehnsucht, die erotische Zuneigung zu Knaben, die auffallende Betonung von Brust- und vor allem Achselhaar an männlichen Körpern.
Ein weiteres stets wiederkehrendes Motiv in seinem Werk ist die Figur des Heiligen Sebastian, des römischen Soldaten, der zum christlichen Märtyrer wurde. In Geständnis einer Maske bewirkt der Anblick eines Gemäldes des italienischen Barockmalers Guido Reni, das den Heiligen, malträtiert und halbnackt an einen Baum gefesselt, abbildet, die erste Ejakulation des Erzählers; 1966 veröffentlichte Mishima eine Übersetzung von Gabriele d’Annunzios Bühnenwerk Märtyrertum des heiligen Sebastian und ließ sich von dem japanischen Fotografen Kishin Shinoyama in der Pose, die Guido Reni für sein Sebastian-Gemälde ausgewählt hatte, fotografieren: mit nacktem, von mehreren Pfeilen durchbohrtem Oberkörper – wobei ein Pfeil markant aus seiner linken, schwarz behaarten Achselhöhle herausragt.
Obwohl Mishima zu einem auch international erfolgreichen und gefeierten Schriftsteller avancierte, schrieb er auch weiterhin immer wieder etliche anspruchslose Auftragsarbeiten, die in Magazinen oder als Fortsetzung in Tageszeitungen veröffentlicht wurden. Auf dem quantitativen Höhepunkt seines Schaffens entstanden bis zu drei Romane und ein Dutzend Kurzgeschichten im Jahr. Aus der breiten Masse der in den 50er Jahren entstandenen Werke stechen insbesondere Die Brandung (1954), eine zeitgenössische japanische Interpretation der antiken Liebesgeschichte um Daphnis und Chloe, und Der Tempelbrand (1956) hervor. Hierin erzählt Mishima von dem authentischen Fall eines Priesteranwärters, der im Nachkriegsjapan einen der schönsten buddhistischen Tempel, der den Bombenhagel im Zweiten Weltkrieg unbeschadet überstanden hat, anzündet.
Neben seinen Romanen schrieb Mishima auch zahlreiche Theaterstücke und trat selbst als Schauspieler von NÕ-Stücken auf. NÕ bezeichnet ein klassisches japanisches Theater, das traditionell nur von Männern gespielt wird und sich vornehmlich mit Motiven der japanischen Mythologie befaßt. 1957 verbrachte Mishima ein halbes Jahr in den USA, wo er sich u.a. die Aufführung seiner Stücke anschauen wollte. Verbittert und unvermittelt brach er seinen Aufenthalt am Silvestertag ab. Auch wenn ihn gewisse Aspekte am amerikanischen Lebensstil reizten, ödete ihn auf Dauer die dortige Selbstsucht, die Fixierung auf Materielles ab, wie sein englischer Übersetzer Keene mit Blick auf das – leider nicht ins Deutsche übersetzte – »Reisebilderbuch« Mishimas feststellt.
Insoweit blieb sein Verhältnis zum Westen, insbesondere zu den USA zeitlebens ein gespaltenes. Am deutlichsten drückte Mishimas eigenes Haus diese Ambivalenz aus: Es bestand aus einem westlich und einem traditionell japanisch möblierten Trakt. Überhaupt zeichnete eine gewisse Zerrissenheit Mishimas Leben aus: Privat changierte es zwischen Bürgertum und Provokation. Er heiratete und wurde Vater zweier Kinder, nachts durchstreifte er hingegen die einschlägigen Homosexuellen-Bars in Tokio. Künstlerisch machte der weltweit anerkannte, mehrmals für den Literaturnobelpreis vorgeschlagene Schriftsteller Seitensprünge, indem er auch Rollen in billig produzierten Trashfilmen spielte.
