Eine Bekannte hatte mir einen Artikel aus der Berliner “tageszeitung” gemailt. Die offenbar feministische Autorin Ute Scheub versuchte sich darin an einer psychologischen Interpretation des norwegischen Attentäters Breivik.
Irgendwie kam mir das alles bekannt vor:
Mit einer verstörenden Mischung aus Rationalität und Irrationalität, eiskalt die mediale Wirkung seiner Tat einkalkulierend, hat der Norweger Anders Behring Breivik seine Morde geplant. Will man Nachahmern vorbeugen, muss man sich mit seiner ideologischen Begründung beschäftigen, die er im Internet ausführlich dargelegt hat,
schreibt die Autorin. Das Wort “Beschäftigung” indes ist in solch linkem Kontext nie ergebnisneutral gemeint. „Beschäftigen“ heißt da vor allem, geistiges Rüstzeug zur effektiveren Bekämpfung zu sammeln. Im weitergehenden “Antifa”-Kontext kann „beschäftigen“ dann auch in handfesterer Weise verstanden werden.
In solch linkem Kontext gibt es stets “gut” (man selber) und “böse”. Und mit dem “Bösen” muss man sich dann eben stets “beschäftigen”. Bereits in der Vergangenheit konnte bei solcher “Beschäftigung” oft der „Nazi“ oder der „Rechtsextremist“ als Negativschablone genutzt werden, um die moralische Legitimität der eigenen Positionen umso unangreifbarer hervorzuheben.
Scheub hat es mit den Frauen, gibt der Argumentation also eine feministische Note. Und deshalb bemüht sie sich zu betonen, dass man sich nicht nur mit Breiviks „kalten Hass auf Moslems und ‘Multikulti´“ beschäftigen solle, sondern auch mit der „Frauenangst und Frauenhass“, die sich „wie ein roter Faden“ durch Breiviks „Manifest“ zögen. Somit ginge es Breiviks Anti-Islamismus
„nicht um Frauenrechte, sondern um die Wahrung einer bedrohten hierarchischen Ordnung, in der Männer vor Frauen, Weiße vor Nichtweißen und Christen vor Muslimen rangieren.“
Schnell wird klar, wohin Scheubs Reise geht:
„Scheidung, Abtreibung, Pille, Homosexuelle – all das ist für Breivik nicht tolerierbar. Stattdessen müssten das Patriarchat und die traditionelle Familie wieder eingesetzt werden, um einen ‘Babyboom´ auszulösen.“
Richtig erkannt hat Scheub zwar, daß sich das Milieu der Islamkritiker aus heterogenen Gruppen zusammensetzt. Feministische Positionen stehen oft neben traditionell-konservativen. Doch ist ihr dieses Milieu offenkundig aus zwei Gründen suspekt: Es ist “weiß” und “männlich” dominiert. Scheub verliert somit kaum ein Wort zum ganz realen „Babyboom“ muslimischer Einwanderer, zur Homophobie in deren Milieus, zu dort vorhandener familiärer Gewalt. Statt dessen geht die richtige Attacke nur gegen eine nicht genannte Anzahl von „Islamgegnern“, da diese nur vorgeben würden, es ginge ihnen um die „Befreiung der unterdrückten muslimischen Frauen vom Joch ihrer Religion“. Somit steht Scheubs Kritik an Breiviks “Manifest” nur stellvertretend für ihre Kritik am Selbstbehauptungswillen des “weißen Mannes”:
