… daß sich der Faschismus von Anfang an gegen Sozialisten und Kommunisten wandte, diejenigen Elemente in seiner Ideologie betonte, die die Linke verwarf oder aufgegeben hatte – Nationalismus, Rassentheorie, Darwinismus – und seine größten politischen Erfolge im Bündnis mit der traditionellen Rechten erzielte. Das italienische Modell ist auch in dieser Hinsicht aufschlußreich:
beginnend bei den Listen, die Mussolini gemeinsam mit bürgerlichen Nationalisten für die Parlamentswahlen aufstellte, über seine demonstrative Abkehr von der Demokratie und der „Göttin Freiheit”, bis zur neuen Betonung von Autorität und Hierarchie und schließlich der Versöhnung mit Monarchie und katholischer Kirche. Ohne die prinzipielle Bereitschaft des Königs, der Militär- und Polizeiführung, den „Marsch auf Rom” zu dulden, wäre es 1922 nicht zur ersten „Machtergreifung” gekommen.
Parallelen zum deutschen Fall drängen sich auf, wenngleich die Verhältnisse doch deutlich verschieden waren. Man hatte hier zehn Jahre Gelegenheit, die Entwicklung in Italien zu beobachten, und während das Modell eines populären Staatsstreichs vielen auf der Rechten imponierte, war die Skepsis gegenüber Ideologie und Praxis Mussolinis erheblich. Es gab bezeichnender Weise keine „deutschen Faschisten” in nennenswerter Zahl, während sich verwandte Bewegungen in Frankreich, Belgien, der Schweiz und selbst in Großbritannien nicht scheuten, den Begriff zu übernehmen. Nur wenige aus den Reihen der konservativen Intelligenz, etwa Oswald Spengler, neigten zur Bewunderung Mussolinis als „neuer Cäsar” und „großer Mann”. Eine gründlichere Beschäftigung mit dem „neuen Staat” des Faschismus, wie sie etwa der Stahlhelm zu Beginn der dreißiger Jahre durchführte, kam immer zu dem Ergebnis, daß man in Italien keine Musterlösung finden könne. Typisch ist Moeller van den Brucks Formel „Italia docet” von 1922 in Verbindung mit seiner späteren Kritik des als theatralisch und despotisch – und insofern als undeutsch – empfundenen Regimes.
Eine wichtige Rolle für die Debatten der zwanziger und dreißiger Jahre spielte auch die Südtirol-Frage, und die massive Italianisierungspolitik der Faschisten verstärkte noch jenen antirömischen Affekt, der im deutschen Nationalismus immer eine wichtige Rolle gespielt hat. Unter allen politischen Kräften der Weimarer Republik war jedenfalls nur die NSDAP bereit, sich mit der Annexion Südtirols abzufinden, ein Sachverhalt, den sie nach Kräften kaschierte, so wie die Partei auch das Vorbild für den eigenen politischen Stil eher vergessen zu machen suchte. Ganz gelang ihr das niet, obwohl Hitler am Ende der zwanziger Jahre deutlich über das Format eines „Mussolinchen in weiß-blau” hinausgewachsen war.
Die „nationale Revolution” von 1933 hatte auch keine Ähnlichkeit mit einem „Marsch auf Berlin”, aber unbestreitbar war die Rolle konservativer Einflußträger bei Hitlers Ernennung zum Reichskanzler und die Bedeutung konservativer Fachleute in Diplomatie, Zivilverwaltung und Militär für die Stabilität und dann das Ausgreifen des Regimes. Selbstverständlich hat Hitler die Sympathie der ökonomischen und der kleinbürgerlichen Rechten gewonnen. Die einen dankten ihm die Entmachtung von Arbeiterbewegung und Gewerkschaften, die anderen die Wiederkehr von „Zucht und Ordnung”.
