23.8. Umgeladen auf Normalspur. Deutsche Wagen. Deutsches Lokpersonal. – Fünfzehn Mann werden ausgeladen.
24.8. Brest ab. Bug. – An der Grenze viel zerstört, in Polen auch meist nur Industrie. – Aufbau, Ordnung, Sauberkeit, viel weiter. – Ein kleines Brot, ein Stück Wurst, je fünfzig RM. Was ist die Mark gesunken, früher dreißig bis vierzig Pfennige für dasselbe. – M’s. Geburtstag. – Bevölkerung besser gekleidet, viel mehr Lebensmittel werden angeboten, höheres Lebensniveau deutlich sichtbar. – Siedlce. – Polen ein schönes Land, wirklich guter Eindruck. – Praga. – Nachts durch Warschau, über die hergestellte Weichselbrücke (nicht durch den Tunnel), ein dünnes Lichtermeer. Viel steht zerstört.
25.8. Nur ein Essen am Tag, immer noch werden wir betrogen. – Sohn des Oberforstmeisters H. kennengelernt. Rußland verschleppte Forstmeister nachrichtlos, rücksichtsloser Holzeinschlag. – Was rollt alles aus Deutschland heraus! Deutsche Werksarbeit. Zug um Zug begegnet uns. Eisenbahnwaggons, Maschinen, Schrott, PKW, neue und alte Typen, Holz, Getreide, Vieh, Obst. Die Eisenbahner können viel erzählen. Was wir sehen, genügt. – Kirchen, Friedhöfe, Heimkehr ins Abendland. Langsam löst sich der ungeheure seelische Druck, der Jahre auf uns lastete. – Kutno, erstes Glockenläuten! Große, schöne Güter, gut bestellte Felder, das ist doch ein anderes Bild. Nachts durch Posen.
26.8. Morgens Neu-Bentschen. Die ersten deutschen Frauen, an der Bahnstrecke arbeitend, schüchtern winken sie uns zu, verhärmte, vergrämte Gesichter. – Alles neue polnische Namen. – Schienen, Röhren, Brückenteile, Zug hinter Zug. – Viel zerstörte Wohnhäuser, viel unbewohnt, fast alle Felder liegen brach, vergrast, versteppt. Wohnungen geplündert und mutwillig zerstört, wenig durch Kampfhandlungen. – Bauernhöfe, Güter, leer, verlassen. Es schnürt einem das Herz zusammen. Deutschland hungert, und hier liegt unser Land ungenützt: „Urdeutsche Erde, von Gott uns gegeben, deutsch wieder werde, Deutschland muß leben!” – Schwiebus, Topper, Reppen, fast leere Städte mit polnischen Namen. Die Landschaft hat ein so trauriges Antlitz bekommen. – Strecke noch nicht völlig umgenagelt. – Um fünfzehn Uhr die Türme von Frankfurt, das alte, mir so vertraute Bild. Wir rollen über die notdürftig hergestellte Oderbrücke. Und hier soll nun Grenze sein? Und doch, es ist bereits eine Grenze, solch ein Unterschied zwischen Ost- und Westufer. Wieder in Deutschland! Das erste Bild: Frauen, die in den Oderkähnen Kohlen schippen. Aber wie sie winken! – Trotz den Kriegszerstörungen welch anderes Bild: Saubere Häuser, Blumen, Gärten, deutsche Menschen! – Der Glaube und die Zuversicht, der Wille vor allem wurde belohnt. – Vom Hauptbahnhof Nachricht zum Anger (Studienfreundin) und die Aufzeichnungen Nov. 44-Aug. 47, Exzerpte und Aphorismen, Gedichte, Staatsgedanke und R’s. Bild hinuntergeschickt durch einen Jungen, da im Entlassungslager noch mal total gefilzt werden soll. – Beim Westkreuz ausgeladen. Gute deutsche Organisation, schnelle Abwicklung. Fünfzehn Kompanien je hundert Registrierung, Wäscheempfang, Essen, Entlausung (ohne Filzung), Rasieren, Musik durch Lautsprecher. – Prof. S. vor acht Wochen mit zurückgeschicktem Transport Stabsoffiziere nach Rußland. – Die Besatzung zu sehen tut weh. – Leben kärglich, seit zwei Monaten kein Fleisch, noch länger keine Butter. Viele Frauen und Mädchen ernähren sich durch das Horizontalgewerbe.
