und Gemeinschaftserlebnis sind das wiederkehrende Element der Akademien. Sie bleiben lebhafte Erinnerungen der Teilnehmer. Aus deren Kreis erreichte mich folgende Zusammenfassung:
Für seine 12. Winterakademie hatte das Institut das Thema „Macht“ vorgegeben und damit zugleich in eine dem wachen Geist kaum verborgene Wunde des veröffentlichten Diskurses gestochen, denn die Zusammenhänge zwischen Macht und Herrschaft, Macht und Kommunikation sowie Macht und Geist werden heute kaum mehr diskutiert. Obwohl die Macht sich auch im Zeitalter der Massenmedien und vor allem des Internets nicht ins Dunkel der Geschichte zurückgezogen hat, herrscht heute eine gewisse Scheu davor, Machtmechanismen klar als solche zu benennen.
Daß dies nicht immer so war, daß es aber auch nicht immer anders war, zeigte Karlheinz Weißmann in seinem eindrucksvollen Eröffnungsvortrag. Mit einer Nietzsche-Lesung begann der wortgewaltige Historiker die Akademie und verortete Nietzsches nachgelassene Texte über den „Willen zur Macht“ in eine Zeit, in der Macht und Machtausübung ebenfalls tabuisierte Themen waren. Ausführlich schilderte Weißmann den Gang von Nietzsches Argumentation, die um den Kerngedanken eines notwendig allem Existierenden innwohnenden Prinzips kreisten, eben jenem Willen zur Macht. Trotz der aus der Distanz erkennbaren Schwächen von Nietzsches Denken kam Weißmann zu dem Schluß, daß die durch den Naumburger Philosophen entwickelte Position nicht nur das rechte Denken geprägt, sondern für alle Denker unhintergehbar geworden sei – man kann die Macht als menschliche Kategorie und das Streben nach ihr nicht mehr grundsätzlich leugnen.
Erik Lehnert, Geschäftsführer des IfS, führte mit seinem Vortrag zum Verhältnis von „Macht und Geist“ weiter in das Thema ein. Mit der Definition von „Geist“ als „Kraft, die Ideen entfalten kann“, stellte Lehnert schon zu Beginn klar, daß fast jeder Aspekt von Machtausübung zugleich eine Frage des Geistes darstelle und umgekehrt. Aus der Erkenntnis, daß die Klärung der Frage nach dem Geiste nur über die Beantwortung der Frage nach der Stellung des Menschen im Kosmos zu leisten sei, entwickelte er im folgenden anhand der Philosophie Max Schelers ein Koordinatensystem der Einordnung menschlicher Welt- und Selbsterfahrung. Den Zuhörern wurde so das komplexe Zusammenspiel deutlich, in dem sich anhand der Einzelerfahrungen aller der Zeitgeist formiert, während zugleich in Abgrenzung zu jenem der Einzelne die Möglichkeit zur Selbstentfaltung und damit zur Schöpfung von neuen Gedanken erhält, die in Zukunft selbst Grundlage des Zeitgeistes werden können.
Nach diesen zwei philosophischen Vorträgen schloß mit Michael Stahl ein versierter Althistoriker das Tagesprogramm. In seinem Vortrag „Vom Kampf um die Macht zur Herrschaft“ schlug er einen weiten Bogen von der Gegenwart hin zur beginnenden Zeit des römischen Prinzipats. Stahl zeigte am Beispiel des Augustus, daß Macht ein „Rohstoff der Geschichte“ ist, der durch die Nutzung veredelt wird. Der Herrscher habe nicht einfach „Macht“, sondern er führe, lenke, handle. Für die Gegenwart erweise sich der Satz: „Je unsichtbarer Macht wird, desto erfolgreicher wirkt sie“, als entscheidend. An die drei Vorträge des Nachmittags schloß sich noch eine trotz der fortgeschrittenen Zeit lange und teilweise sehr leidenschaftliche Diskussion.
