Die „strukturelle Mehrheit” des linken Parteienspektrums ist keine Erfindung, sondern eine Tatsache. Wie Christian Vollradt in seinem Text über „Die Linke” (S. 22–25) zeigt, ist das linke Parteienspektrum spätestens durch die Vereinigung von WASG und PDS bundesweit ausdifferenziert und damit fähig, über eine rot-rot-grüne Koalition eine Regierungsmehrheit zu bilden.
Daß es in Deutschland rechts von der Mitte (CDU, FDP) gar keine Differenzierung gibt, sondern bloß eine regional starke extreme Rechte (die NPD und die DVU in den neuen Ländern), ist ein ebenso oft wie hilflos beschriebenes Phänomen. An diesem Phänomen wird der Begriff der „strukturellen Mehrheit” nochmals in aller Härte deutlich: Es gibt keine rechtskonservativen Strukturen, die in der Lage wären, das, was als Wählerpotential wohl vorhanden ist, zu einer politischen Kraft zu machen.
Einmal davon abgesehen, was eine solche Kraft für Deutschland bewirken könnte, und abgesehen auch davon, daß die CDU keine konservative Kraft dulden möchte, den Begriff jedoch wie selbstverständlich für sich reklamiert: Platz genug für einen Mehrheitsbeschaffer rechts neben der Union ist in jedem Fall, und angesichts der Situation Deutschlands muß man sagen: Besser als nichts wäre so eine Kraft doch, auch wenn sie letztlich denselben traurigen Weg gehen würde, den jede Partei gehen muß: den Weg in die interne Oligarchie, den Weg hin zur Ausnutzung des Staats durch die Partei, zur Vervielfältigung des Parteikarrieristen. Besser als nichts wäre so eine Kraft, weil sie zumindest dafür sorgte, daß Fragestellungen auf die Tagesordnung gelangen, die dort heute nicht stehen.
Die Union selbst ist dazu nämlich nicht in der Lage. So trafen sich beispielsweise Anfang Juli die CDU-Mannen Markus Söder (CSU-Generalsekretär), Stefan Mappus (Fraktionschef in Baden-Württemberg), Philipp Mißfelder (JU-Vorsitzender) und Hendrik Wüst (Generalsekretär in Nordrhein-Westfalen), um das konservative Profil der Union zu schärfen. Man saß inoffiziell und medienwirksam für ein paar Stunden im Café Einstein in Berlin zusammen und suggerierte eine Gruppenbildung, zumindest: eine Runde, die sehr wohl wisse, was sie wolle und sich vor dem Provokationspotential des Begriffs „konservativ” nicht scheue. Aber am nächsten Tag war es mit der Schärfung des Profils und der Zuspitzung der Fragestellungen bereits wieder vorbei: Keiner der Teilnehmer dieser Runde brachte mehr als ein Gestottere darüber zustande, was das eigentlich sei: ein konservatives Profil. Und so bleibt es vorläufig dabei: Teile der Union ahnen, daß es Begriffe gibt, die wie selbstverständlich besetzt werden könnten, aber keiner vermag es. Also bleibt die Tür sperrangelweit offen für eine neue politische Kraft.
Anfang des Jahres hat nun der Publizist und Islamismus-Experte Udo Ulfkotte seinen Hut in den Ring geworfen und die Gründung einer antiislamistischen, prowestlichen Partei angekündigt. „Wir sind nicht links, wir sind nicht rechts, wir sind vorn”, lautet die Selbstpositionierung seines Aufbruchs, der bisher aus einem Förderverein (Pax Europa) und mehreren Internet-Plattformen zu den Themen Islam, Moscheebau und Terror-Gefahr besteht. Selbstaussagen sind beredt, vor allem dann, wenn sie nicht wahltaktisch oder medienwirksam, sondern in ihrer ganzen Naivität ernst gemeint sind. Wenn Ulfkotte also behauptet, daß er und seine Sammlungsbewegung vorn und dort vorn die Kategorien links und rechts nicht von Bedeutung seien, dann versucht er etwas, das in seiner Situation nicht gelingen kann: Er geht davon aus, daß eine Positionierung vor allem von der Selbsteinschätzung abhänge.