27.8. Ärztliche Untersuchung, Statistik. – Kundgebung: Oberbürgermeister, Präsident Heimkehrer, SED, KPD Westzone, Frauenbund, unter anderem Reden, Lügen, Kriecherei vor dem Russen. Nur Parteiwerbung. Genau dieselben, ekelhaften Antifaschisten-Typen. Hetze gegen den Westen. Was werden wir froh sein, wenn wir von hier weg sind. – Mittags offizielle Entlassung aus dem russischen Lager. Nochmals werden einige zurückbehalten, auch einige Antifaschisten gehen nicht mit, Agenten? – Wir treffen mit entlassenen Kriegsgefangenen aus anderen Gebieten zusammen, Sibirien, Ural, Kaukasus, Nordrußland. Von allen hört man ähnliches, manche hatten es schlechter, manche besser. Das Milieu ist das gleiche und auch ihre Gebiete waren Straf- und Verbannungsgebiete, ein System der Menschenunterdrückung. Staatliche Lenkung der widerstrebenden Arbeitskräfte. – Die Sterblichkeit in den Kriegsgefangenen-Lagern überall sehr hoch, besonders in den ersten Jahren erschreckend. – Transport unmittelbar hinter uns, aus Astrachan, hatten es noch viel schlechter als wir. – Durch Schwestern abgeholt, zum Zivillager Gronefelde. – Einteilung in Zonen. – F. scheint nicht hier zu sein. – Man läßt mich nicht in die Stadt. Viel engherziger Bürokratismus. Aber Heimkehrer raubten und plünderten, als man großzügiger war. Dumm, ich komme nicht mehr an meine schriftlichen Sachen. Nur noch 700 Telefone. Nach vielen Schwierigkeiten mit der Nachbarschaft telefoniert. – Unzufriedenheit, Spannung groß. – Karten nach Zehlendorf, Hamburg und Stuttgart. – Heimatlose kommen in der russischen Zone gleich wieder in Arbeitsprozeß.
28.8. Außer Berlin und Brandenburg alles wieder verladen. Dürftige Marschverpflegung für vier Tage, fünfzig Reichmark Entlassungsgeld. – Ein Wasserhahn, elektrisch Licht, Sauberkeit, deutsche Schwestern: Es ist doch was anderes. – Gespräch mit einem älteren, schlesischen Bahnbeamten. Alle Strecken eingleisig. Loks und Wagenpark fast restlos weggeholt, dreiviertel der Ernte, alles, was nur denkbar, täglich Zug um Zug, Lebensmittelkarten können nicht voll beliefert werden. Chaotische, auf die Dauer untragbare Zustände. Auspowerung bis zum letzten. Frauen Schwerstarbeit. Polnische Partisanen laden Züge auf der Fahrt ab. – Amerikaner zur Elbe? – Zucker, Holz, Kohle, Spinnstoff, Vieh, Menschen, alles rollt nach Rußland. – Überall große Erbitterung, aber kolossaler Druck. Abholen und Verfrachten. Junge Männer fliehen nach Westen. – Guben, Grenze mitten durch die Stadt. – Obst, Gemüse, alles geht nach Rußland. – Bevölkerung muß organisieren und klauen, um sich ernähren zu können. – Aus Polizei, Justiz, Bahn, Post, Schuldienst alle Parteigenossen entlassen und entfernt. – Ich spreche soviel als möglich mit der Bevölkerung. Überall dasselbe. Hoffnung auf Änderung durch den Westen. SED eine Bonzenund Schieberwirtschaft ohnegleichen. – Am Anfang achtzig Prozent aller Frauen vergewaltigt. – Cottbus. – Bodenreform zeitigte Nicht-Beliefern der Städte. – Abholen durch GPU häufig, selbst Jugendliche. Spurloses Verschwinden. – Unsere Landser disziplinlos, plündern die Frauen aus, klauen in den Gärten Obst.
29.8. Früh in Leipzig. – Demontage erschreckend. – Die Bevölkerung winkt so herzlich, und viele Frauen weinen. – Ostzone wahnsinnige Steuern. – Privatwohnungen wurden alle durchsucht und geplündert. – Apotheken leer. – Viele Telegrafenleitungen abgebaut. Schwarzer Markt in Hochblüte (auch NS-Literatur!). – Handwerker nur gegen Lebensmittel. – Solange die Russen keinen Schnaps trinken, benehmen sie sich einigermaßen, aber dann! Tanzveranstaltungen mit Schießereien. Viele Russenfrauen und Familien sind nachgezogen. Russen fliehen zum Teil in den Westen. – Zugfenster mit Brettern zu, nur ein 10x10cm großes Loch. Lokomotiven mit Briketts und Braunkohle. Wir noch immer in Güterwaggons. – Hilfsförster arbeiten als Landesforstmeister, Hilfsschaffner als Bahnhofsvorstand, die Fachkräfte (Parteigenossen) sind dafür Hilfsarbeiter oder schulen um. – Deutsches Land, die Saale! Trotz der Armut, der Not, der Kriegszerstörungen: Welch’ Reichtum, welch’ anderer Eindruck gegenüber Rußland. Jetzt können wir erst so ganz unser Leben schätzen. – Der Westen verhandelt ohne Rußland über deutsche Fragen. – Die Sach sen werden abgehängt. – Pakt Rom/Athen? – Dollar und Pfund machen sich wieder auf dem Balkan breit, Juden kehren zurück. – Ich spreche mit einem alten, einfachen Arbeiter, er war seit 1918 KPD-Mitglied, saß im KZ, 1945 gleich wieder Mitglied, nun ist er aus der SED ausgetreten. – Lügen in der Presse über unser gutes Leben in Rußland; wie umgekehrt! – Viel Gesindel in führender Stellung. Die arbeitende Bevölkerung sieht klar. – Gesunden-Transporte kamen bisher noch nicht. – Naumburg, Weimar. Deutschland, Deutschland über alles, und du sollst leben. Herrliche Landschaft! – Abends in Erfurt. In der Stadt Baden, Entlausung, Registrierung, ärztliche Untersuchen und Propagandarede. Bombenzerstörung verschwindet langsam, schöne Stadt, Grünanlagen. Der alte Turm, der Fluß, der Dom, der Mond steht über den Dächern, saubere Straßen. Und die deutschen Frauen und Kinder! – Auf dem Petersberg gut untergebracht. Mit F. und I. – Die Polizei ekelhafte Typen, Snobs und die meisten Vorbestrafte und Berufsverbrecher. Schiebung und Korruption wie noch nie zuvor. – Ritterkreuzträger verpfiffen und spurlos abgeholt. Die Bevölkerung sieht klar. Der einfache Arbeiter sehnt sich nach der anständigen Intelligenzschicht zurück.