Den zweiten Akademietag eröffnete der Historiker Stefan Scheil mit einem augenöffnenden Vortrag zu den amerikanisch gesteuerten Netzwerken in der frühen Bundesrepublik. Scheil stellte ausführlich dar, daß die Umerziehung der Deutschen sich keineswegs auf das Gebiet des besiegten Staates beschränkte. Vielmehr wurden Tausende von Deutschen, als eine zu formende Elite, in die USA geflogen und dort im westlichen Sinne beeinflußt. Nahezu sämtliche führenden Intellektuellen, Journalisten und Politiker der Nachkriegszeit waren durch diese Schule gegangen und dadurch vorgeprägt. Doch nicht nur das: die Netzwerke blieben bestehen und existieren bis heute. Die Zusammenhänge, die Scheil darstellte, waren umfangreich und überraschend. Man wird die Nachkriegsgeschichte nicht verstehen können, ohne diese Fakten zu kennen.
Felix Menzel sprach über Propagandamechanismen im Zeitalter massenhafter öffentlicher Kommunikation. Bilder sind besonders geeignet, auf die kollektive Identität einzuwirken. Über einen „Kitzel der privilegierten Nähe“, wird dem Zuschauer ein Eindruck von Nähe suggeriert, den er in der Realität nie haben könnte. Auf diese Art wird der Einzelne in einen großen Zusammenhang gestellt, während andererseits hintergründig gerade der „große Einzelne“ herausgestellt wird. Dieser Mechanismus funktioniert keineswegs nur in Propagandafilmen, sondern auch in der Politik und – besonders massenwirksam – im Rahmen von Inszenierungen der Unterhaltungsindustrie. Die Machtrelevanz solcher Vorgänge ist offensichtlich.
Nach dem Mittagessen und einem Fußballspiel, das – wie in fast jedem Jahr – die Über-Dreißigjährigen gewannen, hielt Martin Lichtmesz einen expressiven Vortrag zum Verhältnis von Macht, Ohnmacht und Radikalität. Anhand des Kerngedankens vom „unsichtbaren Gegner“, der die metapolitische Diskussion heute ebenso bestimmt wie das unterschwellige Lebensgefühl der Europäer, entwarf Lichtmesz ein von der Erfahrung von Ausweglosigkeit und Ohnmacht bestimmtes Lagebild. Während die europäischen Funktionseliten ein extremistisches Umvolkungsprogramm betreiben, werden gleichzeitig „Extremisten“ in den Gesellschaften geradezu gesucht, um sie medienwirksam verfolgen zu können. Radikalität geht aber mit dem Gefühl der Ohnmacht einher – auf beiden Seiten der Herrschaftsordnung.
Felix Dirsch und Karlheinz Weißmann behandelten am letzten Veranstaltungstag mit den Referaten „Vollenden Facebook und Wikileaks die Aufklärung?“ und „Sanfte Macht“ nur scheinbar ähnliche Themen. Dirsch befaßte sich mit der Übersetzung aufklärerischen Gedankenguts in die Informationsgesellschaft und der Utopie einer durch freie, ungefilterte Information zum besseren gewandelten Welt. Er erteilte allzu großen Hoffnungen in dieser Richtung eine Absage und verwies auf die Notwendigkeit redaktioneller Bearbeitung der Informationsflut einerseits, die ganz überwiegend unpolitische Nutzung des Netzes andererseits. Im Kontrast zu diesem höchst aktuellen Thema ging Weißmann auf das Entstehen der herrschenden globalistischen Ideologie amerikanischen Zuschnitts ein. Vor dem Portrait der US-Geschichte um 1900 gelang es ihm, überraschende Verbindungen von den innenpolitischen Notwendigkeiten der USA jener Tage hin zu einem Herrschaftsprogramm zu zeigen, das bis heute durchgeführt wird. Den Teilnehmern wurde die schonungslos ehrliche, machiavellistische Sprache vorgestellt, die in der US-Diskussion gepflegt wurde und deren großen Teil heutige Leser vermutlich als „faschistisch“ einordnen würden.
Fazit: Neben den zahlreichen neuen Impulsen und Informationen bleibt von der Akademie der Eindruck, daß hier, unter den wuchtigen Holzbalken der alten Zimmerdecke des Tagungsraums, höchst aktuelle Fragen diskutiert und für den Kampf im oft bemühten „vorpolitischen Raum“ wesentliche Einsichten vermittelt wurden.