„Aus seinem ganzen Pamphlet spricht eine panische Angst vor Kontrollverlust, Sexualität, Verweichlichung, Identitätsauflösung durch ‘Verweiblichung´. Das wiederum ist, bei allen Unterschieden, der gemeinsame Kern aller diktatorischen oder totalitären Ideologien, von den Nazis über die radikalen Islamisten bis hin zu ihren Gegnern, den konservativen Islamfeinden. In seinem Standardwerk ‘Männerphantasien´ hat Klaus Theweleit einst beschrieben, von welch pathologischer Angst vor ‘Leibesvermischung´ schon Anfang des 20. Jahrhunderts die rechten Freikorpskämpfer und Nazis getrieben waren. Sie fürchteten sich vor ‘Flintenweibern´ wie Breivik heute vor ‘Feministinnen´. Die Nazis machten die ‘verweiblichten´ Juden für den Niedergang ihres militärisch-strammen Mannesideals verantwortlich, der Norweger die Moslems und die Feministinnen.“
Zur besseren Verwirklichung des menschlichen Zusammenlebens betont Scheub – hier ganz die Linke – somit das scheinbare Ideal der Gleichheit:
„Angesichts der in Norwegen ausgeprägten Egalität zwischen Geschlechtern, Schichten und Ethnien weint Breivik einem Männlichkeitsmodell hinterher, das sich historisch in Europa innerhalb der aufkommenden Nationalstaaten und ihren Armeehierarchien entwickelte. Im militärischen Drill geht es um die totale Kontrolle des Körpers und die völlige Unterdrückung von Empathie, weil ein Soldat sonst die ‘Arbeit´ des Tötens nicht machen könnte. Gefühle sind ‘weiblich´, stehen für Schwäche und Feigheit und müssen deshalb unterdrückt werden. Mit diesem Muster arbeiten fast alle Armeen und autoritären Ideologien der Welt – und auch der ‘Kontrollfreak´ Breivik.
Warum aber hat ausgerechnet Norwegen einen solchen ‘Kreuzritter´ hervorgebracht? Norwegen hat seit den Wikingern keinen Krieg mehr begonnen und die skandinavische Gleichstellungspolitik gilt eigentlich als das beste Heilmittel gegen Männlichkeitswahn und Heldenkriegertum. Aber anscheinend schützt auch sie nicht vor individuellen Pathologien. Offenbar sah sich Breivik gerade in dieser vergleichsweise egalitären Gesellschaft mit seinen Gewalt- und Unterwerfungsfantasien so isoliert, dass er zum einsamen Killer wurde.“
Reale ethno-kulturelle und soziale Konflikte macht Scheub offenbar in den westeuropäischen Gesellschaften keine aus. Hinter all der Ablehnung gegen den doch so angenehmen Egalitarismus, so vermutet Scheub, stecke schließlich nur der „Sexualneid“ vereinzelter weißer Europäer auf die muslimischen Einwanderer.
Scheubs Thesen sind keinesfalls brandneu. Sie sind vielmehr eine Blaupause, die immer dann aufgewärmt werden kann, wenn die Einwanderungsproblematik kritisch thematisiert wird. Sei es – wie im Falle Breiviks – im Zusammenhang mit einem abscheulichen Verbrechen oder aber auch nur im Rahmen der publizistischen Auseinandersetzung. Inhaltlich fast wortgleich äußerte sich Scheub nämlich bereits ein Jahr zuvor angesichts des Bucherfolgs von Thilo Sarrazin:
„Eine kleine Minderheit von Islamisten schottet sich tatsächlich ab. Aber das erklärt in keiner Weise die ungeheure Resonanz auf das Buch. Ich halte die massenhafte Zustimmung zu den sarrazynischen Tiraden vielmehr für eine traurige Bestätigung der Grundthese in meinem Buch ‘Heldendämmerung´, dass die Angst vieler Männer vor Statusverlust schnell in Hass, Aggression und Gewalt umschlagen kann. Ihre Statuspanik entsteht durch den Bildungsaufstieg der Frauen und – im Falle von Deutschland – auch durch die einer entstehenden migrantischen Mittelschicht.
