Nachdem im November 2010 eine Kadettin auf dem Segelschulschiff der Bundesmarine »Gorch Fock« tödlich verunglückte, war bei Guttenberg zunächst eine Entscheidungsunsicherheit zu beobachten. So warnte er zuerst vor einer Vorverurteilung des Kapitäns, dem dienstliche Versäumnisse und eine Mitschuld am Tod der Kadettin vorgeworfen wurden, enthob er ihn aber wenig später seines Kommandos und stellte sogar die Zukunft der »Gorch Fock« als Ausbildungsschiff in Frage. Pikanterweise fiel diese Entscheidung in Gegenwart eines Reporters der Bild am Sonntag.
Dieses Vorgehen war symptomatisch für Guttenberg, weil er sich bei seiner Amtsführung grundsätzlich auf die Unterstützung der Bild-Zeitung verlassen konnte und weil er nicht bereit war, Untergebene so lange zu schützen, bis stichhaltige Belege für ihr Fehlverhalten vorlagen. Guttenberg ließ es zu, daß Maßstäbe einer Öffentlichkeit, die keinerlei Verständnis für und Berührungspunkte mit dem Militär hat, indirekt sein Handeln leiteten.
Anläßlich des »Gorch Fock«-Skandals hätte Guttenberg grundsätzlich die Frage nach der Verwendung von Frauen im Militär und die nach der Leistungsbereitschaft des Offiziersnachwuchses stellen müssen. Dabei wäre eine Verteidigung der harten Ausbildung angezeigt gewesen, weil sie dazu dient, militärische Führer auf den Ernstfall, in dem es um Leben und Tod geht, vorzubereiten.
Der Skandal lag entgegen der medialen Darstellung nicht in den »Zuständen« an Bord, sondern in der Weigerung von Verteidigungsminister zu Guttenberg, das innere Gefüge des Militärs gegen die Zivilgesellschaft zu schützen. Daß es Extremsituationen gibt, daß der »Arbeitsplatz« eines Soldaten gefährlicher als der eines Zivilisten ist, daß Befehle auch in sehr lautem Ton gegeben werden müssen, daß das Leben in der militärischen Gemeinschaft sich von dem in jeder anderen unterscheidet, daß ein Segelschulschiff keine Einzelzimmer hat – all das ist nach Maßstäben der Öffentlichkeit unmenschlich und Ursache für den Tod der Kadettin. Und Guttenberg scheint das ähnlich gesehen zu haben.
Wenn Guttenberg seinem Posten als Verteidigungsminister gerecht geworden wäre, hätte er sich einem ganz anderen Problem zuwenden müssen: dem ideologisch begründeten Einsatz von Frauen in den Streitkräften und den Konsequenzen daraus, zu denen nicht zuletzt der tragische Tod der beiden Kadettinnen gehört. Frauen in den Kampf zu schicken, bedeutet eine vermeidbare Steigerung der Wahrscheinlichkeit von Verlusten in den eigenen Reihen, insbesondere aber bei den eingesetzten Frauen. Die kompensatorischen Maßnahmen zur Integration von Frauen in Kampf und Kampfunterstützungseinheiten zielen angeblich darauf ab, Vorurteile und nutzlose »Barrieren« abzubauen. In der Praxis haben sie sich lediglich negativ auf Standards und Kampfbereitschaft ausgewirkt. Westliche Streitkräfte riskieren dadurch den Verlust ihres Wettbewerbsvorteils im Vergleich zu anderen Armeen. Die einzige Alternative zu dieser Fehlentwicklung ist, daß persönliche Fähigkeit und Verdienst wieder die ausschließlichen Qualifikationskriterien werden.
Dagegen steht das schlechte Gewissen einer Öffentlichkeit, die den Frauen in den letzten Jahrzehnten Tätigkeiten wie das Soldat-Sein als Emanzipationspflicht quasi aufgezwungen hat. Unter Absehung von der Realität wurde den jungen Frauen vorgegaukelt, ihr Geschlecht sei nur eine Konstruktion, und es bedürfe nur der Überwindung dieses Vorurteils, um es den Männern in allen Belangen gleichzutun. Insofern sind die beiden verunglückten Kadettinnen Opfer einer Ideologie, die aus vermeintlich guter Absicht die Konsequenzen solcher »Gleichberechtigung« verschwiegen hat.