Wenn er sich selbst also für „vorn” hält, dann übersieht er, daß er der einzige ist, der das so sieht: Jeder, der von außen schaut, nimmt ihn rechts von der Mitte wahr, und vor allem seine politischen Gegner (deren schärfste er bei den Unionsparteien finden wird) werden ihn dort positionieren, wo er seinen Platz ohnehin hat: zwischen CDU und NPD, wo sich derzeit mindestens zehn irrelevante Grüppchen tummeln.
Wer ist Udo Ulfkotte? Er ist 1960 geboren und hat Jura und Politik studiert und nennt den Züricher Kriminologen Professor Rüdiger Herren sowie den Kohl Berater Professor Dieter Oberndörfer seine akademischen Lehrer. Er promovierte früh, bereits 1986, und trat unmittelbar danach in der politischen Redaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung eine Stelle als Auslandskorrespondent an. Bis 1998 lebte er überwiegend in islamischen Staaten (Ägypten, Afghanistan, Emirate, Irak, Iran, Jordanien, Oman, Saudi-Arabien), danach wieder in Deutschland. Mitglied der FAZ-Redaktion blieb er bis 2003, parallel nahm er einen Lehrauftrag an der Fachhochschule in Lüneburg an und unterrichtet dort seither „Sicherheitsmanagement”.
Sicherheitsfragen sind in der Tat – neben der moslemischen Welt und ihrer gegenwärtigen Entwicklung – Ulfkottes Feld, man kann drei Bereiche ausmachen: Das Buch Marktplatz der Diebe (1999) untersucht das Ausmaß der Wirtschaftsspionage gegen deutsche Unternehmen. 2001 bündelte Ulfkotte erstmals seine Analyse einer islamischen Bedrohung des Westens durch den radikalen Islam (Propheten des Terrors). Der Gefahr der Islamisierung vor allem deutscher Städte widmete Ulfkotte das Buch Der Krieg in unseren Städten (2004), regional ausgeweitet und zugleich spezialisiert auf die Muslim-Bruderschaft erschien dann 2007 Heiliger Krieg in Europa. Die intensive Arbeit an einem dritten, sicherheitsrelevanten Gebiet dokumentierte Ulfkotte 1997 erstmals in Buchform: Verschlußsache BND war als Enthüllungsbuch über die politische Einflußnahme des deutschen Auslandsgeheimdienstes angelegt. Dieser vielbeachteten Untersuchung ließ Ulfkotte 2006 Der Krieg im Dunkeln folgen, um darin die „wahre Macht der Geheimdienste” zu enthüllen.
Gefahr durch Wirtschaftsspionage, Gefahr durch Verselbständigung geheimdienstlicher Aktivitäten, Gefahr durch die Islamisierung der Städte: Politisierbar im Sinne eines die Wähler mobilisierenden Themas ist von diesen drei Bereichen nur der letzte, und folgerichtig spielen die anderen beiden Spezialgebiete in Ulfkottes politischem Engagement keine Rolle. Aber mit dem islamischen Fundamentalismus, mit der Problematik der Überfremdung Deutschlands, mit dem strikten „Nein” zum EU-Beitritt der Türkei hat Ulfkotte tatsächlich ein Thema, das tragfähig für ein Programm und eine Partei sein kann.
Das hat drei Gründe: Erstens ist dieses Thema vakant, keine der bestehenden Parteien kümmert sich ernsthaft darum. Zweitens ist es ein Thema, das uns noch lange erhalten bleiben und an Dringlichkeit zunehmen wird. Drittens – und das ist für die Politisierbarkeit entscheidend – ist es nicht abstrakt: Überfremdung, Identitätsverlust, multikultureller Konflikt – all dies sind Probleme, die so manchen ganz plötzlich handfest überfallen, ihm ins Auge stechen. Plötzlich ist die Gefahr für ihn wahrnehmbar, oft sogar bedrohlich wahrnehmbar, nicht mehr Herr im Hause zu sein. Wenn etwa die eigenen Kinder weder von den Lehrern noch von der Polizei vor türkischen Schülerbanden geschützt werden können, muß man einen Vater oder eine Mutter nicht mehr auf ein Problem aufmerksam machen.
