“den traurigen Niedergang der Union, ihre bedingungslose Kapitulation vor dem Zeitgeist und den allgemeinen Verfall unserer Parteiendemokratie erörtern, obwohl sie niemand darum gebeten hat.” Das Vorwort schrieb Alexander Kissler, aber auch er konnte nicht verhindern, daß auf 120 Seiten vor allem heiße Luft gepumpt wird – vertan ist die Chance harter, konservativer CDU-Kritik.
Abgefaßt ist das Ganze im Stil einer Gesprächsrunde, zu der jeder Teilnehmer ein paar Sätze beiträgt. Neben dem Zerfall der CDU werden sämtliche “Deutschland schafft sich ab”-Themen durchdekliniert: Bildungs- und Familienpolitik, Sozialstaat, Europäische Union, Ausländerintegration, Wehrpflicht, Nationalbewußtsein, Ökologie, Meinungsfreiheit und so weiter.
Als Motto ist dem Bändchen im modischen Stile der Beststeller “Empört euch!”, “Wehrt euch!”, “Stoppt das Euro-Desaster!” usw. ein Satz von Jörg Schönbohm vorangestellt:
Wenn es überhaupt noch ein Lebensmodell gibt, das unserer gegenwärtigen Führungsschicht echte Angst einjagt, dann ist das die wirtschaftlich unabhängige, gebildete, kinderreiche, christlich orientierte Großfamilie, die ihre Kinder selbst erzieht und sich in keiner Weise von Staat und Medien hineinreden und bevormunden läßt.
Am 9. November wurde das Buch im gediegenen Ambiente am Pariser Platz mit Ausblick auf das Brandenburger Tor vorgestellt. Anwesend waren Baring, Löhr, Schönbohm und Kissler, die Moderation übernahm Alexander Gauland. Der Verleger Andreas Krause-Landt erklärte eingangs, daß sein Verlagsmotto “Die Entdeckung des Eigenen” auch mit “Eigentum” zu tun hätte, in diesem Falle vor allem mit dem Volksvermögen, das momentan ohne weiteren Widerstand in den Rachen des EU-Molochs geworfen.
Die Anwesenden waren sich grundsätzlich darin einig, daß es nicht nur um die Merkel-CDU, sondern um die deutsche Demokratie im Allgemeinen schlecht stünde. Die Wähler hätten ein wachsendes Gefühl von Ohnmacht, die Entstehung einer Art von Einparteiensystem zeichne sich ab, Politik werde zunehmends zum Geschäft einer kleinen herrschenden Klasse. Nicht nur ein wirtschaftlicher Crash, eine politische Zeitenwende, die das Schicksal der Bundesrepublik entscheiden wird, scheint bevorzustehen. Zugleich sei der Konformismus im Lande verbreiteter denn je, die Presse schalte sich selbst freiwillig gleich, und man wünschte sich “stärkere öffentliche Diskussionen über die wichtigen Themen.”
Das ist alles schön und gut, und die Beiträger zählen gewiß nicht zu den Schlechtesten ihres Lagers. Mit Mechthild Löhr und Josef Kraus (beide CDU) sind auch immerhin zwei regelmäßige Kolumnisten der Jungen Freiheit vertreten, denen hiermit erlaubt wird, sich mit öffentlich Lizensierten wie Schönbohm und Baring zusammenzusetzen.
Jedoch: Alles, was in der Buchvorstellung vorgebracht wurde, habe ich indessen zum Großteil schon vor gut zehn Jahren in der besagten JF gelesen, nur besser. Das trifft besonders auf den sich wieder mal barrikadenzornig gebenden Arnulf Baring zu, der sicher der Intelligenteste und historisch Gebildetste der Runde ist, aber so tut, als hätte er geradezu revolutionäre Neuigkeiten entdeckt. Ebenso wußten wirkliche Konservative schon lange vor Sarrazin, daß sich “Deutschland abschafft”, ein Prozeß, der ja auch nicht gerade erst seit gestern im Gange ist.