Bei der Betonung dieses Zusammenhänge darf nur nicht übersehen werden, daß Hitler die Rechte auch von Anfang an als Gegner fürchten mußte. Das erklärte schon seine hektische Reaktion auf ein Putschgerücht unmittelbar nach dem 30. Januar 1933, demzufolge das feudale Infanterieregiment 9 in Potsdam nur auf den Befehl wartete, um Berlin zu besetzen und ihn davonzujagen, das erklärte weiter die Ermordung wichtiger Köpfe der konservativen Opposition (Kurt von Schleicher, Edgar Jung, Herbert von Bose) im Zusammenhang der sogenannten Niederschlagung des Röhmputsches 1934 und die Heftigkeit, mit der die Erhebung vom 20. Juli 1944 nicht nur an den Tätern, sondern auch an deren Familien gerächt wurde. Hitlers Bewunderung für Stalin lag zuletzt begründet in dessen Rücksichtslosigkeit bei der Beseitigung aller Überreste des alten Russland und jedes inneren Widerstandes.
Obwohl sich Hitlers Antibolschewismus als das stärkere weltanschauliche Moment erwies, hat er Stalin doch niemals mit solcher Verachtung gestraft wie seine westlichen Gegner. Unter denen gehörten zwei – Churchill und de Gaulle – zu den konservativen Führungsschichten ihrer Länder und vertraten Positionen, die man der Rechten zuordnen mußte. Sie interpretierten ihren Kampf gegen Hitler wesentlich als Fortsetzung älterer, nationaler Konflikte und jedenfalls nicht als antifaschistische Frontbildung: Churchill wollte nachholen, was 1919 versäumt worden war, und de Gaulle das Testament Richelieus vollstrecken; im November 1942 schrieb der Sozialist Félix Gouin an den internierten Léon Blum über seinen Eindruck vom Umfeld de Gaulles: „Die meisten waren Männer der Rechten und der extremen Rechten …” . Insoweit war der „letzte europäische Krieg” (John Lukacs), wenn man den Nationalsozialismus als eine Variante des Faschismus und den Faschismus als rechts betrachtet, eine Auseinandersetzung innerhalb der Rechten.
In mancher Hinsicht ging es sogar um eine Auseinandersetzung innerhalb des Faschismus. Denn unbeschadet aller ideologischen Sympathie waren die Faschisten Großbritanniens, Frankreichs und Belgiens bereit, gegen Deutschland als Landesfeind zu kämpfen. Oswald Mosley, Führer der British Union of Fascists und in dieser Funktion ab 1940 interniert, hatte nach Kriegsausbruch, am 3. September 1939, seinen Parteimitgliedern erklärt, daß sie Gestellungsbefehlen unbedingt Folge zu leisten hätten, und: „Wir haben es hundertmal gesagt, daß wenn das Leben Englands in Gefahr wäre, wir wieder kämpften”; Joris van Severen, Kopf der flämischen Nationalsolidaristen, forderte seine Anhänger auf, sich als Reserveoffiziere zu melden und versicherte den belgischen König unbedingter Loyalität, trotzdem wurde er festgesetzt und am 10. Mai 1940 ohne Urteil liquidiert ; Joseph Darnand, Angehöriger verschiedener Gruppen der äußersten Rechten Frankreichs, unter anderem der terroristischen Cagoule, späterer Kommandeur der Milice, schon im Ersten Weltkrieg hoch dekoriert, erhielt 1940 den Rang eines Offiziers der Ehrenlegion wegen hervorragenden Tapferkeit, die Zeitschrift Match erschien mit seinem Foto auf der Titelseite. In denselben Zusammenhang gehört auch, daß der Widerstand nach der Niederlage Polens wie Frankreichs zuerst von der Rechten ausging. Der Untergrund in Polen wurde weitgehend von nationalistischen Gruppen beherrscht, was sich noch am Verlauf und dem Scheitern des zweiten Warschauer Aufstands zeigte. Ähnlich lag der Fall in Frankreich. Die Kommunisten waren es gewesen, die die Verteidigungsanstrengungen sabotiert hatte und sofort zur Kollaboration mit dem Bündnispartner Stalins übergingen. Dagegen griffen Nationalisten, Royalisten und auch einzelne, die sich als Faschisten bezeichnen lassen, sofort nach dem offiziellen Ende der Kampfhandlungen wieder zu den Waffen. Wichtige Gruppen des Untergrunds standen unter dem Kommando von Männern aus den Reihen der Action Française, der Ligen und der Cagoule.
