Der verhausschweinte Streikposten

Manche Begriffe, die man leichthin verwendet, sind so sprechend und in ihrer Bedeutung so leicht verständlich, daß man...

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

ein Miß­ver­ste­hen nicht für mög­lich hält. Ver­haus­schwei­nung: Was gäbe es da zu erklären?

Es steckt dar­in die arme Sau, die zwi­schen den Boh­len ihres Kobens warm und fett und sicher lebt, die Abend­däm­me­rung unter einem Eichen­baum (den Rüs­sel trüf­felnd am Boden und die Ohren gespitzt ob des mög­li­chen Fein­des) aber noch nie erle­ben durf­te. Ver­haus­schwei­nung: Es steckt dar­in Nietz­sches letz­ter Mensch, der aus sei­nen Schweins­äug­lein blin­zelt und einen Wanst sein Eigen nennt, wobei das Schweins­äug­le­ri­sche und das Wans­ti­ge nicht im Kör­per­li­chen lie­gen müs­sen, son­dern vor allem dann wahr­nehm­bar wer­den, wenn das Gehirn des letz­ten Men­schen ein Bäu­er­chen macht.

Ver­haus­schwei­nung: Das mag – mit Kon­rad Lorenz gespro­chen – die Ten­denz des Men­schen sein. Aber weil Lorenz mit bestimm­ter Absicht nicht von Ver­ad­le­rung, son­dern eben von Ver­haus­schwei­nung sprach, liegt schon im Wort selbst die Auf­for­de­rung zum Wider­stand gegen die­se Ten­denz in uns selbst.

Es ragt aus grau­er Vor­zeit noch immer und phy­lo­ge­ne­tisch wei­ter­ge­reicht das Bild von der halb­ver­hun­ger­ten Men­schen­hor­de in jeden von uns hin­ein: War das Wild erlegt, aß man, soviel man nur konn­te, ruh­te die Jagd­ge­mein­schaft nach unvor­stell­ba­ren Stra­pa­zen, ver­en­de­te zwei Fel­le wei­ter mit schril­len Schrei­en nach qual­vol­len Tagen der Mann, dem der Kei­ler den Schen­kel auf­ge­schlitzt und das Knie zer­trüm­mert hat­te. Noch vor hun­dert Jah­ren saß am Abend dumpf der Stahl­ar­bei­ter am Tisch sei­ner Woh­nung im drit­ten Hin­ter­hof und brü­te­te über dem Glück, daß nicht sein Bein in die Wal­ze gera­ten war, son­dern das sei­nes Schicht­kol­le­gen, der drei Häu­ser wei­ter wohnt – und sah dort schon die Frau des Ampu­tier­ten bis in die Nacht hin­ein an einer Heiß­man­gel ste­hen, damit es für ein paar Kar­tof­feln reich­te. Wie sehr ver­steht man die bild­lo­se Sehn­sucht die­ser Frau nach einem Kühl­schrank und die des Man­nes nach etwas, das dem OP-Saal in der Cha­ri­té des Jah­res 2009 glei­chen könn­te, wie sehr ver­steht man die Ten­denz zur Verhausschweinung.

Und wie sehr wünsch­te man sich, daß jeder eigen­hän­dig mit der Sau­fe­der ein Wild­schwein zu erle­gen hät­te, bevor er – ein­ge­wi­ckelt in eine Ver­Di-Tüte und mit fet­tem Gesicht – für 8% mehr Lohn in sei­ne Tril­ler­pfei­fe grunzt.

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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