Als Mishima 1968 erneut als einer der engeren Kandidaten für den Literaturnobelpreis diskutiert wurde, schmeichelte ihm dies natürlich. Die Wahl fiel schließlich auf den Japaner Kawabata Yasunari. Mishima eilte zu Yasunari, um ihm als erster gratulieren zu dürfen, und auch auf den gemeinsamen Fotos bei der Pressekonferenz macht Mishima einen erfreuten Eindruck. Doch so ganz ist ihm die Beherrschung nicht geglückt; sein Biograph Henry Scott Stokes, der Mishima auch privat gut kannte, beobachtete in den kommenden Tagen eine gewisse Enttäuschung und Niedergeschlagenheit. Vielleicht waren dies jene seltenen Momente, die Mishima ohne Maske zeigten: sensibel und von Selbstzweifeln bedrückt.
In den 60er Jahren streifte sich Mishima allmählich eine weitere Maske über: er entdeckte die Politik. Bereits in den 50er Jahren trat die japanische Kommunistische Partei mit der Anregung an ihn heran, über einen Eintritt in die Partei nachzudenken; diesem Kuriosum darf jedoch kaum eine ernstzunehmende Relevanz beigemessen werden. Literarisch näherte sich Mishima erstmals im Jahre 1960 politischen Themen an. Der Roman Nach dem Bankett erzählt von den Verstrickungen eines Diplomaten in politische Machtstrukturen, zweifelhafte Geldgeschäfte und private Liebschaften. Die Geschichte beruht auf einem authentischen Fall – die Romanfigur ist an einen ehemaligen liberalen Außenminister Japans angelehnt –, Mishimas eigene politische Position bleibt aber unklar.
Die im selben Jahr erschienene Kurzgeschichte Patriotismus ist hingegen eine deutliche Verbeugung vor dem Ethos des japanischen Soldatentums. Als Hintergrund der Geschichte dient der Ni-Ni-Roku-Aufstand vom 26. Februar 1936, bei dem sich eine Reihe junger Offiziere infolge außenpolitischer Diskrepanzen zwischen Regierung und militärischer Führung gegen letztere erhob und dabei den Tod fand. Patriotismus beschreibt den letzten Abend eines jungen, frisch verheirateten Leutnants, der gemeinsam mit seiner Frau den Freitod wählt, um nicht gegen seine Kameraden – die aufständischen Offiziere – vorgehen zu müssen. In einer bis dato nicht bekannten Detailliertheit schildert Mishima den Selbstmord als einen zeremoniellen Akt, als selbstverständliche Antwort auf einen moralischen Interessenkonflikt. In der fünf Jahre später unter seiner Regie entstandenen Verfilmung spielte Mishima die Rolle des jungen Offiziers selbst. Auch hier gleicht der Suizid einem feierlichen Ritual.
Das schicksalhafte Jahr 1968 ließ auch Japan nicht unberührt. Auch hier herrschte eine politische und gesellschaftliche Unruhe, deren Stifter mehrheitlich links standen. Mishima beobachtete die Entwicklung mit Interesse und suchte zu den wenigen rechten Studentengruppen Kontakt. Im Sommer 1968 gründete er eine paramilitärische Vereinigung, die sogenannte Schildgesellschaft (japanisch: Tatenokai), die sich ausschließlich aus jungen Studenten rekrutierte und die für die Rückkehr der klassischen Kaiserherrschaft eintrat. Es war der Versuch, eine an ästhetischen Idealen und traditionellen japanischen Vorstellungen orientierte Elite aufzubauen.
Mishima machte die jungen Männer mit den Tugenden des bushido, dem Verhaltenskodex der Samurai, vertraut und unterrichtete sie in Karate sowie in Schwertkampf. Er ließ eigene Uniformen schneidern, ein Wappen entwerfen und kreierte sogar eine eigene Hymne. Aufgrund der strengen Aufnahmevoraussetzungen hatte die Schildgesellschaft niemals mehr als hundert Mitglieder, was Mishima nur recht war; er sprach von der »kleinsten Armee der Welt und der größten an Geist«.