Nicht nur die Gleichheitsideologie bringt einen Substanzverlust mit sich, auch die Abschaffung der Wehrpflicht, die ja eigentlich die Bundeswehr professionalisieren soll, führt absehbar dazu, daß Freiwillige angenommen werden müssen, die den Anforderungen nicht entsprechen. Die Vorschläge, Schulabbrecher und in Deutschland lebende Ausländer einzustellen, sprechen für sich. Nach zu Guttenbergs Rücktritt wurde deutlich, welche Baustelle er seinem Nachfolger hinterlassen hat. Dazu gehört, daß eine Berufs- und Freiwilligenarmee sogar teurer werden könnte – nicht nur in finanzieller Hinsicht.
Die Erfahrungen in anderen europäischen Ländern zeigen nicht nur das Problem, qualifiziertes Personal zu rekrutieren, was über die Wehrpflicht leicht möglich war, sondern auch einen Qualitätsverlust der Streitkräfte, der auf der notgedrungenen Einstellung von Minderqualifizierten beruht. Im Gegensatz zu den Streitkräften vieler anderer Länder war die Bundeswehr bislang keine Unterschichtarmee, sie wird es aber unweigerlich werden. Unter der neuen Entwicklung werden nicht nur die Umgangsformen mit den Untergebenen zu leiden haben, sondern die Einsatzfähigkeit allgemein. Die Auftragstaktik, auf die die Bundeswehr bislang so stolz war, wird sich nicht mehr umsetzen lassen, weil es dazu des mitdenkenden Soldaten bedarf.
Hinzu kommt als gesellschaftspolitischer Nebeneffekt, daß das hehre Ziel der Integration der Migranten durch ihre Verpflichtung zum Wehrdienst einfacher zu erreichen gewesen wäre. In Frankreich, das 2001 die Wehrpflicht aussetzte, gibt es bereits Klagen über die mangelnden »Sekundärtugenden « bei jungen Männern, die nicht mehr durch die »Schule der Nation« gegangen sind. Insofern ist die von Guttenberg forcierte Bundeswehrreform das typische Produkt einer Politik, die ihre eigenen Konsequenzen nicht zu Ende denkt, weil sie sich bereits dadurch gerechtfertigt wähnt, für alle das Beste zu wollen.
Der Skandal um Guttenbergs Doktorarbeit lenkt von den eigentlichen Versäumnissen ab, die sein Amt betreffen. Durch die Plagiatsaffäre ist der Eindruck entstanden, als sei ein überaus erfolgreicher und beliebter Verteidigungsminister ein wehrloses Opfer einer linken Kampagne geworden und sein Rücktritt nur ein tragisches Mißverständnis. Dieser Eindruck täuscht, da es in diesem Fall nicht um Befindlichkeiten oder Beliebtheitswerte geht, sondern um ein Ressort, das wie kein zweites nüchtern und unideologisch geführt werden muß, um Menschenleben zu schonen.
Guttenbergs größtes Verdienst ist es daher, die verdruckste Sprachregelung über den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr durchbrochen zu haben. Im April 2010 meinte er, daß man »umgangssprachlich von Krieg« sprechen könne und rückte den Einsatz damit in das richtige Licht. Daraus erwuchsen zwar keine Konsequenzen, doch nicht zuletzt war die nicht beschönigende Bezeichnung mit der Hoffnung verbunden, dass sie das Resultat einer nüchternen Einschätzung der Lage in Afghanistan war. Nur so ist es überhaupt möglich, den dort eingesetzten Truppen die wenigstens größtmögliche Unterstützung und Anerkennung zuteilwerden zu lassen. Guttenberg war zudem oft bei den Truppen in Afghanistan und konnte sich damit die Sympathie der einfachen Soldaten sichern.
Diese Sympathie genießt Guttenberg auch weiterhin bei einer Mehrheit der deutschen Bevölkerung. Es ist ein vermutlich einmaliges Phänomen, daß bereits am Tag des Rücktritts von Guttenberg seine Rückkehr auf die politische Bühne beschworen wurde. Insofern könnte sich die Fußnoten-Affäre noch als wahrer Segen für Guttenbergs zweite politische Karriere entpuppen. Er wird als jemand im Gedächtnis der Masse bleiben, der wegen Nebensächlichkeiten aus dem Amt gemobbt und so um die Früchte seiner Arbeit gebracht wurde.