Der Salonrassist Sarrazin ist auch ein Salonsexist, denn er ergeht sich in einer klassischen Männerfantasie: Er will die Geburtenzahlen von Frauen steuern. Die der deutschen Elite sollen hoch- und die der ausländischen, vor allem der muslimischen Unterschicht, sollen runtergehen. Noch präziser: Er will so viele Frauenkörper wie möglich kontrollieren. Frauen sollen seine Vorstellungen, wie die Welt zu sein hat, zu Diensten sein. Das ist eine sexistische und egomanische Wahnvorstellung, die schon viele Populisten, Rassisten und Fundamentalisten dieser Welt befallen hat.
Und dafür bekommt Sarrazin rauschenden Applaus von all jenen Männern, die sich durch Wirtschaftskrise und weibliche Konkurrenz in ihrer Identität zutiefst bedroht fühlen. Die, weil sie sich stets nach oben orientieren, nach unten hassen. Dass ein ‘Elite´-Mann wie Sarrazin gegen Moslems zu Felde zieht, gibt ihnen die Lizenz zum Loslassen ihrer niedrigsten Instinkte: Wenn der das darf, dann dürfen wir auch!“
, schrieb Scheub im September 2010 über die „Sarrazynische Lizenz zum Hassen“. Es sind Varianten ihrer in dem Buch „Heldendämmerung“ verbreiteten feministischen Thesen, die Männer vor allem in der Rolle des „Gewalttäters“ sehen.
Und auch hier galt ihr der Egalitarismus als Schlüssel zur besseren Welt:
„Je gleicher die Geschlechterverhältnisse sind, je egalitärer, desto besser geht es allen Menschen in diesen Nationen.“
Diese Argumentations-Linie kann natürlich bis ins Unendliche weitergeführt werden. Hinter jeder Angleichung steht eine Verbesserung der Lebensverhältnisse. Hinter jeglichem (weißen oder deutschen) Selbstbehauptungswillen stünde aber stets nur der Hass auf die Frau. Das nennt man ein monokausales Erklärungsmuster.
Und das Gut-Böse-Schema lässt sich auf zahlreiche politische Streitfragen der Gegenwart anwenden. Berluscuni wird von Scheub schon mal böse als „Bordellusconi, dieser Schwanz auf zwei Beinen“ tituliert, von dem sich Italien befreien müsse. Über Papst Benedikt XVI. wird sinniert, es sei wohl „der frühere Hitlerjunge in ihm durchgebrochen“, als er mit seiner „hochgradig arroganten ‘Regensburger Rede´“ die Muslime „verstört“ hätte und dann noch den Holocaust-Leugner Williamson „in die Arme der Kirche“ geschlossen habe. Zimperlich in der Wortwahl ist die gute Autorin jedenfalls nicht. Auch dies nicht untypisch für Linke dieses Schlages.
Solch heute noch getragene linke Scheuklappen dürften angesichts der (vor allem maskulinen) Realität auf den Straßen (die bisweilen wie die Realwerdung von Horrorfilmen erscheint) häufig auf einer Ursache beruhen: Ressentiment. Doch woher kommt das Ressentiment? Bei den einen mag es aus purer Dummheit resultieren. Man hat einige geschichtspädagogische Leitlinien in der Schule aufgeschnappt und fühlt sich einfach dazu berufen, über diese mit Argusaugen zu wachen oder das eigene Handeln irgendwie damit zu legitimieren. Das Ressentiment ist somit ein offenkundiges Produkt des geistigen Verfalls der Linken. Bei einigen Älteren hingegen spielen psychopathologische Hintergründe wohl die Hauptrolle. Und hier wird man bei Scheub rasch fündig. Scheubs Vater war der Apotheker und bis zum Tode scheinbar politisch überzeugte SS-Mann „Manfred Augst“ (ein einst von Günther Grass verliehenes Pseudonym für die real existierende Person), der 1969 größere Aufmerksamkeit erlangte. Er stand damals auf dem evangelischen Kirchentag vor 2000 Menschen auf, hielt eine kurze Rede über den allgemeinen Werteverfall, rief schließlich „Ich werde jetzt provokativ und grüße meine Kameraden der SS!“ Dann setzte er eine Flasche an seine Lippen und trank. „Das war Zyankali, mein Fräulein“, sagte er zu einer neben ihm stehenden Frau, bevor er zusammenbrach. Er starb auf dem Weg ins Krankenhaus.
