Von Steffi weiß ich, daß sein Freund Frauen gar nicht mag, daher gehen wir unter dessen bösen Blicken ins Nebenzimmer – soweit man davon reden kann in einem türlosen Loft wie diesem. Dort geht’s gleich zur Sache: Was Volker Beck wohl eigentlich bei den Russen wollte? Aus Steffis Sicht ist das klar: „Naja, Frischfleisch!” Aber weshalb gerade in Rußland? „Ach je, wie soll ich dir das erklären”, versucht Steffi eine Erklärung: „Erinnerst Du Dich an diesen Bestseller vor hundert Jahren (Steffi übertreibt gern, E.K.), Salz auf unserer Haut, von so’ner französischen Schriftstellerin? Die intellektuelle Wechseljahrsfrau, die in einer sexuellen Obsession zu einem jungen, geistig dumpfen Fischer aufgeht? Das ist so in etwa auch das Muster, das die gesuchte Verbindung deutscher Junge – russischer Junge (Steffi spricht selten von „Männern”, E.K.) beschreibt. Hier Hirn, dort Hose. Ganz simpel, nichts Neues, oder?” Ob Steffi also Becks glücklosem, doch schlagzeilenträchtigem Auftritt bei der Moskauer Gay Pride also den puren Antidiskriminierungsgedanken abspreche? „Ach, diese Menschenrechtsemphase, ist das nicht pipapo? Wo geht es nicht um die Eröffnung von Märkten? Unter autoritären Regimen lebende Schwule, das ist halt auch ’ne ganz besondere Zucht, da steigt der Marktwert!”
Klar, Steffi war auch schon in Rußland, er war schon überall, und kaum je keusch. „Und da blieb dann eben nur die Privatwohnung, ja?” frage ich. Steffi wiegelt ab: „Verwechsel das jetzt nicht mit dem Mittleren Osten oder so. Das ist in Moskau kaum anders als in Frankfurt oder München. Man kennt die Locations, die Szene ist natürlich etwas überschaubarer. Aber insgesamt: kein Problem.” Probleme könne man sich schaffen, oder es lassen, so wie Steffis Freundeskreis, „da ist doch auch keiner verheiratet oder politischer Schwulenaktivist, wozu denn, privat ist privat, auch in Rußland. Und jetzt hör mir auf mit dem peinlichen Beck, ich benutze doch auch kein kollektives ‚Ihr‘, wenn ich Angelika Merkel meine und dich anspreche!” Okay. Aber korrekt sei es ja auch nicht, einen Bekenntnis-Schwulen mit Eiern zu bewerfen, oder? „Ach”, unkt Steffi da und fällt doch ins Kollektivum, „weißt doch, wir Schwule haben da so’n eigenes Verhältnis zu Eiern …” Der Typ mit dem Hessen-Slang hat mitgehört und lacht meckernd. Beim Rausgehen ruft er mir hinterher: „Und denk dran, Beck mit a! Wie Arsch!”
Wer ist Volker Beck? Geboren 1960 in Bad Cannstatt, abgebrochenes Studium der Kunstgeschichte, jenseits der grünen Politkarriere ohne Berufserfahrung. Großer Karnevalist, Tänzer bei den „Rosa Funken”. Kinderlos, doch vielfacher geistiger Vater von A (wie Antidiskriminierungsgesetz) über F (Flüchtlingsrecht) und L (Lebenspartnerschaftsgesetz) bis Z (Zigeuner-Mahnmal vor dem Reichstag). Mühselig, die einzelnen Stationen der Politkarriere Herrn Becks aufzuzählen: Unter anderem fungierte er, ausgewiesener Nicht-Jurist, als rechtspolitischer Sprecher seiner Partei. Im wesentlichen war er durchgängig als Betroffenheitsbeauftragter zuständig und stellte damit das „männliche” Pendant zur Parteifreundin Claudia Roth dar.
2002 erhielt Beck aus der Hand Johannes Raus das Bundesverdienstkreuz für seinen Kampf um die Entschädigung von NS-Opfern: Gemeinsam mit dem American Jewish Committee hatte Beck der Kohl-Regierung eine Rente für osteuropäische jüdische NS-Opfer abgetrotzt. Zuletzt stritt Beck – der ansonsten mit Religiosität wenig am Hut hat – für den Bau der Kölner Großmoschee, stellte Anfragen an die Bundesregierung bezüglich der Lage der Homosexuellen in Nigeria und nervte vehement gegen die mild-konservativen Schnarchnasen des „Studienzentrums Weikersheim”: Dort werde versucht, die „Konturen konservativer Politik immer wieder verschwimmen zu lassen.” (Gut, damit hat er ja recht.) In Sachen Schwulenpolitik selbst ein bekennender Globalisierer, hat sich Beck mit Blick auf die Anti-G8-Demos entschieden auf die Seite der Globalisierungsgegner gestellt und gefordert, „Proteste in Hör- und Sichtweite der Menschen, gegen die demonstriert wird”, zuzulassen. Beck, mit seinem schmallippigen Lehrergesicht, das jenseits von Grinsen und verärgert zusammengezogenen Augenbrauen keine Zwischenstufen im Ausdruck hergeben mag, hat die Rolle des ständigen Opfer-Seins zu seiner sublimsten (in Steffis gemeinen Worten: hinterfotzigsten) Form kultiviert: als Opferanwalt, und das heißt, als moralischer Erpresser. Wie es nun um die Moral solcher Klientel bestellt ist, dürfen wir beim Spezialisten in solchen Fragen, Friedrich Nietzsche (der war auch schwul, heißt es), ausführlich nachlesen. Etwa: „Das moralische Urteilen und Verurteilen ist die Lieblingsrache der Geistig-Beschränkten an denen, die es weniger sind. Auch eine Art Schadenersatz dafür, daß sie von der Natur schlecht bedacht wurden, endlich eine Gelegenheit, Geist zu bekommen und fein zu werden: – Bosheit vergeistigt.” Die Moral, aus der heraus bonhomme Beck seinen Rückenwind erhält, ist eine der offenen oder mindestens angelehnten Türen. Wer würde schon ernsthaft und mit der Sicherheit, öffentlich wahrgenommen zu werden, gegen all diese Werte und Sachverhalte reden, für die Beck mit Klagestimme eintritt: Gleichberechtigung, Minderheitenschutz, Schuldbekenntnisse?