Der Band selbst ist bis auf ein paar brauchbare Körnchen kaum der Rede wert, selbst für Einsteiger in die Problematik. Seine Thesen sind nicht gut genug formuliert und auf den Punkt gebracht. Er ist so schnell abgelutscht wie ein Eis in der U‑Bahn, und man hat den Inhalt ebenso schnell wieder vergessen, wie man ihn aufgenommen hat. Das mag zum Teil an der Gesprächsstruktur liegen, die einen eher unfokusierten Eindruck macht. Für zusätzliche Langeweile sorgt auch die durchgehende Tendenz, immer schön artig im Rahmen der bien-pensants zu bleiben.
Nehmen wir etwa das Kapitel “Geschichte ohne Bewußtsein” über die problematische Reduktion des deutschen Geschichtsbewußtseins auf die verhängnisvollen zwölf Jahre. Die wird immerhin recht deutlich kritisiert, das Kapitel allerdings mit dem Untertitel versehen: “Wie man Integration planvoll erschwert”, ganz so, als ob das das einzige Problem wäre, das eine geknickte Nationalidentität bereite, oder als ob das der hauptsächliche Grund sei, warum man sie wieder einigermaßen aufrichten müsse. Aber keiner der Teilnehmer ist wirklich so mutig, die Politik der Masseneinwanderung grundsätzlich in Frage zu stellen, die immerhin den tödlichen Keim für eine künftige Zersplitterung und Balkanisierung des Landes legt. Es fehlt hier auch einfach der Mut, klipp und klar zu sagen, daß ein tragfähiges Geschichtsbewußtsein und eine “selbstbewußte Nation” zuallererst für sich selbst dazusein hat, und erst sekundär, um gegebenenfalls “Einwanderer zu integrieren”.
Trotz allem angemessenen Respekt vor Gauland oder Baring kann ich eine zunehmende Aggression gegenüber diesen im Grunde inkonsequenten und eitlen alten Männern nicht unterdrücken. Ich kann sie, um einen zeitgenössischen Parlamentarier zu paraphrasieren, einfach nicht mehr sehen und hören. Sie erfüllen, scheint es, in erster Linie eine Funktion als konservative Platzhirsche und Torwächter , nicht viel anders als unser jämmerlich in der sozialistischen Selbstkritik versackter Ex-Kamerad Lorenz Jäger.
In dem “Ausverkauf”-Band outet sich Baring als “Anhänger der Kanzlerin”: “Sie ist eine außerordentlich intelligente, kenntnisreiche und obendrein fleißige Regierungschefin. Sie ist immer gut unterrichtet und absolut uneitel. Sie spricht öffentlich nicht anders als im kleinen Kreis.” Schon allein das ist jenseits von Gut und Böse. Muß man es noch kommentieren? Inzwischen dämmert es aber schon langsam auch Baring, daß vielleicht womöglich etwas nicht ganz in Ordnung ist mit unserer fleißigen Angela:
Inzwischen rücke ich von ihr ab – mit zunehmender Geschwindigkeit und in wachsender Ratlosigkeit – seit ihren anmaßenden Äußerungen über Thilo Sarrazin.
Es mag ja prinzipiell begrüßenswert sein, wenn die alten Männer und Platzhalter der “Konservativen”-Rolle endlich in ihrem Erkenntnisstand nachgehumpelt kommen. Dann sollten sie aber nicht so tun, als wären sie nun die Speerspitzen der Avantgarde. Wie lange müssen wir eigentlich noch vor jedem weiteren Schritt warten, bis sie aufgeschlossen haben?
Nach all den schönen Reden und Anklagen des Abends, Melodien, wie sie nun einigermaßen Standard unter Konservativen sind, konnte ich nicht umhin, im Laufe des Publikumsgesprächs die Frage an die Runde zu richten, was sie denn als nächstes konkret tun wollten. Das war vielleicht etwas dumm und naiv von mir, aber ich wollte wirklich wissen, was Leute tun, die über mangelnde Meinungsfreiheit und fehlende Debatten klagen, und dabei selbst einen Zugang zu großen Medien haben, von dem unsereiner nur träumen kann. Da sitzen Leute wie Baring, Gauland und Schönbohm, die aus dem Establishment kommen, und uns nun davon überzeugen wollen, daß sie die “Guten” sind. Kann man ihnen denn Glauben und Vertrauen schenken? Darf man es? Muß man es?