Bei einer derart traumatisierenden Erfahrung für die damals dreizehnjährige Scheub, liegt der Schluss nahe, dass vieles von ihren bis heute vorgetragenen Ansichten mit dem eigenen Vater zu tun hat.
Gabriele von Arnim erkannte ganz richtig in ihrer „Zeit“-Rezension zu Scheubs Buch:
„Er war rechts, also wurde sie links; er war autoritär, also wurde sie antiautoritär; er war Nationalist, also wurde sie Internationalistin.“
2006 schrieb Scheub ein Buch über ihren Vater. Wohl sicherlich nicht, um ihn wirklich zu verstehen, um zu ihm zu finden, sondern vor allem, um ihre negativen Empfindungen und Spekulationen in schriftlicher Form zu verbreiten. Das Ergebnis stand also höchstwahrscheinlich schon vor dem Schreiben fest. Die „Zeit“ schrieb damals zu Scheubs Herangehensweise:
„Wer möchte schon gern mehr herausfinden über einen Mann, der im Selbstmord die Kameraden von der SS grüßt und der eigene Vater war. Ihn nicht gemocht zu haben ist eine Sache – aber womöglich einen Verbrecher zu finden eine ganz andere. (…)Die große Karriere hat er nicht gemacht. Zum Glück nicht. Vielleicht wäre ein großer Mörder geworden aus ihm. Seine ‘Zerstörungslust´ hat er später an der Familie ausgelassen.“
Scheub wäre damals „nicht besonders traurig über den Tod dieses ‘freudlosen Peinigers´“ gewesen, hieß es in der „Zeit“: „Es ging ihr besser ohne ihn.“ Auch so können „antifaschistische“ (Selbst-)Inszenierungen hergestellt werden. Als Fazit hätte man aber auch einfach schreiben können, dass Scheub sich mit ihrem Vater “beschäftigt” habe. Und aus solcher “Beschäftigung” resultieren nicht nur die im “taz”-Milieu üblichen Leierkastensprüche, endlos wiederholt, wie hier auf der Webseite der Autorin:
„Gerade wir Deutschen sollten hier eine besondere Sensibilität und Verantwortung zeigen. Zahllose Nazi-Täter durften in der Bundesrepublik der Nachkriegszeit ungestraft ihre Beamtenkarrieren fortsetzen, während die überlebenden Opfer vergeblich darauf warteten, dass das ihnen angetane Unrecht endlich öffentlich anerkannt würde. Viele Verwerfungen der Nachkriegsgeschichte, unter anderem den RAF-Terrorismus, kann man ohne diese Straflosigkeit nicht verstehen.“
Und hier liegt also der Schlüssel darin, warum aus diesem Milieu ein Thilo Sarrazin heute als „Rassist“ beschimpft werden muss und warum man sich der norwegischen bzw. gesamteuropäischen Problematik nur unter dem Blickwinkel “sexualneidischer” weißer Männer nähern kann, ohne den sich dahinter verbergenden ethnokulturellen Konflikt auch nur wahrnehmen zu wollen. Eine hiesige Ursache liegt also im weiterlebenden Trauma von medial immer noch einflussreichen Post-68ern vom Schlage Ute Scheub, die immerfort in ihrem persönlichen Laufrad des 20. Jahrhunderts strampeln. Die sich immerfort öffentlich an ihren privaten Befindlichkeiten abarbeiten ohne Voranzukommen und ohne zu merken, dass sich die Welt um sie herum rapide verändert hat.