30.8. Trennung von der englischen Zone. – Das erste deutsche Mittagessen, gute Versorgung. – Was werden Vermißte gesucht! – Schöner Blick über die Stadt zu den Thüringer Bergen. Mit F. allein durch die Stadt. Ein Verkehr, Betrieb, Menschen und noch mal Menschen. Ich studiere aufmerksam Typen und Gesichter. Ein altes Frauchen aus Posen spricht mich an, ob ich nicht mit einem ihrer zwei Söhne zusammen war, von beiden (Witebsk und Berlin) keine Nachricht. Dagegen die Bonzen, die Dämchen. Beim Friseur, er wurde im Winter 46/47 entlassen, von 2.900 kamen 480 lebend an. 2.400 Tote, Transport von Woroschilowgrad. – Wirklich eine schöne Stadt, malerische Bilder. In einer Bücherei. Nur Propaganda und Schund in Massen. Die Buchhändler haben keine Auswahl. – Abends spät von Erfurt ab. Gotha. Um ein Uhr in Eisenach.
31.8. Ins Umsiedlerlager. Wieder entlaust, ärztliche Untersuchung. Gute Verpflegung. – J. vor drei Jahren. – Registrierung für den „Grenzübertritt”. – Mit Mädchen und Frauen gesprochen, die jetzt auch als Dystrophikerinnen und Kranke zurückkamen. Erschütternde Erlebnisse und Berichte, grauenhaft! Genau das, was wir Männer mitmachten, erleben sie auch in Sibirien, dann in Stalino im Kohlenschacht, Hunger, Norm, Prozente, Fleischbeschau, Nachtarbeit, gegenseitiges Verkaufen, alles wie wir, nur die politische Seite nicht so stark, aber auch NKWD-Verhöre. Tote, Schläge, furchtbar. – Seelisch ungebrochen ein Pommernmädel und eines aus Bessarabien-Warthegau. Keine Postverbindung. Viele Jugoslaven-Deutsche, Trennung von ihren Kindern. – Die ganze verschleppte, weibliche Zivilbevölkerung von Ostpreußen, Schlesien und Pommern und die Volksdeutschen vom Balkan und aus Polen sind noch drüben. Der größte Teil ist im Verlauf der Jahre umgekommen. Auch nur wenige Kranke und Schwache läßt der Russe heraus. Ungeheuerliches Schicksal für diese Ostdeutschen und Volksdeutschen, ohne Heimat, vertrieben von Haus und Hof. Ja, die in Ostpreußen flohen, taten richtig. – Ein durchschnittliches Schicksal eines Mädchens: Drei Brüder, alle vermißt im Osten seit Kriegsende, Mutter zu Tode vergewaltigt, Vater verschleppt, keine Nachricht; ältere Schwester von ihren kleinen Kindern losgerissen auf dem Transport, jüngere Schwester im Lager gestorben. Die Kinder vermißt. Alle Schwestern mehrmals vergewaltigt. Welche seelische Kraft und innere Haltung sieht man noch bei manchen dieser so elenden, abgemagerten, zusammengefallenen Gestalten. Die Frauen sind der wertvollere Teil des deutschen Volkes. Die meisten aber sind gebrochen.
1.9. Früh ab Eisenach. Ein Leipziger Messezug aus Baden, Tausende von Zigaretten, dazu Obst, Brote usw. wurden herausgereicht. Der erste, heimatliche Apfel; herzlichste Freigebigkeit. Es besteht doch noch ein deutsches Zusammengehörigkeitsgefühl. – Der Erfurter Stadtrat: „Vergeßt uns deutsche Brüder hier in der Ostzone nicht!” Der Eisenacher Eisenbahnbeamte: „Ihr fahrt nun heim ins Reich.” Werra die Grenze. Nun ist es geschafft! Endlich dem Zugriff der Russen entzogen. Der ungeheure Druck hört auf, die seelische Spannung läßt nach, die Heimkehr wird Wirklichkeit.