Die öffentliche Resonanz auf die Schildgesellschaft fiel erstaunlich dürftig aus. Dies überraschte um so mehr, als die Schildgesellschaft mit ausdrücklicher Genehmigung des damaligen Verteidigungsministers Nakasone sogar in den Militärkasernen der japanischen Armee exerzieren durfte. Die japanischen Medien beachteten Mishimas private Miliz trotzdem kaum, und wenn, dann nahmen sie sie als den Spleen eines exzentrischen Schriftstellers wahr, der eine »Spielzeugarmee« unterhielt. Auch das Verhältnis zwischen Mishimas Schildgesellschaft und anderen politisch rechtsstehenden Organisationen blieb von einem gewissen Desinteresse geprägt. Erst posthum entdeckten einige Gruppierungen aus dem Umfeld der japanischen »Neuen Rechten« – allen voran die nationalistische Issuikai, die erst kürzlich auch europaweit auf sich aufmerksam machte, nachdem sie mehrere Delegierte europäischer Rechtsparteien zum traditionellen Besuch des Yasukuni-Schrein eingeladen hatten – die politische Strahlkraft Mishimas. Seit 1972 veranstaltet die Issuikai gemeinsam mit anderen rechten Gruppierungen alljährlich ein Heldengedenken mit anschließendem Besuch an Mishimas Grab.
Im Mai 1969 nahm Mishima die Einlandung radikaler linker Studenten zu einer Podiumsdiskussion an der Universität von Tokio an. Es entwickelte sich ein teilweise recht aggressives Streitgespräch, während dem Mishima seine politischen Standpunkte, insbesondere seine Verehrung des Kaisers bekräftigte, aber auch Berührungspunkte zu den linken Studenten betonte. Auch er wolle Unruhe hineinbringen, auch er hasse Menschen, die »in Ruhe dasitzen«. Er schloß seine Rede mit einem Versprechen: »Eines Tages werde ich aufstehen gegen das System, so wie ihr Studenten aufgestanden seid – aber anders.« Es bleibt unklar, wie weit Mishimas Absicht eines Staatsstreichs bereits im Mai 1969 ausgereift war. Daß er je an einen politischen Erfolg seiner Aktion geglaubt hat, darf wohl bezweifelt werden. Vielmehr bildete der naive, zum Scheitern verurteilte Umsturzversuch nur einen Vorwand, nur einen ansprechenden Rahmen für die Inszenierung seines eigenen Todes, den er so viele Male zuvor eingeübt hatte.
Mishima erwartete wenig Lohnendes von der Zukunft. In einem Artikel von 1962 schrieb er: »In der Bronzezeit betrug die durchschnittliche Lebenserwartung der Menschen achtzehn Jahre; zur Römerzeit waren es zweiundzwanzig. Damals muß der Himmel voll gewesen sein mit schönen, jungen Menschen. In letzter Zeit muß es dort oben erbärmlich aussehen.« Auch in seinen Romanen griff er mehrmals den Gedanken auf, Selbstmord zu begehen, solange der Körper noch schön und muskulös ist. Mishima selbst befand sich 1970 mit seinen 45 Jahren körperlich in bester Verfassung. Die kommenden Jahre würden jedoch unweigerlich ein Abnehmen seiner physischen Kräfte bedeuten.
Literarisch war er auf dem Höhepunkt seines Schaffens. Mit Die Todesmale des Engels – das Manuskript hierzu korrigierte er noch am Vorabend seines Todes und adressierte es an seinen Verleger – beendete er sein monumentales, vierbändiges Epos Das Meer der Fruchtbarkeit, an dem er die letzten sechs Jahre gearbeitet hatte. Zudem entfremdete er sich zunehmend von einer Gesellschaft, die für Begriffe wie Ehre und Tradition immer weniger empfänglich war. Alles Kommende hätte dem Gesamtkunstwerk Yukio Mishima an Glorie genommen. Das Todesfanal aber vollendete es auf eine morbide Weise.
(Mishima ist Angehöriger der Division Antaios)