Baring war inzwischen irgendwohin entschwunden, so antwortete mir als erstes die überaus sympathische Mechthild Löhr. Sie sprach von einer “Resignation” des Wahlvolkes, die überwunden werden müsse, was keine Antwort auf meine Frage war. Sie sei allerdings durchaus “optimistisch”, daß eine Wende bevorstehe, wenn erst das Scheitern der Merkelpolitik jedermann offenbar werde. Dieser Ton ist jener, der mir an Berufspolitikern so wenig behagt. Dieser Zwang, sich ständig “optimistisch” zu geben, um bloß nicht wie ein Defaitist, Miesepeter oder Launeverderber dazustehen.
Ich halte auch nichts vom Defaitismus, aber wenn man mich nach meiner bescheidenen Meinung fragt, dann ist die unzweifelhaft vorhandene diffuse “Resignation” und die seltsam lethargische Passivität des Wahlvolkes nur eine Zwischenstufe, in der erst halb durchgesickert ist, daß allmählich wirklich sein ganzer Besitz, seine ganze Existenz, seine ganze Nation, seine ganze Freiheit auf dem Spiel stehen. Die Leute sind eher zuwenig als zuviel verzweifelt. Sie haben eher zuwenig als zuviel Angst, nicht, weil sie mutig wären, sondern weil sie den Kopf in den Sand stecken und die Gefahr verdrängen. Mehr als ein rhetorischer Politikaster-Optimismus täte eine ehrliche “Blut, Schweiß & Tränen”-Rede not.
Da ergriff nun Schönbohm preußisch-forsch das Wort, und erklärte, er glaube gar nicht an eine “Resignation”. Ich meinte, die Leute seien zuallererst nicht gut genug über die Lage informiert, die hier beklagt werde. Ach was, so Schönbohm, die erforderliche Information sei doch jedermann im Internet zugänglich. Und dann folgten ein paar Sätze voll virtuoser Phrasendresche und Allgemeinheitensättigung, die ins Nirgendwo führten. Es war nicht das erste Mal, das Schönbohm an diesem Abend einer konkreten Frage ausgewichen war. “Ich will wissen, was Sie, Schönbohm, als nächstes konkret tun werden, um die Lage zu ändern”, insistierte ich. Schönbohm stutzte kurz, und sagte dann: “Keine Revolution.” – “Nun haben Sie gesagt, was Sie nicht tun werden!” Damit war die Sache erledigt.
Schönbohm ist gewiß ein Charakterkopf, nicht nur gemessen an all den üblichen Schwammgesichtern, die seine Partei so reichlich bevölkern. Aber die professionelle Routiniertheit, mit der er aus dem Stegreif heiße Rhetorikluft zu produzieren versteht, weist ihn eben doch als Vertreter seiner Kaste und Klasse aus. Eines scheint mir klar zu sein: Wenn es innerhalb des Systems noch die Möglichkeit der Reformierbarkeit gibt, dann gewiß nicht durch irgendeine neue Partei, sondern allenfalls durch eine geschlossene sarrazinische Wende innerhalb einer der etablierten Großparteien. Dennoch traue ich den Vertretern dieser Kaste einfach nicht über den Weg, auch nicht, wenn sie sich als deren Kritiker gebärden, auch nicht, wenn sie Schönbohm heißen.
Peter Freimann
"In dem „Ausverkauf“-Band outet sich Baring als „Anhänger der Kanzlerin“: „Sie ist eine außerordentlich intelligente, kenntnisreiche und obendrein fleißige Regierungschefin. Sie ist immer gut unterrichtet und absolut uneitel. Sie spricht öffentlich nicht anders als im kleinen Kreis.“ Schon allein das ist jenseits von Gut und Böse. Muß man es noch kommentieren?"
Wenn es denn unbedingt sein muß: "AAAAAAARRRRRGHHH!!!"
Wie mag es Kraus in der Union gehen? Er weiß, daß auf der Agenda der Sozialisten die Sondaschule für alle steht. Er kennt die ganzen Connections der OECD, Bertelsmann, Schmidtchens und Schleichers der PISA-Mafia.
Ein MANN muß sich schon entscheiden, ob er Full Member im nächsten Charter der Höllenengel werden ODER sich in die Friedensarbeit der Grünen&Co. einbringen will.
Sekt oder Selters, erbärmlich.