Die „Spießigkeit”, die er anderen (etwa jenen CDU-Männern, die ein Grußwort Wowereits anläßlich einer Sado-Maso-Messe kritisierten) von seinem hohen Roß der vorgeblich lupenreinen Nicht-Spießigkeit vorhält, fällt daher auf Beck selbst zurück. Wie ernst es ihm mit seiner minderheitenfreundlichen Gesinnung ist, zeigt Beck auf seiner Netzseite. Dort schmückt neben Grünen-Logo und obligatorischem Klimafreund-Emblem ein weiteres Symbol für geistige Korrektheit den Auftritt: ganz groß das durchgestrichene Hakenkreuz. Schon mutig! Beck weiß, wie weit er mit seinen Minderheiten-Interventionen gehen kann, ohne Einbußen seines Gutmenschen-Status zu erleiden. Ausrutscher auf solch ausgetretenen Pfaden gab es wohl – die wußte er flink zu relativieren. Etwa, als er vor Jahren für eine „Versachlichung der Diskussion um das Problem der Pädosexualität” warb und eine Herabsetzung des Schutzalters für Kindersex auf unter vierzehn beziehungsweise eine Strafabsehensklausel vorschlug. Durch die Entkriminalisierung der Pädosexualität wollte er – Achtung, Beck-Slang! – „etwas für die Lebenssituation pädophiler Menschen erreichen”. Es dürfte das einzige Tabu gewesen sein, an das sich Beck gewagt hat. Ansonsten: offene Türen weit und breit. Dennoch darf sich Beck als gewohnheitsmäßiger Einrenner derselben einen „Helden” nennen. Als „hero” wurde er nämlich 2005 vom US-amerikanischen Equality Forum ausgezeichnet. Dies ist nur einer von ungezählten Gleichheits-Awards, deren sich der Wahl-Kölner rühmen darf.
Nun, die russische Tür jedenfalls war ihm, gerade zurückgekehrt von einer frustrierenden Menschenrechts-Visite in Turkmenistan, zunächst verschlossen. Erst im zweiten Anlauf erhielt er ein Visum für die Einreise ins Putin-Reich.
Unangenehm aufgefallen war Volker Beck schon vergangenes Jahr auf der Moskauer Schwulendemo. Sein blutrinnsaldurchkreuztes Konterfei fand damals große mediale Beachtung. Und nun, oops, he did it again: Mit
einer Resolution betreffs Schwulenrechte in der Hand, pilgerte er erneut nach Rußland, um dem Moskauer Bürgermeister Luschkow (ausgerechnet an Pfingsten!) sein Homorechtsbegehren vorzutragen. Luschkow seinerseits nämlich hatte vom Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch gemacht und den Moscow Pride als „satanisches Treiben” bezeichnet und den geplanten Schwulen-Umzug verboten. Mag sein, daß ihm die Bilder von westlichen Christopher Street Days zu poppig und daher wenig anheimelnd erschienen. Das Verbot homosexueller Betätigung an sich ist in Rußland schon im vergangenen Jahrtausend gefallen – was nicht zwingend ein Gutheißen öffentlicher Zurschaustellung sexueller Vorlieben bedeutet. Es ist auch keineswegs so, daß sich das russische Volk (von Beck mehrdeutig als „wenig aufgeklärte Demokratie” gegeißelt) einen westlichen Befreier in puncto Sexualitätsfragen erbeten hätte. Jene Nationalisten und Ultrareligiösen, die hier gegen Beck und Konsorten Choräle sangen und Fäuste schüttelten, dürften nur die Speerspitze einer generellen russischen Skepsis gegen Schwulenlobbyisten darstellen. Nachdem der zunächst verbal angegriffene Beck sich als deutscher Bundestagsabgeordneter zu erkennen gegeben hatte, führte die Polizei ihn ab (aus Becks Sicht) beziehungsweise nahm ihn in Schutzgewahrsam (russische Darstellung). Becks Darstellung der Sachlage entbehrt nicht einer gewissen Schizophrenie: Einerseits beklagt er, die Maßnahme sei ohne sein Einverständnis geschehen, andererseits wirft er den Bütteln vor, Eier und Gemüse habe ihn erst dadurch treffen können, daß man ihn für „zwei Minuten losgelassen” habe. Mit politischem Mandat dürfte Becks russischer Feldzug übrigens kaum erfolgt sein. Oder? Immerhin sprach seine Partei im Brustton der Empörung von einem „gravierenden internationalen Zwischenfall”. Ja, heult doch.