Ulfkotte und seine Leute müssen kein Problem konstruieren. Sie können auf Probleme verweisen, die zum Lebensalltag von Millionen Landsleuten gehören, sie können die Menschen auf ihre Erfahrungen ansprechen und müssen über die Notwendigkeit politischen Handelns kein Wort verlieren. Es gibt ein Thema, es klafft eine Lücke im parteipolitischen Spektrum; aber ist Ulfkotte der richtige Mann für die Sammlung rechtskonservativer Wähler? Vieles, was man von ihm hört und Berichten über den Fortgang seiner Arbeit entnehmen kann, legt den Verdacht nahe, daß er die Latte reißen wird, die er sich auflegen ließ. Er wird voraussichtlich an seiner politischen Naivität und seiner Geringschätzung struktureller Aufbauarbeit scheitern.
Mag sein, daß Ulfkotte einen Plan hatte und hat: das Thema Islamisierung aus der rechten Ecke zu holen und als Jedermanns-Anliegen zu positionieren. Wenn dem so ist, dann hätte Ulfkotte nicht als Leitartikler bei der Jungen Freiheit hervortreten dürfen; er hätte sich auch nicht am Flughafen in Hamburg vom Spitzenkandidaten des Zentrums, Dirk Nokkemann, überrumpeln und auf die Liste dieser Splitterpartei ziehen lassen dürfen (um diesen Platz dann ein paar Monate später wieder zu räumen); und er hätte auf seinen Vortrag beim Institut für Staatspolitik verzichten müssen, wo außer ihm auch Karlheinz Weißmann und der Verfasser dieses Artikels referierten, beide längst dingfest gemacht als diejenigen, die für sich – jenseits aller Parteipolitik – ganz selbstverständlich eine rechtsintellektuelle Position reklamieren. Neben Ulfkotte war für dieses 14. Berliner Kolleg des Instituts für Staatspolitik (3. Juni) auch Henry Nitzsche geladen, der die CDU-Bundestagsfraktion vor einem halben Jahr verlassen hatte, weil sie ihm in jeder Hinsicht zu sehr „Mitte” geworden war.
Man kann an diesen paar Beispielen eindrucksvoll ablesen, daß Ulfkotte keine Strategie hat und das politische Feld, das er beackern will, nicht kennt. Er konzentriert sich nicht und gleicht spontane Einfälle nicht mit den Leitbegriffen und der Schrittfolge seines Arbeitsplans ab. Vermutlich gibt es gar keinen Arbeitsplan. Und es gibt keine Struktur. Ulfkotte kommuniziert jede Idee sofort, er wartet nicht ab, bis der Strom der Zuschriften oder Hilfsangebote aufgefangen und in eine Struktur eingebaut werden kann. Er arbeitet zu schnell und zu ungebremst für das, was not täte. So sprach er noch im April von der bevorstehenden Gründung einer „konservativ-ökologischen Partei” bereits im Juni, konnte diese Ankündigung jedoch nicht umsetzen. Mit solchen Schnellschüssen setzt Ulfkotte selbst vor denen, die ihm wohlwollen, seinen zugkräftigen, noch nicht abgenutzten Namen aufs Spiel.
Ulfkotte bräuchte ein paar mit allen politischen Wassern gewaschene Strukturarbeiter neben sich, die für ihn und um ihn herum eine arbeitsfähige Organisation basteln, parteiinterne Mehrheiten sicherstellen und ihn freihalten für das, was er kann: Themen aufspüren, Vorträge halten, Diskussionen führen, den Fuß in der Tür zur veröffentlichten Meinung halten. Aber bereits für die Ordnung dieser im einzelnen richtigen und angriffslustigen Gedanken ist wieder jemand an der Seite Ulfkottes notwendig. Ob Jan Timke, der Mann an der Spitze der Wählervereinigung „Bürger in Wut” (BIW) hierfür der richtige Partner ist, wird sich an solchen Organisationsfragen entscheiden. Immerhin gelang dem BIW bei der Landtagswahl in Bremen (Mai) über Bremerhaven der Einzug in das dortige Stadtparlament. In Bremen selbst fehlte eine einzige Stimme zu den notwendigen fünf Prozent.