Die Kampfbereitschaft der radikalen Rechten hatte selbstverständlich mit ihrem Verhaltenskodex, der Verachtung des Zivilen und jener Militanz zu tun, die sie im Kampf gegen die Demokratie unter Beweis gestellt hatten. Ein Zusammenhang, für den es eine bemerkenswerte – systemimanente – Parallele gibt: die Beteiligung von Nationalsozialisten am Widerstand gegen Hitler. Gemeint sind nicht einzelne, die aus eher persönlichen Motiven handelten (etwa Wolf Graf Helldorf), sondern jene, die ursprünglich aus den Freikorps und nationalrevolutionären Zirkeln stammten und sich der NSDAP nur angeschlossen hatten, weil sie glaubten, es bedürfe einer Massenpartei, um die angestrebte Umwälzung herbeizuführen. Das Spektrum dieser Opposition reichte von den Männern jenes Stoßtrupps, den Friedrich-Wilhelm Heinz 1938 gebildet hatte, um die Reichskanzlei zu stürmen und Hitler zu erschießen, bis zu Einzelgängern wie Fritz-Dietlof von der Schulenburg, der aus dem Umfeld der Nationalbolschewisten kam, das System von innen zu unterwandern suchte, und genauso zu den Gefallenen des 20. Juli gehörte wie Hartmut Plaas, der ehemalige Stabschef der notorischen Marinebrigade Ehrhardt. Plaas hatte übrigens schon im März 1933 notiert: “Es ist nichts mehr und nichts weniger als der blanke Wahn. Da kann die größte Tollheit der deutschen Geschichte entstehen.”
Die Eigenart der geschilderten Konstellationen läßt erkennen, daß die Rechte wie die Linke eine Vielheit, keine Einheit bildet. Es zeigt sich darüber hinaus, daß die Bruchlinien zwischen der alten Rechten, die noch in den Vorstellungswelten des 19. Jahrhunderts, teilweise des Ancien Régime, wurzelte, und der neuen Rechten des Faschismus tief waren und daß es sogar innerhalb der Faschismen latente Spannungen gab, die bis zum bewaffneten Konflikt führen konnten.
Mit letzter Schärfe wurde die Bruchlinie zwischen dem Faschismus und der traditionellen Rechten allerdings erst deutlich, nachdem der Faschismus als politische Kraft verschwunden war. Natürlich hatte es immer Kritik aus dem Lager der Liberalen, der Konservativen und der Reaktion gegeben, aber in der Unübersichtlichkeit der konkreten Lage war der Gegensatz niemals so prinzipiell gefaßt worden wie in der Beurteilung ex post. 1963 veröffentlichte Julius Evola einen Essay Il Fascismo. Darin entwickelte er eine Kritik aus der Perspektive der „authentischen Rechten” , derzufolge der Faschismus vor allem als eine Variante jener demokratischen Massenbewegungen zu betrachten ist, die seit 1789 den Untergang des Abendlandes herbeiführten. Was Evola in der Zeit der faschistischen Herrschaft noch mit einem gewissen Wohlwollen beurteilt hatte – die Verteidigung von Königtum und Hierarchie, der Kampf gegen den Parlamentarismus und das Mehrheitsprinzip – erschien ihm jetzt nur noch als Halbheit. Der Faschismus versagte vor der Aufgabe, den Abgrund der Revolution zu schließen, weil er selbst aus diesem Abgrund aufgestiegen war.
Abbildungen von oben nach unten: Themensaal “Marsch auf Rom” in der Mostra de la Rivoluzione Fascista, einer Ausstellung, die 1932 aus Anlaß des zehnten Jahrestags der faschistischen “Machtergreifung” durchgeführt wurde; Postkarte Hitlers aus der Festungshaft, 1924; Ausgabe von Match mit dem Bild Darnands, 21. März 1940.